Hitzeschutz in der Arztpraxis

Hitzeschutz in der Arztpraxis

Klimawandel, Temperaturanstieg und Hitzeschutz sind auch für Ärztinnen und Ärzte keine Fremdworte mehr. Sie betreffen uns auf privater Ebene, insbesondere, aber nicht nur, wenn wir Kinder und deswegen auch einen besonderen Blick auf die Zukunft haben. Wir sollten aber auch im beruflichen Bereich den Blick für die anstehenden Veränderungen schärfen, weil es im Kontext der Hitzethematik ­anspruchsvoller wird unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Patientinnen und Patienten zu schützen und bestmöglich zu versorgen.

Der Klimawandel wird vielfältige Auswirkungen auf unsere Gesundheit haben: es wird zu mehr Unfällen und Belastungen durch Überschwemmungen, Stürme oder andere Naturereignisse kommen. Die Allergien werden durch mehr Pollenflug zunehmen und Infektionskrankheiten durch wärmeliebende Erreger oder entsprechende Vektoren werden in den Praxen vermehrt auftreten. Auch die Anzahl der Hautkrebserkrankungen durch zunehmende UV-Strahlung wird möglicherweise ansteigen.

Für uns in den Praxen sind aber insbesondere die hitzebedingten Erkrankungen relevant, da sie uns in der Versorgung unmittelbar betreffen und vor allem auch klar sichtbare und spürbare Auswirkungen auf Patienten haben.

Bis zum Jahr 2100 wird sich in Süddeutschland die Temperatur deutlich nach oben entwickeln. So ist ein Anstieg der sogenannten Sommertage um elf bis 24 Tage pro Jahr ebenso zu erwarten wie ein Anstieg der sogenannten Tropennächte um neun pro Jahr. In diesen fallen die Temperaturen auch nachts nie in einen kühlen oder ­regenerationsfähigen Bereich. Hitzewellen können nach diesen Prognosen bis zu 30 Mal häufiger im Jahr auftreten. In der Stadt München wird die jährliche Durchschnittstemperatur von jetzt etwa 10,5 Grad etwa bis auf 13,5 Grad ansteigen.

Die Bedeutung für die Gesundheitsberufe ist klar erkennbar, da wir auch durch den demografischen Wandel mehr Menschen zu versorgen haben und es sicherlich zu mehr Krankheitseinweisungen durch Exsikkose kommen wird. Eine weitere Zunahme von Exsikkosen im Zusammenhang mit anderen Diagnosen ist ebenfalls denkbar. Der besondere Versorgungsauftrag besteht hier in der Beobachtung der Patienten, darin Risiken und Probleme vorausschauend zu erkennen, aber auch darin Maßnahmen zu planen, einzuleiten, durchzuführen und anschließend zu evaluieren.

Die klassischen hitzeassoziierten Gesundheitsprobleme in der Sprechstunde können neben der oben genannten Exsikkose auch der Hitzekollaps, die Hitzeerschöpfung aber auch Hitzschlag, Sonnenstich, Hitzekrampf und hitzebedingte Ausschläge sein.

Zu den besonderen Risikogruppen bei den Patienten gehören grundsätzlich alle Menschen über 70 Jahre ebenso wie Kinder oder Menschen, die akut erkrankt sind und infolgedessen eine veränderte Thermoregulation aufweisen. Aber auch Betroffene mit chronischen Erkrankungen sind gegebenenfalls mehr gefährdet. Wenn jemand mehrere Medikamente einnimmt, ist ein genaueres Monitoring ebenso notwendig wie bei Pflegebedürftigkeit, Bettlägerigkeit oder dauerhaftem Leben in einem Seniorenpflegeheim.

Weitere Risikogruppen sind spezifisch Patienten mit endokrinologischen Erkrankungen, zum Beispiel Diabetes mellitus, aber auch psychischen Erkrankungen, neurologischen Erkrankungen, Herz-Lungen-Erkrankungen, Nieren- und Blasenerkrankungen und mit ausgeprägter Adipositas. Die Gründe hierfür sind vielfältig, liegen teilweise in der veränderten Durchblutung der Haut aber auch in reduzierter Beweglichkeit oder einem generellen Risiko für eine Verschlechterung der bestehenden Vorerkrankung oder der Nierenfunktionsstörung.

