Schwerpunkt Digitalisierung

Dr. Wolfgang Rechl

Bayern und der Bund haben eine neue Regierung. Gute sechs Monate lang wurde auf Bundesebene verhandelt. Mit Jens Spahn (CDU) betritt kein Neuling die Bühne des Gesundheitswesens. Seit 2002 im Bundestag, gesundheitspolitischer Sprecher der CDU, zuletzt Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Als neuer Bundesgesundheitsminister hat er sich gleich einiges vorgenommen und die Digitalisierung im Gesundheitswesen zu einem seiner drei Schwerpunkte erklärt. Dieser Bereich müsse dringend ausgebaut werden, so Spahn zur Amtsübernahme von seinem Vorgänger Hermann Gröhe (CDU).

Medizin und IT

Dass das Thema Digitalisierung längst im Gesundheitswesen angekommen ist, versteht sich von selbst. Mehr als zwei Drittel der über 16-Jährigen nutzen heute das Internet und Onlineplattformen zur Beschaffung gesundheitsrelevanter Informationen. Neben der Informationsflut, auf die jeder Patient und jede Patientin zurückgreifen kann, entwickeln sich auch die Technologien in der Medizin weiter. Ob Modellprojekte für die Behandlung von Patienten via Onlinesprechstunde oder Mikroroboter, die in die Blutbahn des Patienten gespritzt werden und Erkenntnisse zu Bluthochdruck oder Krebszellen liefern sollen – die technischen Errungenschaften sind immens und noch lange nicht am Ende. Medizin und IT werden in Zukunft immer mehr zusammenwachsen, prognostiziert beispielsweise auch Professor Dr. Axel Ekkernkamp, Vorsitzender des Kuratoriums Stiftung Senat der Wirtschaft, Ärztlicher Direktor BG-Klinikum Unfallkrankenhaus Berlin (UKB). Zugleich gibt er zu bedenken, dass die Menge an Gesundheitsinformationen schneller wächst, als Spezialisten sie verarbeiten können.

Gerd Antes, Direktor am Deutschen Cochrane Zentrum und am Institut für Medizinische Biometrie und Medizinische Informatik des Uniklinikums Freiburg, zum Beispiel, mahnt die Notwendigkeit einer Diskussion über das Risiko von Big Data und Digitalisierung an. Mehr Daten bedeuteten nicht automatisch mehr Wissen und erschweren den Umgang mit medizinischen Informationen. So sind auch wir Ärztinnen und Ärzte angehalten, das Thema Digitalisierung und Big Data anzunehmen, zu diskutieren und Maßnahmen zu entwickeln, die uns eine gewisse Steuerung der Abläufe im Interesse unserer Patientinnen und Patienten ermöglichen, bevor sich die Digitalisierung verselbstständigt. Bereits heute fällt es schwer, angesichts der Informationsflut im Internet und der technischen Entwicklung, die Übersicht zu behalten. Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie ist nach wie vor der erstmalige persönliche Arzt-Patienten-Kontakt.

Paradigmenwechsel?

Bisher durfte eine Videosprechstunde bundesweit nur bei bekannten Patienten durchgeführt werden. In Baden-Württemberg dürfen seit März 2017 Modellprojekte zur ausschließlichen Fernbehandlung von Patienten bei der Landesärztekammer zur Genehmigung eingereicht werden. Bislang ist in Deutschland eine ausschließliche ärztliche Beratung und Behandlung eines Patienten unter Einsatz von Print- und Kommunikationsmedien nicht gestattet. Damit ist die ausschließliche Fernbehandlung nach § 7 Abs. 4 der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärzte (MBO-Ä) berufsrechtlich untersagt („Fernbehandlungsverbot“). In Baden-Württemberg kann die ärztliche Behandlung – ausschließlich über Kommunikationsnetze – nach einer Genehmigung durch die Landesärztekammer für Modellprojekte gestattet werden. Doch wie geht es weiter?

Ausblick: Deutscher Ärztetag in Erfurt

Auf dem kommenden Deutschen Ärztetag in Erfurt im Mai werden wir das Thema diskutieren. Bereits auf dem 120. Deutschen Ärztetag 2017 in Freiburg haben wir uns intensiv mit den Chancen und Risiken der neuen technischen Möglichkeiten beschäftigt und keinen Zweifel daran gelassen, dass die Ärzteschaft die Veränderungsprozesse aktiv mitgestalten will. Wir sehen vor allem die Notwendigkeit einer Digitalisierungsstrategie, die unter anderem ethische Grundlagen zum Umgang mit neuem Wissen und Methoden schafft, die Rolle digitaler Methoden in der Gesundheitsversorgung sowie Grundsätze des Datenschutzes definiert und Antworten auf offene Finanzierungsfragen bietet. Als notwendig erachten wir auch die Einführung eines bundeseinheitlichen Gütesiegels von sogenannten Gesundheits-Apps, das zum Schutz der Patienten Datensicherheit und Datenzuverlässigkeit gewährleisten soll. Digitale Gesundheitsanwendungen sollten analysiert und im Hinblick auf Wirksamkeit, Unbedenklichkeit und medizinische Qualität bewertet werden. Bei der Aufgeschlossenheit für digitale Medien bleibt allerdings der Patient als Individuum im Vordergrund, auch unter Wahrung des unerlässlichen Vertrauensverhältnisses des Arztes mit seinen Patienten. Dies betrifft die Datensicherheit seiner krankheitsbezogenen Erkenntnisse.

Hinsichtlich des Themas Fernbehandlung schauen wir gespannt nach Erfurt. So ist denkbar, dass eine ausschließliche Beratung oder Behandlung auf Facharztniveau über elektronische Kommunikationsmedien erlaubt wird, wenn dies im Einzelfall ärztlich vertretbar ist. Voraussetzung dabei muss jedoch sein, dass der Patient über die „Besonderheiten“ einer reinen Onlinebehandlung aufgeklärt wird, die Onlinebehandlung eine unmittelbare ärztliche Behandlung nicht ersetzt und der Arzt alle Befunde und Behandlungen sorgfältig dokumentiert.

Dr. Wolfgang Rechl, 2. Vizepräsident der BLÄK

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