Müttergesundheit
Müttergesundheit
Ein Thema mit hoher Relevanz für den Praxisalltag
Die Gesundheit von Müttern ist ein zentrales, jedoch häufig vernachlässigtes Thema im medizinischen Diskurs. Während Schwangerschaft und Geburt in der medizinischen Versorgung traditionell große Aufmerksamkeit erhalten, bleiben die psychosozialen und gesundheitlichen Belastungen im weiteren Verlauf der Mutterschaft vielfach unterbeleuchtet. Insbesondere die Vereinbarkeit von Familie, Care-Arbeit und Erwerbstätigkeit stellt für viele Mütter eine erhebliche Herausforderung dar – mit weitreichenden Folgen für ihre physische und psychische Gesundheit. Trotz wachsender Belastungen und steigender Zahlen psychischer Erkrankungen bleibt das Thema Müttergesundheit im medizinischen Alltag und in der öffentlichen sowie medizinischen Beachtung oft unterrepräsentiert. Auch fehlen mütterspezifische Psychotherapieangebote – obwohl ein hoher Bedarf besteht.
Häufig wenden sich belastete Mütter zunächst an ihre Hausärztinnen/Hausärzte – oft mit unspezifischen Symptomen, wie Erschöpfung, Schlafstörungen, Reizbarkeit und vegetativen Symptomen. Hier ist es entscheidend, dass diese Symptome nicht als „Alltagsstress“ bagatellisiert oder vorschnell mit allgemeinen Ratschlägen, wie „reduzieren Sie doch ihre Arbeitszeit“ oder „das ist in ihrer Lebensphase ganz normal“ beantwortet werden. Solche Aussagen können Betroffene entmutigen und vermitteln ihnen den Eindruck, ihre Belastung sei aus ärztlicher Sicht kein ernstzunehmendes Anliegen.
Die hohe Relevanz besteht jedoch besonders darin, dass persistierende chronische Überlastung zu schwerwiegenden psychischen und/oder somatischen Folgeerkrankungen führen können – und zwar bei Müttern und auch ihren Kindern. In frühen Phasen der Überlastung kann jedoch noch gegengesteuert werden, was sich entsprechend präventiv auswirkt.
Der vorliegende Beitrag möchte das vernachlässigte Thema Müttergesundheit stärker in den ärztlichen Fokus rücken.
Fallbeispiel
Frau M., 42 J., Verwaltungsangestellte mit 20 Wochenstunden, Mutter von drei Kindern, stellt sich in der Hausarztpraxis vor. Sie berichtet dabei, sich dauerhaft erschöpft und müde zu fühlen, außerdem sei sie gegenüber ihren Kindern gereizt und ungeduldig und leide häufig unter Kopf- und Gelenkschmerzen. Außerdem schlafe sie sehr schlecht – im Grunde schon seit der Geburt ihres ersten Kindes vor zwölf Jahren. Ihr Mann unterstütze, wo er könne, sei aber selten zu Hause. Auch ein unterstützendes Netzwerk bestehe nur lückenhaft, da beide Großelternpaare zu weit entfernt wohnen. Sie wisse selbst nicht, was mit ihr los ist.
Wie ist diese Situation aus medizinischer Sicht einzuschätzen? Und wie kann man hier als Hausarzt gut unterstützen?
Zunächst gilt es dazu einen genaueren Blick auf die Lebens- und Gesundheitssituation von Müttern zu werfen.
Warum sind Mütter besonders überlastungsgefährdet?
Berufstätige Mütter sollten heute doch eigentlich durch erweiterte Betreuungsangebote und familienpolitische Maßnahmen bessere Rahmenbedingungen vorfinden als frühere Generationen. In der Realität zeigt sich jedoch, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie weiterhin mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden ist. Traditionelle Rollenbilder prägen nach wie vor das familiäre Gefüge. In Deutschland überwiegt weiterhin das so genannte „Zuverdienermodell“ bei dem Mütter überwiegend in Teilzeit arbeiten, während Väter überwiegend in Vollzeitbeschäftigungsverhältnissen tätig sind. Trotz wachsender Erwerbsbeteiligung übernehmen Mütter dabei weiterhin den größeren Anteil an unbezahlter Care-Arbeit, einschließlich Kinderbetreuung, Haushaltsführung und Angehörigenpflege [1]. Alleine diese Aufgabenfülle, inklusive aller unsichtbarer Aufgaben, die allein durch die Koordination und Planung der „To-do-Listen“ entsteht (so genannter „Mental Load“), führen zu erhöhter Stressbelastung.