Eine wichtige Ergänzung zu den Risikogruppen sind generell Menschen, die in Städten auf beengtem Raum und mit mehr Verbauung leben ebenso wie sozial isolierte Menschen, die wenig Rückmeldung über ihren Gesundheitszustand erhalten können oder Menschen mit wenig Geld oder in der Obdachlosigkeit, die insgesamt ­weniger Gegenmaßnahmen ergreifen können. Im Bereich der Arbeitsmedizin betrifft es besonders Arbeitende, die beruflich der Sonne ausgesetzt sind, aber auch im Freizeitbereich Menschen, die sehr viel Zeit in der Sonne verbringen und zusätzlich eventuell Sport im Freien betreiben.

Im Bereich der Medikation geht es vor allem darum, die Auswirkungen von Medikamenten auf das Durstempfinden, Trinkverhalten und den Wasserhaushalt zu kennen und zu beurteilen. Oftmals liegt bei den Gefährdeten die Einnahme mehrerer Medikamente vor.  Ein Blick auf die Medikamentenpläne ist hier unerlässlich, um Risikopatienten zu identifizieren und besonderes Augenmerk auf präventive Maßnahmen zu richten.

Für die Regelversorgung besonders relevanter Medikamentengruppen sind hier die Antidepressiva, Antihistaminika, Antiepileptika und stark wirksame Schmerzmittel ebenso wie Schilddrüsenhormone, Benzodiazepine oder dopaminerge Medikation. Angepasst werden eventuell auch Triptane oder Betablocker. Häufig verordnet werden Diuretika oder nichtsteroidale Antirheumatika ebenso wie Abführmittel. Insbesondere die frei verkäuflichen Schmerzmittel und die Laxanzien sind ein Problem, da sie meist in den Medikationsplänen nicht auftauchen.

Des Weiteren relevant sind Antiarrhythmika und Gerinnungshemmer, da sie eine geringe therapeutische Breite aufweisen und gegebenenfalls angepasst werden müssen.

Neben der Durchsicht der Medikamentenpläne gehören konkrete Maßnahmen in die Planung in der Praxis: Als Wichtigstes erscheint es hier, eine verantwortliche Person für den Hitzeschutz zu benennen, einen Hitzeschutzplan umzusetzen und laufend zu evaluieren. Es erscheint sinnvoll, einen Maßnahmenkatalog je nach aktueller Hitzewarnstufe zu erstellen, insbesondere im Rahmen des Qualitätsmanagements. Rückblickend sollten die Risiken und Maßnahmen des letzten Sommers beurteilt werden. Mit Kooperationspartnern in der Nähe sollte Kontakt aufgenommen werden und die Maßnahmen gegebenenfalls abgestimmt werden. Hier kann man Synergien suchen, insbesondere mit Apotheken, Sozialdiensten, Nachbarschaftshilfen etc.

Ganz konkret können mittels Suchfunktionen Listen von gefährdeten Patienten erstellt werden, um deren Problematik zu erkennen. Dies kann auch über die Praxissoftware erfolgen. Die Kommunikationsstruktur im Team aber auch mit den Patienten sollte festgelegt werden. Eventuell kann ein spezielles Sprechstundenangebot festgelegt werden, zum Beispiel mit Frühsprechstunden für vulnerable Gruppen. Die Praxen sollten auch über Priorisierung und Triage in Extrem­situationen sprechen und überlegen, wie dann der Praxisalltag und die Arbeitsprozesse angepasst werden können.

Wichtiger ist es, Informationsmaterialien zu entwickeln oder bereitzuhalten. Hier gibt es ein vielfältiges Angebot verschiedenster Anbieter mit sehr guten und qualitativ hochwertigen Flyern und Plakaten.

In der Praxis sollten die Hitzeschutzmaßnahmen überprüft werden, zum Beispiel das Vorhandensein von Ventilatoren, Jalousien und eines entsprechenden Lüftungskonzepts. Bei Stromknappheit und anderen Extremereignissen sollte ein Überbrückungskonzept zur Verfügung stehen, mit dem man die Kühlung der Räume gegebenenfalls aufrechterhalten kann.

