Pandemie und Prävention

Dr. med. Gerald Quitterer

Zukunftsfragen bestimmen seit einer gewissen Zeit auch im Gesundheitswesen die Diskussionen und Debatten: Wie sollen wir umgehen mit den Herausforderungen des Klimawandels, der Digitalisierung und der Globalisierung? Eines scheint aber bei allen diesen Themen gleich zu sein: Die Zukunft wird in der Vergangenheit angelegt und in der Gegenwart fortgeschrieben.

Dabei ist der Mensch den Launen des Schicksals nicht zwangsläufig schutzlos ausgeliefert. Schon der italienische Philosoph Niccolò Machiavelli wusste, dass Probleme sich als Chancen entpuppen können und die eigene Zukunft aktiv gestaltet werden kann: „Wer jedes Jahr die Naturgewalten eines anschwellenden Stromes erlebt, wird schließlich einen Damm bauen“, um sich zu schützen, schrieb er Anfang des 16. Jahrhunderts in seinem Werk „Il Principe“. Dieser Ratschlag lässt sich auch auf die Coronavirus-Pandemie anwenden, die uns seit Februar/März dieses Jahres fest im Griff hat.

Wenn Sie jetzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Juli/August-Ausgabe des „Bayerischen Ärzteblattes“ in Händen halten, erleben wir hoffentlich bereits die abklingende Pandemiephase. Vielleicht entgehen wir einem zweiten Shutdown. Möglicherweise ist aber bereits die nächste Infektionswelle im Anmarsch. Aus meiner Sicht ist es immer gut, auf das Schlimmste vorbereitet zu sein. Chancen multiplizieren sich, wenn man sie ergreift. Deshalb ist es an der Zeit, genauer zu beleuchten, welche Möglichkeiten uns die Präventionsmedizin zur Verfügung stellen kann, um die Pandemie noch erfolgreicher zu meistern.

Denn erfolgreiche Gesundheitsprophylaxe kann zu einer Verbesserung der generellen gesundheitlichen Konstitution jedes Einzelnen beitragen und dadurch einen milderen Verlauf der Virusinfektion nach sich ziehen. Aktuelle Studien zum Coronavirus zeigen beispielsweise, dass die häufigsten Komorbiditäten bei einer COVID-19-Infektion chronische Herzerkrankungen, Diabetes mellitus sowie nicht-asthmatische chronische Lungenerkrankungen sind – gravierende Beschwerden, die durch eine gesunde Lebensführung aber abgeschwächt oder vermieden werden können.

Sportliche Aktivitäten sind – wie vielfach wissenschaftlich belegt – beispielsweise ein wesentlicher Schutzfaktor um einen guten Gesundheitszustand zu fördern und zu erhalten. Dies ist umso wichtiger, da nach Daten des Robert Koch-Instituts ca. zwei Drittel der Männer und die Hälfte der Frauen in Deutschland unter Übergewicht leiden – das einen Risikofaktor für Diabetes mellitus Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und einige Krebserkrankungen darstellt. Gerade vor dem Hintergrund der Pandemie sollten deshalb Bewegungsgewohnheiten, auch im Rahmen von Vereinssport, unter Berücksichtigung der Abstands- und Hygienevorschriften fortgeführt werden. Überdies kann auch eine gesunde Ernährung wesentlich zu einer Vermeidung von Übergewicht und Krankheiten beitragen. Deshalb ist es entscheidend, den Menschen frühzeitig – besonders in unseren ärztlichen Praxen – zielgruppengerechte Ernährungsempfehlungen an die Hand zu geben. Was bewirken Lebensmittel und ihre Inhaltsstoffe im menschlichen Körper? Welchen Einfluss hat die genetische Veranlagung eines Menschen auf ernährungsbedingte Krankheiten? Das sind Themen, über die wir mit unseren Patientinnen und Patienten weiterhin immer wieder ins Gespräch kommen sollten.

Zahlreiche Studien zeigen außerdem, dass jede Art von Lungenerkrankung bei Rauchern häufiger und meist schwerer auftritt. Dennoch rauchen nach Angaben des Epidemiologischen Suchtsurveys noch 23 Prozent der erwachsenen Deutschen. Wir sollten unsere Patienten deshalb verstärkt darauf hinweisen, dass Rauchen einen Risikofaktor für einen kritischen Verlauf von COVID-19 darstellt. In diesem Zusammenhang freue ich mich darüber, dass der Gesetzgeber endlich ein umfassendes Verbot von Tabakwerbung auf den Weg bringen will. Denn insbesondere für abhängige Raucher setzt Werbung ständig Schlüsselreize, die einen Ausstieg aus der Sucht erschweren. Nun brauchen wir Regelungen, die möglichst schnell umgesetzt werden.

Präventionsausgaben dürfen nicht reduziert werden

Da die große Bedeutung der Gesundheitsprophylaxe offensichtlich ist, ist schwer nachzuvollziehen, weshalb im Zweiten Bevölkerungsschutzgesetz eine Minderung der Ausgaben für Präventionsleistungen nach § 20a des Sozialgesetzbuchs (SGB) V vorgesehen wurde. Wichtige Präventionsmaßnahmen, wie zum Beispiel die Begleitung in Disease-Management-Programmen, Vorsorgeuntersuchungen, Impfungen oder gesundheitsförderliche Settings in Kita, Schule oder Arbeitsplatz, zahlen sich aus und müssen deshalb zukünftig weiter ausgebaut werden. Insofern ist eine Nachbesserung des § 20a SGB V unbedingt erforderlich.

An dieser Stelle möchte ich mich bei Ihnen, den Ärztinnen und Ärzten Bayerns, auch ausdrücklich für Ihren großartigen Einsatz zur Infektionsprävention während der Pandemie bedanken. In unseren Praxen und in den Krankenhäusern haben wir konsequent für die Einhaltung von Hygiene-, Schutz- und Abstandsregelungen gesorgt und damit einen bestmöglichen Infektionsschutz gewährleistet. Auch abseits der pandemischen Situation sollten wir allerdings nicht vergessen: Krankheiten sollen, soweit wie möglich, durch Impfungen, Minderung von Risikofaktoren und Aufbau von Schutzfaktoren verhindert und bestehende Beschwerden so früh wie möglich erkannt und behandelt werden. Deshalb sollten wir unsere Patienten stets zum regelmäßigen Arztbesuch – und damit zur Gesundheitsprävention – motivieren.

In diesem Sinne: Lassen wir die Präventionsmedizin den Damm sein, der die Gesundheit unserer Patienten vor der Flut einer möglichen zweiten Infektionswelle schützt!

Top