Zudem bestehen weiterhin Defizite in der institutionellen Versorgung: Der Mangel an verlässlichen Ganztagsangeboten und qualitativ hochwertigen frühkindlichen Betreuungsmöglichkeiten erschwert insbesondere Müttern eine kontinuierliche Berufstätigkeit. Hinzu kommt, dass längere Fremdbetreuung von Kindern in Deutschland weiterhin sozial schlecht akzeptiert ist. Dies unterscheidet uns ganz deutlich von europäischen Nachbarländern, wie zum Beispiel Frankreich und Schweden. Hierzulande fest verankerte Rollenbilder, wie das Bild der „immer verfügbaren guten Mutter“ bzw. das Gegenbild der „Rabenmutter“ wirken auf die Frauen und deren Umfeld ein und führen zu hohen gesellschaftlichen und persönlichen Ansprüchen an die Mutterschaft. Schuldgefühle und Insuffizienzerleben – sowohl in der Elternrolle als auch im beruflichen Kontext – sind bei Müttern sehr häufig. Die heute allgegenwärtigen Sozialen Medien verstärken durch ständige Vergleichsprozesse diesen Druck noch zusätzlich.
Ein weiterer relevanter Belastungsfaktor für Mütter der heutigen Generation ist der inzwischen zumeist gelebte „bindungsorientierte“ Erziehungsstil, der die Bedürfnisse des Kindes oft über die eigenen stellt. Für Säuglinge und Kleinkinder und deren gesunde Entwicklung ist dies ein positiver Trend. Viele Mütter verausgaben sich dabei aber derart, dass es zur erheblichen Vernachlässigung der eigenen Selbstfürsorge, zu emotionaler Überlastung und in Kombination mit fehlender Ressourcenpflege zu einem vermehrten Auftreten von Burnout-Zuständen und psychischen Erkrankungen kommt.
Einfluss der Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie hat die Situation vieler Mütter zusätzlich verschärft. Der Wegfall institutioneller Betreuungsangebote führte zu einer massiven Zunahme häuslicher Aufgaben, einer Retraditionalisierung von Rollenmustern und einer deutlichen Verdichtung der Care-Tätigkeiten. Die Folge war eine überdurchschnittlich hohe Stressbelastung von Müttern während dieser Phase, verbunden mit einer Zunahme depressiver Symptomatik, Erschöpfungszuständen sowie maladaptiver Bewältigungsstrategien, wie zum Beispiel selbstmedikativem Gebrauch von Alkohol oder Benzodiazepinen. Entsprechend zeigte sich in psychotherapeutischen und psychiatrischen Praxen und Kliniken ein signifikanter Anstieg von Kriseninterventionen und Behandlungsanfragen.
Doch auch nach der Pandemie hat sich an der Problematik wenig geändert: Viele Mütter wenden sich erst in ernstzunehmenden Krisensituationen an das Versorgungssystem. Eine frühzeitige Inanspruchnahme therapeutischer Hilfe bleibt selten, was zum einen daran liegt, dass viele Frauen ihre eigene Belastung lange relativieren oder negieren. Zum anderen stellt auch die Versorgungsnotwenigkeit der Kinder während intensiver Therapien ein ernst zu nehmendes Problem dar.
Merke:
• Die Kombination aus struktureller Mehrfachbelastung, hohen Erwartungen und fehlenden Erholungsphasen erhöht bei Müttern das Risiko für Erschöpfungssyndrome bis hin zu Burnout und dessen Folgeerkrankungen. Dieser Zustand muss im Sinne eines Risikozustandes sehr ernst genommen werden.
• Für Hausärzte ist daher entscheidend, bei belasteten Müttern gezielt nachzufragen, um das gesamte Ausmaß der Symptomatik zu erfassen – und zwar nicht nur mit Blick auf die Patientin selbst, sondern stets auch im Kontext des gesamten Familiensystems und insbesondere der Kinder.
Ätiologie und klinisches Erscheinungsbild von Überlastungszuständen bei Müttern
In der Genese von Überlastungszuständen bis hin zum Burnout-Syndrom und dessen Folgeerkrankungen (unter anderem Depressionen, Angsterkrankungen, kardiovaskuläre Erkrankungen) zeigt sich ein deutliches biopsychosoziales Zusammenspiel: Biologisch spielen hormonelle Faktoren, etwa hormonelle Umstellungsphasen, aber auch Schlafmangel und konstitutionelle Belastungen eine Rolle. Psychologisch tragen ein hoher eigener Leistungsanspruch, Perfektionismus und das Bedürfnis, in verschiedenen Lebensbereichen „funktionieren“ zu müssen, wesentlich zur Erschöpfung bei. Auf sozialer Ebene wirken ungleiche Rollenverteilungen, gesellschaftliche Erwartungen und mangelnde Entlastungsstrukturen als chronische Stressoren.
