S3-Leitlinie/Nationale VersorgungsLeitlinie Unipolare Depression

Unipolare Depression

Depressive Störungen gehören zu den häufigsten Beratungsanlässen und Erkrankungen in der Versorgung. Neben entsprechenden Empfehlungen zum Einsatz von Therapieverfahren zielt die nach zweijähriger Beratungsphase novellierte S3-Leitlinie vom März 2016 auch darauf ab, die Versorgungsabläufe, sowie deren Abstimmung bei der Behandlung depressiver Patienten zu verbessern. Der Geltungsbereich dieser Leitlinie beinhaltet primär unipolare depressive Störungen, das heißt depressive Episoden (F32), rezidivierende depressive Störungen (F33), anhaltende affektive Störungen (Dysthymie, F34.1), sonstige affektive Störungen, zyklusassoziierte depressive Störungen (Depressionen in der Peripartalzeit, prämenstruelle dysphorische Störung und Depressionen in der Menopause) jeweils ab einem Behandlungsalter von 18 Jahren [1]. Wie in Leitlinien üblich, werden verschiedene Evidenzebenen (Tabelle 1) und Grade der Empfehlung für einzelne Therapieverfahren (Tabelle 2) formuliert.

 Tabelle 1: Evidenzebenen

Tabelle 2: Grade der Empfehlung
* Klinische Konsenspunkte (KKP) wurden abweichend vom üblichen NVL-Verfahren eingeführt, um den besonderen Bedingungen der gemeinsamen Erstellung von S3-Leitlinie und Nationaler VersorgungsLeitlinie Rechnung zu tragen.


Häufigkeit depressiver Erkrankungen

Das Risiko, im Laufe des Lebens an einer Depression zu erkranken, liegt bei 16 bis 20 Prozent [2]. Frauen erkranken deutlich häufiger als Männer. Angemerkt sei, dass bei einem Fünftel der Patienten mit Depressionen auch hypomanische, manische oder gemischte Episoden im Sinne einer bipolaren Störung auftreten, welche nicht Gegenstand dieser Leitlinie sind. In höherem Lebensalter sind Depressionen die häufigste psychische Störung, wobei eine hohe Komorbidität mit körperlichen Erkrankungen besteht [3]. Ein besonderes Problem ist die Suizidalität, welche kontinuierlich mit dem Lebensalter ansteigt.

Komorbidität

Depressionen weisen eine hohe Komorbidität mit anderen psychischen Störungen auf [4], besonders häufig mit Angsterkrankungen, aber auch Suchterkrankungen [5]. Ferner wird auch Komorbidität mit Essstörungen, Persönlichkeitsstörungen sowie Zwangsstörungen angegeben [6]. Weiterhin besteht eine hohe Prävalenz depressiver Störungen bei somatischen Erkrankungen [7]. So erhöhen Depressionen das Risiko, ein kardiovaskuläres Ereignis zu erleiden oder daran zu versterben [8]. Statistisch signifikant erscheint auch ein Zusammenhang zwischen hirnorganischen Erkrankungen und Depressionen, zum Beispiel neurodegenerativen Erkrankungen, wie Morbus Alzheimer [9].

Verlauf und Prognose

Depressionen zeichnen sich typischerweise durch einen episodischen Verlauf aus und weisen eine große individuelle Variabilität auf (Abbildung 1). Im Lauf des Lebens kommt es bei mindestens 50 Prozent zumindest zu einer weiteren depressiven Episode [10]. Das Wiedererkrankungsrisiko steigt mit dem Auftreten weiterer depressiver Episoden.


Abbildung 1: Verläufe unipolarer depressiver Störungen [1].

