Neu im Öffentlichen Gesundheitswesen

Öffentliches Gesundheitswesen

In der Coronapandemie wurde dem Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) und besonders den Gesundheitsämtern ein lange nicht gekanntes Maß an Aufmerksamkeit zuteil. Gleichzeitig wurde die Arbeit der Gesundheitsämter in der Berichterstattung oft auf die mehr oder minder erfolgreichen Containment-Bemühungen reduziert. Mit dem Pakt für den ÖGD hat die Politik Mittel bereitgestellt, um ihn finanziell, personell und organisatorisch (Digitalisierung) zu stärken. Es muss sich beweisen, wie nachhaltig diese Stärkung ist. Denn dem ÖGD steht eine Vielzahl von Herausforderungen bevor. Im Folgenden möchten wir schlaglichtartig über ausgewählte aktuelle Entwicklungen im ÖGD (in Bayern, aber auch national) berichten, die eine Vorstellung von der Bandbreite bevölkerungsmedizinischer Inhalte vermitteln sollen.

1. Aktuelles im Infektionsschutz

Das pandemische SARS-CoV-2 hat mittlerweile in Deutschland wie auch weltweit endemischen Status erreicht [1]. Mit dem Ende der rechtlich erforderlichen Testungen kam es 2023 zu einem drastischen Rückgang gemeldeter Infektionen (Abbildung 1). Allerdings bilden sich über fortgesetzte weltweite Transmissionen durch Mutation und Selektion weiter Varianten aus, die dauerhaft in der Bevölkerung zirkulieren [2], wobei klinisch schwere Verläufe mittlerweile selten sind [3]. Im Verlauf der Pandemie kam es in Bayern phasenweise zu einer deutlichen Exzessmortalität (Abbildung 2). Es verstarben vor allem ältere Menschen mit Vorerkrankungen [4].


Abbildung 1: Gemeldete SARS-CoV-2-Fälle in Bayern.
Quelle: Robert Koch-Institut: SurvStat@RKI 2.0, https://survstat.rki.de, Abfragedatum: 29.12.2023.

 


Abbildung 2: Übersterblichkeit während der Pandemie in Bayern
Quelle: Bayerisches Landesamt für Statistik, Fürth 2023, mit freundlicher Genehmigung.

Fallbeispiel

Während der Delta-Welle wurde ein ansteckungsrelevanter Kontakt einer 32-jährigen Person zu einem bestätigten COVID-19-Fall ermittelt. Drei Tage nach dem letzten Kontakt wurde die Person positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Bei plötzlicher Zustandsverschlechterung suchte sie am nächsten Tag ein örtliches Krankenhaus auf, wo sie akut reanimationspflichtig wurde und nach frustranen Wiederbelebungsmaßnahmen verstarb. Als Todesursache wurde letztlich die SARS-CoV-2-Infektion angenommen.

Das Beispiel zeigt, dass auch jüngere Fälle ohne bekannte Vorerkrankungen schwer erkranken oder infolge einer SARS-CoV-2-Infektion versterben können, auch wenn schwere Verläufe insgesamt und bei jungen Patienten selten sind.

Seit Mai 2023 herrschen weltweit die Virusvariante XBB.1 und ihre Sublinien vor. Aktuell besteht nach Grundimmunisierung und einer Auffrischung gemäß STIKO eine Impfempfehlung für Personen ab 60 Jahren und bei speziellen Indikationen (präferenziell mit Varianten-adaptierten Impfstoffen). Es soll vorzugsweise im Herbst geimpft werden, damit vulnerable Personen im Herbst und Winter bestmöglich geschützt sind [5].

In der Folge der Pandemie konnten veränderte infektionsepidemiologische Muster bei anderen Erregern beobachtet werden, wie zum Beispiel eine sehr frühe und ausgeprägte RSV-Welle 2022 oder ungewöhnliche Häufungen bakterieller Infektion (beispielsweise invasive Infektionen durch A-Streptokokken) [6, 7]. Postuliert werden hier Nachholeffekte, die jedoch pathophysiologisch nur unzureichend aufgeklärt sind.

