Pflegeheime im Lockdown – Orte der Einsamkeit?

Alfons-Hoffmann-Haus

Die Bayerische Staatsregierung erließ aufgrund der Corona-Pandemie umfassende ­Besuchs- und Kontaktbeschränkungen in Pflegeheimen, um die Bewohner vor einer ­Infektion mit dem neuartigen Virus zu schützen. Wie wirkt sich die Isolation auf die Bewohner sowie die Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals aus? Ein Besuch im Pflegeheim Alfons-Hoffmann-Haus (AHH) zeigt, welchen Spielraum Heime besitzen, um Einsamkeit und negative Folgen für die psychische Gesundheit abzumildern.

Die Corona-Pandemie hat das Leben von Stefan Krieter vollkommen im Griff. Seit 2008 bewohnt der 60-Jährige ein Zimmer im AHH im Münchner Westen. Trotz seiner Erkrankung an Multipler Sklerose (MS) ist er dank seinem elektrischen Rollstuhl noch mobil, kann sich normalerweise selbstständig im weitläufigen Garten des Heims bewegen, einkaufen gehen und mit seiner Freundin und seinen beiden Kindern etwas unternehmen.


Die seit Anfang März, zum Schutz vor dem Coronavirus von der Bayerischen Staatsregierung erlassenen Kontakt- und Besuchsbeschränkungen in Pflegeheimen, haben Krieter jedoch aus seiner Lebenswelt herausgerissen, seine sozialen Bindungen zu großen Teilen unterbrochen – und werfen ihn auf seine eigene Existenz zurück.

Während des Lockdowns durfte er sein Heimzimmer vier Tage überhaupt nicht verlassen, weil die Bewohner des MS-Bereichs flächendeckend auf Corona getestet wurden. Da die Testergebnisse negativ ausfielen, kann Krieter die Wohn- und Gemeinschaftsräume des Heims wieder betreten und – unter Einhaltung des Abstandsgebots von 1,5 Metern – Kontakte mit den anderen Bewohnern pflegen; dennoch leidet er sehr unter Einsamkeit: „Normalerweise fahre ich alle drei Wochen zu meiner Freundin nach Ottobrunn. Dass das seit zwei Monaten nicht mehr möglich ist, ist für uns beide ganz schön schlimm“, teilt er telefonisch mit.

Zwar dürfte er, nach Aufhebung des Mitte März erlassenen Besuchsverbots in Pflegeheimen, seit Anfang Mai im Foyer des AHH wieder Besuche von einer Kontaktperson pro Tag erhalten. Da die Besuchszeit allerdings aufgrund des hohen Andrangs sowie der Hygieneanforderungen auf eine halbe Stunde begrenzt ist, lohnt sich laut Krieter die Anfahrt für seine Familienmitglieder nicht – er nimmt die neuen Möglichkeiten nicht in Anspruch. Fest steht für den Bewohner aber, dass telefonische Kommunikation den persönlichen Kontakt zu den Angehörigen nicht ersetzen kann.

Pflegeheime sind besonders durch das Virus gefährdet

Ortstermin mit der Leiterin des AHH, Anja Grunwald, der zuständigen Heimärztin Dr. Alexandra Pokrandt-Koller, sowie Snjezana Budija, der Vertreterin der Pflegekräfte des AHH.

Nach Anlegen des vorgeschriebenen Mund-Nasen-Schutzes treffe ich Pokrandt-Koller in der lichtdurchfluteten Lobby des Heims. Dort fallen dem Betrachter gleich mehrere Bewohner ins Auge, die – ebenfalls mit Mund-Nasen-Schutz ausgestattet – an Zweiertischen mit ihren Besuchern angeregt Gespräche führen; ein Ergebnis der Lockerungen der Beschränkungen.

Pokrandt-Koller betreut neben ihrer Praxis in München-Laim bereits seit 1993 mehrere Heime des Münchenstifts, zu welchen auch das AHH gehört. An drei Tagen pro Woche führt die niedergelassene praktische Ärztin jeweils sieben Stunden lang Visiten im AHH durch, ist bei Notfällen aber auch außerhalb dieser Zeiten für die Bewohner und das Pflegepersonal erreichbar.

