Kardiologie in Ostafrika

Kardiologie in Ostafrika

Erfahrungsbericht aus einer Universitätsklinik im Norden Äthiopiens

Semere H. ist 73 Jahre und lebt in Mek’ele, der drittgrößten Stadt Äthiopiens, wo er zuletzt als Lehrer tätig war. Er stellt sich in der Ambulanz des Ayder Referral Hospitals vor, einem Krankenhaus mit 500 Betten, welches gleichzeitig als Ausbildungsstätte für die Medizinstudenten der Mek’ele University fungiert. In fließendem Englisch berichtet er über seine belastungsabhängigen Brustschmerzen und Atemnot. Dr. Hagazy T., einer der drei Ärzte, die von Mitarbeitern der deutschen Hilfsorganisation Etiopia-Witten e. V. zu Kardiologen ausgebildet wurden, führt die Diagnostik mittels Herzultraschall durch. Dabei erhärtet sich der klinische Verdacht auf eine koronare Herzerkrankung. Hagazy bietet dem Patienten zur weiteren Abklärung eine Linksherzkatheteruntersuchung an. Da es in dem zweitgrößten Land in Subsahara-Afrika kein Krankenversichungssystem gibt, muss Semere H.den Betrag von umgerechnet 500 Euro im Vorfeld aus eigener Tasche selbst finanzieren. Als Lehrer hat er zuletzt 180 Euro monatlich verdient. Hagazy und seine beiden Kollegen führen solche Herzkatheteruntersuchungen in Mek’ele seit wenigen Jahren selbstständig durch. In ganz Äthiopien mit seinen über 100 Millionen Einwohnern ist dies nur an drei Krankenhäusern möglich. Mehrere Kardiologen aus Deutschland sind als Mitarbeiter für die Organisation Etiopia-Witten e. V. in regelmäßigen Intervallen vor Ort und supervidieren die Prozeduren oder geben aktive Hilfestellung bei komplexen Befunden (Abbildung 1). Das war keineswegs immer so.

Abbildung 1:  Diagnostische Herzkatheteruntersuchung im Ayder Hospital/Mek’ele in Nordäthiopien durch den von uns ausgebildeten Kardiologen Dr. Hagazy (Bildmitte Autor Dr. Norbert Scheffold, Memmingen, links Dr. Jürgen Stumpf, Dresden).

Noch vor 2013 gab es am Ayder Hospital keine eigenständige, kardiologische Fachabteilung. Auf Initiative der Organisation Etiopia-Witten e. V. wurde mit großem Engagement der Mitarbeiter aber auch der örtlichen Krankenhausverwaltung und den afrikanischen Ärzten über viele Jahre eine funktionierende kardiologische Diagnostik­abteilung mit Ergometrie, Echokardiografie und einem modernen Herzkatheterlabor sowie seit Kurzem sogar ein Kardio-MRT installiert. Die fachliche Expertise zur Durchführung und Auswertung dieser neuen Untersuchungstechniken haben die äthiopischen Ärzte durch jahrelange Schulungen durch die Fachärzte von Etiopia Witten e. V. als auch durch Hospitationen im Ausland erworben. Hagazy diagnostiziert bei dem Patienten eine schwere koronare Dreigefäßerkrankung. Leider überforderte die Komplexität des Befundes die derzeitige technische und materielle Kapazität des Herzkatheterlabors, sodass eine Sanierung mittels Kathetertechnik in diesem Fall nicht möglich erschien. Weniger komplizierte Befunde können von den drei ausgebildeten Kardiologen jedoch zwischenzeitlich selbstständig mittels Angioplastie und Stent­implantationen behandelt werden. Letztlich wird dem Patienten eine maximale medikamentöse Therapie empfohlen.

