Mister Prävention

Professor Dr. Marcel Romanos

Mitte August wurde Professor Dr. ­Marcel Romanos, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Universitätsklinikum Würzburg, vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit, Pflege und Prävention zum Sonderbeauftragten für Prävention für psychische ­Gesundheit und Sucht ernannt. Im Interview mit dem „Bayerischen Ärzteblatt“ spricht ­Romanos über seine ersten Monate im Amt und über seine wichtigsten Ziele.

Herr Professor Romanos, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Ernennung zum Sonderbeauftragten für Prävention für psychische Gesundheit und Sucht. Wie haben Sie die ersten Monate im Amt erlebt?

Ich habe viele interessierte Anfragen erhalten, die mir zeigen, dass Prävention als wichtige Aufgabe bei vielen im Bewusstsein angekommen ist. ­Besonders viele Fragen gab es zur Entkriminalisierung von Cannabis und den damit verbundenen Risiken für Kinder und Jugendliche.

Was sind Ihre Aufgaben als Sonderbeauftragter?

Meine Expertise als Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie sind ­zunächst die Diagnostik, Therapie, Rehabilitation sowie die Prävention psychischer Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen. Die Prävention halte ich für eine zentrale gesamtgesellschaftliche Zukunftsaufgabe, und wir haben mit der Gründung des Deutschen Zentrums für Präventionsforschung und Psychische Gesundheit in Würzburg eine interdisziplinäre Struktur geschaffen, die sich diesem Thema widmet. Das neue Amt heißt mit vollem Titel „Präventionsbeauftragter des Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege für psychische Gesundheit und Sucht“. Meine Expertise im Bereich Prävention bringe ich sehr gerne ein, um das Gesundheitsministerium zu fachlichen Fragen zu beraten, aber ich informiere auch die Öffentlichkeit zum Thema Prävention im Rahmen von Veranstaltungen, Podiumsdiskussionen oder Interviews.


Können Sie uns Ihre wichtigsten Ziele in Ihrem neuen Amt nennen? Und wo sehen Sie besondere Herausforderungen?

Die Ziele sind kurz gesagt: Qualität, Evidenz und Dissemination. Diese Ziele dienen dazu, die Häufigkeit von psychischen Störungen und ­ihrer Implikationen in der Bevölkerung über die Lebensspanne tatsächlich senken zu können. Die Herausforderungen, diese zu erreichen, sind erheblich.

Es gibt immens viele kleine und große Präventions­programme, die auf eine breite Palette von psychischen Erkrankungen abzielen. In diesem Zusammenhang sehe ich noch Optimierungsbedarf. Zum einen stellt sich die Frage der Wirksamkeit, denn nicht alle Programme sind bisher hinreichend wissenschaftlich evaluiert und können belegen, dass sie nachhaltig wirksame Effekte erzielen. Dazu muss man fairerweise sagen, dass es keineswegs einfach ist, diese Wirknachweise zu erbringen. Diese Studien sind aufwändig, dauern lange und sind teuer. Andererseits legen wir an Psychotherapie und Medikamente grundsätzlich andere Messlatten an, insofern sollten wir das auch bei der Prävention tun.

Die andere Frage ist, welches Programm wir für wen in welchem Setting zur Verfügung stellen wollen. Es gibt eine wahre Projektflut, und am Ende bleiben die Programme nicht nur ohne Evaluation, sondern oft auch regional begrenzt verfügbar oder verschwinden wieder. Diesen Flickenteppich anzugehen, erfordert nicht nur nachgewiesen effektive Programme, sondern auch die Infrastruktur, diese in die Fläche zu bringen und dauerhaft zu erhalten. Wir sprechen also über eine langfristige Daueraufgabe und nicht über kurzfristige Initiativen. Ich denke, dass es am Ende Programme geben muss, die wir dauerhaft in der Fläche implementieren, in Kindergärten, Kitas und Schulen. Andere Programme wiederum müssen bestimmte Risikogruppen erreichen, wie zum Beispiel Kinder psychisch kranker Eltern. Diese Aufgabe ist noch deutlich komplexer.

