S3-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas

Die Verbreitung der Adipositas in der deutschen Bevölkerung hat in den vergangenen 20 Jahren weiter zugenommen. Nach den Ergebnissen der bevölkerungsrepräsentativen „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS) des Robert Koch-Instituts waren im Zeitraum 2008 bis 2011 23,3 Prozent der Männer und 23,9 Prozent der Frauen adipös [1]. Auffällig war dabei, dass die Prävalenz von Personen mit einem BMI ≥ 35 bzw. ≥ 40 kg/m2 besonders deutlich angestiegen ist (Statistisches Bundesamt 2011). Auch bei Jugendlichen, nicht aber im Kindesalter, fand sich in den vergangenen Jahren ein deutlicher Anstieg von Übergewicht und Adipositas [2].

Zur Klassifikation der Adipositas hat sich inzwischen der Body-Mass-Index (BMI) weltweit durchgesetzt. Dringlichkeit und Intensität einer Intervention hängen vom Schweregrad des Übergewichts und insbesondere von den assoziierten Risiken ab. Ab einem BMI von 30 kg/m2 wird von Adipositas gesprochen (Tabelle 1) [3].

Adipositas kann eine Vielfalt gesundheitlicher Störungen auslösen oder verstärken. Dies reicht von Störungen des Wohlbefindens und der Lebensqualität über zahlreiche Folgekrankheiten, häufigere Arbeitsunfähigkeit und vorzeitige Berentung bis zu erhöhter Mortalität. Diese Komplikationen sind durch die erhöhte Körperfettmasse und damit assoziierte endokrin-metabolische Störungen und mechanische Mehrbelastungen bedingt. Das Fettgewebe fungiert nicht nur als zentraler Energiespeicher, sondern interagiert mit zahlreichen anderen Organen [4].

Aufgrund der hohen Verbreitung der Adipositas und der vielfältigen organmedizinischen und psychosozialen Komplikationen entstehen erhebliche Kosten für das deutsche Gesundheitssystem. Verschiedene Schätzungen gehen von direkten und indirekten Kosten in der Größenordnung zwischen 20 und 63 Milliarden Euro pro Jahr aus [5, 6].

Im Folgenden werden die zentralen Inhalte der aktuellen S3-Leitlinie zur Prävention und Behandlung der Adipositas in Deutschland dargestellt, teilweise in Originaltexten. Die vollständigen Texte sind unter www.adipositas-gesellschaft.de [7, 8] zu finden.


Tabelle 1: Tabelle 1: Klassifikation des Körpergewichts anhand des BMI [3].

Methodik

An der letzten Aktualisierung der Leitlinie waren zwölf Experten beteiligt, die von fünf Fachgesellschaften (Deutsche Adipositas-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Ernährung, Deutsche Diabetes-Gesellschaft, Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin, Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin) benannt worden waren. Insgesamt nahmen zehn Fachgesellschaften/Organisationen am Abstimmungsprozess teil (Tabelle 2). Die Literaturrecherche und Evidenzbewertung wurde vom Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) durchgeführt. Dabei wurde die Datenbank Medline über www.pubmed.org durchsucht. In die systematische Suche wurden auch vorhandene Leitlinien einbezogen. Der aktuelle Recherchezeitraum umfasste die Jahre 2005 bis 2012. Die anhand der Quelldaten formulierten Empfehlungen wurden im Rahmen von strukturierten Konsensuskonferenzen sowie nachgeschalteten Delphi-Verfahren unter Moderation des ÄZQ konsentiert. Die finale Version der Leitlinie wurde einer externen Begutachtung unterzogen. Für die Darstellung in der vorliegenden Form wurden zusätzlich neuere Publikationen berücksichtigt.


Tabelle 2: Beteiligte Fachgesellschaften/Organisationen und Experten.

Adipositas – eine Krankheit

Adipositas ist in Deutschland formal nicht als Krankheit anerkannt. Daraus ergeben sich erhebliche Konsequenzen für das Therapieangebot und dessen Finanzierung durch die Kostenträger. Adipositastherapie wird derzeit bestenfalls punktuell angeboten. Eine Kostenübernahme erfolgt ausschließlich auf Kulanzbasis und „nach Kassenlage“ und variiert zwischen den Krankenkassen deutlich, was die Etablierung stabiler Behandlungsangebote massiv erschwert.

