„Wir müssen das Selbstvertrauen der Frauen stärken“

Dr. Marlene Lessel, 2. Vizepräsidentin der BLÄK

Dr. Marlene Lessel wurde Mitte Februar im MOC Veranstaltungs- und Ordercenter in München von den Delegierten der Bayerischen ­Landesärztekammer (BLÄK) zur 2. Vizepräsidentin der BLÄK gewählt. Im Interview mit dem „Bayerischen Ärzteblatt“ spricht die Fach­ärztin für Pathologie aus Kaufbeuren über ihre ersten Wochen nach der Wahl und ihre wichtigsten Ziele für die neue Amtsperiode.

Frau Dr. Lessel, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Wahl. Wie haben Sie die ersten Wochen als neue Vizepräsidentin der BLÄK erlebt?
Lessel: Da ich erstmalig ins Präsidium gewählt wurde, startete ich zunächst mit einer Orientierungsphase. Ich begann damit, die verschiedenen Ressorts und Hierarchien der Kammer genauer kennenzulernen. Dabei haben mir meine bisherigen berufspolitischen Erfahrungen in verschiedenen Gremien der BLÄK sehr geholfen – so waren mir etwa viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Ärztehaus Bayern bereits bekannt. Im Präsidium haben wir uns in den ersten Wochen überlegt, wie wir die verschiedenen Zuständigkeiten in der Kammer unter uns aufteilen.  

Sie sind in einer Berufsausübungsgemeinschaft für Pathologie in Kaufbeuren tätig. Wie hat Ihr Kollegenkreis reagiert? Und wie hat sich Ihr ­Alltag seit Ihrer Wahl verändert?
Lessel: Einige meiner Kolleginnen und Kollegen haben sich sehr gefreut, dass ich die Anliegen der bayerischen Ärztinnen und Ärzte nun noch besser in unserer ärztlichen Selbstverwaltung voranbringen kann. Andere interessieren sich zwar eher weniger für die Kammerarbeit, tragen mein dortiges Engagement aber auch mit. Mein Alltag ist noch ein wenig bunter geworden und wird nun stark durch Vorstands-, Kommissions- und Ausschusssitzungen der BLÄK geprägt sowie durch die Vor- und Nachbereitung dieser Konferenzen.

Wie werden Sie künftig Ihr Engagement zwischen Kaufbeuren und München aufteilen?
Lessel: Montags, dienstags, donnerstags und freitags bin ich ärztlich in Kaufbeuren tätig. Der Mittwoch ist hingegen überwiegend mein „Kammertag“ geworden, wo ich mich mit dem Präsidenten sowie dem 1. Vizepräsidenten im Ärztehaus Bayern treffe, aktuelle berufspolitische Themen bespreche und auch mit den einzelnen Referaten und Abteilungen der BLÄK in direktem Kontakt stehe. Immer wieder nehme ich aber auch an den anderen Wochentagen an Gremiensitzungen der BLÄK teil. Das beeinträchtigt meine ärztliche Tätigkeit nicht, da ich als Pathologin auch spätabends oder am Wochenende viel erledigen kann – meine Kollegen übernehmen dann das Tagesgeschäft.

Die Zahl der Frauen in der ärztlichen Selbstverwaltung ist in den vergangenen Jahren angestiegen, dennoch gibt es in den Gremien der Kammer und der Kreis- und Bezirksverbände noch ein deutliches Übergewicht an Männern. Was bedeutet das für Ihre Arbeit als 2. Vizepräsidentin?
Lessel: Die Medizin ist in den vergangenen Jahren deutlich weiblicher geworden – aus meiner Sicht sollte sich diese Geschlechterverteilung langfristig auch in der ärztlichen Selbstverwaltung widerspiegeln. Um dies zu erreichen, müssen wir den Mut und das Selbstvertrauen der Frauen stärken und die Vereinbarkeit der verschiedenen Gremienfunktionen mit Kindererziehung und Familie verbessern. Dabei hilft uns sicherlich die zunehmende Digitalisierung. Beispielsweise können lange und beschwerliche Anfahrtszeiten zu Sitzungen durch Online-Meetings eingespart werden. Und, aus meiner Sicht, kann man heutzutage auch einen Kreisverband aus dem Homeoffice organisieren. Ich bin aber gegen eine Pflicht zur paritätischen Besetzung von Kammergremien mit Frauen und Männern. Man sollte aufgrund seines Wissens und aufgrund seiner Erfahrung in diese Gremien gewählt werden und nicht nur, weil man eine Frau ist.