Auf Grund klimatischer Veränderungen könnten in naher Zukunft bislang in den Tropen verbreitete, vektorübertragene Infektionskrankheiten auch in Europa bedeutsam werden. Autochtone (nicht importierte, sondern in der Heimatregion der/s Infizierten erworbene Infektion) Übertragungen des Westnilvirus konnten zum Beispiel in Norditalien in den vergangenen Jahren immer wieder beobachtet werden, seit 2019 werden auch in Deutschland jährlich wenige Infektionen berichtet [8]. Dieses Jahr wurden auch autochtone Dengue-Virus-Fälle aus Italien, Frankreich und Spanien gemeldet [9].

In medizinischen Einrichtungen sind weiterhin multiresistente Erreger, insbesondere im gramnegativen Bereich, von Bedeutung. Migrationsbewegungen bringen sowohl hierzulande seltenere Infektionen (zum Beispiel [Haut-]Diptherie) als auch Erreger mit problematischen Multiresistenzen mit sich (zum Beispiel Klebsiella pneumoniae) [10, 11]. Migrationsbewegungen ganz allgemein können zu einem veränderten Infektionsspektrum im Zielland führen. Andererseits hat die Prävalenz von MRSA im zeitlichen Verlauf erfreulicherweise deutlich abgenommen, auch sind die Behandlungs­optionen zahlreicher als bei anderen Resistenzen. Ein dieser Entwicklung folgendes angepasstes Screening- und Isolationsmanagement unter konsequenter Basishygiene für alle Patienten muss vor diesem Hintergrund in medizinischen Einrichtungen etabliert werden [12, 13].

2. Asyl und Tuberkulose

Gemäß § 62 Asylgesetz müssen Asylbewerber vor Aufnahme in eine Erstaufnahmeeinrichtung ärztlich untersucht werden. Diese Untersuchung beinhaltet in Bayern ein klinisches Screening auf ansteckende Krankheiten sowie spezifisch auf Tuberkulose, HIV- und HBV-Infektionen. Gemäß § 36 Abs. 4 Infektionsschutzgesetz (IfSG) muss vor Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung für Asylsuchende (Erstaufnahmeeinrichtung) eine offene Lungentuberkulose mittels Röntgenuntersuchung ausgeschlossen werden. Bei Kindern unter zehn Jahren erfolgt nur ein klinisches Screening, bei Kindern zwischen zehn und 15 Jahren sowie Schwangeren wird eine Laboruntersuchung mittels Interferon-Gamma-Test (Interferon Gamma Release Assay, IGRA) durchgeführt. Die speziellen Gegebenheiten im Umfeld Geflüchteter bzw. Asylsuchender machen die Tuberkulosefürsorge hier besonders komplex.

Fallbeispiel

Ein 26-jähriger Syrer gab bei der § 62-Unter­suchung seit längerem bestehenden Husten (­starker Raucher) und Nachtschweiß an. Im konventionellen Röntgen und in der Computertomografie des Thorax zeigten sich Tbc-typische Veränderungen, eine mikroskopisch offene Lungentuberkulose wurde nachgewiesen. Auch bei seinen beiden Kindern (sieben und neun Jahre) wurde der Verdacht auf Lungentuberkulose gestellt und eine leitliniengerechte 4-fach-Therapie eingeleitet Die Familie wurde zur gemeinsamen stationären Behandlung in eine dafür entsprechend ausgerichtete Fachklinik verlegt.

Die primäre gesundheitliche Versorgung von Asylsuchenden erfolgt im ambulanten und stationären Sektor, Impfungen führt der ÖGD im Bedarfsfall subsidiär durch bzw. vermittelt die Bereitstellung von Impfstoffen. Die Indikation zu elektiven (stationären) medizinischen Leistungen werden im Rahmen von Gutachtensaufträgen auf Basis des Asylbewerberleistungsgesetzes im Gesundheitsamt begutachtet.

Im Jahr 2023 war in Deutschland ein deutlich erhöhter Zustrom von Asylsuchenden spürbar, führende Herkunftsländer sind Syrien, Afghanistan und die Türkei [14]. Mit der Zunahme der Migration aus Tbc-Hochprävalenzländern kam es nach einem Anstieg 2014 bis 2016 in den vergangenen Jahren in Bayern wie in Deutschland zu einer stetigen Abnahme der absoluten Fallzahlen und der Inzidenz der Tuberkulose. 2022 zeigte sich wieder ein Anstieg im Vergleich zum Vorjahr, mit etwa gleichbleibenden Zahlen 2023 in Bayern und einem diskreten Anstieg im Bundesgebiet (Abbildung 3). Bayern liegt im bundesweiten Vergleich hinsichtlich der Inzidenz im Mittelfeld [15].



