Knappe Ressourcen und neue Kooperationen

Im Gespräch mit Moderatorin Dr. Martina Oldhafer, Deutsche Gesellschaft für Transitionsmedizin, diskutierte Dr. Max Kaplan über Lösungsansätze beim Thema Ärztemangel.

Von einer „politischen Großwetterlage“ durch den wachsenden ökonomischen Druck bei einem sich gleichzeitig abzeichnenden Mangel an medizinischem Nachwuchs und einer immer älter werdenden Gesellschaft sprachen Experten aus Gesundheit, Wirtschaft und Politik auf dem 10. Lübecker Symposium Ende Februar im Klinikum Großhadern der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München.

Dr. Peter Bartmann vom Diakonischen Werk Deutschland, Leiter des Zentrums für Gesundheit, Rehabilitation und Pflege in Berlin, sprach von jener „politischen Großwetterlage“, die sich im deutschen Gesundheitswesen abzeichne. Mit Spannung erwartet werde die Krankenhausreform der Bundesregierung. Ziel solle sein, das jetzige System anzupassen und nicht zunehmend in Frage zu stellen. Der ökonomische Druck sei immer mehr Bestandteil ärztlichen Handelns. Er forderte, Medizin und Management mehr miteinander zu verbinden und dabei einen am Patientenwohl orientierten, bewussten Umgang mit begrenzten Ressourcen vorzunehmen. Dabei sei jede Ärztin und jeder Arzt selbst in der Verantwortung, wie stark er nach dem Prinzip des „Homo oeconomicus“ (Modell eines ausschließlich rational handelnden Menschen) lebe.

Chancen und Risiken

Andreas Diehm, stellvertretender Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG) hielt ein Referat über Klinik- und Patientenfinanzierung in ländlichen Räumen. Aktuell übernähmen die Kliniken zunehmend ambulante Leistungen im Rahmen der Notfallversorgung. Mindestens die Hälfte der Patienten, die in Notfallaufnahmen versorgt würden, könnten im vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst, zum Beispiel durch an Kliniken angesiedelte Bereitschaftspraxen versorgt werden. Gespannt sei man auf die geplante Krankenhausreform. In den nun vorliegenden Eckpunkten sähen die Kliniken eher Risiken als Chancen, vor allem was die künftige Finanzierung anbelange. Fraglich sei, wie eine wohnortnahe Versorgung künftig gestalten werden solle und wie weit die Wege dabei für Patienten sein dürften. Dies gelänge nur über Kooperation und Vernetzung. „Die doppelte Facharztschiene ist kein Modell der Zukunft“, betonte er, was einige Teilnehmer aus dem Auditorium nicht unkommentiert lassen wollten. So stellte Dr. Max Kaplan, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), klar: „Wir haben keine doppelte Facharztschiene, sondern lediglich eine Teilung der Fachärzte in diejenigen, die im ambulanten Bereich und diejenigen, die im stationären Bereich tätig sind.“ Gleichwohl befürwortete er die Stärkung einer sektorübergreifenden Versorgung nach § 116 b Sozialgesetzbuch (SGB) V.

Albert Eicher, Leitender Ministerialrat des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege (StMGP) stellte in seinem Referat die Förderprogramme des StMGP vor, die dazu beitragen sollen, den Nachwuchsmangel im ländlichen Raum in den Griff zu bekommen. So werden Niederlassungen in ländlichen Regionen mit einer Anschubfinanzierung unterstützt, innovative medizinische Versorgungskonzepte gefördert und Stipendien an Medizinstudierende vergeben, die bereit sind, nach dem Studium als Ärztin oder Arzt im ländlichen Raum tätig zu sein. Bis heute habe die Staatsregierung 129 Niederlassungen bezuschusst, 66 Stipendien vergeben und zehn innovative Projekte finanziell gefördert. „Das Problem des ärztlichen Nachwuchsmangels ist auch in der Kommunalpolitik angekommen. Wir unterstützen die Bürgermeister vor Ort mit einer Beratungsstelle“, erklärte Eicher.