Diagnostik

Unipolare Depressionen gehören zu den affektiven Störungen und werden syndromal von den bipolaren Störungen und der Zyklothymie abgegrenzt. Neben der Häufigkeit des Auftretens wird auch der Schweregrad diagnostisch in der ICD-10 erfasst. Die S3-Leitlinie empfiehlt, zur Abgrenzung der verschiedenen affektiven Störungen und ihres Schweregrades sowohl die aktuelle Symptomatik als auch den bisherigen Verlauf zu berücksichtigen. Wesentliche Subtypen unipolarer Depressionen sind neben der einzelnen Episode rezidivierende depressive Störungen, die Dysthymie sowie die chronifizierte Depression (Abbildung 1). Die S3-Leitlinie empfiehlt, dass das Vorliegen einer depressiven Störung, bzw. das Vorhandensein weiterer Symptome einer depressiven Störung aktiv exploriert werden soll, da depressive Patienten selten spontan über typische depressive Symptome berichten und eher unspezifische Beschwerden angeben (Empfehlungsgrad A).

Die S3-Leitlinie nimmt auch Bezug auf den Nutzen von einfachen Fragebögen als Hilfsmittel zur Früherkennung bzw. Verlaufskontrolle. Hierzu werden folgende Empfehlungen (Empfehlungsgrad B) abgegeben: In der Versorgung von Patienten, die einer Hochrisikogruppe angehören, sollten Maßnahmen zur Früherkennung bei Kontakten in der Hausarztversorgung und in Allgemeinkrankenhäusern eingesetzt werden. Die Diagnose einer behandlungsrelevanten depressiven Störung sollte, wenn in einem Screening erhöhte Depressionswerte festgestellt werden, durch die anschließende direkte und vollständige Erfassung der Haupt- und Zusatzsymptome sowie durch Fragen zu Verlauf und Dauer gestellt werden.

Differenzialdiagnostik

Das Auftreten depressiver Symptome ist nicht gleichbedeutend mit dem Vorliegen einer depressiven Störung, da depressive Symptome bei einer Vielzahl von Erkrankungen, zum Beispiel Schizophrenien, Demenzen, Trauerreaktionen oder Angsterkrankungen vorkommen können [11]. Eine psychologische Zusatzdiagnostik ist nicht per se indiziert. Wegen der Verbindung von somatischen Erkrankungen und depressiven Symptomen können somatische Zusatzuntersuchungen notwendig werden. Deshalb ist vor Beginn einer Therapie eine sorgfältige internistische, neurologische und neuroradiologische Untersuchung indiziert, auch sollten routinemäßig alle eingenommenen Medikamente erfasst werden.

Stufenplan der Diagnostik

Die novellierte S3-Leitlinie schlägt wie schon in der ersten Auflage folgenden Stufenplan der Diagnostik einer unipolaren depressiven Störung vor:

1. Bei Verdacht auf eine depressive Störung sollte geklärt werden, ob eine Veränderung von Stimmung und/oder Antrieb vorliegt (Hauptsymptome).

2. Es sollte geklärt werden, ob diese Veränderungen eher einer depressiven Symptomatik oder einer anderen psychischen Störung zuzuordnen sind (Differenzialdiagnostik).

3. Ferner sollte eine somatische, insbesondere hirnorganische Ursache, bzw. eine Verursachung durch Gebrauch/Missbrauch psychotroper Substanzen ausgeschlossen werden.

4. Sind diese Ursachen ausgeschlossen, ist die Diagnose der depressiven Störung durch genaue Erhebung des psychopathologischen Befundes (Zusatzsymptome) und des bisherigen Verlaufs zu stellen.

Behandlungsziele

In der S3-Leitlinie werden praxisrelevant allgemeine und phasenspezifische Behandlungsziele unterschieden. Zu den allgemeinen Behandlungszielen gehören:

» Symptomreduktion bis hin zur vollständigen Remission.

» Verringerung der Mortalität (insbesondere durch Suizide).

» Wiederherstellung der beruflichen und psychosozialen Leistungsfähigkeit.

» Wiedererreichen eines seelischen Gleichgewichts.

» Reduktion der Rückfall- oder Wiedererkrankungswahrscheinlichkeit.