Abbildung 3: Inzidenz der Tuberkulose in Bayern (gemeldete Fälle pro 100.000)
Quelle: Robert Koch-Institut: SurvStat@RKI 2.0, https://survstat.rki.de, Abfragedatum: 29.12.2023.


Neben der Detektion von Fällen und der Überwachung einer konsequenten Therapie gilt der Medikamentenresistenz ein besonderes Augenmerk. In den vergangenen 20 Jahren war der Anteil der mindestens gegen ein Medikament der Standardtherapie resistenten Erreger relativ konstant um 10 Prozent. Der Anteil der MDR-Tuberkulose (multidrug-resistant tuberculosis: Resistenz mindestens gegen Isoniazid und Rifampicin) lag in Deutschland in den vergangenen Jahren bei 2 bis 3 Prozent, ist aber 2022 auf 5,7 Prozent gestiegen. Anlass zur Sorge gibt der deutliche höhere Anteil von multiresistenten Erregern vor allem bei Personen, die aus den so genannten Neuen Unabhängigen Staaten (NUS) der ehemaligen Sowjetunion stammen. Extensiv resistente Erreger (prä-XDR oder XDR – extensively drug-resistant Tuberculosis, mit Resistenzen auch gegen ein Fluorchinolon bzw. gegen Reservemedikamente) sind in Deutschland noch selten [15].

3. Neue Trinkwasserverordnung

Seit 24. Juni 2023 gilt eine neue Fassung der Trinkwasserverordnung mit veränderten Anforderungen für die Wasserversorger und die Gesundheitsämter. Das Betreiben einer Trinkwasserversorgungsanlage nach den allgemein anerkannten Regeln der Technik gewinnt dadurch weiter an Bedeutung. Innerhalb der nächsten Jahre sind die zentralen Versorger verpflichtet, dem Gesundheitsamt ein sogenanntes Risikomanagement vorzulegen. Darin sind neben umfangreichen Roh- und Trinkwasseranalysen, Aussagen zum Trinkwassergewinnungsgebiet, zu den baulichen Anlagen, zu den Aufbereitungs- und Desinfektionsmaßnahmen und zu den organisatorischen Regelungen des Betriebs zu treffen. Die fachliche Prüfung des Risikomanagements ist dabei den Gesundheitsämtern zugewiesen. Ebenso sollen die Gesundheitsämter anhand des Risikomanagements die Untersuchungspläne bewerten und genehmigen. Bisher sind für die Überwachung der Trinkwasserverordnung an den bayerischen Gesundheitsämtern meist nur Hygienekontrolleure sowie Ärztinnen und Ärzte eingesetzt, welche nur wenig oder keine technische Expertise haben. Außer am Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) werden derzeit in den Sachgebieten „Gesundheit“ der Bezirksregierungen Hygieneingenieure und -kontrolleure zur fachlichen Unterstützung der Gesundheitsämter eingestellt. Festzustellen ist, dass die fachlichen Anforderungen zur Überwachung und zum Vollzug der Trinkwasserverordnung an die Gesundheitsämter mit jeder Änderung zunehmen, deren personelle Ausstattung mit entsprechend qualifiziertem Personal jedoch dieser Entwicklung nicht mehr standhält.

Fallbeispiel

Im Rahmen einer routinemäßigen Untersuchung der chemischen Parameter, fiel bei einer Kleinanlage zur Eigenversorgung (c-Anlage) im ländlichen Bereich ein erhöhter Bleiwert auf. Blei ist bereits in sehr niedrigen Mengen gesundheitsgefährdend. Es beeinträchtigt unter anderem die Blutbildung und insbesondere die Entwicklung des Nervensystems von Ungeborenen, Säuglingen und Kleinkindern. Neben Akutmaßnahmen (Ursachensuche, Wasser ablaufen lassen, Nutzungseinschränkungen, Kontrolluntersuchungen) ist die entscheidende Maßnahme der Austausch bleihaltiger Leitungsteile. Seit den 1990er-Jahre wurde der durch die Trinkwasserverordnung festgelegte Grenzwert von zunächst 0,040 mg/l immer weiter abgesenkt, mit der neuen Trinkwasserverordnung ab 12. Januar 2028 auf 0,005 mg/l. Alte Bleileitungen müssen grundsätzlich bis zum 12. Januar 2026 ausgetauscht oder stillgelegt werden [16]. In Deutschland sind Wasserleitungen aus Blei allerdings nur noch in Einzelfällen ein Problem [17].

