One Health

Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer

Der Vorstand der Bundesärztekammer traf sich in Bad Wörishofen, der Wirkungsstätte von Pfarrer Sebastian Kneipp, zu seiner jährlichen Klausursitzung. An diesem Ort wurde nicht nur für mich der genius loci spürbar. So wie es für die Tuberkuloseerkrankung Kneipps vor knapp 200 Jahren kein probates Mittel gab, so stehen wir heute, trotz Impfung, der Situation mit Corona gegenüber. Dem Wasserdoktor gelang es, seine Erkrankung durch ein besonderes Konzept, das heute aktueller ist denn je, zu heilen. Es vereint die fünf Säulen Wasser, Pflanzen, Bewegung, Ernährung und Balance zu einem ganzheitlichen Ansatz für gesundes Leben. Ein Ansatz also, der die Übernahme der Verantwortung für die eigene Gesundheit fordert. Die Kneipp-Therapie zielt darauf ab, Körper, Geist und Seele in Einklang zu bringen. Sie beruht auf dem Prinzip der Übung, des Trainings zur Harmonisierung aller körperlichen und geistig-seelischen Funktionen und ist weit mehr als eine Heilmethode. Besonders eignet sie sich für die Prävention, also Vorbeugung. Durch die Anregung der Selbstheilungskräfte gewinnen Widerstandsfähigkeit und inneres Gleichgewicht an Kraft – so entwickelt der Mensch eine starke Position gegenüber allen Anforderungen des Lebens.

Prävention

Integrative Medizin könnte dazu beitragen, auch das sogenannte Long-COVID-Syndrom günstig zu beeinflussen. Ein Zusammenspiel dieser fünf Kneippschen Prinzipien könnte sowohl als präventive, wie auch als heilende Behandlung genutzt werden, womit wir beim Thema Coronasituation angekommen wären.

Viel hängt bei der Pandemiebekämpfung von ökonomischen Folgen, sozialer Akzeptanz, juristischen, ethischen und praktischen Machbarkeiten ab. Wir müssen deutlich besser in der Prävention werden. Das Gesetz zur Gesundheitsförderung und zur Prävention muss jetzt beschlossen werden. Die Pandemie ist auch eine Public-Health-Krise. Das deutsche Gesundheitswesen ist leistungsstark, doch unser Fokus liegt in erster Linie auf Patienten, auf Menschen, die bereits erkrankt sind. Gerade, wenn wir in der aktuellen Situation fürchten müssen, dass uns die sogenannte Delta-Variante eine neue Welle der Pandemie bescheren könnte.

Ärztliche Expertise und nicht politische Agitation werden dann gefragt sein. Impf- und Teststrategien müssen ärztlich begleitet sein, es darf grundsätzlich nicht wieder zu Schulschließungen kommen.
Um künftig eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden, brauchen wir auch eine vernünftige Steuerung der Patienten in der Notfallversorgung. Nicht jede Gesundheitsstörung braucht zu jeder Zeit überall sofort eine Behandlung und schon gar nicht in einer Notaufnahme. Der Zeckenbiss hat dort nichts verloren, dort findet die Versorgung von lebensbedrohlichen Zuständen statt. Die Gesundheitskompetenz eines jeden Einzelnen von uns muss dazu gestärkt werden. Notwendig ist hierzu die Reflektion: Was soll unser Gesundheitssystem leisten und was sind wir bereit, dafür zu zahlen?

Suizidhilfe

Ein weiteres wichtiges Thema ist derzeit die Diskussion um die Aufhebung des § 217 Strafgesetzbuch. Dazu liegen im Moment Gesetzesentwürfe vor, die von einer Hilfe zum Suizid sprechen. Diese Formulierung dürfen wir ärztlicherseits so nicht stehen lassen. Hilfe steht vor der Entscheidung, sich das Leben zu nehmen. Assistierter Suizid darf keine ärztliche Aufgabe im Sinne einer Verpflichtung für Ärztinnen und Ärzte sein. Entscheidet sich die Ärztin, der Arzt aber, dem Menschen in dieser Situation zur Seite zu stehen, darf dies nicht mit Strafe verfolgt werden, weshalb entsprechende Änderungen der Musterberufsordnung notwendig sind. In Bayern haben wir diese Änderung schon seit 2011 umgesetzt.

One Health

Alles, was uns derzeit bewegt, von Corona bis Klimawandel und Gesundheit kann zusammengefasst werden unter dem Begriff „One Health“. Mensch, Tier und Ökosysteme stehen untrennbar miteinander in Verbindung und beeinflussen sich gegenseitig und sind aufeinander angewiesen. Gesundheit und Krankheit betreffen nicht nur das einzelne Individuum, sondern sind global zu betrachten. Hierbei stehen wir Ärztinnen und Ärzte in der Verantwortung für die Gesundheit unserer Patientinnen und Patienten in der sich verändernden Umwelt. Dazu hat Verhaltensprävention einen wichtigen Anteil. Das ist unsere Aufgabe. Die Anpassung der Verhältnisse, zum Beispiel Hitzeaktionspläne oder das Vermeiden von Sportfesten in der Sommerhitze ebenso wie die Verbesserung der Sanitärausstattung in den Schulen oder die Kennzeichnung von zugesetztem Zucker in Getränken: Das ist Aufgabe der Politik. Eine gemeinsame Aufgabe von uns allen.

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