Halserkrankungen – highlighted

Halserkrankungen

Seit Beginn der Coronapandemie hat sich durch das Tragen von Masken, Einhaltung von Kontaktbeschränkungen und Homeschooling das Aufkommen in der „Infektionssprechstunde“ einer Hals-Nasen-Ohren-Praxis deutlich verringert. Ob dies perspektivisch zu einer weiteren Reduktion der Indikationen zur Tonsillektomie führen wird, bleibt abzuwarten.

Ohnehin wird in den vergangenen Jahren deutlich weniger tonsillektomiert, weil die Kriterien für eine Indikationsstellung deutlich restriktiver ausgelegt werden. Zu Recht, denn selbst in geübten Händen kann es zu lebensbedrohlichen Komplikationen kommen. Daher liegt es in unserer Verantwortung diese Operation kritisch, wenn die leitliniengerechten Kriterien erfüllt sind, zu indizieren.

Aus onkologischer Sicht gibt es ebenfalls Veränderungen in der Therapie von Tonsillen­tumoren. Verstärkt werden HPV-assoziierte Tumoren diagnostiziert. Daraufhin ist von der STIKO 2019 die Empfehlung zur HPV-Impfung neben der Bestehenden für Mädchen auch auf Jungen im Alter von neun bis 14 Jahren ausgedehnt worden.
Einen Überblick über die Behandlung von Erkrankungen rund um die Tonsillen, eines der zentralen Themen unseres Fachgebietes, soll dieser Artikel geben.


Fallbeispiel: Ein Notfall

Anamnese

Ein 24-jähriger Mann stellt sich in der interdisziplinären Notaufnahme mit stärksten Halsschmerzen und Schluckunfähigkeit vor. Er hatte sich vier Tage zuvor bereits wegen der gleichen Symptomatik in milderer Ausprägung bei seiner Hausärztin vorgestellt. Eine verordnete orale Antibiose mit Cefuroxim 500 mg 1-1-1 hatte keine Besserung gebracht. Aktuell berichtet er über Fieber, allgemeine Schwäche und geschwollene zervikale Lymphknoten.

Diagnostik

Bei der klinisch/endoskopischen Untersuchung zeigen sich massiv hyperplastische, eitrig/schmierig belegte Tonsillen. Es besteht eine ödematöse Schwellung der Uvula. Im Nasenrachen können endoskopisch ebenfalls weißliche Beläge gesehen werden.

Die Laboruntersuchung zeigt eine Leukopenie mit 3.800/µl bei moderater CRP-Erhöhung mit 1,2 mg/dl, die Leberwerte (GPT 59 U/l, GOT 61 U/l) sind erhöht. Sonografisch zeigen sich am Hals beidseits deutlich vergrößerte Lymphknoten-pakete mit darstellbarer Hilusstruktur.

Es werden zwei Schnelltests durchgeführt: Ein laborchemischer Epstein-Barr-Virus-Schnelltest und ein Abstrich auf ß-hämolysierende Streptokokken – beide mit negativem Ergebnis. 


Abbildung 1: Exemplarisch ein vergrößerter Halslymphknoten in Regio III links.

Behandlung und Verlauf

Nach Entscheidung zur stationären Aufnahme wird eine kalkulierte i.v.-Antibiose mit Penicillin G 5 Mega 1-1-1-1 eingeleitet. Analgetisch wird der Patient mit einem nicht-steroidalen Antirheumatikum als Granulat zum Auflösen und Piritramid s.c. bei Bedarf behandelt. Auf eine Paracetamolgabe wird aufgrund der Leberwerterhöhung verzichtet. Kurzzeitig kommt es am Abend zu einer Verbesserung der Schmerzen und der Schluckfähigkeit. Am nächsten Morgen berichtet der Patient über eine Verschlechterung und ein zusätzlich verstärktes Druckgefühl im Pharynx.

Klinisch wird der Verdacht auf das Vorliegen eines Peritonsillarabszesses, bei Vorwölbung der Gaumenbögen, links mehr als rechts, geäußert. Eine durchgeführte CT des Halses zeigt Kontrastmittelanreicherung peritonsillär links und retrotonsillär rechts.

Aufgrund der beidseitigen Abszessformation, der massiven Tonsillenvergrößerung und der klinischen Verschlechterung des Patienten unter laufender i.v.-Antibiose wird die Empfehlung zur Abszesstonsillektomie beidseits ausgesprochen. Der Patient willigt nach ausführlicher Aufklärung in die Durchführung des Notfalleingriffs ein.
Intraoperativ entleert sich beidseits während der Dissektion der Tonsillen reichlich Eiter. Der Patient kann nach einmaliger Gabe von 250 mg Prednisolon i.v. komplikationslos extubiert und auf die Normalstation verlegt werden.