4. Reformierte Schuleingangs-untersuchung und aktuelle Herausforderungen im Kinder- und Jugendärztlichen Gesundheitsdienst (KJGD)

Die bisherige Schuleingangsuntersuchung fand im Alter von fünf bis sechs Jahren im Jahr vor dem Schulbeginn statt. Im Rahmen der sogenannten reformierten Schuleingangsuntersuchung (rSEU), die das Pilotprojekt „Gesundheits- und Entwicklungsscreening im Kindergartenalter“ (GESiK) fortsetzt, werden die Kinder in Bayern nun bereits im vorletzten Kindergartenjahr (im Alter zwischen vier und fünf Jahren) untersucht [18]. Die rSEU wird bereits an einzelnen Gesundheitsämtern durchgeführt und schrittweise an allen Gesundheitsämtern eingeführt. Sinn dieser Vorverlegung ist es, im Falle einer festgestellten verzögerten Entwicklung oder gesundheitlicher Beeinträchtigungen Förderung oder Therapie früher einleiten und Kinder so besser auf den Schulbesuch vorbereiten zu können. Die Untersuchung erfolgt durch geschulte Fachkräfte der Sozialmedizin und umfasst die Anamnese, Wiegen und Messen, die Überprüfung der dokumentierten U9 bzw. U8 (die Untersuchungen U1 bis U9 im Alter von null bis sechs Jahren umfassen zehn Untersuchungstermine. Bis zum 6. Lebensjahr wird das Kind somit regelmäßig untersucht und seine Entwicklung begleitet), sowie Grobmotorik-, Seh- und Hörtest, Sprach-, Sprech- und Visuomotorikscreening, Testung des Zahlen- und Mengenvorwissens und der visuellen Wahrnehmung. Außerdem erfolgt eine Erfassung des Impfstatus (Abbildung 4). Alle Kinder mit auffälligem Screeningbefund oder mit einer fehlenden letzten altersentsprechenden Vorsorgeuntersuchung, werden ärztlich vorgestellt. Die Teilnahme an der Schuleingangsuntersuchung ist verpflichtend (gemäß Art. 80 Bayerisches Gesetz über das Erziehungs- und Unterrichtswesen – BayEUG).


Abbildung 4: Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung erhobener Impfstatus in Bayern im Schuljahr 2020/2021.
Quelle: Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL): https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/praevention/impfen/jb22_impfstatus_einschulungskinder.htmw

Nachdem während der Hochphasen der Pandemie der KJGD sehr stark in das Pandemiemanagement eingebunden war, wird er sich in seinem originären integrativ ausgerichteten Aufgabengebiet in absehbarer Zeit zum Beispiel mit den Folgen vermehrten Medienkonsums, Bewegungsmangel, Fehlernährung und Adipositas sowie psychischen Störungen bei Kindern und Jugendlichen, allesamt auch im Gefolge der Pandemie, beschäftigen müssen [19, 20, 21]. Ferner müssen weiterhin Gesundheits- und psychosozialer Bedarf von Kindern und Jugendlichen sowie besonders vulnerabler Gruppen unter ihnen identifiziert werden, um Entwicklungsförderung und Gesundheitsschutz zielgruppenspezifisch weiterzuentwickeln [22].

5. Zweite Leichenschau

Eine sogenannte zweite Leichenschau ist, außer in Bayern, vor einer Feuerbestattung in allen Bundesländern vorgeschrieben. Eine Verordnung zur Änderung der bayerischen Bestattungsverordnung (BestVÄndV) wurde am 21. April 2022 erlassen. Ursprünglich sollte die BestVÄndV am 1. Juni 2022 in Kraft treten, dieser Termin wurde nun auf den 1. Juli 2024 verschoben. Unter anderem sehen die geänderten Vorschriften die Einführung einer zweiten Leichenschau vor Feuerbestattungen nun auch in Bayern vor [23]. Die Einführung der zweiten Leichenschau vor einer Überführung eines Leichnams ins Ausland soll in einem zweiten Schritt nach der Etablierung der Strukturen zur zweiten Leichenschau vor Feuerbestattungen erfolgen. Wie und in welchem Umfang diese zusätzliche Aufgabe von den Gesundheitsämtern erfüllt werden kann oder dies im Wege von Beauftragungen erfolgen muss, ist derzeit noch nicht abschließend geklärt. Derzeit werden interessierte Ärzte über eine bayernweite Ausschreibung für die Durchführung gesucht. Es werden noch zusätzliche Anstrengungen erforderlich sein, um tatsächlich die zweite Leichenschau zum 1. Juli 2024 flächendeckend und lückenlos durchführen zu können. Auch muss sich zeigen, ob der zu erwartende Organisations- und Verwaltungsaufwand in einem sinnvollen Verhältnis zum Nutzen der zweiten Leichenschau steht.

