Klimawandel und Krankheitsbilder Innere Medizin – Pneumologie

Klimawandel und Krankheitsbilder

Ab dem 21. November 2016 sah auch mancher Skeptiker den Klimawandel mit ­anderen Augen: Es war auf der Südhalbkugel unserer Welt – in Melbourne, Aus­tralien – nach einem Temperatursturz mit Gewitter und Wirbelsturm zu einer katas­trophalen Zunahme von schweren Asthma-Anfällen gekommen. Innerhalb von 30 Stunden suchten 3.365 Menschen Notfallambulanzen auf. 476 Notfallaufnahmen, 35 Aufnahmen auf Intensivstationen und fünf Asthma-Todesfälle waren die traurige Bilanz. Dies entsprach einer asthma­bedingten Zunahme von Krankenhausaufnahmen um 992 Prozent! [1]. Solche Ereignisse treten aber nicht nur im fernen Australien auf, sondern auch in ­Europa, zuletzt im „kühlen Schweden“ [2].

Allgemein

Zu erwarten sind die Zunahme extremer Klima­ereignisse wie Hitzewellen, Kälteeinbrüche, ­Orkane, Starkregen und Hochwasser, eine Verschlechterung der Luftqualität infolge einer verstärkten Ausbreitung von Ozon, Partikeln und Pollen. Wir beobachten eine Änderung der Aero­allergenexposition [3, 4] sowie physikalische Einwirkungen von Hitze und Kälte auf Atmungsorgane und Gesamtorganismus. Als „Tor zur Umwelt“ sind die Lungen von diesen Ereignissen besonders betroffen. Einflüsse des Klimawandels sollen für Asthma, COPD sowie Infektionserkrankungen der Lungen dargestellt werden.

Asthma

Für das allergische Asthma ist die früher beginnende und später endende Pollenflugzeit ein Faktor, der zur Verschlechterung beiträgt.  Unter klimatischen Stressoren wie Ozon und Stickoxiden kann es zur Produktion veränderter, aggressiveren Pollens kommen. Für Birkenpollen ist ein höherer Anteil an dem Mayor-Allergen (Bet V1) und eine verstärkte Bildung von Pollenallergen-Lipidmediatoren (PALMS) nachgewiesen, die eine Rolle in der Induktion der IgE-Synthese haben [5]. Waldbrände tragen zur Belastung mit Feinstaub und Schadstoffen bei und können Asthma- und COPD-Exazerbationen, akute ­Bronchitiden sowie Pneumonien auslösen. Kinder im Alter bis zu fünf Jahren scheinen hier besonders vulnerabel zu sein [6].

Nach Überschwemmungen muss mit Schimmelpilzwachstum gerechnet werden, der vermehrten Freisetzung von Allergenen der Schimmelpilze, von Toxinen und „Volatile Organic Compounds“ (VOCS), die Asthma auslösen oder verschlimmern können. Im Ahrtal beispielsweise hates wochenlang nach Benzin und Diesel (= VOCS) gerochen.

Zu den neuangesiedelten Pflanzen, den Neophyten, zählt das stark allergene Ragweed (Ambrosia). Sonst in Westeuropa nur in der Nähe des Plattensees endemisch, hat sich dieser Neophyt mit einem hochaggressiven Pollen auch in Deutschland verbreitet.

Bei warmen und feuchten Innenräumen ist die Verbreitung von Küchenschaben, mit einem recht aggressiven Allergen, zu befürchten.

Thunderstorm-Asthma

Auslöser scheint das Zusammentreffen von starkem Pollenflug, plötzlicher hoher Luftfeuchte und Blitzschlag zu sein. Es kommt zum Platzen und Aufbrechen von Pollenkapseln mit Freisetzung von sehr kleinen Allergenpartikeln. Klimasimulationen schreiben dem Blitzschlag eine entscheidende Rolle an dem Ereignis zu. Besonders betroffen waren Menschen, die aus Indien bzw. Südostasien stammten, auch im Vergleich zu anderen Gruppen von Migranten. Ob es sich um eine genetische Disposition oder andere Ursachen handelt ist nicht geklärt, aber im Rahmen von Schulungsmaßnahmen ist auch in unserem Land an die Gruppe von Migranten zu denken. Patientinnen und Patienten mit einem nicht ausreichend kontrollierten Asthma und ausschließlicher Nutzung von ß-Agonisten waren überproportional bei den schweren Fällen zu finden [7].