Im stationären Verlauf wird serologisch das Vorliegen einer Epstein-Barr-Virus-Infektion (EBV-Infektion) bestätigt. Die i.v.-Antibiose wird am dritten Tag der Gabe beendet und nicht weiter oralisiert. Der Patient wird am vierten Tag nach Aufnahme in deutlich gebessertem Allgemeinzustand aus der stationären Behandlung entlassen.

Beschreibung

Eine Unterscheidung der akuten Tonsillitis zwischen einer EBV-Infektion und einer Tonsillitis durch ß-hämolysierende Streptokokken ist im Moment des notwendigen Therapiebeginns nicht immer einfach, gerade dann, wenn keine Zeit ist, eine serologische Untersuchung abzuwarten, weil Patientinnen/Patienten eine ausgeprägte Beschwerdesymptomatik aufweisen und eine Behandlung dringlich erscheint. Auch das Erscheinungsbild der Tonsillitis zwischen stippchenartigen oder flächigen Belägen ist nicht immer zweifelsfrei zu trennen. In kritischen Fällen können EBV-Schnelltests aus peripher venösem Blut helfen, allerdings wird die Sensitivität je nach Herstellern mit bis zu 90 Prozent angegeben, auch weil EBV-Infektionen heterogen ablaufen können [2, 3].

Die Sensitivität für Schnelltests durch Abstrich auf ß-hämolysierende Streptokokken hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Allerdings ist die Spezifität eingeschränkt, weil ß-hämolysierende Streptokokken auch ohne Krankheitswert nachweisbar sein können. Im Allgemeinen können Schnelltests helfen, eine kalkulierte Antibiose zielgerichtet zu starten oder unnötige Antibiosen in viralen Verlaufsformen zu vermeiden.

In jedem Fall obsolet ist die Gabe von Amoxicillin aufgrund der Gefahr einer pseudoallergischen Hautreaktion, wenn es sich um eine EBV-Infektion handeln könnte [4]. In der Praxis hat sich die Gabe von klassischem Penicillin V oral bei der bakteriellen Tonsillitis durchgesetzt. Dafür sprechen ein gutes Wirkungsspektrum, niedrige Kosten und hohe Bioverfügbarkeit sowohl oral als auch bei intravenöser Gabe.

Im Fallbeispiel ist es bei noch fehlendem Nachweis einer EBV-Infektion zu einer klinischen Verschlechterung der Beschwerden gekommen. In diesen Fällen muss eine Abszessbildung ausgeschlossen werden. Ödembildungen, Kieferklemme und vorgewölbte Gaumenbögen sind hinweisende Zeichen. Aufschluss bringt entweder eine Probepunktion oder, wenn diese nicht toleriert wird, eine CT des Halses mit Kontrastmittel. Bei Kindern auch eine Kernspintomografie. Selten können auch beidseitige Abszesse zeitgleich vorkommen. Obwohl die Tonsillektomie bei der EBV-Infektion keine krankheitsverkürzende Wirkung mit sich bringt, ist sie wie in diesem Fall indiziert, wenn durch sie ein peri- oder retrotonsillärer Abszess saniert werden soll. Diese Abszesse können – wie beschrieben – auch bei der EBV-Tonsillitis vorkommen, sind aber deutlich seltener.

Antibiosen sind bei Nachweis einer EBV-Tonsillitis oder nach Sanierung eines Abszesses nach der Philosophie des Antibiotic Stewardship abzusetzen [1, 16, 17]. Ob Superinfektionen zielgerichtet antibiotisch behandelt werden sollen, wird kontrovers diskutiert.


Fallbeispiel: Eine potenziell lebensbedrohliche Situation

Anamnese

Ein 65-jähriger Mann mit bekanntem ­T4aN2cM0 Oropharynx-Karzinom (Tonsille/Zungengrund links) verständigt den Rettungsdienst, nachdem es zu Hause zu einer oralen Blutung gekommen ist (Tabelle 1 und 2).


Tabelle 1: Übersicht klinische T-Klassifikation von Oropharynx-Karzinomen.
Modifiziert nach: Manual of Clinical Oncology, 9th Edition. O’Sullivan et al. 2015


Tabelle 2: Übersicht klinische N-Klassifikation von Oropharynx-Karzinomen.
Modifiziert nach: Manual of Clinical Oncology, 9th Edition. O’Sullivan et al. 2015


Der Tumor ist in kurativer Intention mit einer primären Radiochemotherapie mit Carboplatin (bei bekannter Niereninsuffizienz) und einer Gesamtdosis von 72 Gray bis vor acht Wochen behandelt worden.