6. Digitalisierung der Gesundheitsämter

Die organisatorischen Herausforderungen der Coronapandemie machten die Schwächen der Gesundheitsverwaltung bei der Nutzung digitaler Anwendungen und in deren Ausstattung deutlich. Die Notwendigkeit einer grundlegenden Digitalisierung der Gesundheitsämter wurde daher im Pakt für den ÖGD festgeschrieben mit dem Ziel, Meldeverfahren zu beschleunigen und die Kommunikation untereinander zu erleichtern [24]. Zu Beginn der Fördermaßnahme mussten die Gesundheitsämter ihren digitalen Reifegrad bestimmen lassen, um den aktuellen Stand und die Defizite aufzuzeigen. Mittlerweile sind die Ämter dabei, ihre Digitalisierungsstrategie für den Zeitraum der Projektförderung auszuarbeiten. Dazu gehört insbesondere die akribische Darstellung der Arbeitsprozesse und die Bewertung ihrer Digitalisierungsfähigkeit. Dies stellt auf Grund geringer IT-Kenntnisse des Personals und fehlender IT-Fachkräfte auf dem Arbeitsmarkt unter Aufrechterhaltung des laufenden Betriebes eine Mammutaufgabe dar. Bestehende Software-Fachanwendungen müssen den neuen Anforderungen angepasst oder ausgetauscht werden. Es bleibt dabei zu hoffen, dass durch die Nutzung verschiedener Fachanwendungen ein Datenaustausch unter den Gesundheitsämtern und den übergeordneten Fachbehörden möglich sein wird, denn auf eine zentrale, einheitliche Lösung wurde verzichtet. Fraglich bleibt auch, wie der jetzt angestoßene Prozess weitergeführt wird, wenn die Förderprojekte auslaufen.

Neben der Erstellung und Umsetzung einer individuellen Digitalisierungsstrategie sollen die Gesundheitsämter mit den Akteuren des Gesundheitssystems über die Telematikinfrastruktur verbunden werden, um einen sicheren und schnellen Datenaustausch zur gewährleisten. Für eine Anbindung herrscht bei den Gesundheitsämtern noch Zurückhaltung, insbesondere da rechtliche und formale Aspekte der Nutzung der privaten elektronischen Heilberufsausweise der Amtsärzte für amtliche Zwecke noch nicht hinreichend geklärt sind.

7. Wissenschaftliche Ausrichtung des ÖGD und Errichtung eines neuen Präventionsinstituts

Der Beirat für den Pakt des ÖGD fordert in seinem Dritten Bericht unter anderem den Ausbau von Strukturen in Forschung und Lehre im ÖGD, vergleichbar mit dem kurativ-medizinischen Bereich, sowie Kooperationen zwischen dem ÖGD (insbesondere auf Ebene der Gesundheitsämter) und wissenschaftlichen Institutionen [25]. Eine wissenschaftliche Verankerung des ÖGD fordert auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen in seinem Gutachten zur Resilienz im Gesundheitswesen aus dem Jahr 2023 [26]. Es existieren bereits Kooperationen zwischen Robert Koch-Institut (RKI), Landesämtern und Universitäten. Auch in Großstadtgesundheitsämtern ist Forschung bereits seit längerem etabliert. In Bayern wird an einzelnen Gesundheitsämtern mit Anbindung an Universitäten aktiv geforscht (München, Landshut, Regensburg). Breiter könnte wissenschaftliches Arbeiten an Gesundheitsämtern künftig mittels entsprechender Verbünde zusammen mit wissenschaftlichen Institutionen aufgestellt werden. Ankerpunkte könnten Lehr- und Forschungsgesundheitsämter an Universitätsstandorten sein.

