Klimawandelspezifische Erkrankungsbilder in der Kinder- und Jugendmedizin

Klimaspezifische Erkrankungen



Nach Angaben von UNICEF [1] sind 99 Prozent der Kinder weltweit mindestens einer Auswirkung des Klima­wandels ausgesetzt. Eine Milliarde Kinder weltweit gelten durch den Klimawandel als extrem stark ­gefährdet und alleine 2020 wurden zehn Millionen Kinder wegen ­extremer Wetterereignisse vertrieben.

Auch in Deutschland nehmen extreme Wetterereignisse zu. Neben Ereignissen wie der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal, hat sich die Zahl der heißen Tage (entspricht der Tage, mit einem Temperaturmaximum über 30 °C) seit 1950 verdreifacht [2].

Kinder sind aus verschiedenen Gründen durch den Klimawandel besonders gefährdet. Unter anderem sind sie aufgrund ihrer speziellen Physiologie schlechter in der Lage, mit Hitze umzugehen. Da sie sich häufiger und länger im Freien aufhalten sind sie Umwelteinflüssen, wie UV-Strahlung, Hitze und krankheitsübertragenden Vektoren, länger ausgesetzt. Und nicht zuletzt müssen sie aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung länger mit den Folgen des Klimawandels zurechtkommen und sind auch Umweltgiften kumulativ länger ausgesetzt.

In der UN Kinderrechtskonvention sind die Rechte von Kindern auf Überleben, Gesundheit, Wohlbefinden, Bildung und Ernährung verankert [3]. Ebenso werden diese Rechte in den Nachhaltigkeitszielen der UN betont [4]. Die Erreichung der oben genannten Ziele wird durch den Klimawandel und seine weitreichenden Auswirkungen gefährdet. Der Klimawandel droht, die Verletzlichkeit von Kindern und anderen gefährdeten Bevölkerungsgruppen zu verstärken und könnte den zukünftigen Fortschritt erheblich behindern und möglicherweise sogar die Verbesserungen, die in den vergangenen Jahrzehnten bei der Überlebensfähigkeit und dem Wohlergehen von Kindern erzielt wurden, rückgängig machen [1].
 
Die Auswirkungen auf Kinder lassen sich in direkte und indirekte Einflüsse unterteilen [5].

An direkten Einflüssen wären zu nennen:
  • Temperaturänderungen
  • Niederschläge und Überschwemmungen
  • Trockenheit und Feuer
Indirekte Einflüsse wären:
  • (Regional) neue Krankheitsvektoren und
  • Infektionskrankheiten
  • Luftverschmutzung und Aeroallergene
  • Auswirkungen auf die mentale Gesundheit
  • Auswirkungen auf die Lebensmittelversorgung und Mangelernährung
  • Sozioökonomische Auswirkungen, ­Migration, Ausbildung, Toxine
  • In-utero-Exposition zu oben genannten Faktoren

Exemplarisch soll hier auf einige der oben genannten Punkte eingegangen werden, deren Auswirkungen in unseren Breiten ­bereits jetzt zu spüren sind.

Hitzewellen

Am Beispiel von Hitzewellen können die Auswirkungen des Klimawandels auf Kinder gut illustriert werden. Kinder können unter anderem noch nicht so gut durch Schwitzen ihren Temperaturhaushalt regulieren. Insbesondere Babys und Kleinkinder können sich auch noch nicht selbst aus gefährlichen Situationen befreien. Als eindrücklichstes Beispiel seien hier im Auto „vergessene“ Kinder genannt, was immer wieder zu lebensbedrohlichen Situationen führt.

Zusammenfassend kann man festhalten, dass Kinder ganz besonders in ihrer Gesundheit durch Hitzewellen gefährdet sind [6].

Mehrere Studien zeigen eine erhöhte Mortalität bei Kindern, insbesondere bei Kleinkindern im Rahmen von Hitzewellen [7, 8]. Besonders deutlich wird dies in Arbeiten, die in Settings mit niedrigem bzw. mittlerem Einkommen durchgeführt wurden [9, 10, 11]. Die direkte Morbidität durch Hitzewellen wird verursacht durch Hitzschlag, Elektrolytverschiebungen, nierenassoziierte Erkrankungen und Atemwegs- sowie Infektionskrankheiten [12, 13, 14].
 
Erhöhungen der mittleren Temperatur dagegen sind mit einer höheren Prävalenz von pädiatrischen Nierensteinen und Kawasaki-Syndrom assoziiert. Bei Nierensteinen können Exsikkose oder Elektrolytverschiebungen eine Rolle spielen. Beim Kawasaki-Syndrom ist der Zusammenhang unklar.

Während Hitzewellen kommt es zu vermehrten Vorstellungen in den Notaufnahmen von Kindern [15], insbesondere von Kleinkindern [16] in Städten, wobei das Risiko zwischen und innerhalb der Länder unterschiedlich ist [17].

Asthma könnte die häufigste Ursache für hitze­wellenbedingte Atemwegserkrankungen sein [18, 19]. Hitzeperioden können auch zu einer Zunahme von unbeabsichtigten Verletzungen führen [20]. Die Kombination von sozioökonomischen und demografischen Faktoren mit räumlicher Modellierung kann gefährdete Orte für eine erhöhte hitzewellenbedingte Mortalität und Morbidität vorhersagen [21].

Starkregen und Flutkatastrophen

Am 14. und 15. Juli 2021 kam es nach einem Starkregen zur bisher teuersten und verheerendsten Flutkatastrophe in Deutschland. Im Ahrtal verloren 133 Menschen ihr Leben, 760 wurden verletzt [22].

Durch schnell einsetzende Stürme mit Stark­regen, insbesondere in Kombination mit zunehmender Versiegelung der Landschaft und erhöhte Strömungsgeschwindigkeiten durch die Begradigung von Flüssen, steigt das Risiko von Überflutungen mit einer direkten Mortalität und Morbidität, insbesondere der Kleinsten und Schwächsten durch Ertrinken und Verletzungen [23, 24].

Zusammenfassung

Obwohl hier nur auf zwei Teilaspekte des großen Themas „Auswirkungen von Klimawandel auf Kinder“ eingegangen werden kann, ist allein hier schon ersichtlich, dass die bereits stattfindenden, und noch viel mehr, die in naher Zukunft absehbaren, Veränderungen durch den Klimawandel Kinder in ihrer Gesundheit und Entwicklung ganz besonders gefährden.

Damit wird die besondere Aufgabe, die insbesondere Ärztinnen und Ärzten, aufgrund ihrer ­Garantenstellung und Sachkenntnis, zukommt klar. Idealerweise sollte das Ausmaß des Klimawandels begrenzt werden. Gesundheitspolitisch müssen an viele Stellen Ressourcen und Informationsmaterial bereitgestellt werden um die Auswirkungen des Klimawandels auf die junge Generation so gut wie möglich zu beherrschen.

Diese Ziele könnten am besten durch ein faktenbasiertes und zielorientiertes Zusammen­arbeiten von Ärzteschaft, Eltern und Politik erreicht werden.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.


Autor
Guido Judex

Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin,
Zentrum für Kinder- und Jugendgesundheit,
Dr.-Leo-Ritter-Str. 4, 93049 Regensburg

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