Zwischen Hoffnung und Gefahr

Dr. Gerald Quitterer

Der positive Trend der vergangenen Wochen setzt sich Ende Februar offenbar nicht mehr fort. Doch dank der verschiedenen zugelassenen Corona-Impfstoffe verfügen wir nun über die Mittel, SARS-CoV-2 mittelfristig in Schach zu halten. In der aktuellen Mangelsituation geht es darum, mit allen zugelassenen Impfstoffen schwere Krankheitsverläufe zu verhindern bzw. eine Covid-19-Erkrankung zu vermeiden. Daher gilt: die Impfstoffe nicht schlechtreden, sondern insgesamt das Potenzial anerkennen, das in der Impfung steckt. Dies gibt Anlass zur Hoffnung auf eine Normalisierung des Lebens in der zweiten Jahreshälfte 2021.

Meiner Meinung nach ist die Pandemie noch nicht unter Kontrolle, es bleiben Unwägbarkeiten. Insbesondere die zunehmende Verbreitung der zuerst in England aufgetretenen, deutlich infektiöseren Corona-Mutante B.1.1.7 innerhalb der Bundesrepublik bereitet mir Sorgen. Zu starke Lockerungen des Lockdowns sowie der Kontaktbeschränkungen könnten leicht wieder zu einem erheblichen Anstieg der Neuinfektionen führen und die Erfolge der ersten Monate des Jahres zunichtemachen. Insbesondere, da bisher nur ein geringer Anteil der Bevölkerung geimpft werden konnte, sind Vorsicht und das weitere Beachten der Hygiene- und Abstandsregeln die Gebote der Stunde.

Die Nebenwirkungen des Lockdowns

Gleichzeitig dürfen auch die Kehrseiten des Lockdowns sowie der Kontaktbeschränkungen nicht aus dem Blickfeld geraten. Denn fehlende soziale Kontakte, Stress, Langeweile und vermeintliche Bewältigungsstrategien können auch zu ungesunden Verhaltensweisen führen. Die Gefahr besteht, dass bei einigen Personen aus dem vermehrten Alkoholkonsum eine Gewohnheit wird, was ein höheres Risiko für eine Abhängigkeit nach sich ziehen könnte. Außerdem ist ein Anstieg des Tabakkonsums, von Übergewicht in Folge von Bewegungsmangel sowie von psychischen Auffälligkeiten zu beobachten. Insbesondere auch bei Kindern und Jugendlichen ist das Risiko für Auffälligkeiten erhöht. Viele unserer jungen Patientinnen und Patienten fühlen sich einsam und leiden stark unter den Schließungen von Kindertagesstätten, Kindergärten und Schulen. Hyperaktivität, emotionale und Verhaltensprobleme können die Folge sein. Gerade in der derzeitigen Situation sollten wir Ärztinnen und Ärzte der Prävention sowie den psychischen Problemen unserer Patienten deshalb unsere besondere Aufmerksamkeit widmen. Schwierig ist dabei allerdings, dass der hohe Bedarf an ärztlichen Psychotherapeuten nicht adäquat befriedigt werden kann.

Auch die haus- und fachärztlichen Praxen sowie Kliniken, die bereits durch SARS-CoV-2 stark belastet sind und die gesundheitlichen Nebenwirkungen des Lockdowns zusätzlich abfangen müssen, sind am Limit. Wie sollte es auch anders sein? Ihre Anzahl war bereits vor Corona gerade ausreichend, um den Behandlungsbedarf der Patienten adäquat zu befriedigen. Um diese strukturellen Defizite zu beheben, sollte die Zahl der Medizinstudienplätze in Deutschland ausgebaut werden.

ÖGD-Quote greift zu kurz

Aus einem ähnlichen Blickwinkel sollte auch die Quote im Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) betrachtet werden. Ende Januar hatte Bayerns Staatsminister für Gesundheit und Pflege, Klaus Holetschek, darauf hingewiesen, dass zum nächsten Wintersemester erstmals Studierende über die ÖGD-Quote an bayerischen Universitäten zum Fach Humanmedizin zugelassen werden. Bis zu einem Prozent aller Medizinstudienplätze in Bayern, also etwa 20 Plätze, sollen dabei für Studierende vorgehalten werden, die sich verpflichten, nach Abschluss der Weiterbildung im ÖGD in Bayern tätig zu sein.

Grundsätzlich begrüße ich die Intention der Staatsregierung, den ÖGD zu stärken. Gleichzeitig darf nicht vergessen werden, dass ein ähnliches Sonderprogramm für den ÖGD aus den Achtzigerjahren bereits gescheitert ist. Auch heute hat sich am vergleichsweise geringen Salär der ÖGD-Mediziner wenig geändert. Eine Schaffung neuer Stellen für Ärzte im ÖGD sollte deshalb mit einer besseren Bezahlung derselben verbunden werden. Außerdem bleibt auch bei der ÖGD-Quote das Grundproblem bestehen: Es besteht ein hoher Bedarf an der Ressource Arzt. Diese brauchen wir derzeit in Praxen und Kliniken zur Versorgung der Patienten mit Gesundheitsproblemen jenseits von COVID-19. Impfzentren auszubauen und dafür noch mehr Ärzte aus der Versorgung abzuziehen ist angesichts der Tatsache, dass viele Ärzte ihre eigenen Patienten jetzt in ihren Praxen impfen wollen und könnten, nicht nachvollziehbar. Dazu gehört auch eine Über­arbeitung der Impfpriorisierung, denn wir können nicht warten, bis alle Anspruchsberechtigten einer Gruppe durchgeimpft sind, ehe wir mit der nächsten beginnen. Dass die Ärzteschaft dabei Teil der ersten Gruppe sein muss, bleibt weiterhin meine Forderung. Daneben steht es der Regierung gut an, endlich das Haftungsproblem bei Transport und Handling der Impfstoffe zu regeln, wenn Arztpraxen im Auftrag der Impfzentren tätig werden. Die Zusammenarbeit mit den koordinierenden Ärzten sollte dabei seitens der Kommunen selbstverständlich sein und auf Augenhöhe erfolgen.

Zu guter Letzt: Wie wichtig auch immer ein Lockdown für die Eindämmung der Pandemie ist, die Überprüfung, ob eine ausgesprochene Quarantäne auch wirklich eingehalten wird, sollte dabei nicht vernachlässigt werden. Auch kann es nicht sein, dass die Quarantäne aufgehoben wird, wenn die entsprechende Zeit abgelaufen ist, weiterhin aber Symptome bestehen.

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