Neben Flyern und Informationsmaterialen gibt es auch eine Hitzewarn-App, die auf dem Smartphone installiert werden und vor entsprechenden Extremereignissen warnen kann. Falls die Praxis Hausbesuche durchführt, was auch im teilgebietsärztlichen und nicht nur im hausärztlichen Bereich wünschenswert wäre, kann den Patienten eine anstrengende Anreise oft erspart werden. Präventive Hausbesuche sind allerdings offiziell nicht abrechenbar. Hier muss die Politik beziehungsweise müssen die Krankenkassen Abhilfe schaffen. Diese Hausbesuche müssen nicht zwingend durch Ärzte, sondern können auch durch gut ausgebildete medizinische
Fachangestellte (MFA), durchgeführt werden. Hier sind besonders die Versorgungs­assistentinnen/-assistenten in der Hausarztpraxis (VERAH oder NäPa) zu erwähnen.

Generell ist es wichtig, mit den Risikopatienten proaktiv Kontakt aufzunehmen. Beim Haus­besuch können dann auch in der Wohnung weitere Maßnahmen geplant werden, die auch durch ambulante Pflegedienste durchgeführt werden können. Hierzu gehört insbesondere Lüften aber auch Schattieren der Wohnung. Die Mobilisierung des sozialen Netzwerks und auch der Angehörigen ist absolut sinnvoll.

Zusammenfassend bleibt die praktische Umsetzung eine Herausforderung für die Versorgung:

Zuerst einmal muss das Thema und die ­Bedeutung für die eigene Praxis erkannt werden.

Dann muss dieses Bekenntnis klar formuliert werden: „Der Hitzeschutz unserer Mitarbeiter und unserer Patienten ist für uns von allerhöchster Bedeutung!“

Bauliche Maßnahmen sollten so weit wie möglich umgesetzt werden.

Ein Angebot von Fortbildungen extern, aber auch intern, für angestellte Ärzte und MFA kann umgesetzt werden.

Ebenso das Bereitstellen von Informationen für die Patienten


Der Idealvorstellung eines Angebots von zusätzlichen Hausbesuchen im Sommer und Winter durch Ärzte oder MFA und der regelmäßigen Durchsicht von Medikationsplänen, auch unter dem Aspekt der sommerlichen Hitzebelastung und der gezielten Ansprache von gefährdeten Patienten, vor allem wenn bereits ein hitze- oder klimabedingtes Ereignis eingetreten ist, steht die grundsätzliche Überlastung der Primärversorgung entgegen, in der neben dem Thema Hitzeschutz auch (beispielhaft) die neuen Themen Organspende­beratung, Long- und Post-COVID, neue Impfungen und allgemeine Prävention zu bearbeiten sind. Und dies neben der Regelversorgung von fast 90 Prozent der Beratungsanlässe.

Dies ist offen gesprochen in der Breite ohne zusätzliche Fortbildung, Zertifizierung aber auch Anerkennung und Vergütung nicht zu leisten. Die notwendige Zeit und Ressourcen müssen entsprechend zur Verfügung gestellt werden. Wenn sich ausschließlich nur Spezialpraxen und „Leuchtturmpraxen“ hier intrinsisch motiviert ­engagieren, ist dies nicht ausreichend! Hitzeschutz ist ein absolutes Breitenthema.

Es ist nun Aufgabe der Politik und der Krankenkassen hier auch die notwendigen Rahmen­bedingungen zu schaffen, damit Praxen sich diesem Thema nicht nur in ihrer ohnehin knappen Zeit oder Freizeit widmen können, sondern es auch zu einem zentralen Versorgungsthema machen können, welches auch wirtschaftliche Notwendigkeiten der Praxen berücksichtigt.

Klimawandel und Temperaturanstiege sind real und bereits spürbar. Hitzeschutz ist eine zentrale Aufgabe für uns alle und wird uns in den nächsten Jahren regelhaft beschäftigen. Wenn wir das Thema aktiv angehen und positiv besetzen, können wir dies auch unseren Mitarbeitern und den Patienten vermitteln. Wir haben hier eine große Chance einen wichtigen Platz in der Gesellschaft beim Thema Hitzeschutz einzunehmen!

Autor

Professor Dr. Jörg Schelling
Facharzt für Allgemeinmedizin
Röntgenstr. 2, 82152 Planegg-Martinsried

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