Abbildung 2: Enoraler Befund bei Aufnahme – keine klare Unterscheidung zwischen EBV-Tonsillitis und Tonsillitis durch ß-hämolysierende Streptokokken möglich.


Abbildung 3: Enoraler Befund am Tag nach Beginn der Antibiose – hier zeigt sich links die Vorwölbung des Gaumenbogens im Sinne eines Peritonsillarabszesses (siehe Pfeil)

Bei Ankunft des Rettungsdienstes steht die Blutung. Zur Überwachung wird der Patient ins behandelnde Klinikum mit HNO-Bereitschaftsdienst verbracht. Nach stationärer Aufnahme kommt es noch in derselben Nacht zu einer erneuten Blutung aus dem Tonsillenbett links. Aufgrund der frischen arteriellen Blutung wird eine sofortige operative Versorgung der Blutung im OP indiziert und mit dem Patienten besprochen. Der Patient willigt ein, den Eingriff durchführen zu lassen. Nach erschwerter, aber letztlich komplikations­loser transoraler Intubation mit dem Video­laryngoskop, zeigt sich nach Entfernen mehrerer Koagel eine arterielle Blutung aus dem bereits beschriebenen Areal. Es gelingt nicht, eine Umstechung in dem nekrotisch-mazerierten Gewebe zu setzen. Mit Hilfe einer monopolaren Koagulation kann letztlich die Blutung gestoppt werden.

Es besteht der Verdacht auf das Vorliegen eines Residualtumors (DD postradiogene Nekrose), daher werden mehrere Exzisionsbiopsien aus der Nekrosezone genommen und zur histo­pathologischen Aufarbeitung entsendet. Nach zwei Tagen kommt es auf der Station zu einer erneuten Blutung, die wieder operativ gestillt werden muss. 


Abbildung 4: Ulkus im Bereich des Zungengrundes links. Rechtsseitig Restepiglottis, linksseitig Epiglottis postradiogen aufgebraucht.


Abbildung 5: Nekrosezone im Bereich Tonsille/Zungengrund links.

Die folgenden intensiven Gespräche mit dem Patienten und seinen Angehörigen werden vom Palliativteam der Klinik begleitet, zusätzlich nimmt der Patient Gesprächsangebote mit dem psychoonkologischen Dienst wahr.

In der histologischen Aufarbeitung können keine vitalen Tumorzellen bestätigt werden, sodass zum einen weiterhin der kurative Therapieansatz bestätigt wird, zum anderen wird die Empfehlung zur Durchführung einer Schutztracheotomie ausgesprochen.



Abbildung 6: CT Hals mit Kontrastmittel, sichtbare Nekrosezone links im Zungengrund/in der Tonsille (siehe Pfeil).

Diese wollte der Patient aber auch bei der ­initialen Behandlungsentscheidung nicht und hat sich deshalb zur Durchführung einer primären Radiochemotherapie entschlossen.

Die Anlage eines stabilen Tracheostomas wird nach Einwilligung des Patienten für den nächsten Tag elektiv geplant. Am Nachmittag kommt es zu einer erneuten, diesmal Hb-relevanten Blutung. Nach Notfalltracheotomie gelingt es den Atemweg zu sichern und eine Hypoxie zu vermeiden. Die oropharyngeale Blutung hat ihren Ursprung in der Tiefe der Nekrosehöhle im linken Zungengrund und ist transoral nicht suffizient zu stillen. Daher wird die Entscheidung getroffen, die zuführenden Gefäße der Arteria carotis externa nach Zugang von außen zu unterbinden. Nach entsprechender Exploration werden die Äste der A. pharyngea ascendens, der A. lingualis und der A. facialis ligiert. Die Blutung steht. Der Patient geht mit stabilem Tracheostoma nach entsprechender Volumensubstitution inklusive Gabe von zwei Hb-Konzentraten auf die Intensivstation, da er noch katecholaminpflichtig ist.

Nach Übernahme auf die Normalstation kommt es zu keiner weiteren Blutung. Auf Wunsch des Patienten wird die Tracheotomie am fünften Tag nach Anlage in Lokalanästhesie plastisch verschlossen. Der Patient wird am neunten Tag nach stationärer Aufnahme in gebessertem Allgemeinzustand nach Hause entlassen.