Mit dem Thema Coronavirus befasst sich die Münchnerin bereits seit Ende Januar. Schon zu diesem frühen Zeitpunkt ließ sie sich von einer befreundeten Virologin zum richtigen Vorgehen beim Auftreten einer SARS-CoV-2-Infektion unter ihren Patienten beraten. Der daraufhin erfolgte private Kauf von Atemschutzmasken stellte sich schnell als lohnende Investition heraus, da sie kurz darauf in ihrer Praxis von einem Patienten mit Erkältungssymptomen aus dem chinesischen Wuhan aufgesucht wurde. Obwohl die Erkrankung sich als einfache Bronchitis entpuppte, achtet Pokrandt-Koller seitdem penibel auf das Tragen von Schutzmasken, -brillen und Handschuhen – insbesondere, wenn sie im AHH mit multimorbiden Patienten in Kontakt kommt.

In einem Besprechungsraum des Heims verdeutlicht die 57-Jährige, warum sie aus diesem Grund während der Pandemie auch Kontakt- und Besuchsbeschränkungen in Heimen für unabdingbar hält: „Praktisch alle Bewohner von Pflegeheimen weisen Vorerkrankungen auf und gehören damit zur maximalen Risikogruppe. Viele ältere Menschen haben Schlaganfälle durchgemacht oder weisen Diabetes, Übergewicht und schlechtes Atmen auf. Auch langjährige Raucher mit einer obstruktiven Lungenerkrankung sind hier vertreten“.

Hochproblematisch für ältere Patienten sei insbesondere eine Infektion der Lunge durch Corona, die zu einer Veränderung des dortigen Gewebes führe. Dann sei eine intensivmedizinische Behandlung, etwa durch Beatmung, oft unvermeidbar, was die Risikogruppe der Heimbewohner aber häufig nicht überstehe.

Lockdown belastet kognitiv eingeschränkte Bewohner am meisten

Die derzeit zum Schutz der Bewohner notwendigen Besuchs- und Kontaktbeschränkungen empfänden diese nichtsdestotrotz als einschneidendes Erlebnis. Als Beispiel führt Pokrandt-Koller ein Gespräch mit einem 96-jährigen Mann an, der kürzlich in eines der von ihr betreuten Pflegeheime eingezogen sei. Die coronabedingten Vorgaben der Bayerischen Staatsregierung sähen in diesem Fall zwei Wochen Quarantäne für den neuen Bewohner vor, um mögliche Infektionsketten im Pflegeheim zu vermeiden. Der Pflegebedürftige hätte aber nicht nachvollziehen können, warum er, trotz eines negativen Corona-Abstrichs, zwei Wochen allein in seinem Zimmer bleiben musste. „Dann hat er zu mir gesagt: ‚Frau Doktor, das ist wie im Gefängnis hier.‘ Er machte deutlich, dass die Situation sehr belastend für ihn sei und, dass er überlege, nach Hause zu gehen. Mit Mühe konnte ich ihn überreden, zu bleiben, da er schwer pflegebedürftig ist und seine Tochter mit der Situation vollkommen überfordert gewesen wäre“. Er hätte nicht verstanden, dass ein negativer Corona-Test nicht automatisch bedeute, dass keine Infektionsgefahr bestehe, da die Inkubationszeit des Virus bei ca. zwei Wochen liege. Deshalb könne es auch falsch-negative Testergebnisse geben.

Grundsätzlich habe sie aber die Erfahrung gemacht, dass Bewohner, die sich mit der aktuellen Nachrichtenlage befassten, kognitiv nicht oder nur leicht eingeschränkt seien und die durch das Coronavirus entstandene Gefahrenlage verstünden, Besuchs- und Kontaktbeschränkungen leichter akzeptierten. Auch sie seien traurig, wenn sie ihre Familien nicht sehen könnten, wüssten aber, dass die Einschränkungen letzten Endes ihrem eigenen Schutz dienten.