Im Gegensatz dazu gibt es klare Stellungnahmen von Seiten der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem Europäischen Parlament und der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, Adipositas als eine chronische Krankheit zu betrachten, die auf einer komplexen Interaktion zwischen genetischen Faktoren und Umwelt- bzw. Lebensstilfaktoren beruht, mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität einhergeht und eine lebenslange Therapie benötigt. Da es sich um eine heterogene Störung handelt, ist eine individuelle Bewertung, Risikoabschätzung und Therapieindikation erforderlich. In vielen anderen Ländern mit vergleichbaren Gesundheitssystemen ist Adipositas als Krankheit anerkannt.

Hohes Risiko für Ko-Morbiditäten

Die Entwicklung von Folgekrankheiten der Adipositas hängt vor allem vom Ausmaß der Adipositas, dem Fettverteilungsmuster und der Dauer ab. Besonders häufig finden sich Stoffwechsel- und Herz-Kreislauf-Krankheiten, aber auch orthopädische, gastroenterologische und onkologische Erkrankungen (Tabelle 3). Adipositas geht außerdem mit einem erhöhten Risiko für eine Alzheimer-Demenz und andere neuro-psychiatrische Komplikationen einher. Der abdominalen Adipositas kommt bei der Entstehung dieser Krankheiten eine besondere Bedeutung zu [9].


Tabelle 3: Risiko für Ko-Morbiditäten bei Adipositas. [3, modifiziert]

Die klinische Bedeutung der Ko-Morbiditäten zeigt sich nicht nur in einem erhöhten Mortalitätsrisiko [10]. Viele Krankheiten vermindern die Lebensqualität durch Beeinträchtigung der Befindlichkeit und subjektive Beschwerden (zum Beispiel Atemnot, Bewegungseinschränkung) oder durch Organschäden (zum Beispiel Arthrose). Hieraus können auch vielfältige psychosoziale Probleme folgen [11].

Adipöse Personen leiden häufiger unter psychischen Störungen als Normalgewichtige. Verbreitet sind negative Stigmatisierung und Diskriminierung aufgrund der Körpererscheinung. Erschwert wird die Situation durch die Tatsache, dass Adipositas in unteren Sozialschichten häufiger vorkommt als in höheren. Daraus resultieren mangelndes Selbstvertrauen und Ängste sowie darüber hinaus auch soziale Nachteile in Schule und Beruf, bei der Partnerwahl und beim Einkommen. Hinzu kommt eine allgegenwärtige Stigmatisierung adipöser Menschen in den Medien [12]. Adipöse Personen sind häufiger depressiv als normalgewichtige, gleichzeitig haben depressive Personen ein deutlich höheres Adipositasrisiko [13].

Prävention der Adipositas

Angesichts der weiten Verbreitung der Adipositas und der begrenzten Therapieerfolge hat die Prävention einen besonderen Stellenwert.

Um Übergewicht und Adipositas zu verhindern, sollen Personen sich bedarfsgerecht ernähren, regelmäßig körperlich bewegen und das Gewicht regelmäßig kontrollieren (Level of Evidence – LoE 1++ bis 4, Empfehlungsgrad – EG A). Lebensmittel mit hoher Energiedichte sollten reduziert und solche mit geringer Energiedichte vermehrt verzehrt werden (LoE 2++ bis 2+, EG B).

Dieser Empfehlung liegen Befunde zugrunde, dass der Verzehr energiedichter Lebensmittel eine überkalorische Ernährung begünstigt. Produkte mit einem hohen Fett- und Zucker-anteil haben nicht nur einen hohen Energiegehalt, sondern sättigen auch schlechter. Dagegen sättigen Lebensmittel mit niedriger Energiedichte aufgrund eines hohen Wasser- oder Ballaststoffgehalts wie Vollkornprodukte, Obst, Gemüse und Salat im Verhältnis besser [14]. Eine weitere Empfehlung der Leitlinie lautet: Der Konsum von Alkohol, Fast Food und zuckerhaltigen Getränken sollte reduziert werden (LoE 2++ bis 2+, EG B). Ein inaktiver Lebensstil mit häufigem Sitzen und Beschäftigungen mit Fernsehen, Internet und anderem begünstigen eine Gewichtszunahme (LoE 1++ bis 4, EG B). Aus diesem Grund wird eine Steigerung der Bewegung im Alltag und in der Freizeit empfohlen. Ausdauerorientierte körperliche Belastungen (Einsatz großer Muskelgruppen) mit einer Dauer von mehr als zwei Stunden pro Woche werden als sinnvoll angesehen [15].