Drei Monate später stellt er sich nach zwischenzeitlicher, unauffälliger Kontrolluntersuchung mit starken Schmerzen im Bereich des linken Pharynx vor. Linkszervikal zeigt sich sonografisch der Verdacht auf das Vorliegen einer neu aufgetretenen Metastase. Nach Besprechung dieses Befundes lehnt der Patient eine weitere Operation zur Dignitätssicherung wie auch eine PET-CT zur Frage einer möglichen Antikörpertherapie ab. Eine Anbindung an die spezialisierte ambulante Palliativversorgung wird gebahnt.

Beschreibung

Dieser Fall zeigt die Komplexität des Handelns im Falle von fortgeschrittenen Kopf-Hals-Tumoren. Auf der einen Seite können die Möglichkeiten der chirurgischen Versorgungen im Falle von Blutungen aus dem Oropharynx inklusive Notfallmanagement bis hin zur Nottracheotomie veranschaulicht werden. Nach dem ABCDE-Schema gilt es zunächst den Luftweg und die Beatmung zu sichern, nach Stabilisierung des Kreislaufs wird die Blutungsquelle exploriert.

Auf der anderen Seite kommt bei diesem Fall sehr gut zum Ausdruck, wie wenig planbar der Verlauf auch im Hinblick auf die Respektierung des Patientenwunsches sein kann und wie wichtig es ist, in diesen Situationen eine ausführliche und abwägende Kommunikation mit den Erkrankten zu suchen, um sie mit ihren Ängsten nicht alleine zu lassen. Durch gute Vernetzung aller multidiszi­plinärer Behandlungspartner gelingt es oft auch kritische Patienten zu erreichen und Vertrauen zu gewinnen. Ein essenzielles Werkzeug für das Verhalten im palliativen Ernstfall ist die tägliche Festlegung und Dokumentation eines Codestatus zur Frage nach supportiven Maßnahmen bis hin zur Reanimation im Ampelmodus (grün/gelb/rot).

Erst nach Durchführung der Maximalvariante bei pharyngealen Blutungen mit Nottracheotomie und Unterbindung der zuführenden Gefäße konnte das Blutungsgeschehen kontrolliert werden. Durch den frühzeitigen plastischen Verschluss des Tracheostomas konnte die Lebensqualität des Patienten für die kommenden Monate gesichert werden. Kritisch muss angemerkt werden, dass es sich bereits seit der ersten Blutung um ein Residualtumor gehandelt haben könnte. In der postradiogen veränderten Gewebearchitektur kann die histopathologische Bestätigung eines Residualtumors mitunter nur nach weiteren Gewebeproben erfolgen. Die Durchführung einer PET-CT kann hier helfen [5], wurde aber im konkreten Fall vom Patienten abgelehnt.


Fallbeispiel: Ein klassischer Fall

Anamnese

Eine 16-jährige Patientin stellt sich in Begleitung ihrer Mutter mit „der Bitte um Tonsillektomie“ ambulant vor, die Tochter habe ständig Halsschmerzen und müsse dringend die Mandeln entfernt bekommen, so die Aussage der Mutter. Zur Verstärkung der Notwendigkeit führt die Mutter an, dass auch sie in diesem Alter tonsillektomiert worden sei.

Diagnostik

In der klinisch-endoskopischen Untersuchung zeigen sich mittelgroße, reizlose Tonsillen, bei leichtgradig lymphatisch aktivierter Rachenhinterwand. Der übrige HNO-ärztliche Status ist regelrecht.

Behandlung und Verlauf

Nach genauerer Rückfrage über die letzten Halsschmerzepisoden wird versucht, den Centor-/McIsaac-Score (Tabelle 3) retrospektiv zu erheben. Nach Erinnerung habe die Patientin bei den Episoden kein Fieber, keinen Husten, keine zervikalen Lymphknotenschwellungen gehabt. Eine allgemeinmedizinische oder HNO-ärztliche Vorstellung sei nicht erfolgt, bei der der Tonsillenbefund hätte beurteilt werden können. Demnach kann von einem Centor- oder McIsaac-Score von maximal 1 ausgegangen werden. Die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei den Halsschmerzen um eine bakterielle, ß-hämolysierende Streptokokken-Infektion handelt, sollte demnach bei maximal sechs bis sieben Prozent liegen [6, 7]. Eine Indikation zur Tonsillektomie wird nicht gestellt. Zur weiteren Beurteilung von Halsschmerzepisoden wird eine ärztliche Vorstellung in der Akutphase empfohlen, gegebenenfalls mit Durchführung eines Schnelltests auf ß-hämolysierende Streptokokken.