Dagegen könnten Pflegebedürftige mit einer ausgeprägten Demenz Ausmaß und Folgen der Corona-Krise und mögliche Gefahren für das eigene Leben nicht abschätzen: „Eine Demenz führt mit fortschreitendem Verlauf zum Verlust der geistigen Leistungsfähigkeit und löst auch eine Nichtorientiertheit aus. Jemandem mit Demenz zu erklären, warum er jetzt im Zimmer bleiben muss oder warum die Tochter, der Mann oder wer auch immer nicht mehr kommen darf, das ist wahnsinnig schwierig. Das Pflegepersonal kann nur versuchen, dies mit viel Liebe auszugleichen“, erklärt Pokrandt-Koller. Dem pflichtet auch Snjezana Budija bei. Wenn die Gewohnheit des regelmäßigen Besuchs der Familie plötzlich wegfalle, führe dies oftmals zu Traurigkeit und Verwirrung bei den an Demenz erkrankten Bewohnern. So gebe es eine Pflegebedürftige im Heim, die ihre Angehörigen tagelang verzweifelt in ihrem Zimmer gesucht habe. Für die Altenpflegerinnen des Heims sei es eine große Herausforderung, diesem Gefühl von Verlassenheit und Isolation trotz bestehender Kontakt- und Besuchsbeschränkungen entgegenzuwirken.

Ob sich ein Bewohner mehr vor einer Ansteckung mit dem Virus oder stärker vor Isolation und Einsamkeit fürchte, hänge insofern auch sehr stark von dessen kognitiven Fähigkeiten beziehungsweise dem spezifischen Krankheitsbild ab, führt Pokrandt-Koller weiter aus.



Gemeinschaftsräume des Alfons-Hoffmann-Hauses

Überdies könne die spezifische Situation des Lockdowns vorhandene psychische Krankheiten der Bewohner verstärken oder neue psychische Erkrankungen auslösen. Ängste vor dem Virus oder vor Isolation könnten sich im Rahmen einer Übersprungshandlung etwa in Aggressionen übersetzen. So sei in einem von ihr betreuten Heim ein Bewohner beispielsweise mit einem Messer auf einen Pfleger losgegangen. „Wenn jemand sowieso schon dazu geneigt hat, nur durch die Familie und ständige Kontakte stabil zu bleiben, können Besuchs- und Kontaktbeschränkungen natürlich zu einer Eskalation der Lage führen“, erläutert die langjährige Heimärztin. Die Aggression geschehe dann oft aus dem Gefühl heraus „ich wehre mich gegen jemanden oder etwas – obwohl gar kein Grund dazu vorhanden ist“.

Eine deutliche Verschlimmerung der Depressionen unter den Heimbewohnern konnte Pokrandt-Koller dagegen bisher nicht feststellen. So benötigten die bereits in Behandlung befindlichen depressiven Patienten tendenziell keine vermehrte Zugabe von Antidepressiva. Allerdings zeigte sich, dass die Corona-Krise die Depressionen von Bewohnern, die bisher nicht medikamentös behandelt wurden, verstärkte. Dies sei allerdings nicht allein auf die Isolation zurückzuführen, sondern ebenso auf das Erlebnis eines Kontrollverlusts.

Die Einsamkeit bekämpfen – und trotzdem auf Hygiene achten

Dass bei den meisten Bewohnern des AHH die Einsamkeit dennoch nicht die Oberhand gewonnen hat, ist möglicherweise auch dem engagierten Einsatz von Anja Grunwald zu verdanken.
Seit 2014 steht die 41-Jährige an der Spitze des AHH mit seinen 185 Mitarbeitern und rund 200 Pflegebedürftigen, darunter viele hochbetagte Senioren mit einer Demenzerkrankung, aber auch einige jüngere MS-Patienten. Der Ausbruch der Pandemie in Bayern hat bei ihr und vielen Mitarbeitern zu großer Sorge geführt: „Natürlich haben wir die Bilder aus Italien und Spanien im Kopf, wo Corona-Infektionen in Alten- und Pflegeheimen zu zahlreichen Tragödien geführt haben.“

Sie habe mitbekommen, dass einige bayerische Pflegeheime deshalb ihre Bewohner ganztägig in deren Zimmer isoliert hätten. „Auch mit Blick auf das psychische Wohlbefinden unserer Pflegebedürftigen sind wir einen anderen Weg gegangen. Wir haben versucht, sowohl ein Stück Normalität aufrecht zu erhalten als auch unsere Bewohner zu schützen.“

Bei einem Rundgang durch den großflächigen Garten der Anlage, der auch ein Gewächshaus sowie Bienenstöcke beinhaltet, erläutert mir die erfahrene Heimleiterin ihr Konzept:

Die Bewohner des AHH hätten in allen Phasen des Lockdowns die Möglichkeit gehabt, den Garten, die Gemeinschaftsräume sowie die Wohngruppenküchen und Esszimmer des Heims weiter zu nutzen. Dies treffe auch auf die Pflegebedürftigen im MS-Bereich zu, nachdem deren negative SARS-CoV-2-Testergebnisse feststanden.

