Halbzeitbilanz der Ampel

Dr. Gerald Quitterer

Die Hälfte der Legislaturperiode der Ampel-Koalition liegt ­hinter uns, und wir haben in dieser Zeit so gut wie kein Wort zur Versorgung durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie deren medizinischen Fachangestellten gehört. Haben wir zudem gehofft, es käme zu einer gesetzlichen Reglementierung von investorenbetriebenen Medizinischen Versorgungszentren (iMVZ), so sind wir auch hier enttäuscht worden. Der ambulante Bereich fällt gerade hinten hinunter, Praxen stehen vor dem Kollaps und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) ist nur mit eigenen Begehrlichkeiten beschäftigt.

So arbeitet seit zwei Jahren eine Expertenkommission des BMG an der Krankenhausreform, hat in diesem Zusammenhang neun Stellungnahmen herausgebracht, teilweise zu Themen, für die sie meines Erachtens gar nicht einberufen wurde, ohne dass dabei eine tragfähige Lösung in Sicht ist. Wenn seitens des BMG dann auch noch zu hören ist, dass der Großteil aller im Koalitionsvertrag formulierten Ziele umgesetzt und man mit hohem Tempo auf einem guten Weg sei, fragt man sich, inwieweit hier Fremd- und Selbstbild zusammenpassen.

So wird das Ministerium nicht müde, in Gesetzen zu formulieren, wen es – um die Ärzteschaft zu entlasten (sic) – sonst noch in die Versorgung hebt, statt sich mit den Anliegen der Niedergelassenen auch nur ansatzweise zu beschäftigen. Beispiel­gebend dafür ist das Gesetz zur Stärkung der Gesundheitsversorgung in der Kommune („Versorgungsgesetz I“; GSV).

So vergeht Jahr um Jahr, in dem die erforderlichen zusätzlichen Studienplätze für Medizin nicht gewährt werden, in dem die neue Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte nicht eingeführt wird, in dem die Bürokratie zunimmt statt wirksam abgebaut wird und in dem ein Maßnahmenpaket zur Unterstützung bei der Digitalisierung vergeblich auf sich warten lässt. Versprechen, die flächendeckende Versorgung durch Praxen zu fördern, geraten schon deshalb in Vergessenheit, weil diese Versorgungsebene im BMG einfach nicht zur Kenntnis genommen wird.

Aufwand und Ertrag in den Arztpraxen stehen in keinem Verhältnis mehr und wir müssen uns unsinnige Beteuerungen von Politik und Krankenkassen gefallen lassen, dem sei nicht so. Stellt sich also die Frage, warum dann Praxen nicht nach­besetzt werden können und der Weg in die Selbstständigkeit nur noch für wenige in Frage kommt? Es läge an uns selbst, die wir den Beruf schlechtredeten und uns überfordert fühlten. Diese Argumentation ist unredlich und legitimiert geradezu Gängelung und fehlende Wertschätzung durch die Politik.
In Bayern versorgen etwa 29.000 niedergelassene Ärztinnen und Ärzte flächendeckend und umfänglich die Patientinnen und Patienten. Dabei verbringen sie einer aktuellen Umfrage der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zufolge 26 Prozent ihrer Arbeitszeit mit Bürokratie, die nicht nur für die Zeit am Patienten fehlt, sondern auch keine Vergütung nach sich zieht. Die eigene Motivation für den Beruf verhallt, wenn gegenläufige Aktionen der Politik, die Gesetzgebung und der öffentliche Diskurs eine andere Sprache sprechen. Ein Indiz dafür ist auch die fehlende gesetzliche Regelung zur Begrenzung der iMVZ.

Da mag die Ankündigung der Entbudgetierung des Honorars ärztlicher Leistungen das Gewissen des Ministers beruhigen, allein sie hilft uns nicht wirklich weiter, wenn die Leistungen nicht neu bewertet werden und die morbiditätsgebundene ­Gesamtvergütung (MGV) gedeckelt bleibt. Eine „MGV plus“ wäre die Lösung und muss beim BMG eingefordert werden. Das bedeutet, dass ein ungedecktes Leistungsversprechen seitens Politik und Krankenkassen nicht weiter bestehen bleiben kann.

Die gerade laufende Petition der KBV greift die Situation der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte auf und formuliert eine Reihe von Forderungen, zu denen neben einer tragfähigen ­Finanzierung, der Abschaffung des Budgets und der Regresse auch eine sinnvolle Digitalisierung gehört.

Die Digitalstrategie der Bundesregierung soll den digitalen Aufbruch ermöglichen, was allerdings bisher in den Praxen nicht nachvollzogen werden kann. So zeigt laut gematik-Homepage eine aktuelle Erhebung, „dass einige Praxen aufgrund von Fehlern oder Abstürzen mindestens einmal am Tag ihre Karten­terminals neu starten müssen. Nach Analyse dieses Problemfelds geht die gematik davon aus, dass veraltete Firmware der Hauptgrund für die Notwendigkeit eines Neustarts der betroffenen Geräte ist. Deshalb rät die gematik dringend, Terminals auf die neueste Firmware-Version zu aktualisieren“. Hier gebe ich der neuen Bayerischen Gesundheitsministerin Judith Gerlach Recht, die der Ansicht ist, man stülpe hier digitale Anwendungen über alte Technik. Neuer Wein in alten Schläuchen sozusagen.

Das muss sich ändern, nur dann lassen sich die Kolleginnen und Kollegen auch mitnehmen auf dem Weg von Papier und Fax hin zu einer funktionierenden Telematikinfrastruktur. Die gematik ist hier aufgefordert, passgenaue Lösungen weiterzuentwickeln, und zwar zuverlässiger als die schleppend umgesetzte Laufzeitverlängerung der Konnektoren. Das wäre vordringliche Aufgabe des BMG, anstatt sich mit weiteren Stellungnahmen der Experten-kommission oder einem Cannabis­gesetz zu beschäftigen.

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