Tabelle 4: Schema der Evidenzgraduierung, Graduierung der Empfehlungen  (Quelle: nach SIGN 2010)

Indikation für eine Gewichtsabnahme

Die Indikation zur Behandlung von Übergewicht und Adipositas ist abhängig vom BMI und der Körperfettverteilung unter Berücksichtigung von Ko-Morbiditäten, Risikofaktoren und Patientenpräferenzen (LoE 4, EG A):

» BMI ≥ 30 kg/m2 (Adipositas) oder
» BMI von 25 bis 30 kg/m2 (Übergewicht) und gleichzeitiges Vorliegen von übergewichtsbedingten Gesundheitsstörungen (zum Beispiel Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2) oder
» abdominale Adipositas oder
» von Erkrankungen, die durch Übergewicht verschlimmert werden oder
» hoher psychosozialer Leidensdruck.

Ziele der Adipositastherapie

Die Behandlungsziele sollten realistisch und an individuelle Bedingungen (zum Beispiel Erfahrungen, Ressourcen, Risiken) angepasst sein (LoE 4, EG B):

1. Langfristige Senkung des Körpergewichts:
 - BMI 25 bis 35 kg/m2: > fünf Prozent des Ausgangsgewichts
 - BMI > 35 kg/m2 : > zehn Prozent des Ausgangsgewichts
2. Verbesserung Adipositas-assoziierter Risikofaktoren
3. Reduzierung Adipositas-assoziierter Krankheiten
4. Verminderung des Risikos für vorzeitige Sterblichkeit
5. Verhinderung von Arbeitsunfähigkeit und vorzeitiger Berentung
6. Verminderung psychosozialer Störungen
7. Steigerung der Lebensqualität.

Ernährungstherapie

Menschen mit Adipositas sollen individualisierte Ernährungsempfehlungen erhalten, welche an Therapieziele und Risikoprofil angepasst werden (LoE 4, EG A).

Auch wenn es zu dieser Empfehlung keine robusten Studiendaten gibt, bestand in der Kommission Konsens, dass eine Gewichtsreduktion nur patientenzentriert, mit Akzeptanz einer Lebensstiländerung und praxisnahen Empfehlungen langfristig erfolgreich sein kann.

Zur Durchführung einer Ernährungstherapie soll im Rahmen der medizinischen Betreuung eine Ernährungsberatung (Einzelberatung oder in Gruppen) angeboten werden (LoE 4, EG A).

Im Vergleich zu Einzelberatungen sind Gruppensitzungen in der Regel effektiver, da zusätzliche gruppendynamische Effekte auftreten. Auch bei Gruppensitzungen sollten individuelle Bedürfnisse berücksichtigt werden. Weitere Empfehlungen zur Ernährungstherapie bei Adipositas sind:

Zur Gewichtsreduktion sollen dem Patienten Ernährungsformen empfohlen werden, die über einen ausreichenden Zeitraum zu einem Energiedefizit führen und keine Gesundheitsschäden hervorrufen (LoE 4, EG A). Um das Körpergewicht zu reduzieren, sollte durch eine Reduktionskost ein tägliches Energiedefizit von etwa 500 kcal/Tag, in Einzelfällen auch höher, angestrebt werden (LoE 4, EG B). Verschiedene Ernährungsstrategien können verwendet werden (LoE 4, EG O):

» Reduktion des Fettverzehrs,
» Reduktion des Kohlenhydratverzehrs,
» Reduktion des Fett- und Kohlenhydratverzehrs.