Nicht übertragbare Krankheiten

Während zahlreiche internationale Hilfsprogramme über die vergangenen Jahrzehnte große Fortschritte bei den Armut-assoziierten Erkrankungen wie Malaria, HIV, Tuberkulose und Durchfallerkrankungen in vielen Ländern in Subsahara-Afrika erzielt haben, ist eine neue Epidemie der sogenannten nicht übertragbaren Erkrankungen (Non Communicable Diseases, NCDs) stark auf dem Vormarsch [5]. Hierzu zählen in erster Linie kardiovaskuläre und pulmonale Erkrankungen. Während fast 40 Millionen Menschen jährlich weltweit an NCDs versterben, entfallen davon dreiviertel auf Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen. In Kenia wird beispielsweise jeder vierte Todesfall durch eine NCD verursacht. Zudem leiden Menschen südlich der Sahara immer häufiger an den klassischen kardiovaskulären Risikofaktoren wie arterielle Hypertonie, Diabetes mellitus, Adipositas oder Fettstoffwechselstörungen. Grund hierfür sind vor allem Änderung von Lebensstil und Ernährungsgewohnheiten.
Eine in Europa nahezu gänzlich ­verschwundene, in der Subsahara aber noch außerordentlich weit verbreitete Herzklappenerkrankung mit einer Prävalenz von bis zu 800 Erkrankungen auf 100.000 Einwohner ist das rheumatische Fieber [2, 6]. Während des Aufenthaltes im Frühjahr diesen Jahres stellten sich täglich mehrere Patienten mit entsprechenden Befunden im Echolabor vor. So auch die siebenjährige Denayt. Seit mehreren Monaten klagt sie über schwere Belastungsdyspnoe und Beinödeme. Echokardiografisch bestätigt sich eine hochgradige rheumatische Mitralklappenstenose (Abbildung 2 a) und eine deutliche pulmonale Hypertonie. Wenige Tage später führen die einheimischen Kardiologen unter Anleitung erfolgreich eine perkutane Mitralvalvuloplastie bei dem Mädchen durch (Abbildung 2 b). Die Ursache dieser verbreiteten Herzklappenerkrankung bei den meist jungen Patienten ist eine bakterielle Streptokokken-Infektion des Rachenraumes. In der Folge kann sich mit einer Latenz von ca. drei Wochen eine Pankarditis entwickeln, die zu der destruierenden Herzklappen-Erkrankung, bevorzugt der Mitral- und Aortenklappe, führt [2]. Nicht selten entstehen schwere Funktionsstörungen, die in einer terminalen Herzinsuffizienz münden. Eine eigene Projektgruppe unserer Hilfsorganisation hat zum Ziel, die hohe Prävalenz des rheumatischen Fiebers in Äthiopien zu senken: neben der Aufklärung über das Krankheitsbild kommt der frühzeitigen Behandlung der Pharyngitis mit Penicillin die entscheidende Bedeutung zu.

Auch bei der 32-jährigen Denayt A. musste vor sechs Jahren die Mitralklappe nach einem rheumatischen Fieber operativ im Südsudan ersetzt werden. Seitdem ist die Patientin oral mit Coumadin antikoaguliert. Aufgrund einer seit Monaten zunehmenden Belastungsdyspnoe wird im Ayder Hospital eine Echokardiografie durchgeführt. Hier zeigt sich ein pathologisch erhöhter Druckgradient über der Mitralklappenprothese. Bei der Durchleuchtung der ­Herzklappenprothese im Katheterlabor durch Dr. Abraha H. zeigt sich, dass ein Segel der Doppelflügelklappe aufgrund einer Klappenthrombose fixiert ist. Die Ursache hierfür liegt in der schwierigen Durchführbarkeit einer effizienten Langzeittherapie mit blutverdünnenden Medikamenten in Entwicklungs- bzw. Schwellenländern wie Äthiopien. Zusammen mit den drei äthiopischen Kardiologen diskutieren wir die Möglichkeit einer Thrombolysetherapie. Allerdings sind diese teuren Thrombolytika in Ostafrika auch in größeren Kliniken nicht vorrätig. Über eine italienische Hilfsorganisation kann eine Woche später Urokinase organisiert werden. Nach einer 24-stündigen Lysetherapie war bei der Patientin wieder eine normale Prothesenfunktion nachweisbar.