Überdies sei es den Bewohnern ermöglicht worden, am Gartenzaun oder über die Fenster zum Hof mit ihren Angehörigen oder Freunden zu sprechen. Dies sei gewiss manchmal mit Schwierigkeiten verbunden gewesen, da viele der Senioren schlecht sähen oder hörten, dennoch habe das Gefühl der Nähe den Beteiligten viel bedeutet.

Zwar könne digitale Kommunikation das persönliche Gespräche nicht ersetzen, doch viele Bewohner nähmen gerne die Möglichkeit wahr, via Videogespräch mit ihren Lieben in Kontakt zu bleiben. „Dazu haben wir extra mehrere Tablets angeschafft, um eine Alternative zum telefonischen Anruf anzubieten“.

Für Abwechslung während des Lockdowns sorgte auch eine Kooperation mit dem Münchner Tiergarten Hellabrunn, der für die Senioren Videos von Tieren aufgenommen hatte, welche auf den Fernsehern und Tablets des Heims angesehen werden konnten. Auch die Möglichkeit, eigene Haustiere im Heim zu halten, hätte während des Lockdowns zur Lebensfreude vieler Bewohner beigetragen.

Die Lockerung der Besuchs- und Kontaktbeschränkungen in Pflegeheimen seit Anfang Mai ermögliche nun wieder Besuche von Angehörigen – unter Einhaltung strikter Hygiene- und Schutzmaßnahmen – an speziell eingerichteten Tischen in der Lobby des AHH. Die Länge des Besuchs sei aufgrund des hohen Andrangs auf eine halbe Stunde beschränkt. Außerdem hätten Pflegebedürftige nun wieder die Möglichkeit, das Heim pro Tag eine Stunde für einen Spaziergang zu verlassen.

Um die Sicherheit der Bewohner zu gewährleisten, habe das Heim frühzeitig ein umfassendes Hygienekonzept erarbeitet, erklärt Grunwald weiter im Besprechungsraum der Einrichtung. So trage das komplette Pflegepersonal des AHH seit Anfang April einen Mund-Nasen-Schutz, um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren. Dagegen müssten Pflegebedürftige diesen lediglich bei den Besuchen aufsetzen.

Gerne hätte man die Mundschutzpflicht für das Heimpersonal noch früher eingeführt, doch war es anfänglich aufgrund eines Angebotsdefizits auf dem Markt schwierig, die nötigen Gesichtsbedeckungen zu organisieren. Inzwischen habe man jedoch große Vorräte an Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel anlegen können.

Sorgen mache ihr aber, dass es nach wie vor schwierig sei, erschwingliche FFP2-Schutzmasken zu organisieren, die im Heim im Falle eines Ausbruchs von SARS-CoV-2 benötigt würden. Hier würde sich Grunwald mehr Unterstützung von der Politik wünschen, damit „wir nicht betteln müssen um die notwendige Ausrüstung“.

Damit die Wahrscheinlichkeit eines solchen Infektionsfalls reduziert wird, hält das Pflegepersonal die Bewohner dazu an, stets den gebotenen Sicherheitsabstand von 1,5 Metern zu anderen einzuhalten. Um sicherzustellen, dass dieser auch in den Gemeinschaftsräumen eingehalten wird, dürfen diese nur von wenigen Bewohnern gleichzeitig betreten werden. Esstische wurden auseinandergestellt, um einer Grüppchenbildung entgegenzuwirken.

Aus Angst, die Senioren anzustecken, sei das Pflegepersonal auch privat äußerst vorsichtig. Um nicht selbst zum Corona-Überträger zu werden, praktiziere man konsequent Social-Distancing, erläutert Budija: „Wir wissen, dass wir auch beim Einkaufen draußen auf der Straße besonders aufpassen müssen. Denn wenn es einen Coronavirus-Ausbruch in unserem Heim geben würde, wäre die Belastung für uns noch größer und unsere Bewohner wären gefährdet.“

Hohes Engagement der Pflegekräfte

In diesem Zusammenhang bringt Grunwald auch große Freude über das Verantwortungsbewusstsein und Engagement ihres medizinischen Personals in der Krise zum Ausdruck. Beispielsweise seien während des Lockdowns trotz der Infektionsgefahr deutlich weniger Krankschreibungen zu verzeichnen gewesen als im Vorjahreszeitraum. Dabei sei die Arbeitsbelastung in der Pandemie deutlich angestiegen.