Mehrere große Studien haben in den vergangenen Jahren überzeugend gezeigt, dass die Makronährstoffzusammensetzung (Verhältnis Fett:Kohlenhydrate:Eiweiß) für die Gewichtsabnahme unwesentlich ist [16, 17]. Neuere Metaanalysen zeigen, dass der Gewichtsverlust bei fettreduzierten im Vergleich zu kohlenhydratreduzierten Diäten weitgehend vergleichbar ist [18]. Wichtig für die Wahl der Kostform sind individuelle Vorlieben und die Praktikabilität.

Neben mäßig energiereduzierten Kostformen gibt es auch die Möglichkeit, die Energiezufuhr stärker zu beschränken. Eine solche Therapie sieht auch die Leitlinie vor, betont aber, dass diese Kostform nur für Personen mit einem BMI > 30 kg/m2 für maximal zwölf Wochen empfohlen wird.

Um das Therapieziel zu erreichen, kann der zeitlich begrenzte Einsatz von Formulaprodukten mit einer Energiezufuhr von 800 bis 1.200 kcal/Tag erwogen werden (LoE 1++ bis 1+, EG 0). In die Behandlung soll ein Arzt wegen des erhöhten Nebenwirkungsrisikos eingebunden sein (LoE 4, EG A).

Während Formuladiäten nach den Vorgaben der Diätverordnung alle wichtigen Nährstoffe bereitstellen, sind die in Deutschland weit verbreiteten Kostformen mit extremer Nährstoffverteilung (zum Beispiel Crash-Diäten) nicht zu empfehlen, da belastbare Studien zu deren Wirksamkeit und Sicherheit fehlen und erhebliche Risiken nicht auszuschließen sind.

Extrem einseitige Ernährungsformen sollen wegen hoher medizinischer Risiken und fehlendem Langzeiterfolg nicht empfohlen werden (LoE 4, EG A).

Steigerung der körperlichen Aktivität

Unter einer Steigerung der körperlichen Aktivität werden fälschlicherweise sportliche Aktivitäten verstanden, zu denen adipöse Personen zunächst häufig nicht in der Lage sind. Damit sind auch Verletzungsrisiken verbunden. Deshalb zielen die Empfehlungen sehr stark auf die Steigerung der Alltagsbewegung ab. Die wesentlichen Ratschläge sind folgende:

Es sollte sichergestellt werden, dass übergewichtige und adipöse Menschen keine Kontraindikationen für zusätzliche körperliche Aktivität aufweisen. Das gilt vor allem für Patienten mit einem BMI > 35 kg/m2 (LoE 4, EG B). Für eine effektive Gewichtsabnahme sollte man sich > 150 Min./Woche mit einem Energieverbrauch von 1.200 bis 1.800 kcal/Woche bewegen. Krafttraining allein ist für die Gewichtsreduktion wenig effektiv (LoE 2++ bis 4, EG B).

Übergewichtige und adipöse Menschen sollen auf die gesundheitlichen Vorteile (metabolische, kardiovaskuläre und psychosoziale) der körperlichen Aktivität hingewiesen werden, die unabhängig von der Gewichtsreduktion entstehen (LoE 4, EG A).

Der Energieverbrauch durch Bewegung wird oft überschätzt. Wenn große Muskelgruppen eingesetzt werden, die Intensität moderat bis hoch ist und die Belastung lange dauert, kann eine mäßige Gewichtsabnahme erwartet werden [15]. Als Motivationshilfe und zur Selbstkontrolle haben sich Pedometer („Schrittzähler“) als sehr hilfreich erwiesen.

Verhaltensmodifikation

Verhaltensmodifikation ist eine wesentliche Komponente, um die gewünschte Lebensstiländerung bei Ernährung und Bewegung zu unterstützen. Dafür steht eine Vielzahl von Methoden und Konzepten zur Verfügung. Es handelt sich dabei weitgehend um verhaltenstherapeutische Behandlungsansätze [19]. In der Leitlinie sind folgende Empfehlungen formuliert:

Verhaltenstherapeutische Interventionen im Einzel- oder Gruppensetting sollen Bestandteil eines Programms zur Gewichtsreduktion sein (LoE 1++ bis 1+, EG A).

