Sicherheiten und Vorhersagen

Dr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK

Es gibt keine Sicherheiten, sondern nur unterschiedlich sichere Vorhersagen oder, nach Plato anders ausgedrückt: Wissen sei wahre und gerechtfertigte Überzeugung. Das ist das Dilemma im Zusammenhang mit den vielen Aussagen nicht nur zur anhaltenden Pandemie, sondern auch zur Klimakrise. Es gibt jede Menge Behauptungen in die unterschiedlichsten Richtungen, die uns als Wissen verkauft werden, wderen Wahrheitsgehalt wir oft nicht nachvollziehen können. Gerechtfertigte Überzeugung bedeutet dabei, dass Aussagen erklärbar und damit auch verständlich sind. Verständlichkeit aber ist die Grundvoraussetzung für Akzeptanz von Maßnahmen, nicht allein die politische Vorgabe.

Impfpflicht, Impfungen für Kinder, Abstand der Boosterimpfung, ­Antikörper als Definition des Genesenenstatus. Überall ein ja oder nein oder noch nicht oder vielleicht. Und dann sollen da auch noch Apotheker impfen, obwohl es nicht an impfenden Ärztinnen und Ärzten mangelt, sondern nicht ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht.

Das alles schürt Unsicherheiten in einer Zeit, in der die gegenseitige Rücksichtnahme an oberster Stelle stehen sollte. Dazu gehört weder das Bashing von Geimpften noch von Ungeimpften. Wenn es für beide Gruppen unterschiedliche Regelungen für die Beteiligung am öffentlichen Leben gibt, mag das nachvollziehbar sein, nicht jedoch, wenn jetzt auch noch zwischen Geimpften und Geboosterten unterschieden wird. Auch letztere gehörten im Falle von Krankheitssymptomen nicht in die Öffentlichkeit oder sollten nicht vom Tragen von Masken oder Testungen befreit sein. Nebenbei: Es kann nicht sein, dass in Bussen und Bahnen Menschen dauer­haft ihre Masken abnehmen, um stundenlang an einem Becher Kaffee zu trinken oder ihre Brotzeit zu essen. Auch sollte ein Erkrankter, ob geimpft oder nicht, die Selbstdisziplin besitzen, Kontakt mit anderen Menschen zu meiden.

Darüber hinaus müssen die Gewaltandrohungen gegen Ärztinnen und Ärzte sowie Politikerinnen und Politiker von der gesamten Gesellschaft vorbehaltlos verurteilt werden.
Fazit: Sich in kurzen Abständen überschlagende Meldungen zu Corona, wie beispielsweise Impfquoten, Inzidenzen, neue Quarantäneverordnungen oder Wahrscheinlichkeiten einer fünften Welle, verunsichern mehr, als dass sie uns einen Weg aus der Krise zeigen.

Rückt dabei, quasi unter dem Radar, die Klimakrise aus dem Fokus? Die Diskussion um die Nachhaltigkeit verschiedener Energieformen lenkt ab von der Einhaltung der Pariser Klimaziele, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Wenn weiterhin der Abbau von Braunkohle als notwendig für die künftige Energieversorgung definiert wird und die Verschwendung fossiler Energie nicht nachhaltig umgestellt wird, werden wir uns mit Gesundheitsproblemen zu beschäftigen haben, die nicht mit einer Schutzimpfung verhindert werden können.

Aufgabe von uns Ärzten ist es, auf den Erhalt der für die Gesundheit der Menschen notwendigen Lebensgrundlagen hinzuwirken. Das ist jedenfalls eine gerechtfertigte Überzeugung, denn sie lässt sich erklären und verständlich machen.

Wir sehen es dabei als unserer Profession geschuldet an, nicht nur auf die vorhersehbaren gesundheitlichen Gefahren hinzuweisen und mögliche Erkrankungen zu behandeln, sondern auch die Prävention zu verstärken. Dies übernehmen wir gern, erwarten aber seitens der Politik, den ärztlichen Nachwuchs zu fördern, Ärzte nicht durch andere Gesundheitsberufe zu ersetzen, die woher auch immer zu rekrutieren sind, und der Kommerzialisierung des Gesundheitssystems entgegen­zutreten. Im Hinblick auf die dafür notwendige Schaffung von mehr Studienplätzen für Humanmedizin an deutschen Universitäten darf es nicht nur bei Lippenbekenntnissen bleiben. Hier muss sofort gehandelt werden. Ebenso wie beim längst überfälligen Coronabonus für unsere Medizinischen Fachangestellten. Alles Forderungen der Ärzteschaft, die erklärbar und nachvollziehbar sind. Wobei wir wieder bei Platos Aussage wären.

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