Individuelle Behandlungsziele sollten mit den Patienten vereinbart werden. Neben der objektivierbaren Abwesenheit von Krankheitszeichen können hier auch individuelle Eigenschaften, wie zum Beispiel eine verbesserte Stressbewältigung im Alltag oder eine verbesserte Beziehungsqualität bedeutsam sein.

Auch bei den phasenspezifischen Zielen steht in der Akuttherapie die Linderung depressiver Symptome bis hin zur vollständigen Symptomremission im Vordergrund. Gleichzeitig ist es ein wesentliches Ziel der Akuttherapie, die Mortalität vor allem durch eine geeignete Suizidprävention zu verringern.

Während der Erhaltungstherapie soll der gebesserte Zustand durch eine Fortführung der medikamentösen Behandlung um vier bis neun Monate und/oder der psychotherapeutischen Behandlung um acht bis zwölf Monate stabilisiert werden, um eine Reduktion des Rückfallrisikos um 70 Prozent zu erreichen [12].

Daran schließt sich bei Patienten mit erhöhtem Risiko für ein Wiederauftreten der Depression eine Rezidivprophylaxe an. Bei Vorliegen von verminderten Bewältigungsressourcen und die Störung unterhaltenden Einflussfaktoren sollte eine Rezidivprophylaxe für mindestens zwei Jahre durchgeführt werden. Längere Behandlungszeiten sollen vor allem Patienten, die bereits mehrere depressive Episoden oder eine chronische Depression erlebt haben, schützen. Die Indikationsstellung erfolgt differenziell: eine medikamentöse Prophylaxe ist nach ≥ zwei Episoden mit bedeutsamen funktionellen Einschränkungen erforderlich, die psychotherapeutische Prophylaxe kann bei längeren psychosozialen Belastungen, chronifizierten Depressionen, zum Aufbau von Bewältigungsfertigkeiten, sowie bei zusätzlichen Störungen der Emotionsregulation indiziert sein.

Psychosoziale Interventionen

Die angeleitete Selbsthilfe kann durch Selbsthilfemanuale (zum Beispiel www. psychenet.de oder www.faktencheck-depression.de) und professionelle Helfer (zum Beispiel Fallmanager, welche Patienten auch sozialmedizinisch individuell beraten und längerfristig begleiten) und Koordination sowie Unterstützung durch Hausärzte stattfinden. Sie enthält viele Elemente der bei depressiven Störungen gut wirksamen kognitiven Verhaltenstherapie. Die Intervention wird dabei von den Patienten selbst unter professioneller Anleitung durchgeführt.

Niederschwellige psychosoziale Interventionen können aus verschiedenen Formen einer angeleiteten Selbsthilfe sowie aus technologie-basierten Interventionen individuell kombiniert werden.

Bei technologiegestützten psychosozialen Interventionen kommen zusätzlich Instrumente wie Telefon, Internet oder Computer-gestützte Systeme zum Einsatz, die ebenfalls auf Basis der kognitiven Verhaltenstherapie als primäre Intervention oder als Augmentation zu einem Therapeuten-gestützten Programm eingesetzt werden. In kontrollierten Studien zeigten sich meist signifikante Behandlungseffekte bei kleiner bis mittlerer Effektstärke.

Pharmakotherapie

Wirksamkeit

Bislang ist es nicht möglich, verlässlich vorauszusagen, ob und wann ein Patient auf ein bestimmtes Antidepressivum ansprechen wird (Tabelle 3). Etwa zwei Drittel der Patienten respondieren, allerdings zeigt sich hier bei ungefähr der Hälfte nur eine Partialremission [13]. Bei adäquater Dosierung setzt die Wirkung relativ rasch ein, das heißt bei 70 Prozent aller gebesserten Patienten innerhalb der ersten beiden Wochen der Behandlung. Nach drei Wochen ohne Besserung liegt die Wahrscheinlichkeit eines Ansprechens bereits unter zehn Prozent [14, 15, 16]. Systematische Metaanalysen kommen zu dem Ergebnis, dass keine klinisch relevanten Unterschiede zwischen den untersuchten neueren Antidepressiva bestehen und daher kein spezifisches Antidepressivum empfohlen werden kann [17].