Strategien zur Gewichtsreduktion können folgende psychotherapeutische Elemente enthalten (LoE 1++ bis 2-, EG 0):

» Selbstbeobachtung von Verhalten und Fortschritt (Körpergewicht, Essmenge, Bewegung)
» Einübung eines flexibel kontrollierten Ess- und Bewegungsverhaltens (im Gegensatz zur rigiden Verhaltenskontrolle)
» Stimuluskontrolle
» Strategien zum Umgang mit wieder ansteigendem Gewicht
» Soziale Unterstützung
» Kognitive Umstrukturierung (Modifizierung des dysfunktionalen Gedankenmusters)
» Zielvereinbarungen
» Problemlösungstraining/Konfliktlösungstraining
» Soziales Kompetenztraining/Selbstbehauptungstraining
» Verstärkerstrategien (zum Beispiel Belohnung von Veränderungen)
» Rückfallprävention.

Gewichtsreduktionsprogramme

Eine Lebensstilintervention zur Gewichtsreduktion sollte die drei Komponenten Ernährungs-, Bewegungs- und Verhaltenstherapie umfassen. Dies wird auch in der Leitlinie klar zum Ausdruck gebracht. Dabei sollten ausschließlich Programme mit positiver Evaluation angeboten werden:

Menschen mit Adipositas sollten Gewichtsreduktionsprogramme angeboten werden, die sich an der individuellen Situation und den Therapiezielen orientieren (LoE 4, EG B).

Die Gewichtsreduktionsprogramme sollen die Bestandteile des Basisprogramms (Bewegungs-, Ernährungs- und Verhaltenstherapie) beinhalten (LoE 1+ bis 2+, EG A).

Leider stehen in Deutschland nur wenige solche Programme zur Verfügung und werden in der Regel nicht flächendeckend angeboten. Daneben stehen seit einigen Jahren auch telefon- und onlinebasierte Gewichtsreduktionsprogramme zur Verfügung. Diese sind landesweit zugänglich, lassen sich zeitlich flexibel nutzen, sind kostengünstiger und durchaus wirksam, wenngleich es dazu noch an wissenschaftlichen Studien mangelt.

Langfristige Gewichtsstabilisierung

Nach der Gewichtsabnahme nehmen viele Patienten wieder an Gewicht zu. Um dies zu vermeiden, sind geeignete Maßnahmen sinnvoll, um das neue Körpergewicht langfristig zu stabilisieren. Im Wesentlichen sollten die in der Abnehmphase praktizierten Verhaltensweisen beibehalten werden [20]. Das Expertengremium gab folgende Empfehlungen ab:

Maßnahmen zur langfristigen Gewichtsstabilisierung sollten Aspekte der Ernährungstherapie, der Bewegungstherapie und der Verhaltenstherapie sowie die Motivation der Betroffenen berücksichtigen (LoE 4, EG B). Um die Gewichtsstabilisierung zu unterstützen, sollen langfristige Behandlungs- und Kontaktangebote nach erfolgter Gewichtsreduktion erfolgen, die auch kognitiv-verhaltenstherapeutische Ansätze beinhalten (LoE 1+, EG A).

Den Patienten soll empfohlen werden, nach einer Phase der Gewichtsreduktion vermehrte körperliche Aktivität zur Gewichtsstabilisierung durchzuführen (LoE 4, EG A). Patienten sollten darauf hingewiesen werden, dass eine fettreduzierte Kost geeignet ist, einen Wiederanstieg des Körpergewichts zu verhindern (LoE 1b bis 2a, EG B).

Regelmäßiges Wiegen trägt zu einer besseren Stabilisierung des Gewichts nach erfolgreicher Gewichtsabnahme bei (LoE 4, EG B).

Eine Fettreduktion ist in Anbetracht des weiterhin hohen Fettkonsums ein bewährter Ansatz [21]. Regelmäßiges Wiegen hat nicht nur positive Auswirkungen im Hinblick auf die Prävention der Adipositas und während der Gewichtsreduktion, sondern ist auch für die Gewichtsstabilisierung vorteilhaft [22].

Gewichtssenkende Medikamente

Die Indikation zu einer adjuvanten medikamentösen Behandlung ist nur gegeben, wenn der BMI 28 kg/m2 überschreitet und zusätzliche Risikofaktoren oder Ko-Morbiditäten vorliegen, der BMI ≥ 30 kg/m2 beträgt und unter der Basistherapie innerhalb von sechs Monaten die Gewichtabnahme unter fünf Prozent des Ausgangsgewichts blieb.