Generationenwandel und neue Versorgungsstrukturen

Dr. Max Kaplan sprach in seinem Vortrag über den Nachwuchsmangel und die Generationenfalle, analysierte den Status quo und zeigte Maßnahmen zur Verbesserung der Versorgungssituation auf. Er wies auf den Ärztemangel hin, der sich angesichts des steigenden Bedarfs an medizinischen Leistungen verschärfen werde. Hinzu käme die wachsende Generation an Ärztinnen und Ärzten, die in Teilzeit arbeiteten und die Tatsache, dass die Generation der Babyboomer altersbedingt die kurative Tätigkeit verlasse. So mahnte er an, dass, blieben die Strukturen so wie bisher bestehen, im Jahr 2030 nur die Hälfte des Bedarfs an Arztpraxen gedeckt werden könne. Bereits bis zum Jahr 2020 würden in der hausärztlichen Versorgung zwei Drittel der Landkreise – insbesondere in den ländlichen Regionen – ein deutlich geringeres Versorgungsniveau aufweisen, prognostizierte Kaplan. Auch im stationären Bereich sei bis zum Jahr 2030 der Bedarf an Klinikärzten nur noch zu zwei Dritteln gedeckt. Abschreckend für eine Niederlassung für junge Ärztinnen und Ärzte seien die Planungsunsicherheit, die Budgetierung, die drohenden Regresse und das dadurch schwer einschätzbare unternehmerische Risiko. Nach einem Gutachten zum „Ausstieg aus der kurativen ärztlichen Berufstätigkeit in Deutschland“, auf Veranlassung des Bundesgesundheitsministeriums, seien hierarchische Strukturen, ein autoritärer Führungsstil, zu viele nichtärztliche Tätigkeiten, die zeitliche Belastung und die dadurch mangelnde Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie die zu geringe Vergütung Gründe für den Ausstieg aus der kurativen Tätigkeit.

Lösungsansätze

Nach Darstellung des Status quo und einer Analyse des Ärztemangels, zeigte Kaplan auch Lösungsansätze auf. In Kliniken seien dies vor allem planbare Arbeitszeiten, der Abbau der Arbeitsverdichtung, gezielte Delegation, Teamarbeit und flache Hierarchien. Ebenso wichtig sei das Betreuungsangebot für Kinder und damit die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Auch hinsichtlich einer möglichen Niederlassung gäbe es durchaus Verbesserungspotenzial. Dieses sieht Kaplan im niederschwelligen Einstieg in die Niederlassung, wie zum Beispiel zunächst in ein Angestelltenverhältnis, in neuen Beschäftigungsmodellen, wie zum Beispiel in Teilzeit und in der Schaffung neuer Versorgungsformen wie fachübergreifende Gemeinschaftspraxen, Ärztehäuser oder regionale Versorgungszentren. Zudem bestehe eine Symbiose zwischen regionaler Infrastruktur und Attraktivität der Niederlassung. Um mehr Nachwuchs in die ländliche Region zu holen, müsse von vornherein der regionale Bezug in Aus- und Weiterbildung gefördert werden. Kaplan wies in diesem Zusammenhang auf eine erneute Reformierung des Medizinstudiums hin. Große Hoffnungen setze er auf den Masterplan „Medizinstudium 2020“ des Bundesgesundheitsministers Hermann Gröhe, mit dem auch die Allgemeinmedizin gestärkt werden solle. Ziel sei die Etablierung von Lehrstühlen für Allgemeinmedizin an allen Medizinischen Fakultäten. Auch müssten die Lern- und die Studienqualität durch einen möglichst frühen Praxisbezug verbessert und ca. zehn Prozent mehr Medizinstudienplätze geschaffen werden. Schließlich müsse intensiv über eine zukunftssichere Arbeitsteilung zwischen den Gesundheitsberufen nachgedacht werden, ohne zusätzliche Versorgungsebenen zu schaffen. „Nur wenn wir die medizinische Versorgungsstruktur gründlich hinterfragen und mehr auf eine interdisziplinäre, interprofessionelle und sektorenübergreifende Versorgung achten, können wir gezielte Lösungsansätze entwickeln“, sagte Kaplan.

Bezahlte Fachexpertise

Helle Dokken, Pflegedirektorin des Klinikums der LMU München, hielt einen Vortrag über die Anforderungen eines neuen Pflegemanagements. Sie zeigte den zunehmenden Bedarf an Pflegepersonal auf, bei gleichzeitig ansteigendem frühzeitigem Berufsausstieg aus der Altenpflege. Seit Einführung der Diagnosis Related Groups (DRGs) seien die Vollzeitstellen in der Pflege reduziert worden, bei gleichzeitig steigendem Bedarf an Pflegekräften. Im internationalen Vergleich hinke Deutschland hinterher. So kämen in Deutschland durchschnittlich 10,3 Patientinnen und Patienten auf eine Pflegefachkraft pro Schicht, in Norwegen seien dies nur 3,7 Patienten. Dokken betonte, dass die Politik hier dringend Maßnahmen ergreifen müsse. Kliniken müssten Maßnahmen zur Personalbindung vorantreiben, eine generalistische Grundausbildung für alle Pflegenden einführen, verbesserte Weiterbildungsmöglichkeiten, eine angemessene Vergütung und Kinderbetreuungsmöglichkeiten anbieten. Auch regte sie an, eine verbindliche Festlegung der Personalausstattung in der Allgemeinpflege zu etablieren, ähnlich des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) zur Neonatologie, bei dem eine 1:1-Betreuung vorgeschrieben sei. Auch sollte pflegerische Fachexpertise besser bezahlt werden.

Weitere Themen des zweitägigen Symposiums waren unter anderem die Weiterentwicklung des Medizinstudiums aus der Sicht des deutschen Wissenschaftsrats, Innovationen in der Gesundheitsversorgung und Qualität im Gesundheitswesen.

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