Tabelle 3: Wirkstoffgruppen

Eine Behandlung mit Antidepressiva ist insbesondere bei mittelgradigen und schweren depressiven Episoden indiziert (Tabelle 4).

Tabelle 4: Pharmakotherapie

Erhaltungstherapie

Zur Erhaltungstherapie wird nach erfolgreicher Akuttherapie empfohlen, das hierbei eingesetzte Antidepressivum in unveränderter Dosierung über vier bis neun Monate weiterzugeben (Empfehlungsgrad A). Bei Vorliegen einer rezidivierenden Depression wird auch über längere Behandlungsdauern diskutiert, jedoch ist die Datenlage für eine Empfehlung noch nicht ausreichend [18-21]. Zur Beendigung der Remissionsstabilisierung sollten Antidepressiva zur Vermeidung von Absetzsymptomen langsam stufenweise abdosiert werden. Dabei ist eine engmaschige Prüfung, ob depressive Symptome erneut auftreten, sinnvoll. Die Wichtigkeit des Therapieziels „Vollremission“ ergibt sich auch daraus, dass bei Patienten mit nur teilweiser Remission das Rezidivrisiko deutlich erhöht ist [22].

Rezidivprophylaxe

Bei Patienten mit einer hohen Rezidivneigung ist eine langfristige Rezidivprophylaxe indiziert (Tabelle 5). Als wichtige Kriterien für eine Rezidivprophylaxe müssen die Rezidivneigung, die Schwere der bisherigen Krankheitsepisoden, vorausgegangene Suizidalität und das bisherige Ansprechen auf Antidepressiva, bzw. auf Phasenprophylaktika berücksichtigt werden. Die wirksame Verhinderung von Rezidiven bei unipolaren Patienten ist sowohl für eine Langzeitmedikation mit verschiedenen Antidepressiva als auch mit Lithiumsalzen gut belegt. Letztere kommen als zweite Wahl in Betracht, wenn eine Rezidivprophylaxe mit Antidepressiva nicht wirksam oder aus anderen Gründen nicht durchführbar ist [23-29].

Fehlendes Ansprechen

Etwa ein Drittel aller Patienten respondiert nicht ausreichend auf das primär eingesetzte Antidepressivum [30, 31]. Noch gravierender ist, dass mehr als die Hälfte der Patienten nach acht Wochen antidepressiver Behandlung keine Vollremission erreicht [32].

Spricht ein Patient nach angemessener Behandlungsdauer und -dosis sowie bestimmungsgemäßer Einnahme nicht auf eine Medikation an, sollte der Plasmaspiegel des Medikaments kontrolliert werden. Ferner sind Plasmaspiegelkontrollen angeraten bei Hochdosisbehandlung, Verträglichkeitsproblemen, multimedizierten oder komorbiden Patienten, Symptomverschlechterung bei dosisstabiler antidepressiver Medikation und unsicherer Einnahmeregelmäßigkeit.

Die einfachste Maßnahme bei initial fehlendem/mangelndem Ansprechen ohne vorherige Serumspiegelbestimmung besteht in der Anhebung der Dosierung des Antidepressivums. Eine Ausnahme sind Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), für die zahlreiche Studien zeigen, dass keine positive Dosis-Wirkungs-Beziehung besteht [33]. Die Wirksamkeit von Dosiserhöhung ist hingegen gezeigt für trizyklische Antidepressiva (TZA), Venlafaxin und Tranylcypromin [34]. Falls diese Maßnahme allein nicht ausreichen sollte, ist eine der folgenden Strategien zu erwägen:

- Die Verstärkung der antidepressiven Wirkung eines Antidepressivums durch die zusätzliche Gabe einer weiteren Substanz, die selbst kein Antidepressivum ist (Augmentation, Tabelle 6).