In der Folge entwickeln sich Zustände, die dem eines Burnout-Syndroms in vielen Aspekten entsprechen, inklusive der klassischen Symptomtrias aus Erschöpfung, Zynismus/Depersonalisation und verminderter Leistungszufriedenheit. Hinzu kommen bei Müttern in der Regel noch Belastungen durch Schlafmangel und vegetative Begleitsymptome sowie Störungen der Eltern-Kind-Interaktion. Das Forschungsgebiet von „Parental Burnout“ [2] als eigenständiges Konzept ist noch jung und beginnt sich erst zu etablieren.
Psychotherapeutische Behandlungsansätze für überbelastete Mütter
Während klassische verhaltenstherapeutische Ansätze häufig auf Verhaltensmodifikation, kognitive Umstrukturierung und eine Optimierung von Alltagsroutinen abzielen, berücksichtigt ein moderner, selbstmitgefühlsbasierter Therapieansatz, wie der von der Autorin entwickelte Ansatz [3], stärker die multifaktoriellen biopsychosozialen Entstehungsbedingungen von Überlastung und Erschöpfung. Viele Mütter erleben ein komplexes Spannungsfeld aus gesellschaftlichen Erwartungen, innerem Perfektionsstreben und realer Mehrfachbelastung, das sich nicht durch weitere Selbstoptimierungsprogramme und auch nicht durch „noch mehr Anstrengung“ lösen lässt. Stattdessen bedarf es eines Paradigmenwechsels hin zu einer Haltung der Anerkennung, des Respekts und der Freundlichkeit sich selbst gegenüber. Ziel ist es, die eigene Belastung ernst zu nehmen, Überforderung als Warnsignal zu verstehen und durch achtsames Selbstmitgefühl und Selbstfürsorgestrategien eine neue, freundlichere Beziehung zu sich selbst aufzubauen.
Selbstmitgefühlsbasierte Ansätze – wie das „Mindful Self-Compassion“-Programm (MSC) nach Kristin Neff und Chris Germer [4] oder das Compassion-Focused Therapy-Modell (CFT) nach Paul Gilbert [5] – sind in der internationalen Psychotherapieforschung gut belegt und zeigen positive Effekte auf die Reduktion von Stress, Depressivität und Burnout-Symptomatik [6, 7, 8]. Besonders hervorzuheben ist dabei außerdem, dass diese Interventionen nicht nur die Resilienz fördern, sondern auch die Beziehungsqualität innerhalb der Familie verbessern können [7].
Selbstmitgefühls-Therapieansätze sind übrigens auch in der Burnout-Prävention und -Therapie für Ärztinnen/Ärzte zunehmend etabliert und klinisch bewährt [8].
Was können Hausärzte tun, um Mütter zu unterstützen?
Hausärzte sind häufig die ersten Ansprechpersonen für Mütter, die sich mit Symptomen von Überlastung, Erschöpfung oder entsprechenden Folgeerkrankungen vorstellen. Ein empathischer und validierender Umgang kann entscheidend dazu beitragen, Schamgefühle abzubauen, Selbstmitgefühl zu fördern und den Weg in eine nachhaltige Behandlung zu ebnen. Zentral ist dabei die Haltung, Mütter mit ihren Belastungserfahrungen ernst zu nehmen und ihnen mit Respekt und Anerkennung zu begegnen. Eine validierende Rückmeldung wie „Das hört sich aber auch nach sehr viel an, was Sie da gerade leisten. Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass Sie da erschöpft sind.“ vermittelt Verständnis, ohne zu werten, und schafft die Grundlage für eine vertrauensvolle Arzt-Patientin-Beziehung.