Tabelle 3: Centor-Score

Beschreibung

Die Tonsillektomie ist einer der Standardeingriffe der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Seit 1984 ist die Wirksamkeit der Tonsillektomie nicht mehr grundlegend überprüft worden – bis 2019 die amerikanische Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde (AAOHNS) die Leitlinie für pädiatrische Tonsillektomien überarbeitete. Als Resultat dieser Arbeit werden aktuell die Empfehlungen auf Erwachsene übertragen, gerade weil die Datenlage bei Kindern ein verlässliches Instrument ist, das Risiko-Nutzen-Verhältnis dieses Eingriffes zu evaluieren [8].
 
Die Leitlinie AWMF von 2015 befindet sich gerade in der Überarbeitung [9]. Nach G-BA-Richtlinien besteht seit 2017 die Pflicht, ein Zweitmeinungsverfahren anzubieten. Die Österreichische HNO-Gesellschaft hat nach 2006, dem Jahr in dem mehrere Kinder jünger als sechs Jahre an Nachblutungen nach Tonsillektomien verstorben sind, zum Umdenken aufgerufen und eine landesweite Untersuchung zu diesem Thema veranlasst. 2012 wurden die Beobachtungsdaten veröffentlicht. Die Nachblutungsrate lag bei 16 Prozent (n = 9.405) (14).

Die wissenschaftlichen Untersuchungen zur Nachblutungsrate zeigen eine hohe Streuungsbreite. Eine Studie aus dem Jahr 2015 vom Campus Benjamin Franklin der Charité dokumentiert 26 Prozent bei n = 250 [10], insgesamt acht Prozent des untersuchten Kollektives mussten in Intubationsnarkose (ITN) revidiert werden. Es finden sich noch höhere Nachblutungsraten in verschiedenen Arbeiten [11]. Bei deutlich niedrigeren Nachblutungsraten macht es Sinn, sich die Definition einer Nachblutung anzuschauen: zuweilen werden nur stärkere Blutungen dazugezählt [12] oder der Beobachtungszeitraum umfasst nur den unmittelbaren postoperativen Tag [13]. Insgesamt sind die Studien daher nur begrenzt direkt vergleichbar. 

Dennoch zeigen diese Daten, wie kritisch mit der Indikationsstellung umgegangen werden muss. Die aktuell gültigen Empfehlungen zur Tonsillektomie sind in Tabelle 4 zusammengestellt.


Tabelle 4: Kriterien zur Indikation der Tonsillektomie nach Paradise et al. [18].

Bei Kindern ist eine Tonsillotomie einer Tonsillektomie vorzuziehen, vor allem, wenn damit eine Behandlung der kindlichen Schlafapnoe bei ausgeprägter Tonsillenhyperplasie intendiert wird [15]. Im Allgemeinen besteht noch keine überzeugende Datenlage. In den nächsten Jahren werden prospektive randomisierte Studien zur Evaluation der Tonsillektomie erwartet. Zum einen zur chirurgischen Therapie versus konservativem Vorgehen (NATTINA, NHS UK) [19], zum anderen die randomisierte multizentrische G-BA Nichtunterlegenheitsstudie einer Tonsillotomie gegenüber der Tonsillektomie.

Heute verbringen Hals-Nasen-Ohren-Ärzte in Aufklärungsgesprächen oftmals mehr Zeit damit, zu erklären, warum nicht operiert wird, als der Eingriff dauern würde, wenn er durchgeführt würde.

Das Wichtigste in Kürze
1. Die Unterscheidung zwischen einer Tonsillitis durch ß-hämolysierende Streptokokken oder HPV-Viren gelingt nicht immer leicht, gerade zu Beginn der Erkrankung. Bei klinischer Verschlechterung muss bei beiden Erkrankungen an einen Peritonsillarabszess gedacht werden. 

2. Fortgeschrittene Oropharynx Tumore haben ein erhöhtes Risiko für massive Blutungen. Bei der Behandlung ist entschiedenes Handeln geboten – aber immer im Hinblick des Patientenwillens.

3. Tonsillektomien haben strenge Indikationskriterien. Im Zweifelsfall sollte ein längerfristiges Beobachtungsintervall vereinbart werden. Streptokokken-Schnelltests können in der Akutphase der Tonsillitis Aufschluss über die Genese bringen. 

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Der Autor erklärt, dass er keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten hat, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.

Autor


Dr. Andreas Eckert

Sozialstiftung Bamberg, Klinikum Bamberg, Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Buger Straße 80, 96049 Bamberg  

Top