Die neueste Publikation der Global Initiative for Asthma (GINA), 2022, sieht nicht nur aus diesem Grund die Notwendigkeit in der Asthma-Therapie sehr früh inhalative Corticoide einzusetzen. Auch bei leichten Fällen von Asthma ist eine alleinige Therapie mit kurz wirksamen ß-Adrenergika nicht mehr empfohlen [8]. Erfahrungsgemäß werden die nationalen Leitlinien dieser Empfehlung recht bald folgen. Frühzeitige Anwendung von inhalativen Corticoiden in fixen Kombinationspräparaten mit Formoterol oder getrennte sofortige Gabe eines inhalativen Corticoids direkt nach Inhalation eines kurzwirksamen ß-Agonisten würde in der Situation vielen Asthma-Patienten helfen. Bester Schutz vor einem schweren Asthmaanfall im Rahmen eines extremen Klimaereignisses ist eine gute Basistherapie mit topischen Steroiden, gegebenenfalls langwirksamen Bronchodilatatoren, Erreichen der Asthmakontrolle und Vermeiden einer Monotherapie mit ß-Agonisten.

Thunderstorm-Asthma scheint an eine spezielle Unwetterkonstellation mit Blitzgewitter und starkem Pollenflug geknüpft zu sein. Vorstellbar ist, dass dies auch hier in blitzgefährdeten ­Regionen auftritt. In der Pollenflugzeit Gewitterwarnungen beachten!

COPD

Für COPD-Patienten sind Exazerbationen gefährliche Ereignisse, die zu bleibendem Verlust an Lungenfunktion und zur Verschlechterung der Prognose beitragen können. Extreme Klimaereignisse können COPD-Exazerbationen auslösen. ­Kältereiz, Feinstaub, chemische Irritantien wie Rauch, Stickoxid und Ozon können zur Verschlechterung beitragen [3]. COPD-Exazerbatio­nen treten bei hohen Temperaturen vermehrt auf [9]. Der Hitzereiz allein kann gerade bei ateminsuffizienten und/oder herzinsuffizienten Patienten zur cardio-pulmonalen Dekompensation führen, wenn das cardio-respiratorische System die Mehrlast zur Erhaltung der Körpertemperatur nicht schafft. Es resultiert eine gesteigerte Mortalität bei Hitzewellen [10]. Viele Senioren haben Wohnsituationen gerade in den Innenstädten, die im Sommer sehr hoch thermisch belastet sind. Diese Menschen könnten von Abkühlungsräumen in den Innenstädten profitieren, von Schattenplätzen mit Bäumen und unversiegelten Böden im Innenstadtbereich. Medizinisch gilt es auch hier gerade diese Erkrankten vorzubereiten: Es sollte bei Patienten mit einer respiratorischen Insuffizienz rechtzeitig an die Vorstellung zur Prüfung einer nicht invasiven Masken-Heim­beatmung (NIV) gedacht werden.

COPD-Patienten sind häufig betagt und leiden unter Co-Morbiditäten, insbesondere unter Diabetes. In kritischen Hitzeperioden sind sie unabhängig von der COPD von Exsikkose bedroht. Es ist auch für COPD-Patienten wichtig zu wissen, dass sie in Hitzeperioden reichlich trinken müssen. Beim Krankenhausbau sollte an Kühlsysteme, besonders an Wandkühlungen gedacht werden [11].
Ärzte und Pflegeberufe sollten das Warnsystem des Deutschen Wetterdienstes kennen, Hitzewarnungen werden automatisch über das Smartphone gemeldet [12].