Auch die Prävention von Suchterkrankungen spielt bei diesen Überlegungen eine große Rolle. Ich habe mich mehrfach dazu geäußert, dass ich die Pläne der Bundesregierung zum kontrollierten Umgang mit Cannabis zu Genusszwecken für fahrlässig halte. Alle medizinischen Fach­gesellschaften im Kinderbereich haben mehrfach dazu Stellung genommen. Neben Suchtmitteln wie beispielsweise Cannabis dürfen aber auch Verhaltensweisen mit Abhängigkeitspotenzial nicht außer Acht gelassen werden. Nicht-stoffgebundene Suchterkrankungen, wie zum Beispiel Spielsucht, Internet- und Medienabhängigkeit, nehmen zu und sind noch nicht gut verstanden. Die Idee, hier frühzeitig Prävention anzubieten, um Kinder resilient zu machen, ist an sich gut, aber birgt auch Gefahren. Wir denken, dass wir daher in diesem Zusammenhang mehr Wissen über spezielle Risikokonstellationen brauchen und gezielt Hilfe anbieten müssen bei denen, die erste Probleme zeigen.

Um diese Ziele auch zu erreichen, brauchen wir einen Konsens, dass wir zukünftig viel stärker auf Qualität und Nachhaltigkeit im Bereich Prävention setzen. Mit dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) gibt es eine exzellente Public Health Struktur, die koordinativ in Bayern tätig ist und über deren Kooperation ich außerordentlich froh bin. Dabei müssen wir Prävention grundsätzlich national und international denken und die Entwicklungen aufgreifen und abstimmen.

Sie haben die Pläne der Bundesregierung zur teilweisen Freigabe von Cannabis zum privaten Gebrauch scharf kritisiert. Aus welchen Gründen sind Sie gegen eine Legalisierung gerade dieser Droge?

Die erheblichen Risiken für die körperliche, ­kognitiv-psychische und soziale Entwicklung, insbesondere von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sind wissenschaftlich klar belegt, werden aber trotz aller gegenläufigen ­Behauptungen ignoriert. Natürlich kann der Konsum von Cannabis auch zur Entstehung einer Abhängigkeit führen. Es besteht aber insbesondere ein erhöhtes Risiko für Angststörungen, Depression und Psychosen sowie weitere kognitive Einbußen.

Die Bundesregierung hatte sich mit den Legalisierungsplänen hohe Ziele gesteckt, unter anderem mehr Sicherheit für Konsumierende und besserer Jugendschutz. Das Ergebnis hat damit leider nichts mehr zu tun. Als klar wurde, dass selbst eine streng kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken – ähnlich einer Regulierung von Alkohol in nordeuropäischen Ländern – gegen völker- und europarechtliche Vorgaben verstößt, hätten die Pläne sofort eingestampft werden müssen. Die nun geplante Legalisierung wird zu einer massiven Zunahme der Verfügbarkeit und des Konsums von Cannabis führen, und damit auch bei Jugendlichen mit allen negativen ­gesundheitlichen Folgen verbunden sein.

Ich bin insbesondere entsetzt über die laufende Öffentlichkeitskampagne des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) („Legal, aber …“). Wenn dies etwas bewirken wird, dann allein eine weitere Verharmlosung und Zunahme des Konsums. Wir wissen, dass eine alleinige Psychoedukation über Drogen den Konsum steigern kann. Daher geht die Polizei auch schon lange nicht mehr mit Drogenkoffern in die Schulen. Diese Einsicht ist im BMG wohl noch nicht angekommen.

In Bayern sterben jährlich tausende Menschen an den Folgen von zu viel Alkohol, hunderttausende Personen gelten als alkoholabhängig. Wie kann die Alkoholprävention im Freistaat verbessert werden?

