Reform der Lebendorganspende nicht länger aufschieben

In ihrer ersten Regierungserklärung Mitte Mai im Deutschen Bundestag hat Bundesgesundheitsministerin Nina Warken die gesundheitspolitischen Leitlinien der neuen Bundesregierung vorgestellt. Sie kündigte an, die Grundlage für eine gute, bezahlbare und bedarfsgerechte Gesundheitsversorgung zu schaffen. Besonders wichtig sei ihr dabei der Austausch mit allen Akteuren im Gesundheitswesen. Ärztinnen und Ärzte, so betonte sie, sollten künftig wieder mehr Zeit für die Behandlung ihrer Patientinnen und Patienten haben – statt sich im Dickicht der Bürokratie zu verlieren.
Die großen Themen wie Krankenhausreform, Notfallversorgung oder Digitalisierung sollen weiter vorangebracht werden. Das ist gut und notwendig. Doch was in der Rede von Ministerin Warken mit keinem Wort erwähnt wurde – und auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD nur sehr vage formuliert ist – ist das Thema Organspende, insbesondere die dringend notwendige Weiterentwicklung der Lebendorganspende.
Im Koalitionsvertrag heißt es hierzu lediglich:
„Wir wollen die Zahl von Organ- und Gewebespenden deutlich erhöhen und dafür die Voraussetzungen verbessern. Aufklärung und Bereitschaft sollen gefördert werden.“ Diese Formulierung bleibt im Ungefähren – und greift zu kurz.
Begrüßenswert ist, dass sich Ministerin Warken kürzlich offen dafür gezeigt hat, einen erneuten Vorstoß zur Widerspruchsregelung aus der Mitte des Bundestages zu unterstützen. Der entsprechende Gesetzentwurf war in der vergangenen Legislaturperiode infolge des Koalitionsbruchs im Gesundheitsausschuss des Bundestages nicht mehr weiter beraten worden. Unabhängig davon könnte die Ministerin zu Beginn ihrer Amtszeit aber direkt selbst gesetzgeberisch aktiv werden und bei der überfälligen Reform der Lebendorganspende ansetzen – einem Thema, das bisher unerwähnt blieb. Dabei liegt ein fertig ausgearbeiteter Gesetzentwurf aus der vergangenen Legislaturperiode vor, der kurzfristig in den parlamentarischen Prozess eingebracht werden könnte.
Dieser Entwurf wurde von einer breiten politischen und fachlichen Basis getragen und hätte die bestehenden Regelungen grundlegend weiterentwickelt. Vorgesehen war unter anderem, das bisherige Subsidiaritätsprinzip aufzuheben, wonach eine Lebendspende nur zulässig ist, wenn kein Organ eines verstorbenen Spenders zur Verfügung steht. Darüber hinaus sollte das bislang erforderliche enge persönliche Näheverhältnis zwischen Spender und Empfänger ausgeweitet werden – zugunsten sogenannter Überkreuzspenden zwischen zwei oder mehreren Paaren. Auch anonyme Nieren-Lebendspenden sollten ermöglicht werden, etwa im Rahmen eines nationalen Vermittlungspools, der kompatible Spender-Empfänger-Kombinationen zentral zusammenführt.
Ein solches System ist international längst etabliert – und funktioniert. Es trägt dazu bei, dass mehr schwer kranke Menschen schneller ein passendes Organ erhalten. Gerade bei Nierentransplantationen kann die medizinische Kompatibilität zwischen Spender und Empfänger das entscheidende Hindernis darstellen. Die Überkreuzspende überwindet dieses Hindernis – ohne das Prinzip der Freiwilligkeit oder die ethischen Grundsätze unseres Transplantationswesens infrage zu stellen.
Insbesondere bei der Nierentransplantation ist die Versorgungslage weiterhin angespannt: Über 6.700 Patientinnen und Patienten standen Ende 2022 auf der Warteliste, während die Zahl der Nierentransplantationen bei unter 2.000 lag – darunter rund 500 Lebendspenden [1]. Es ist unsere gemeinsame Verantwortung, diese Lücke zu verkleinern – mit realistischen, medizinisch fundierten und ethisch verantwortbaren Maßnahmen.
Deshalb mein Appell an die neue Bundesregierung: Greifen Sie den bestehenden Gesetzentwurf zur Lebendorganspende wieder auf – und bringen Sie ihn zügig in das parlamentarische Verfahren ein. Jeder Tag zählt. Und viele betroffene Menschen warten dringend auf eine Entscheidung, die längst überfällig ist.
[1]
Siehe Gesetzentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Novellierung der Regelungen zur Lebendorganspende und weitere Änderungen, Bundesregierung 2024
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