Die Problematik einer konsequent durchzuführenden medikamentösen Therapie in Subsahara-Afrika zeigt auch der nachfolgende Fall: Eine 70-jährige Frau wird wegen einer dekompensierten Herzinsuffizienz auf die Intensivstation aufgenommen. Ein permanentes Vorhofflimmern ist vorbekannt. Bei der körperlichen Untersuchung findet sich bei der Patientin eine Schwarzfärbung der gesamten linken Hand (Abbildung 3) im Sinne einer trockenen Gangrän als Folge einer kardialen Embolie bei Vorhofflimmern. Zwar ist Coumadin zur oralen Antikoagulation in Ostafrika prinzipiell verfügbar, allerdings wird eine solche Langzeittherapie nur bei einem Bruchteil der Patienten mit Vorhofflimmern tatsächlich umgesetzt. Zudem stellt ein konsequentes Gerinnungsmonitoring mit regelmäßigen Laborkontrollen die Landbevölkerung vor große  Probleme. Ob hier die einfacher handhabbaren neuen Antikoagulantien künftig zu einer Verbesserung führen, müssen Studien vor Ort zeigen (zum Beispiel Invictus Trial: Rivaroxaban bei Vorhofflimmern nach rheumatischem Fieber. Das Ayder Referral Hospital ist ein Studienzentrum).

Abbildung 3: Trockene Gangrän der linken Hand als Folge einer kardialen Embolie bei permanentem Vorhofflimmern. Die 70-jährige Patientin war nicht antikoaguliert.

Alle geschilderten Fallberichte während des Aufenthaltes am Ayder Hospital in Mek’ele unterstreichen exemplarisch die Bedeutung kardiovaskulärer Erkrankungen als zwischenzeitlich häufigste Todesursache bei den über 30-jährigen in Subsahara-Afrika [1, 3, 4]. Trotzdem existiert in den meisten Krankenhäusern der Region keine adäquate personelle wie auch apparative Infrastruktur zur Behandlung dieser Erkrankungen. Sogar das Schreiben eines 12-Kanal-EKGs ist selbst in größeren Krankenhäusern keine Selbstverständlichkeit.

Etiopia-Witten e. V.

Die humanitäre Hilfsorganisation Etiopia-Witten e. V., gegründet 2009 von dem Wittener Internisten Ahmedin Idris bemüht sich seit über zehn Jahren um eine Verbesserung des Gesundheitssystems in Äthiopien. Auf Initiative des Vereins wird seit 2013 eine kardiologische Fachabteilung am Ayder Referral Hospital in Mek’ele am Horn von Afrika erfolgreich etabliert. Aufgrund unserer Erfahrung favorisieren wir nicht die Hilfestellung in Form eines periodisch aktiven Expertenteams vor Ort, sondern setzen auf ein möglichst weitsichtiges Vorgehen. Im Fokus steht dabei eine Kombination aus regelmäßiger theoretischer und praktischer Ausbildung durch deutsche Fachärzte vor Ort sowie die Hospitation der afrikanischen Kollegen in großen kardiologischen Zentren im internationalen Ausland. Die Nachhaltigkeit des Konzeptes wurde mir (Dr. Scheffold) während meines Aufenthaltes im März diesen Jahres an einer kleinen Beobachtung vor Augen geführt: während wir im Jahre 2013 erstmals begannen, vier internistische Fachärzte in der Echokardiografie auszubilden, schulen diese „frischgebackenen“ Kardiologen heute ihrerseits junge Assistenzärzte in der Ultraschalldiagnostik des Herzens. Was will man mehr!

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Autoren:

Dr. Norbert Scheffold 1
Assistant Professor Samuel Berhane MD 2

1 Ehrenamtlicher Mitarbeiter der NGO Etiopia-Witten e. V. (www.etiopia-witten.de)
Klinikum Memmingen, Medizinische Klinik I,Bismarckstr. 23, 87700 Memmingen,
E-Mail: Norbert.Scheffold(at)Klinikum-Memmingen.de

2 Cardiology Department,
Ayder Referral Hospital, Mek’ele University, Mek’ele/Ethiopia

 

 

 

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