Die Alkoholprävention ist ein gutes Beispiel für den immens hohen Aufwand, der betrieben werden muss, um ein frei verfügbares Suchtmittel einzudämmen. Einerseits ist die Alkoholprävention ein Erfolgsmodell, da der Alkoholkonsum in Deutschland seit vielen Jahren kontinuierlich rückläufig ist. Andererseits ist die Zahl der an Alkoholismus erkrankten Personen weiterhin dramatisch, und der Status quo erlaubt kein Nachlassen. Um die bisherigen Erfolge zu erreichen, war ein Zusammenwirken auf vielen verschiedenen Ebenen nötig. Diese umfassen unter anderem Steuerpolitik, Altersbeschränkungen, Werbeeinschränkungen, medizinische Kampagnen, Implementierung von Frühinterventionen, Verbesserung der Versorgung und viel ehrenamtlicher Einsatz. Gerade im Kinder- und Jugendbereich ist die Einschränkung der Verfügbarkeit und des Zugangs zu Alkohol zentral, und hier könnten wir noch deutlich konsequenter werden. Positiv hingegen ist zu vermerken, dass bei jungen Menschen das Rauschtrinken rückläufig zu sein scheint, allerdings nicht so stark für junge Frauen wie für Männer. Insofern gilt es auch hier auf spezifische Risikokonstellationen zu achten.

Auch Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung lassen sich im Bierzelt oder bei anderen Gelegenheiten gerne beim Trinken einer Maß Bier ablichten. Schadet dieses Verhalten der Alkoholprävention?

Es ist Ausdruck des Dilemmas, wenn etwas legal und kulturell verankert, aber eben nicht gesund ist. Die Weltgesundheitsorganisation hat frühere Empfehlungen zum Alkohol revidiert und empfiehlt mittlerweile eine vollständige Abstinenz mit der Begründung, dass jede Menge als schädlich anzusehen ist. Als Hobbybierbrauer fällt mir diese Empfehlung zugegebenermaßen selbst außerordentlich schwer. Aber wichtig ist sie dennoch und unterstreicht unmissverständlich die Bedeutung der Alkoholprävention.

Gerade auch nicht-stoffliche Süchte, wie ­Handy-, Internet- oder Gaming-Sucht, sind aktuell bei Kindern und Jugendlichen verbreitet. Wie kann hier ein besserer Kinder- und Jugendschutz aussehen?

Die Aktualisierungen der Klassifikationssysteme ICD und DSM haben nun diese Formen von Suchterkrankungen besser operationalisiert, womit auch international die Forschung verbessert und vergleichbar gemacht wird. Aber im Alltag eines Kinder- und Jugendpsychiaters zeigt sich insbesondere, dass viele Eltern ­große Schwierigkeiten haben, erzieherisch gegen den hohen Druck anzukommen, den ihre Kinder auf sie ausüben, um mehr „Medienzeit“ oder „Computerzeit“ zu erhalten. Viele Eltern geben auch auf und können den Konsum ihrer Kinder schon im jungen Alter kaum mehr begrenzen. Je jünger die Kinder sind, umso wichtiger ist es, die pädagogischen Kompetenzen der Eltern zu stärken.

Aber auch die Kompetenzförderung bei den Kindern selbst ist ein Ansatz, zum Beispiel bei dem vom Gesundheitsministerium unterstützten Peer-Projekt „Net-Piloten – Durchklick mit Durchblick“, bei dem zu „Net-Piloten“ geschulte Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen 14 und 18 Jahren jüngere Mitschülerinnen und Mitschüler die Risiken der Computer­ und Internetnutzung näher­bringen. Ein weiteres Peer-basiertes Projekt ist „Netzgänger 3.0“, bei dem zu Multiplikatoren ausgebildete Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 9 und 10 Jüngeren im Alter zwischen zehn und zwölf Jahren Wissen sowie Handlungskompetenzen für einen risikoarmen reflektierten PC- und Internetgebrauch vermitteln. All diesen Projekten zu eigen ist, dass sie noch konsequent in randomisiert-kontrollierten Studien evaluiert werden müssen.

Wie stehen Sie zum Thema „Drogenkonsumräume“?

Hierzu muss ich anmerken, dass die Behandlung schwerer Abhängigkeitserkrankungen im ­Erwachsenenalter nicht meine Expertise ist, sondern ich mich effektiver einsetzen möchte für deren Prävention im Kindes- und Jugendalter. Nur wenige Jugendliche entwickeln so schwere Abhängigkeitserkrankungen in Bayern. Diese können sehr kompetent in Bayern in zwei spezialisierten Zentren am Heckscher Klinikum und am Josefinum in Augsburg versorgt werden.


Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Florian Wagle (BLÄK)

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