Pandemie und Digitalisierung

Dr. Gerald Quitterer

Das Wort Krise setzt sich im Japanischen aus zwei Schriftzeichen zusammen – das eine bedeutet Gefahr, das andere Gelegenheit. Während die Corona-Krise nach wie vor eine große gesundheitliche Bedrohung darstellt und drastische Einschnitte für unser bisheriges Zusammenleben zur Folge hat, birgt sie auch Chancen, etwa im Bereich der Digitalisierung. Abstands- und Hygieneregeln sowie Kontaktbeschränkungen wirken für die Verbreitung digitaler Technologien in der Gesellschaft wie ein Linearbeschleuniger.

Diese disruptive Veränderung drückt bereits jetzt der Arbeitswelt von uns Ärztinnen und Ärzten ihren Stempel auf, mit vielen positiven aber auch einigen eher negativen Konsequenzen. Klar ist für mich: Die nächste Phase der Digitalisierung des Gesundheitswesens muss in die richtigen Bahnen gelenkt und von uns Ärzten entscheidend mitgestaltet werden.

Persönlicher Arzt-Patienten-Kontakt bleibt der „Goldstandard“

Ich denke etwa daran, dass im medizinischen Bereich zunehmend telemedizinische Verfahren wie Video- und Telefonsprechstunden zum Einsatz kommen. Seit Beginn der Pandemie werden beide Möglichkeiten vermehrt in Anspruch genommen, da viele Patientinnen und Patienten aus Risikogruppen aus Angst vor einer Infektion teilweise dringend notwendige persönliche Besuche bei ihrem Arzt nicht auf sich nehmen und stattdessen auf andere Weise mit ihm in Kontakt treten wollen.

In einem solchen Fall stellt diese Form des Arzt-Patienten-Kontaktes ein adäquates Mittel dar, um unseren Patienten eine Behandlung anzubieten, auch wenn sie selbstverständlich den persönlichen Austausch mit dem Arzt und Präsenzuntersuchungen nicht ersetzen kann. Mit allen fünf Sinnen mit dem Patienten kommunizieren zu können, führt in der Regel zu einer exakteren Diagnose und bleibt für mich insofern der Goldstandard der Arzt-Patienten-Beziehung.

Kritisch sehe ich in diesem Zusammenhang insbesondere einige expandierende telemedizinische Anbieter, welche ausschließlich im virtuellen Raum agieren und sich den Aufbau einer komplett neuen Versorgungsebene zum Ziel gesetzt haben. Mit Lockrufen nach schnellen Terminen, keinen Wartezeiten oder Online-Bescheinigungen für Schulen gelingt es diesen Unternehmen zunehmend, an Marktmacht zu gewinnen. Gleichzeitig tragen diese Firmen im Gegensatz zu niedergelassenen Ärzten nicht das unternehmerische Risiko einer Praxisgründung und die damit einhergehenden Personal-, Raum- und Gerätekosten. Dieses Geschäftsmodell funktioniert vor dem Hintergrund, dass solche Plattformen bei komplexeren Krankheitsfällen oder Komplikationen letzten Endes doch auf den niedergelassenen Arzt oder das Krankenhaus als Rückfallebene zurückgreifen und könnte deshalb durchaus als parasitär bezeichnet werden.

Da ich zertifizierte Videokonferenzmöglichkeiten zwischen Ärzten und ihren Patienten als Instrument sehe, das den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ergänzen kann, halte ich einen flächendeckenden Ausbau der dazu nötigen Infrastruktur für erforderlich. Zudem sollten die Ärzte bei diesem Transformationsprozess finanziell besser unterstützt werden, um durch die Digitalisierung notwendige zusätzliche Aufwendungen, die nicht nur technischer, sondern insbesondere auch organisatorischer Natur sind, zu kompensieren. Letztere schließen auch die zwar nötige, aber dennoch aufwändige Anbindung der Praxen an die Telematik-Infrastruktur ein. Dort muss künftig etwa an jedem Arbeitsplatz ein Kartenterminal vorhanden sein, an welchem der Arzt die PIN seines elektronischen Heilberufeausweises eingeben kann. Entsprechend umfangreich ist auch eine 66-seitige Liste mit FAQ´s der KVB zu diesem Thema.

Telekonsile und sensorgestütztes Patientenmonitoring weiter ausbauen

Eindeutig zu den positiven Effekten des Digitalisierungsschubs zählt für mich eine stärkere Verbreitung von Telekonsilen sowie von digitalen, sensorgestützten Monitorings bei Patienten in häuslicher Quarantäne, in Pflegeeinrichtungen sowie bei chronisch kranken Patienten, etwa mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie bestimmten Lungenerkrankungen. Die Bereitstellung intensivmedizinischer Expertise von größeren Kliniken an kleinere Krankenhäuser via Telekonsil hat sich etwa gerade zu Beginn der Pandemie als sehr erfolgreiches Mittel erwiesen, die Versorgung von schwer an COVID-19 erkrankten Menschen sicherzustellen. Abseits davon können gerade die Bewohner von Pflegeheimen, welche durch die Pandemie besonders gefährdet sind, von einem digitalen, sensorgestützten Monitoring ihrer Vitaldaten profitieren. Insbesondere die Übermittlung von Informationen in Echtzeit erlaubt schnelle Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand der Bewohner. Als nächster Schritt sollten auch für ambulante Patienten Monitoring-Möglichkeiten etabliert werden.

Um das reibungslose Funktionieren neuer digitaler Gesundheitsanwendungen zu gewährleisten, sind aber noch weitere Kraftanstrengungen seitens der Politik von Nöten. Beispielsweise leiden viele ländliche Gebiete noch immer unter instabilen und langsamen Internet- und Funkverbindungen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass schlechte Internetverbindungen Telekonsile oder Videosprechstunden zu einem sehr schwierigen bis sinnlosen Unterfangen machen. Insofern müssen schnellstmöglich und flächendeckend die technischen Voraussetzungen für moderne, stabile und sichere Internet- und Telekommunikationsmöglichkeiten geschaffen werden. Überdies gibt es leider noch immer keine sichere Messenger-App, welche zur raschen innerärztlichen Kommunikation genutzt werden kann und es Ärzten gleichzeitig erlaubt, sich zweifelsfrei zu authentifizieren. Auch hier besteht meiner Ansicht nach Verbesserungsbedarf.

 

 

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