- Das Umsetzen von einem Antidepressivum auf ein anderes Antidepressivum (Switching).

- Die zusätzliche Gabe eines weiteren Antidepressivums zu einer bestehenden, aber nicht ausreichenden Medikation mit einem Antidepressivum (Kombination).

Abbildung 2: Medikamentöse Behandlung der therapieresistenten Depression Psychotherapie bei unipolarer Depression [1].

Psychotherapie bei unipolarer Depression

Aus Praktikabilitätserwägungen werden hinsichtlich der Empfehlungsgrade nur Studien aus den psychotherapeutischen Vertiefungsrichtungen erwähnt, welche momentan gemäß der Psychotherapie-Richtlinie in Deutschland für die Behandlung als ambulante und stationäre Leistung durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) bei unipolarer Depression erbracht werden können [35]: Kognitive Verhaltenstherapie (KVT), analytische Psychotherapie und tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie. Wie bereits in der Vorgänger-Version der S3-Leitlinie erwähnt, liegen zwar für weitere psychotherapeutische Vertiefungsrichtungen Wirksamkeitsnachweise vor, diese werden jedoch bislang noch nicht regulär im Kontext der ambulanten Versorgung finanziert.

Aktuell wird weiterhin davon ausgegangen, dass in der psychotherapeutischen Behandlung der Depression keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede hinsichtlich unterschiedlicher Psychotherapieverfahren vorhanden sind [36, 37]. Die Steuerungs- und Konsensusgruppe der S3-Leitlinie konnte sich vor diesem Hintergrund erneut darauf einigen, keine Empfehlungen für eine spezifische Vertiefungsrichtung auszusprechen. Vollständigkeitshalber ist jedoch zu erwähnen, dass KVT vermutlich das am besten untersuchte Verfahren zur Behandlung der unipolaren Depression darstellt [38] und sich somit auch die meisten in der aktuellen Leitlinie genannten Psychotherapiestudien auf diese Vertiefungsrichtung beziehen.

Behandlungsempfehlung bei leichten bis mittelschweren depressiven Episoden

Das gestufte Vorgehen beim Vorliegen einer leichten depressiven Episode stellt eine wichtige Neuerung in der überarbeiteten Leitlinie dar. Bei einer leichten depressiven Episode kann zunächst für einen Zeitraum von 14 Tagen eine aktiv-abwartende Haltung eingenommen werden (Empfehlungsgrad 0). Bei anhaltender oder progredienter Symptomatik sollten dem Patienten Behandlungsoptionen wie Beratung oder Psychoedukation angeboten werden (Empfehlungsgrad 0). Metaanalysen deuten darauf hin, dass Psychotherapie bei leichter und mittelschwerer unipolarer Depression signifikant wirksamer [39, 40, 41] bzw. genauso wirksam [42, 43] wie eine antidepressive Pharmakotherapie ist (Empfehlungsgrad A). Hinsichtlich der Rezidivprophylaxe scheint Psychotherapie ein effektiver Ansatz (Level of Evidence Ia) [41, 44, 45] zu sein, welcher im Vergleich zu einer Pharmakotherapie mitunter zu geringeren Rückfallquoten führen kann [41].

Behandlungsempfehlung bei schweren depressiven Episoden

Bei schweren depressiven Episoden sollte dem Patienten eine Kombinationsbehandlung (Medikation und Psychotherapie) vorgeschlagen werden, da ein duales Vorgehen signifikant wirksamer [46] als eine monotherapeutische Vorgehensweise ist (Empfehlungsgrad A). Falls eine Monotherapie dennoch in Erwägung gezogen wird, sollte der ambulante Patient aufgeklärt werden, dass bei einer mittelschweren bis schweren depressiven Episode Psychotherapie ebenso wirksam [38, 41] wie eine antidepressive Medikation ist (Empfehlungsgrad A). Bei Vorliegen einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen ist eine medikamentöse Behandlung unbedingt notwendig (Empfehlungsgrad KKP).