Die Beschränkungen des Kontakts mit Freunden und Verwandten führten etwa dazu, dass möglicherweise die Pflegekräfte den Bewohnern in stärkerem Ausmaß als bisher menschliche Nähe böten und als deren Gesprächs- und Beschäftigungspartner fungieren müssten; beispielsweise müssten Spaziergänge im Garten des AHH, die Bewohner bisher oft mit ihren Familienmitgliedern unternommen hätten, nun öfter von Mitarbeitern begleitet werden. Außerdem würden nun vermehrt Angehörige anrufen und sich täglich nach dem Wohlbefinden der Pflegebedürftigen erkundigen. Das Pflegepersonal leiste diese zusätzliche Arbeit zwar gerne, aufgrund der dünnen Personaldecke sei diese Arbeitszeitverdichtung aber problematisch.


Garten des Alfons-Hoffmann-Hauses

Nach Ansicht von Budija, die seit 2009 als Vollzeit-Pflegekraft im AHH beschäftigt ist, müssten die sogenannten Pflegeschlüssel, also die gesetzliche Personalbemessung in der Altenpflege, so angepasst werden, dass pro pflegebedürftigem Bewohner mehr Arbeitskräfte eingestellt werden können. Dies sei auch in normalen Zeiten notwendig, denn eine gute, den Menschen zugewandte Pflege sei „nicht in einer halben Stunde“ durch die Stillung von Grundbedürfnissen wie Essenseingabe und Körperpflege erledigt.

Die 38-jährige Münchnerin findet es deshalb seltsam, wenn Pflegekräfte, die auch vor der Pandemie tagtäglich wichtige Care-Arbeit geleistet hätten, nun plötzlich von den Medien als „Helden der Corona-Krise“ gefeiert werden: „Man kämpft jahrelang um gesellschaftliche Anerkennung. Dann kommt eine Gesundheitskrise und man wird beklatscht und als Pflegeheld bezeichnet. Wir wollen nicht als Helden bezeichnet werden, wir wollen, dass die Pflege als würdiger und wichtiger Beruf anerkannt wird.“ Diese Anerkennung müsse sich dann auch in besseren Arbeitsbedingungen niederschlagen.

Die bittersüße Ambivalenz der Lockerungen

Die Lockerungen der Kontakt- und Besuchssperren sehen Budija und Grunwald mit gemischten Gefühlen. Zwar sei es für die Pflegebedürftigen eine große Erleichterung, ihre Angehörigen nach mehreren Monaten wieder aus der Nähe sehen zu können; umgekehrt sind die beiden sehr darüber besorgt, dass einige Bewohner sich nur unzureichend an die Schutz- und Hygiene-maßnahmen halten würden. Manche würden trotz der strengen Bestimmungen plötzlich den vorgeschriebenen Mundschutz abnehmen und ihre Lieben umarmen oder küssen. Dass dadurch die Ansteckungsgefahr steige, versucht Grunwald den Heimbewohnern und ihren Angehörigen immer wieder zu verdeutlichen: „Da kommen einem schon Mal die Tränen, wenn sich jemand nach acht Wochen wieder trifft und es ist schon sehr emotional und bewegend. Auf der anderen Seite habe ich den Angehörigen aber auch schon sagen müssen: ‚Sie wollen ja auch nächstes Jahr Muttertag mit Ihrer Mutter feiern. Deshalb: Halten Sie sich an die Abstandsregeln.‘“



Im Falle einer zweiten Infektionswelle ab Herbst, die von zahlreichen Epidemiologen prognostiziert wird, würde die Heimleiterin deshalb dafür plädieren, die Lockerungen wieder zurückzunehmen.

Zurück zu Stefan Krieter. Der Bewohner mit MS-Erkrankung zählt darauf, dass die Bayerische Staatsregierung auch die verbleibenden Besuchs- und Kontaktbeschränkungen in Pflegeheimen weiter lockern wird. Insbesondere hofft er, dass Angehörige die Pflegebedürftigen bald wieder in den Bewohnerzimmern besuchen dürfen. Das Virus fürchtet er weniger als die Einsamkeit: „Das Schlimmste für mich ist die Isolation. Vor der Ansteckung habe ich keine Angst.“

Florian Wagle (BLÄK)

Top