Eine medikamentöse Therapie soll nur in Kombination mit einem Basisprogramm (Ernährungstherapie, Bewegungstherapie, Verhaltenstherapie) durchgeführt werden. Als Substanz kommt nur Orlistat in Frage (LoE 1+, EG A).

Diese Empfehlung muss erweitert werden, da inzwischen Liraglutid in einer Dosierung von 3 mg/Tag s.c. zugelassen wurde. Im Jahr 2015 wurde von der Europäischen Arzneimittelagentur außerdem die Fixkombination 7,2 mg Naltrexon/78 mg Bupropion zugelassen, ist aber bisher noch nicht im Markt eingeführt.

Patienten mit Diabetes mellitus Typ-2 und einem BMI ≥ 30 kg/m2 können bei unzureichender glykämischer Kontrolle unter Metformin auch GLP-1-Mimetika und SGLT2-Inhibitoren verwenden (LoE 1b, EG 0).

Diese Substanzen sind als Antidiabetika zugelassen und weisen darüber hinaus eine moderate gewichtssenkende Wirkung auf. Sie können bei adipösen Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 anderen Antidiabetika, wie zum Beispiel Sulfonylharnstoffen, vorgezogen werden [23].

Arzneimittel (zum Beispiel Amphetamine, Diuretika, HCG, Testosteron, Thyroxin, Wachstumshormone) und Medizinprodukte/Nahrungsergänzungsmittel sollen zur Gewichtsabnahme nicht empfohlen werden (LoE 4, EG A).

Die bisher verfügbaren Medikamente senken das Körpergewicht im Mittel um drei bis fünf Kilogramm. Lässt sich damit in den ersten zwei bis drei Monaten das Gewicht nicht um mindestens zwei Kilogramm senken, sollte die Therapie nicht fortgeführt werden. Die genannten Medikamente sind verschreibungspflichtig, aber nicht erstattungsfähig.

Chirurgische Intervention bei extremer Adipositas

Da die Zahl der Menschen mit extremer Adipositas in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen ist, gewinnen chirurgische Verfahren einen zunehmend größeren Stellenwert. Hinzu kommt, dass die chirurgischen Eingriffe laparoskopisch durchgeführt werden und damit wesentlich weniger belastend und sicherer geworden sind. Der Nutzen solcher Eingriffe ist vor allem durch die schwedische „SOS“-Studie über einen mehr als 20-jährigen Zeitraum sehr gut belegt [24]. Heute werden in Deutschland überwiegend die sogenannte „Sleeve Gastrectomy“ (Schlauchmagen) und der „Gastric Bypass“ eingesetzt. Diese Methoden kommen erst dann in Frage, wenn die vorherige multimodale konservative Therapie erfolglos geblieben ist und weiterhin eine dringliche Indikation für eine größere Gewichtsabnahme besteht.

Bei Patienten mit extremer Adipositas soll ein chirurgischer Eingriff erwogen werden (LoE 2a bis 3, EG A). Die Indikation für einen adipositas-chirurgischen Eingriff soll wie folgt gegeben sein, wenn die konservativen Behandlungsmöglichkeiten erschöpft sind (LoE 4, EG A):

» Adipositas Grad III (BMI ≥ 40 kg/m2) oder
» Adipositas Grad II (BMI ≥ 35 und < 40 kg/m2) mit erheblichen Ko-Morbiditäten (zum Beispiel Diabetes mellitus Typ 2) oder
» Adipositas Grad I (BMI > 30 und < 35 kg/m2) bei Patienten mit Diabetes mellitus Typ 2 (Sonderfälle).

Eine chirurgische Therapie kann auch primär ohne eine präoperative konservative Therapie durchgeführt werden, wenn die konservative Therapie ohne Aussicht auf Erfolg ist oder der Gesundheitszustand des Patienten keinen Aufschub eines operativen Eingriffs zur Besserung durch Gewichtsreduktion erlaubt (LoE 4, EG 0). Patienten sollen vor der Operation einer Evaluation unterzogen werden mit Erfassung der metabolischen, kardiovaskulären, psychosozialen und Ernährungssituation (LoE 4, EG A).