Behandlungsempfehlung bei Dysthymie, Double Depression und chronischer Depression

Falls eine Dysthymie diagnostiziert wurde, sollte dem Patienten vorrangig eine Psychotherapie angeboten werden (Empfehlungs-grad B). Wenn komorbide Dysthymie und Double Depression (zeitgleiches Vorliegen einer Dysthymie und einer depressiven Episode) vorliegt, ist Psychotherapie lediglich als Augmentation zu einer medikamentösen Behandlung wirksam [47]. Bei Double Depression und chronischer Depression ist davon auszugehen, dass eine kombinierte Behandlung mittels Pharmakotherapie und Psychotherapie am wirksamsten ist (Empfehlungsgrad A) [47, 48]. Wenn ein Patient unter schweren, rezidivierenden Depressionen leidet, ist ebenfalls eine Kombinationstherapie indiziert (Empfehlungsgrad B) [49]. Wenn eine Kombinationstherapie durchgeführt wird, kann dies die Compliance hinsichtlich der Medikamenteneinnahme des Patienten fördern (Empfehlungsgrad Statement) [50].

Nichtmedikamentöse somatische Therapieverfahren bei unipolarer Depression

Elektrokonvulsive Therapie (EKT)

Die Durchführung einer EKT erfolgt während einer Kurznarkose, um einen generalisierten Krampfanfall durch eine Folge rechteckförmiger Stromimpulse mittels Oberflächenelektroden an der Kopfhaut auszulösen. Die therapeutische Wirksamkeit besteht nach heutigem Erkenntnisstand in einer Stimulation neurotropher Prozesse, insbesondere der Neubildung und plastischen Veränderung von Zellen und Synapsen [51-54]. Auch weiterhin gilt die EKT als wirksame Behandlung bei therapieresistenten und schweren depressiven Störungen, die Response-Raten liegen bei 60 bis 80 Prozent [55, 56]. Prinzipiell ist die EKT auch mit einer Pharmakotherapie und Psychotherapie kombinierbar, wobei es bislang nur wenige Belege für einen synergistischen Effekt gibt [57, 58, 59]. Die Rezidivgefahr nach Beendigung der EKT ist jedoch hoch, sodass eine Erhaltungstherapie indiziert ist. Hier kann eine Pharmakotherapie gewählt werden, oder die Fortführung der EKT selbst (sogenannte Erhaltungs-EKT) [60, 61, 62]. Zusammenfassend bestehen folgende Empfehlungen: Ein Empfehlungsgrad A wird für die Erwägung einer EKT als Behandlungsalternative bei schweren, vital bedrohlichen oder therapieresistenten depressiven Episoden ausgesprochen. Neu ist die Empfehlung zur Erhaltungstherapie nach Durchführung einer erfolgreichen EKT. Mit dem Empfehlungsgrad B sollte zur Erhaltung eine Pharmakotherapie und Psychotherapie erfolgen, mit oder ohne zusätzliche EKT. Ebenfalls mit Evidenzgrad B versehen sind die Empfehlungen zur Erhaltungs-EKT für Patienten, die unter einer adäquaten sonstigen Rezidivprophylaxe einen Rückfall erlitten hatten, bzw. eine Unverträglichkeit gegenüber einer Rezidivprophylaxe aufweisen oder eine entsprechende Präferenz haben.

