Halbzeit in Corona-Zeiten

Dr. med. Gerald Quitterer im Interview

Anfang Februar 2018 wurde Dr. Gerald Quitterer (64), Facharzt für Allgemeinmedizin aus Eggenfelden, zum Präsidenten der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) gewählt. In einem Interview blickt er zurück auf die vergangenen Monate und wagt einen Ausblick auf das, was er sich für die zweite Halbzeit vorgenommen hat.

Herr Dr. Quitterer, Sie sind seit zweieinhalb Jahren BLÄK-Präsident. Wie geht es Ihnen in und mit Ihrem Amt?
    Quitterer: Die Zeit ist wie im Flug vergangen, gerade die letzten Monate, in denen uns Corona in Atem hält. Ich bin gern in diesem Amt, und es macht mir Freude, hierher in die Kammer zu kommen. Wir pflegen ein gutes und konstruktives Miteinander. Alle hier leisten gute Arbeit nach dem Motto: Wir sind Kammer.

Aus Ihrer Sicht die große Herausforderung in dieser Zeit?
    Quitterer: Wir werden bombardiert mit einer Flut von Gesetzesentwürfen und Begehrlichkeiten seitens Politik, bei denen es ständig gilt, die für uns Ärztinnen und Ärzte einschneidenden Veränderungen zu erkennen und darüber in einen konstruktiven Dialog mit dem Gesetzgeber zu treten. Die Begehrlichkeiten, die uns mit dem Begriff Digitalisierung untergeschoben werden, und damit meine ich die Telemedizin bis hin zu Gesundheitsapps, müssen wir kritisch begleiten und aufzeigen, wo Patientensicherheit und Datenschutz ignoriert werden. Die eigentliche Kammerarbeit muss effektiv weiterlaufen. Das war und ist die Herausforderung, die es zu meistern gilt.

Wird sich die Arzt-Patienten-Beziehung künftig verändern?
    Quitterer: Die Arzt-Patienten-Beziehung ist immer einer Veränderung unterworfen und die Digitalisierung stellt eine neue Dimension dar, der es sich zu stellen gilt. Algorithmen und Künstliche Intelligenz werden in die Patientenversorgung integriert werden. Diese dürfen den Arzt jedoch niemals ersetzen, sondern immer nur unterstützen. Wir Ärztinnen und Ärzte müssen die persönliche Arzt-Patienten-Beziehung schützen und dürfen das in uns gesetzte Vertrauen nicht verspielen.

Kommen wir zu SARS-CoV-2. Der erste Corona-Fall in Deutschland trat vor fünf Monaten, genau Mitte Februar, in Stockdorf bei München auf. Das Alltagsleben hat sich seitdem komplett verändert. Was vermissen Sie am meisten?
    Quitterer: Die Unbeschwertheit und die Freiheit.

Haben Sie selbst Angst vor Ansteckung – als Krisenmanager, BLÄK-Präsident und Hausarzt?
    Quitterer: Ich versuche natürlich, wie jeder andere auch, mich zu schützen. Hier in der Kammer haben wir alles getan, um das Infek-tionsrisiko so gering wie möglich zu halten. Unser Hauptgeschäftsführer Dr. Rudolf Burger hat dazu ein Hygienekonzept erstellt und umgesetzt. In meiner Praxis sind alle Vorkehrungen getroffen, um Patienten und Mitarbeiter zu schützen und den Praxisbetrieb voll umfänglich aufrecht zu erhalten. Es gilt alles zu tun, um mich nicht anzustecken. Schon aus Rücksicht gegenüber denjenigen, die besonders gefährdet sind: Meinen Patientinnen und Patienten. Meine Maxime lautet: Vorsicht statt Angst. Dennoch leben wir als Ärzte immer mit der Herausforderung, mit Infektionskrankheiten umzugehen und haben unsere Tätigkeit dieser Gefahr angepasst. Ich bin also vorsichtiger geworden, um andere nicht anzustecken, gerade bei Hausbesuchen und Besuchen in Alten- und Pflegeheimen. Der Umgang miteinander ist fürsorglicher geworden mit Abstandsregeln und dem Tragen von Masken bzw. Mund-Nasen-Schutz. Als BLÄK-Präsident hat sich ein Großteil der Tätigkeit auf Telefon- und Videokonferenzen verlagert, was sich zeitweise zu einer Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit entwickelte.