Zur Förderung wissenschaftlicher Arbeit und Schaffung empirisch basierter Handlungsgrundlagen (Leitlinien) werden auch die im April 2023 gegründeten wissenschaftlichen Fachgesellschaften beitragen. Die Deutsche Gesellschaft für Öffentliche Gesundheit und Bevölkerungsmedizin (DGÖGB) ist eine wissenschaftliche medizinische Fachgesellschaft, die Deutsche Gesellschaft für Öffentliches Gesundheitswesen (DGÖG) wurde aus dem Berufsverband (BVÖGD) ausgegründet und steht allen Berufsgruppen des ÖGD offen [27, 28, 29]. Im Schulterschluss mit anderen Fachgesellschaften muss sich die Bevölkerungsmedizin nun auch als medizinisches Fachgebiet innerhalb des humanmedizinischen Fächerkanons etablieren.  

Im Zuge einer Neuordnung der nachgeordneten Behörden des Bundegesundheitsministeriums soll das neue Bundesinstitut für Prävention und Aufklärung in der Medizin (BIPAM) unter anderem übergreifende Vernetzung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes sowie von Wissenschaft, Praxis, Politik und anderen relevanten Stakeholdern (zum Beispiel niedergelassene Ärzte, Bürger, Sozialverbände, Vereine etc.) ermöglichen [30]. Das RKI soll sich dagegen künftig auf Infektionskrankheiten fokussieren. Ausrichtung und Konzeption des neuen Instituts wurden kritisch kommentiert [31, 32]. Es bleibt abzuwarten, wie sich gerade die umfassenden und integrativen bevölkerungsmedizinischen Konzepte zuwiderlaufende Zweiteilung (RKI/BIPAM) auf die angestrebte Vernetzung im ÖGD und mit den Gesundheitsämtern auswirken wird.

Das Wichtigste in Kürze
» Das pandemische SARS-CoV-2 hat mittlerweile in Deutschland wie weltweit endemischen Status. Durch Mutation und Selektion neu gebildete Varianten zirkulieren dauerhaft in der Bevölkerung.

» Aktuell besteht nach Grundimmunisierung und einer Auffrischung für Personen ab 60 Jahren und bei speziellen Indikationen gemäß STIKO eine Impfempfehlung. Es soll vorzugsweise im Herbst geimpft werden.

» Vor Aufnahme in eine Gemeinschaftseinrichtung für Asylsuchende (Erstaufnahmeeinrichtung) muss eine offene Lungentuberkulose mittels Röntgenuntersuchung ausgeschlossen werden.

» Neben der Detektion von Fällen und der Überwachung einer konsequenten Therapie gilt bei der Tuberkulose der Medikamentenresistenz ein besonderes Augenmerk.

» Im Rahmen eines sogenannten Risikomanagements, das dem Gesundheitsamt vorgelegt werden muss, müssen die zentralen Wasserversorger neben umfangreichen Roh- und Trinkwasseranalysen Aussagen zum Trinkwassergewinnungsgebiet, zu den baulichen Anlagen, zu den Aufbereitungs- und Desinfektionsmaßnahmen und zu den organisatorischen Regelungen des Betriebs treffen.

» Ziel der reformierten Schuleingangsuntersuchung ist es, im Falle einer festgestellten verzögerten Entwicklung oder gesundheitlicher Beeinträchtigungen Förderungs- oder Therapiemaßnahmen früher einleiten und Kinder so besser auf den Schulbesuch vorbereiten zu können.

» Im Zuge der Digitalisierung der Gesundheitsämter erfolgt eine minutiöse Darstellung der Arbeitsprozesse und die Bewertung ihrer Digitalisierungsfähigkeit.

» Die neu gegründeten wissenschaftlichen Fachgesellschaften sollen wissenschaftliches Arbeiten vor allem an den Gesundheitsämtern fördern und empirisch basierte Handlungsgrundlagen (Leitlinien) für den ÖGD erarbeiten.

 

Wir danken MUDr. Jana Langguth für die kritische Durchsicht des Manuskripts und wertvolle inhaltliche Hinweise.

Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.


Autoren
Privatdozent Dr. Benedikt Lampl 1, 2
Dr. Bernhard Edenharter, MPH 1
1
Gesundheitsamt Regensburg, Landratsamt Regensburg, Altmühlstr. 3, 93059 Regensburg
2
Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Universität Regensburg, Universitätsklinikum Regensburg, Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg


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