GKV-Finanzstabilisierungsgesetz

Dr. Gerald Quitterer

Der Nationale Normenkontrollrat hat vor einiger Zeit festgestellt, dass Gesetze in Deutschland zu schnell und unüberlegt verabschiedet werden. Das kann man in dieser Weise auch dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz unterstellen, welches dazu beitragen soll, das aktuell bestehende Defizit der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in Höhe von rund 17 Milliarden Euro zurückzuführen. Insgesamt sei es das Ziel, die Erstklassigkeit der GKV weiterhin zu gewährleisten. Sic! Laut dem Bundesgesundheitsminister soll dies ohne Abstriche in der Versorgung möglich sein, Leistungskürzungen für Versicherte sollen ausgeschlossen bleiben. Dies hat man der Ärzteschaft weiland auch mit der Neupatientenregelung versprochen, eine Zusicherung, die jetzt ohne Notwendigkeit wieder einkassiert werden soll.

Worum geht es also: Ein System zu erhalten, an dem von jeder Seite gebohrt und gebaggert wird und das sich trotz notwendiger, schon demografisch bedingter, Ausgabensteigerungen und sinkender Einnahmen die Beitragssatzstabilität auf die Fahne geschrieben hat. Dabei steht eine Reihe von Wünschen unterschiedlicher Interessensvertreter ganz oben: Die Kommunen wünschen ein Mitspracherecht in der Gesundheitsversorgung und die Möglichkeit, mit den Krankenkassen eigene Versorgungsverträge zu verhandeln. In diese Richtung zielen die im Koalitionsvertrag angedachten Gesundheitskioske, deren ursprünglicher Zweck, in Brennpunkten eine Ergänzung von Gesundheitsleistungen anzubieten, um eine neue Dimension erweitert werden soll. Perspektivisch soll nämlich Heilkunde an Gesundheitspflegerinnen und -pfleger übertragen werden. Aus dem Topf der GKV.

Finanzinvestoren betreiben medizinische Versorgungszentren und erwarten sich eine Rendite durch dort erbrachte medizinische Leistungen. So hat eine Studie des IGES-Instituts Anfang April noch einmal vor Augen geführt, in welch dramatischer Geschwindigkeit sich in den vergangenen Jahren im Freistaat die Zahl der Standorte von Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) in Private-Equity-Hand erhöht hat. Aus dem Topf der GKV.

Nichtärztliche Berufsgruppen wünschen sich die Übernahme ärztlicher Leistungen und werden darin von der Politik beständiger unterstützt als die Ärzteschaft bei ihrer Forderung nach mehr humanmedizinischen Studienplätzen in Deutschland. Beispielhaft seien hier Impfungen oder der mit 90 Euro ­dotierte Medika­tionscheck durch Apotheker genannt, aber auch die Durchführung originär ärztlicher Behandlungen durch Notfallsanitäterinnen und Notfallsanitäter sowie perspektivisch durch Pflegekräfte. Aus dem Topf der GKV.

Was wir brauchen sind Gesetze, die nachhaltig die GKV stabilisieren und von versicherungsfremden Leistungen befreien. Dazu gehört beispielsweise die Prävention, die primär eine Aufgabe des Staates ist und in einem Präventionsgesetz verankert werden sollte. Nicht aus dem Topf der GKV. Leistungen der Selbsthilfe, bei Schwangerschaft und Mutterschutz oder das Kinderkrankengeld. Nicht aus dem Topf der GKV. Wir brauchen gesetzliche Regelungen, die investorengetragenen MVZ Einhalt gebieten und die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen sichern. In diesem Zusammenhang werden wir auf dem kommenden 81. Bayerischen Ärztetag (BÄT) in Regensburg auch die Zielvereinbarungen von Chefarztverträgen diskutieren, um zu verhindern, dass Ärztinnen und Ärzte in Konflikt mit der ­Berufsordnung kommen.

Von einem Bundesgesundheitsminister möchte ich hören, dass er neben der wiederholten Forderung nach einer Stützung der Krankenhäuser auch für die niedergelassenen Ärzte die Stimme erhebt. Auch wir brauchen einen zeitgleichen Inflationsausgleich und Energiekostenzuschüsse für den Betrieb unserer Praxen. Die Forderung des GKV-Spitzenverbandes, dies über den ­Honorarverteilungsmaßstab zu regeln, geht dabei völlig fehl. Wir halten die Versorgung aufrecht, auch wenn jetzt die siebte Coronawelle anrollt, die einrichtungsbezogene Impfpflicht nicht abgeschafft wird und unsere Medizinischen Fachangestellten nach wir vor keinen staatlichen Bonus bekommen haben.

Wenn die Ärzteschaft jetzt mit Protesten ihren berechtigten Anliegen Nachdruck verleiht, so ist das nicht empörend, wie es von Seiten der Krankenkassen zu hören ist, sondern an der Zeit.

Der kommende BÄT in Regensburg wird die Forderungen der Ärzteschaft in Beschlüssen konkretisieren und von den politischen Entscheidungsträgern Umsetzungen erwarten.

Zentrales Thema des BÄT wird es darüber hinaus sein, die gesundheitlichen Belastungen und Herausforderungen durch den Klimawandel aufzuzeigen, um ein Umdenken und geeignete Maßnahmen einzufordern. Deshalb freue ich mich besonders, dass wir Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg, für unsere Auftaktveranstaltung in der altehrwürdigen Donaustadt als Rednerin gewinnen konnten. Sie wird darüber referieren, wie der Klimawandel die Gesundheit des Menschen beeinflusst. Das Thema trifft den Puls der Zeit. Denn mit den gesundheitlichen Folgen einer zunehmenden Belastung durch Hitze und Pollen, der Ausbreitung von Vektoren-Tieren sowie immer häufiger auftretenden Extremwettereignissen, werden wir während unserer täglichen ärztlichen Arbeit immer stärker konfrontiert werden. Auch hier gilt: Verhaltensprävention ist ärztliche Aufgabe, die dafür notwendige Verhältnisprävention Aufgabe des Staates. Hier brauchen wir seine Unterstützung, nicht bei der Ausübung unseres Berufes.

 

 

Top