Für welche Ressorts sind Sie im neuen Präsidium der BLÄK zuständig?
Lessel: Federführend bin ich für das Thema „Qualitätssicherung, Qualitätsmanagement und Patientensicherheit“ sowie für die Bereiche „Gebührenordnung für Ärzte“ und „Anerkennung ausländischer Professorentitel“ verantwortlich. Außerdem bin ich für die „Koordinierungsstelle fachärztliche Weiterbildung“, die „Arbeitsgemeinschaft bayerisches Krebsregister“, die „Ärztlichen Stellen nach Strahlenschutzverordnung“, die „Kommissionen zur Prüfung von Freiwilligkeit und Unentgeltlichkeit der Lebendspende“ sowie, zusammen mit unserem Präsidenten Dr. Gerald Quitterer, für die „Gutachterstelle für Arzthaftungsfragen“ zuständig. Regelmäßig nehme ich jetzt auch an diversen anderen Ausschuss- und Kommissionssitzungen teil, bin Beiratsmitglied der Bayerischen Akademie für ärztliche Fortbildung und vertrete die BLÄK in mehreren Gremien der Bundesärztekammer.

Wie sehen Ihre Vorstellungen und Ziele für die neue Amtsperiode aus?
Lessel: Ich werde in dieser Amtsperiode eine Stimme für die niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte sein, deren Anliegen im Präsidium und im Vorstand vertreten und ihre Probleme auf unsere Tagesordnung setzen. Ebenso möchte ich aktuelle Herausforderungen in Bezug auf unsere neue Weiterbildungsordnung, die ärztliche Berufsordnung und die Qualitätssicherung in der Medizin sichtbarer machen.  Berufspolitisch wende ich mich gegen eine weitere Kommerzialisierungswelle im ambulanten Sektor. Dort muss einer marktbeherrschenden Stellung von renditeorientierten Investoren vorgebeugt werden. Gleichzeitig sollten wir darüber nachdenken, wie wir es niedergelassenen Ärzten erleichtern können, Praxisnachfolger zu finden. Denn oft bleibt ihnen nur die Option, ihr Lebenswerk an ein MVZ zu verkaufen, wenn sie in den Ruhestand treten wollen.

Ein weiterer Punkt ist, dass - zu unserem Leidwesen - noch immer zahlreiche Störungen und Ausfälle bei der Nutzung der verschiedenen Anwendungen der Telematikinfrastruktur (TI) auftreten. Ich bin für mehr Digitalisierung, aber die TI ist einfach nur schrecklich – weil sie nicht funktioniert. Neue Funktionen der TI sollten deshalb unbedingt vor ihrer Einführung ausreichend getestet werden – in enger Abstimmung mit der Ärzteschaft. Dafür werde ich mich stark machen.

Ich möchte auch die bisherigen Anstrengungen der Kammer, die Attraktivität des Berufsbilds der Medizinischen Fachangestellten (MFA) hervorzuheben, unterstützen. Wir niedergelassenen Ärzte haben seit einigen Jahren große Probleme, MFA zu finden – es besteht eine regelrechte Mangellage. Deshalb sind Aktionen wie die Kampagne „Traumjob-MFA“, im Rahmen derer junge Menschen auf Messen für das Berufsbild „MFA“ begeistert werden, unheimlich wichtig. Wir müssen deutlich machen: MFA wirken in einem schönen und sozialen Beruf mit vielen Entwicklungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten.