Wichtig ist zudem, vorschnelle Ratschläge oder standardisierte Lösungsangebote zu vermeiden. Mütter mit chronischer Überforderung erleben häufig, dass ihnen gut gemeinte, aber zu einfache Lösungen präsentiert werden, die der Komplexität ihrer Situation nicht gerecht werden. Stattdessen kann es hilfreicher sein, sie darin zu unterstützen, eigene Lösungsansätze zu entwickeln und selbstwirksam zu bleiben. Fragen, wie „Haben Sie selbst schon überlegt, was Ihnen helfen könnte, Ihre Lage zu verbessern?“ oder „Das hört sich nach viel Belastungen an – gibt es derzeit Möglichkeiten, Ihre Akkus wieder aufzuladen?“ regen die Selbstreflexion an und fördern die Wahrnehmung oder Entwicklung eigener Ressourcen.
Kurzfristige Krankschreibungen können im akuten Erschöpfungszustand sinnvoll sein, um Raum für Regeneration zu schaffen. Entscheidend ist dabei die begleitende ärztliche Botschaft, diese Zeit nicht nur passiv zu überstehen, sondern aktiv für Ruhe, Erholung und erste Schritte in Richtung Selbstfürsorge zu nutzen. Ebenso kann – sofern erforderlich – eine kurzfristige medikamentöse Unterstützung, beispielsweise durch schlaffördernde Präparate, hilfreich sein, um den gestörten Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren.
Bei ausgeprägter Symptomatik und/oder zusätzlicher depressiver Verstimmung ist die frühzeitige Einleitung einer fachärztlichen oder psychotherapeutischen Weiterbehandlung angezeigt. Je nach Schweregrad empfiehlt sich dabei ein ambulantes, teilstationäres oder stationäres Setting.
Zusammenfassung
Nehmen Sie Mütter und ihre Belastungen ernst!
Hinter Symptomen wie Erschöpfung, Schlafstörungen oder Insuffizienzerleben verbirgt sich bei Müttern häufig ein Zustand chronischer Überbelastung und mangelnder Regenerationsmöglichkeiten, welches ein ernst zu nehmender Risikozustand hin zur Entwicklung von Burnout oder anderen psychischen wie somatischen Folgeerkrankungen darstellt. Ärzte können hier entscheidend wirken – nicht durch vorschnelle Ratschläge, sondern durch empathisches Zuhören, Anerkennung der realen Belastung und die Ermutigung zu Selbstfürsorge. Häufig ist die Symptomatik zum Zeitpunkt, wenn sich die Frauen in den Praxen vorstellen, schon so ausgeprägt, dass die Einleitung von fachspezifischen Maßnahmen, wie einer Psychotherapie sinnvoll ist. Selbstmitgefühlsbasierte Ansätze sind dabei besonders zu empfehlen. Das Setting (ambulant, teilstationär, stationär) sollte individuell passend gewählt werden.
Wer Mütter stärkt, stärkt ganze Familiensysteme – und trägt zugleich zur Prävention psychischer Erkrankungen bei.
Take-Home-Messages für die Praxis:
» Ernst nehmen und validieren: Mütter mit Erschöpfungs- oder Überlastungssymptomen brauchen in erster Linie Verständnis und Anerkennung. Validierende Rückmeldungen
(„Das hört sich nach sehr viel an…“) sind zentral.
» Keine vorschnellen Lösungen: Komplexe Belastungssituationen verlangen keine schnellen Tipps, sondern empathische Begleitung.
» Selbstwirksamkeit fördern: Offene, ressourcenorientierte Fragen („Was könnte Ihnen helfen?“, „Wo tanken Sie Kraft?“) stärken die Eigenverantwortung.
» Ressourcenorientierung: Gemeinsam nach Stärkungs- und Regenerationsmöglichkeiten suchen – körperlich, emotional, sozial.
» Krankschreibung mit Botschaft: Kurzfristige Arbeitsunfähigkeitszeiten gezielt zur Regeneration nutzen, begleitet durch die Ermutigung, aktiv Ruhe und Erholung zu suchen.
» Medikamentöse Unterstützung: Kurzfristig schlaffördernde oder längerfristig
antidepressive Medikamente können helfen, den Erholungsprozess zu fördern.
» Weiterverweisung: Bei persistierender Symptomatik frühzeitige Vermittlung in
psychotherapeutische Behandlung – idealerweise mit selbstmitgefühlsbasiertem Ansatz.
» Ärztliche Haltung: Empathie, Respekt und Akzeptanz schaffen die Basis für Heilung –
nicht Tipps oder Optimierungsstrategien.
Autorin
Dr. Bärbel Rudolph
Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Praxis für Psychosomatik, Psychotherapie und Prävention, Maxhöhe 17, 82335 Berg am Starnberger See, www.rudolph-psychosomatik.de, www.apmp-med.de
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