Nach einer bariatrischen Operation soll eine lebenslange interdisziplinäre Nachsorge durchgeführt werden (LoE 4, EG A). Zur Qualitätssicherung sollten Patienten, die einem gewichtsreduzierenden Eingriff unterzogen werden, in einem zentralen nationalen Register erfasst werden (LoE 4, EG B).

Im Vergleich zu konservativen Maßnahmen ist die chirurgische Therapie hinsichtlich Reduktion des Körperfetts, Besserung von adipositas-assoziierten Krankheiten und Senkung des Sterblichkeitsrisikos effektiver [24, 25, 26].

Zusammenfassung

Die Prävalenz der Adipositas ist in Deutschland in den vergangen Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen. Adipositas ist eine eigenständige chronische Krankheit, aber vor allem auch ein Schrittmacher für viele andere Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Krankheiten, bestimmte Krebserkrankungen und neurodegenerative Krankheiten. Aus diesem Grund ist eine effektive Prävention und Therapie unverzichtbar. Vor diesem Hintergrund hat eine interdisziplinäre Expertenkommission im Jahr 2013 eine umfassende systematische Literaturrecherche durchgeführt und die bereits bestehende S3-Leitlinie nach einem definierten Prozedere aktualisiert. In enger Anlehnung an diese Leitlinie und unter Berücksichtigung neuerer Literatur stellt dieser Beitrag die aktuellen Empfehlungen zur Prävention und Behandlung der Adipositas zusammen.

Der Prävention kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Ziel ist die Vermeidung einer Gewichtszunahme über das Normalgewicht („Body-Mass-Index“ – BMI ≤ 25 kg/m2) hinaus. Dies kann durch eine bedarfsgerechte Ernährung, regelmäßige körperliche Aktivität und regelmäßige Gewichtskontrollen erreicht werden. Zur Gewichtsabnahme und zur anschließenden Stabilisierung eines reduzierten Gewichts wird eine Kombination aus energiereduzierter Kost und Steigerung der körperlichen Aktivität empfohlen. Hier ist die Umstellung von einer fett- und kohlenhydrat-/zuckerreichen Kost auf eine stärker pflanzlich betonte Kost mit niedrigerer Energiedichte ratsam, um ein Energiedefizit von ca. 500 kcal/Tag bei guter Sättigung zu erhalten. Das Verhältnis der Makronährstoffe ist dabei von zweitrangiger Bedeutung, die Kost sollte aber eine vollständige Nährstoffversorgung sicherstellen. Übersteigt der BMI 30 kg/m2, können bei dringender Indikation und zeitlich begrenzt definierte Formuladiäten mit einem Energiegehalt zwischen 800 und 1.200 kcal/Tag zum Einsatz kommen. Das Behandlungskonzept sollte stets an die Wünsche und die Lebenssituation der Betroffenen angepasst werden. Bei extremer Adipositas (BMI ≥ 40 kg/m² bzw. BMI ≥ 35 kg/m² mit Komorbiditäten) sind Maßnahmen zur Lebensstiländerung häufig nicht ausreichend, um das Therapieziel zu erreichen, sodass dann eine chirurgische Therapie erwogen werden sollte. Chirurgische Interventionen sind konservativen Maßnahmen hinsichtlich Reduktion der Körperfettmasse, Besserung von adipositas-assoziierten Krankheiten und Senkung des Sterblichkeitsrisikos überlegen. Zur Unterstützung der individuellen Prävention und Therapie ist generell eine zusätzliche Verhältnisprävention zum Beispiel in Kommunen, Betrieben, Schulen zu empfehlen, um eine gesunde Lebensführung zu erleichtern.

Schlussfolgerung

Für Maßnahmen zur Prävention und Therapie der Adipositas gibt es eine gute wissenschaftliche Evidenz. Die Umsetzung dieser Empfehlungen im deutschen Gesundheitssystem ist angesichts der Größenordnung der mit Adipositas verbundenen Krankheitslast für die Betroffenen und die Gesellschaft dringend geboten.

Das Literaturverzeichnis kann beim Verfasser angefordert oder im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.



Professor Dr. Hans Hauner

 

 

 

 

 

 

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