Wachtherapie (Schlafentzugstherapie)

Partieller Schlafentzug in der zweiten Nachthälfte, bzw. vollständiger Schlafentzug ist eine wirksame antidepressive Intervention mit unmittelbaren positiven Effekten noch am gleichen Tag [63, 64, 65]. Die antidepressiven Effekte sind jedoch zumeist nicht anhaltend, sodass die Wachtherapie eher als Augmentationsstrategie gesehen wird [66-69]. Zusammenfassend besteht unverändert folgende Empfehlung (Grad B): Wachtherapie sollte in der Behandlung depressiver Episoden als Behandlungsform erwogen werden, wenn eine rasche Response therapeutisch gewünscht wird oder eine andere leitliniengerechte Behandlung ergänzt werden soll.

Lichttherapie

Bei der saisonal abhängigen Depression („Winter-Depression“) gilt die Lichttherapie oder die Gabe eines SSRI nach wie vor als Therapie der ersten Wahl [70, 71, 72], die Wirksamkeit ist gut belegt [55, 70]. Weniger gut belegt ist die Wirksamkeit von Lichttherapie für nicht-saisonal abhängige depressive Störungen [74]. Die Empfehlungen verbleiben unverändert, mit einem Empfehlungsgrad A soll Lichttherapie als Behandlungsform bei Patienten mit leicht- bis mittelgradigen Episoden depressiver Störungen, die einem saisonalen Muster folgen, erwogen werden.

Repetitive Transkranielle Magnetstimulation (rTMS)

Die rTMS stimuliert nicht-invasiv kortikale Neurone mittels elektromagnetischer Induktion. Bei der Behandlung von Depressionen wird wiederholt (über drei bis sechs Wochen hinweg täglich) der linke oder rechte dorsolaterale präfrontale Cortex durch ein starkes, zeitlich veränderliches Magnetfeld stimuliert [75, 76, 77]. Die rTMS ist eine nebenwirkungsarme Stimulationsform [78, 79], deren antidepressive Wirksamkeit mittlerweile durch eine Reihe von Metaanalysen belegt ist [zum Beispiel 80, 81]. Bezüglich der Effektstärke und der Kombination mit Psychopharmaka und Psychotherapie ist die Datenlage jedoch noch unzureichend, sodass die Therapieempfehlung hier bislang noch mit Grad 0 besteht: Eine hochfrequente rTMS des linken dorsolateralen präfrontalen Cortex kann bei Patienten eingesetzt werden, die primär nicht auf eine antidepressive Pharmakotherapie angesprochen haben.

Vagus-Nerv-Stimulation (VNS)

Die VNS ist eine weitere Technologie zur nicht-invasiven Gehirnstimulation, welche mittels eines Schrittmachers elektrische Signale über den linken Nervus vagus weiter über das Mittelhirn zum limbischen System und zu kortikalen Gebieten sendet. Als Statement wird festgehalten, dass es für die VNS noch zu wenig Evidenz gibt, um Empfehlungen für ihre allgemeine klinische Nützlichkeit und Anwendbarkeit bei depressiven Störungen aussprechen zu können [82].

Körperliches Training

Körperliche Aktivität im Sinne eines geplanten, strukturierten und wiederholten Trainings hat erwiesenermaßen allgemein positive Effekte auf die Gesundheit [83]. Obwohl die Datenlage insgesamt nicht gering ist, lässt sich zusammenfassend allenfalls ein moderater und kurzfristiger Effekt von körperlicher Aktivität auf depressive Symptome nachweisen [84]. Mit einem Empfehlungsgrad B wird angeraten, depressiven Patienten ohne Kontraindikation für körperliche Belastungen die Durchführung eines strukturierten und supervidierten körperlichen Trainings zu empfehlen.

Das Literaturverzeichnis kann bei den Verfassern angefordert oder im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.

Privatdozentin Dr. Caroline Nothdurfter und Professorin Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Psych. Nina Sarubin haben gleichermaßen zum Inhalt des Manuskripts beigetragen.


Privatdozentin Dr. Caroline Nothdurfter


Professorin Dr. rer. biol. hum. Dipl.-Psych. Nina Sarubin


Professor Dr. Thomas C. Wetter

 


Professor Dr. Thomas C. Baghai

 


Professor Dr. Rainer Rupprecht

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