Auf ein Neues

Dr. Gerald Quitterer

Der Bundestag hat das Digital-Gesetz (DigiG) sowie das Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) zum Jahresende beschlossen. Die Gesetze weitgehend durchzubringen, war das erklärte Ziel der Regierung. In diesen Normen zeigen sich die Defizite der aktuellen Gesundheitspolitik, im Schnellgang unter dem Mantra „Digitalstrategie Deutschland“ Gesetze durchzudrücken, die in ihrer Umsetzung eine Welle an Bürokratie nach sich ziehen. Alle Daten sollen künftig in der elektronischen Patientenakte (ePA) gespeichert werden, deren Befüllung – ohne Ermessen – von uns Ärztinnen und Ärzten durchzuführen ist. Wie die Umsetzung im Praxisalltag funktionieren soll, wird nicht weiter ausgeführt: es werden Zeitvorgaben für die Befüllung dieser ePA angedacht, die völlig realitätsfern sind. Das ist gelebte Bürokratie zu Lasten der Zeit am Patienten. Wem dient es? Gesundheitsminister Karl Lauterbach scheint dies nicht zu beeindrucken, hat er doch offenbar keinen Bezug zur Arbeit der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Die Intention, die Nutzung von Gesundheitsdaten zu verbessern mag gut gemeint sein, doch darf die Digitalisierung im Gesundheitswesen nicht (wieder) im ­Alleingang vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) realisiert werden. Alle Betroffenen müssen eingebunden und vorliegende praxistaugliche Stellungnahmen berücksichtigt werden. Bewährte Systeme dürfen keinesfalls zerschlagen werden. Zahlreiche Verbände lehnen die beabsichtigten Neuregelungen nicht nur mit Blick auf den enormen patientenfernen Arbeitsaufwand entschieden ab. Wem dient es? Die geplante Änderung stellt beispielsweise auch einen Paradigmenwechsel mit Blick auf die Nutzung von Gesundheitsdaten der Versicherten durch die gesetzlichen Krankenkassen dar. Die beabsichtigte Neuregelung würde den Krankenkassen ohne Zustimmung ihrer Versicherten die Möglichkeit des Gesundheitsmanagements ihrer Versicherten einräumen. Sie nähmen damit die Rolle eines Leistungserbringers im Gesundheitswesen ein, was im Widerspruch zu ihrer originären Aufgabe als sozialversicherungsrechtlicher Kostenträger stehen würde und sich nicht zuletzt nachteilig für die einzelnen Versicherten auswirken könnte. Wem dient es?

Nachdem das Bundeskabinett am Jahresende die Pharma­strategie der Regierung beschlossen hatte, hat das BMG noch vor den Feier­tagen einen entsprechenden Referentenentwurf für ein ­Medizinforschungsgesetz vorgelegt, das unter anderem die Einrichtung einer „Bundesethik-Kommission“ vorsieht, die beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) angesiedelt ist. Das BfArM soll künftig eine Mammutabteilung beherbergen, die sich mit der ethischen, datenschutz- und strahlenschutzrechtlichen Bewertung von klinischen Studien beschäftigen soll. Wem dient es? Wollen wir auf die Kompetenz und Effizienz der lokalen Ethik-Kommissionen als schützende Netzwerke verzichten? Bislang sind sie es, die mit ihrem interdisziplinären Ansatz, ihrem lokalen Praxisbezug und ihrer institutionellen Unabhängigkeit ein zentrales Element für den Patientenschutz und für die gesellschaftliche Akzeptanz der Forschung am Menschen darstellen. Vor allem First-in-Human-­Studien, bei denen neue Arzneimittel erstmalig am Menschen ­geprüft werden, stellen einen sensiblen Grenzbereich unseres Arztberufes dar. Gemeinsam unter einem Dach mit dem BfArM als Genehmigungs- und Zulassungsbehörde, besteht die Gefahr, dass diese „Bundesethik-Kommission“ nicht unabhängig agieren könnte. Gerade beim Medizinforschungsgesetz darf ­unsere Forderung nicht lauten: „schneller Wirtschaftsstandort, weniger Mensch“. Für das Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des Forschungs­standorts Deutschland und Europa kurzfristig wie auch nachhaltig zu stärken, ist der Aufbau einer Parallelbürokratie mit der Errichtung einer „Bundesethik-Kommission“ unnötig. Diese schafft weder zeitliche noch finanzielle Vorteile.

Es war nicht zu früh für ein erstes gemeinsames Treffen des Bundes­gesundheitsministers mit Bundesärztekammer (BÄK), Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und den Bundesverbänden der Haus- und Fachärzte, um sich neben der notwendigen Kankenhausreform jetzt auch den Belangen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte anzunehmen. Wünschenswert wäre, Lauterbach würde die gleiche Aufmerksamkeit, die er dem Ausland widmet, auch den einzelnen Bundesländern zukommen lassen. Wem dient es? Fürchtet er die Auseinandersetzung? Gerade die Strukturen, die wir in Bayern für die Versorgung etabliert haben, aber auch die länderspezifischen Probleme, kommen auf diese Weise unter Umständen nicht zur Sprache.

Ob dabei die Aussage des Bundesgesundheitsministers kurz vor Jahresende in den Medien, worin er kein Verständnis für Forderungen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nach mehr Geld zeigte, glaubhaft korrigiert werden kann, werden wir sehen.

Eine Chuzpe, vor einem solchen Gipfel die berechtigten Anliegen eines ganzen Berufsstandes hinwegzufegen. Es gebe keine Spielräume für Honorarzuwächse und der Minister verstehe den „Streik“ nicht. Verantwortung als Gesundheitsminister den Niedergelassenen gegenüber, die gerade in den letzten Jahren ihre Leistungsfähigkeit bewiesen haben, sieht anders aus. Vielmehr soll er sich vor Ort ein Bild machen. Die gegenwärtige Situation gibt keine Zukunftsperspektiven: wir sehen ein Praxissterben, erleben weiterhin überbordende Bürokratie, erbringen einen Großteil unserer Tätigkeit ohne Vergütung, bekommen keine Regulierung von iMVZ und müssen immer noch mit einer überalterten GOÄ arbeiten. Wem dient es? Die Ärzteschaft braucht einen Gesundheitsminister, der in einem wirklichen und respektvollen Dialog mit den in der Versorgung tätigen Ärztinnen und Ärzten steht und weniger die Gesundheitsindustrie bedient. Er vergisst, dass wir ein bedeutender Teil des Wirtschaftsstandortes sind.

Unverständlich ist für mich in diesem Zusammenhang auch, dass Patientenvertretungen kein Verständnis für die angekündigten Proteste der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte nach Weihnachten hatten. Mit diesem Unverständnis wird zu kurz gesprungen. Eine Spar- und Strukturpolitik, die auf dem Rücken von Ärztinnen und Ärzten ausgetragen wird, trifft in Folge die Patienten. Mag der Slogan der KBV ­„PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg“ vielleicht etwas provokant formuliert sein, so trifft er doch ins Mark.

Auf ein besseres neues Jahr 2024!

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