Pneumonie

70 Prozent der Pneumonie-Todesfälle weltweit ereignen sich in den ärmeren Ländern. Auf der Rangliste der Länder mit den höchsten Pneumonie-Todesraten steht Tansania auf dem achten Platz. Das ist Grund zur Forschung und eine sehr gut ausgearbeitete Studie kommt tatsächlich aus Tansania. Hier hätte man eine Häufung von Pneumonien bei unerträglich heißem Wetter erwartet – die Studie zeigt aber eine Häufung von Pneumonien in den dort frostfreien, nasskalten Wintermonaten [13]. Auf einem anderen Kontinent zeigt eine Studie aus Hongkong ebenfalls eine gesteigerte Häufigkeit und Schwere von COPD-Exazerbationen und Pneumonien in den nasskalten Wintermonaten [14]. Inzwischen sind in Deutschland die Winter durch den Klimawandel nasskalt. Es wäre interessant, durch das bestehende, die „Community Aquired Pneumonia“ beobachtende „CAP-Netz“, die Pneumonie­häufigkeit zu erfassen. Sicherlich sehen auch wir diese eher in der nasskalten Jahreszeit.

Klassische Tuberkulose der Lungen

Verlässliche Aussagen sind kaum möglich: zu sehr wird die Inzidenz dieser Erkrankung durch Migrationsdaten beeinflusst. Klimawandel und daraus folgende Dürre haben jedoch Migrationsbewegungen ausgelöst, sodass sich doch noch der Kreis von Klimawandel und Tuberkulose-Inzidenz schließt. Momentan sehen wir viele TBC-Patienten aus Ostafrika.

Klimawandel, Pest und Corona?

In den schlimmsten Zeiten der COVID-19-Pandemie mögen viele Parallelen zu Albert Camus „Die Pest“ gefunden haben. „Pest und Corona“ ist ein flotter Titel eines von universitären Wissenschaftlern verfassten populärwissenschaftlichen Buches [15]. Der Gedanke einer Parallele der meist zu historischen Warmzeiten aufgetretenen Pestepidemien konfrontiert uns mit der bangen Frage, ob sich diese Plage wiederholen kann. Tatsächlich wird eine Zunahme des natürlichen Reservoirs – bestimmte Nagetiere – für den Erreger, Yersinia pestis, im Südwesten der USA berichtet.  Ein Überspringen auf den Menschen wäre beim plötzlichen Absterben einer zuvor stärker gewachsenen Population von als Wirt dienenden Nagetieren möglich, in Europa besteht dieses Reservoir nicht.

Mittelbare Folgen von Klimawandel auf pneumologische Krankheiten: Technikabhängige Patienten

Durch extreme Klimaereignisse sind plötzliche Stromnetzausfälle möglich. Die Notwendigkeit einer maschinellen Beatmung, invasiv oder nicht-invasiv, ist wie die Notwendigkeit einer Sauerstofflangzeittherapie mit elektrischen Konzentratoren abhängig von der Sicherstellung der Stromversorgung. In den örtlichen Katastrophen­schutzplänen sollte bei Stromausfall an die technikabhängigen Menschen (und auch an Tiere in Großstallungen) gedacht werden. Diese Pläne sollten den Betroffenen vorher bekannt sein, bei Stromausfall ist mit dem Ausfall der Telefon- und Handynetze und des Internets zu rechnen.

Mitwirkung von Ärztinnen und Ärzten bei regionalen und überregionalen Planungen

Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen ermutigen, in ihren Kommunen und Regionen an lokalen Hitzeschutz- und Notfallplänen, aber auch der langfristigen Planung, etwa der Bayerischen Klima-Anpassungsstrategie [16], mitzuwirken. Meine Erfahrung ist, dass gerade das Wort von nicht parteipolitisch gebundenen Ärzten gerne gehört wird.

Nachbarschaftsinitiative verstärken!

In Zeiten von extremen Klimaereignissen werden die Systeme der medizinischen Versorgung kaum in der Lage sein, einen Massenanfall von Hitze- oder Kälteerkrankten zu versorgen. Umso wichtiger ist es, gerade nach älteren, gebrechlichen und hilfsbedürftigen Menschen in der Nachbarschaft zu schauen. Wird genug getrunken? Ist für ­Speise und Hygiene gesorgt? Braucht der Mitmensch Trost, ein gutes Wort? Das gilt besonders für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nicht zuletzt auch für uns selbst [17].

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Autor


Dr. Mathias Rolke

Facharzt für Innere Medizin,  63739 Aschaffenburg

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