Im stationären Sektor sehe ich den vom Bundesgesundheitsministerium verfolgten Konzentrationsprozess in der Krankenhauslandschaft – der nach aktuellem Stand mit der Schließung zahlreicher kleiner und mittelgroßer Kliniken verbunden ­wäre – skeptisch. Die Bevölkerung wünscht sich eine qualitativ hochwertige, aber auch wohnortnahe medizinische Versorgung. Bei einer Krankenhausreform  sollten deshalb die regionalen Bedürfnisse und Gegebenheiten ausreichend berücksichtigt werden. Ich bin eine Verfechterin eines „bayerischen Weges“, wobei dieser für mich auch die Einbeziehung der Ärzteschaft in die Planung und Umsetzung von Reformen bedeutet. Eine ausreichende Zahl von Kliniken als Weiterbildungsstätten für die Ärzteschaft ist unverzichtbar.

Unbedingt braucht es eine wirksame Reform des Fallpauschalensystems. Die Finanzierung der Kliniken muss sich an den nötigen Vorhaltekosten orientieren.

Außerdem werde ich mich für noch mehr humanmedizinische Studienplätze in Bayern einsetzen – denn wir brauchen viel mehr Nachwuchs aus den lang bekannten Gründen (Demografie, ­Lebensplanung etc.).

Was ist Ihnen persönlich besonders wichtig?
Lessel: Besonders wichtig ist mir, den Service­charakter der Kammer zu stärken – unsere Mitglieder müssen merken, dass wir für sie da sind und sie freundlich, kompetent und schnell unterstützen. Dazu gehört beispielsweise, crossmedial gut aufbereitete Informationen über die neue Weiterbildungsordnung zur Verfügung zu stellen oder auch Weiterbildungsbefugnisse unkompliziert im Rahmen der Regeln anzuerkennen. Auch sollte unser Service unbedingt noch digitaler werden. Ebenso möchte ich das Bewusstsein über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels fördern. Die BLÄK-Fortbildungsangebote über dieses Thema würde ich gerne ausbauen.

Sie waren von 2013 bis 2022 Vorsitzende des Ausschusses Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte der BLÄK. Bereits seit einigen Jahren geht die Zahl der Niederlassungen zurück, hingegen nimmt der Trend zur Anstellung und Teilzeitarbeit zu. Wie kann dieser Trend gestoppt werden?
Lessel: Dazu muss aus meiner Sicht zum einen die Attraktivität der Niederlassung, insbesondere als wunderbare Möglichkeit der Ausübung des Arztberufes, immer wieder betont und dargestellt werden. Ich bin eine überzeugte niedergelassene Ärztin und schätze es, in der Niederlassung meine Vorstellungen verwirklichen zu können. Wir neigen dazu, überwiegend Schwierigkeiten und Probleme darzustellen, also lieber zu jammern, als die vielen positiven Aspekte und Chancen der Selbstständigkeit aufzuzeigen. So liegt zum Beispiel die eigene Arbeitszeitgestaltung und -planung im Ermessen der Praxisinhaberin bzw. des Praxisinhabers. In einer Einzelpraxis, aber insbesondere in einer Berufsausübungsgemeinschaft, lassen sich individuelle Wünsche leichter als in der Anstellung im Krankenhaus oder MVZ umsetzen. Das für Viele abschreckende Modell: „Niedergelassener Arzt in Selbstausbeutung“ ist inzwischen doch weitgehend überholt und darf unseren ärztlichen Nachwuchs nicht mehr davon abhalten, sich niederzulassen.
 
Zum anderen müssen wir Niedergelassene uns mehr in der Weiterbildung engagieren, uns also um eine Weiterbildungsbefugnis, gegebenenfalls auch in einem Weiterbildungsverbund, kümmern. Während der Weiterbildung können Kolleginnen und Kollegen die positiven Aspekte einer Praxistätigkeit erleben und Erfahrungen machen, sodass sie sich gegebenenfalls für eine Niederlassung entscheiden und auch eine Praxis als Inhaberin oder Inhaber fortführen oder neu gründen. Ich möchte mich dafür einsetzen, dass die Zahl der Weiterbildungsbefugnisse im niedergelassenen, speziell fachärztlichen Bereich steigt und die Interessenten und Antragsteller unterstützt werden. Eine ausreichende Finanzierung der Weiterbildung im fachärztlichen Bereich steht dabei weiterhin auf der Agenda.

Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Florian Wagle (BLÄK).


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