Infektionsketten und Corona-App

Dr. Wolfgang Rechl, 2. Vizepräsident der BLÄK

Vier wichtige deutsche Forschungsorganisatoren, die Fraunhofer-­Gesellschaft, die Helmholtz-Gemeinschaft, die Leibniz-Gemeinschaft und die Max-Planck-Gesellschaft, haben sich zusammengeschlossen und aufgrund der Datenlage Anfang Mai eine gemeinsame Strategie zur effektiven Eindämmung der COVID-19-Pandemie erarbeitet. Diese sieht zwei Phasen vor: Infektionen weiter durch Kontaktbeschränkungen reduzieren und später die bestehenden Einschränkungen durch andere Maßnahmen ersetzen. Wesentlicher Bestandteil dieser Strategie ist eine effektive Kontaktnachverfolgung, um Infektionsketten aufdecken zu können.

Zur Kontaktnachverfolgung wurden bis jetzt die erkrankten Personen interviewt und es wurde versucht, festzustellen, mit welchen Personen ein eventuell infizierender Kontakt möglich gewesen ­wäre. Es wird sich in den wenigsten Fällen lückenlos eruieren lassen, mit wem ein Infizierter in den vergangenen Tagen Kontakt hatte. Deshalb verwundert es nicht, dass schnell der Ruf nach einer digitalen Lösung aufkam. Mit einer ­Lockerung der allgemeinen Kontaktbeschränkungen riskiert man zwar mehr Ansteckungen, mit Hilfe digitaler Techniken ­sollen aber gleichzeitig die Infektionsketten präzise zurückverfolgt werden können. Mit den so gewonnenen Daten könnten nicht nur potenziell gefährdete Personen lokalisiert und getestet werden, die Daten würden auch einen Überblick über die Pandemielage geben.

Funktionsweise der App

Die Bundesregierung hat das Robert Koch-Institut (RKI) beauftragt, eine Tracing-App, also quasi einen digitalen Spürhund für Infektionsketten, zu entwickeln. Die App soll über die Bluetooth-Funkfunktion von Smartphones erfassen, welche Nutzer sich in einem epidemiologisch relevanten Abstand länger begegnet sind. Allerdings wird sich erst in der Praxis zeigen, wie gut die Abstandsmessung mit der Bluetooth-Technik funktioniert. Eine wichtige Voraussetzung für das Gelingen dieser digitalen Nachverfolgung ist eine möglichst hohe Beteiligung in der Bevölkerung. Nach Schätzungen von Experten müssten mindestens 60 Prozent der Bevölkerung die App nutzen, damit die Infektionsketten effektiv unterbrochen werden können. Besser wäre noch eine Beteiligung von 70 bis 75 Prozent. Im Idealfall gibt ein COVID-19-Erkrankter in seiner App ein, dass er positiv getestet wurde. Die Infektionsmeldung muss von den Gesundheitsbehörden bestätigt werden, damit kein Missbrauch der App für Fehlalarme möglich ist. Die relevanten Kontakte werden dann automatisch über die App informiert. Es bleibt aber jedem selbst überlassen, welche Schritte er oder sie dann in die Wege leitet und sich zum Beispiel in häusliche Quarantäne begibt oder sich testen lässt.

Datenschutz und Freiwilligkeit

Für die Akzeptanz und aus Datenschutzgründen ist es wichtig, dass die Daten nur dezentral und anonymisiert auf den Smartphones gespeichert werden. Die App speichert keine persönlichen Daten, sondern basiert auf zufällig generierten, pseudonymen Identifikationsnummern. Das soll die Privatsphäre schützen und möglichst weitreichende Anonymität gewährleisten. Die Nutzung der App muss freiwillig erfolgen. Der Landkreistag hat jedoch bereits gefordert, alle Daten der App den lokalen Gesundheitsämtern zur Verfügung zu stellen, auch die Namen der beteiligten Personen und die Orte der Begegnung. Das wäre aber nur bei einer zentralen Speicherung der Daten möglich, was die Bundesregierung nach längerer Diskussion abgelehnt hat. Bei einer zu geringen freiwilligen Nutzung der App könnten die Rufe nach einer Pflichtnutzung beziehungsweise auch zentralen Datenspeicherung wieder aufkommen. Auch gibt es schon Überlegungen, die Nutzer der App zu belohnen, zum Beispiel durch erweiterte Zugangsberechtigungen zu öffentlichen Parkanlagen.

Fazit

Eine Tracing-App ist eine gute Unterstützung für die notwendige Nachverfolgung von Infektionsketten, wenn sie technisch funktioniert und die Mindestteilnehmerzahl erreicht wird. Erst dann kann die Tracing-App auch die gewünschte Wirkung zeigen. Wobei auch schon eine geringere Teilnehmerzahl helfen würde, da die Nachverfolgung von Kontakten dadurch erleichtert wird. Wenn durch die App potenziell Infizierte schnell identifiziert und getestet werden können, hilft das, die Kontaktbeschränkungen schneller zu lockern und auch in den Arztpraxen wieder für mehr „Normalität“ zu sorgen. Jetzt kommt es noch auf das Tempo an. Je schneller die App eingesetzt werden kann, umso besser kann die gewünschte Kontaktnachverfolgung durchgeführt werden. Die App ist sicher kein Allheilmittel, sie kann nur ein Baustein in der Pandemiebekämpfung sein. Wenn sich mit der App die Auswirkungen der Pandemie einbremsen lassen, dürfte auch die notwendige Akzeptanz in der Bevölkerung erreichbar sein. Die schnelle Durchdringung Deutschlands mit Mund-Nasen-Schutzmasken zeigt, dass das möglich wäre. Das zu langsame Tempo der Digitalisierung in der Medizin wird seit Jahren kritisch diskutiert, eine effiziente Anti-Corona-App wäre ein Zeichen für einen sinnvollen Einsatz der Digitalisierung zum Schutz von Leben und Gesundheit. Um die notwendige Akzeptanz und Beteiligung in der Bevölkerung zu erreichen braucht es auch die Unterstützung von uns Ärztinnen und Ärzten. Nur wenn wir mithelfen und unseren Patientinnen und Patienten die Nutzung der Tracing-App empfehlen, kann die notwendige Mindestbeteiligung erreicht werden.

 

 

 

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