In der Corona-Krise gab es gefährliche Mangellagen, zum Beispiel bei Schutzausrüstung für medizinisches Personal. Was lässt sich daraus lernen?
    Quitterer: Die Produktion von relevanten Gütern wie Medikamente und Schutzausrüstung wieder ins eigene Land holen, um nicht auf Import angewiesen zu sein. Es gilt, die Just-in-time-Produktion zu überdenken: alles jederzeit und überall, aber keine Vorratshaltung mehr. Lernen können wir darüber hinaus, einen verantwortlicheren Umgang miteinander. Tatsächlich bei Krankheit zuhause zu bleiben und Quarantäne einzuhalten, um andere nicht zu gefährden. Und diese Pandemie hat uns Geduld und Disziplin abgenötigt. Geduld, etwas auszuhalten und Disziplin, den Abstand einzuhalten, sich in die Reihe zu stellen. Wir Ärzte lernen daraus, dass wir auch in Situationen erhöhter eigener Gesundheitsgefahr dennoch unseren Patienten verpflichtet sind, was unserer Profession geschuldet ist.
 
Lassen Sie uns über Ihre Tätigkeit bei der Bundesärztekammer in Berlin als Vorsitzender des Ausschusses „Prävention, Gesundheitskompetenz und Bevölkerungsmedizin“, der „STÄKO Fortbildung“ und der „Deutschen Akademie für Allgemeinmedizin“ reden. Welche Themen sind hier aktuell?
    Quitterer: Prävention bedeutet für uns Ärzte: Ernährung, Bewegung und gesunde Luft. Die Gesundheitskompetenz des Einzelnen gilt es zu fördern: durch Veränderung des Verhaltens, das ist unsere Aufgabe, und durch Veränderung der Verhältnisse, das ist Aufgabe der Politik. Beim Thema Fortbildung ist es mir ein Anliegen, dass wir uns produktneutral und unabhängig von Industrieinteressen fortbilden können. Die Akademie setzt sich neben der Stärkung des Faches Allgemeinmedizin für die Gewinnung von Nachwuchs in der ärztlichen Versorgung ein. Ganz nebenbei: es freut mich, dass in Bayern Medizin unabhängig von der Abiturnote studiert werden kann.

Welche Projekte stehen in Ihrer zweiten Halbzeit berufspolitisch im Vordergrund?
    Quitterer: Die anstehenden Aufgaben weiterzuführen und die Position der Ärzteschaft zu vertreten. Auch in der Pandemiesituation zeigt sich, wie wichtig es ist, die Ärzteschaft in die Entscheidungen der Ministerien mit einzubeziehen. Es ist ein ständiges Ringen mit der Politik. Dann werden in der Kammer wichtige Personalentscheidungen zu treffen sein. Die Umsetzung der (Muster-)Weiterbildungsordnung steht an, mit einer großen Anzahl an Befugnissen, die neu erteilt werden müssen, die Fortbildungsordnung ist zu reformieren. Zudem stehen Prävention, Klimawandel und seine gesundheitlichen Folgen auf meiner Agenda. Die Bayerische Landesärztekammer muss den Schritt in Richtung Klimaneutralität gehen. Zu weiteren Zielen gehören die Reformierung des Entlassmanagements, als Beispiel sektorenverbindender Versorgung und die Vertretung der Bundesärztekammer im Gemeinsamen Bundesausschuss. Wir sind gerne Kammer.

Was nehmen Sie persönlich aus den vergangenen Monaten an Erfahrung mit?
    Quitterer: Gesundheit ist unser höchstes Gut, das es zu schützen gilt. Die Patientenautonomie darf dabei nicht infrage gestellt werden. Weder wir Ärztinnen und Ärzte noch der Staat dürfen sich darüber hinwegsetzen. Dem Genfer Gelöbnis sind wir hier mehr denn je verpflichtet.

Vielen Dank.

Das Interview führte Dagmar Nedbal (BLÄK)

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