Gegenseitiges Verstehen und Verständnis

Was war das Besondere am diesjährigen Deutschen Ärztetag 2025 in Leipzig, was bleibt und was gibt es zu tun? Er war getragen von einer hohen Professionalität in den Diskussionen der Abgeordneten und einer beeindruckenden Geschlossenheit bei den Abstimmungen, insbesondere bei den Anträgen zum Klimaschutz, zur neuen GOÄ, dem § 218 Strafgesetzbuch (StGB) oder auch für krisenresilientes Gesundheitswesen, Patientensicherheit und Kinderschutz sowie zur Künstlichen Intelligenz. Vielleicht war dies auch dem besonderen Geist jener Stadt geschuldet – jenem Geist, aus dem einst die Montagsmärsche hervorgingen und der den Weg in ein vereintes Deutschland ebnete: Ein Geist des gegenseitigen Verstehens und der Verständigung. Folgende Punkte sind mir dabei von besonderer Wichtigkeit:
Klimawandel und Umwelt
Bereits im Juni erlebten wir eine außerordentliche Hitzewelle in Deutschland und sehen, dass die Resilienz an ihre Grenzen stößt, wo der einzelne selbst nicht für ausreichend Hitzeschutz sorgen kann. Aktuelle Krisen – von Pandemien über Cyberangriffe bis hin zu militärischen Konflikten – lenken von der Klimakrise und den damit verbundenen gesundheitlichen Folgen für die Menschheit ab und schwächen die Fokussierung auf notwendige Klimaschutzmaßnahmen. Der Gesetzgeber ist gefordert, konkretes und zeitnahes Handeln beim Hitzeschutz, aber auch bei der Energiewende, die wir zurecht als großes Gesundheitsprojekt unserer Zeit bezeichnen können, umzusetzen. Dazu gehört inzwischen auch der sorgsame Umgang mit der Ressource Wasser – von der sparsamen Verwendung bis hin zur Wiederverwertbarkeit. Die verpflichtend umzusetzende Abwasserrichtlinie der EU (KARL) ist ein wichtiger Schritt in Richtung Klimaneutralität und nachhaltiger Wasserwirtschaft, bei dem die Verursacher von Verunreinigungen unter anderem zur Reinigung in Kläranlagen verpflichtet werden.
Reformen im Gesundheitswesen
Mit einem Leitantrag mahnte der Ärztetag „mutige Reformen in allen Versorgungsbereichen“ an. Dazu gehören einmal mehr die Koordination in der Versorgung durch eine konsequentere Patientensteuerung, eine Regulierung von investorengestützten medizinischen Versorgungzentren und eine echte Entbudgetierung aller Facharztgruppen. Damit nicht genug, es bedarf einer Förderung von gesundem Leben, und damit der Gesundheitskompetenz der Bevölkerung, beginnend im Kindes- und Jugendalter, einer wirksamen Entbürokratisierung, einer Änderung der Zulassungsvoraussetzung für das Medizinstudium und die Verabschiedung der längst überfälligen neue Approbationsordnung für Ärztinnen und Ärzte.
Beim zentralen Thema des Einsatzes von Künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen muss uns neben all der Unterstützung, die wir sicherlich im ärztlichen Berufsalltag und in der Patientenversorgung erwarten können, bewusst sein, dass damit völlig neue Player ins System kommen und es deshalb wichtig ist, dass wir die Gesamtverantwortung, die unserer Profession zukommt, auch weiterhin wahrnehmen.
Krisenresilienz
Wollen wir darüber hinaus das Gesundheitswesen krisenresilient ausgestalten, braucht es geregelte Abläufe und Zuständigkeiten und vor allem eine nachhaltige Sicherung der Verfügbarkeit von Fachkräften aber auch der dazugehörigen Einrichtungen. So ist im Zuge der Krankenhausreform auch der Erhalt kleinerer Kliniken im Auge zu behalten. Das bedeutet, schon heute das solidarische System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu sichern, was auch durch eine entsprechende finanzielle Ausstattung erfolgen muss, bei der unter anderem die versicherungsfremden Leistungen endlich aus den Leistungen der GKV herausgerechnet werden. So hat die neue Bundesgesundheitsministerin bereits einen neuen Ton des gemeinsamen Dialogs in den gesundheitspolitischen Diskurs gebracht und dabei angemahnt, dass „die Kostenübernahme des Bundes für die Krankenkassenbeiträge der Bürgergeldempfänger nicht ausreicht“. Es ist an dieser Stelle vom Bundesfinanzminister zu fordern, diesem Ansinnen unverzüglich nachzukommen und Kosten, die in der Krankenversicherung fehlalloziert sind, auch vollumfänglich zu übernehmen und nicht fadenscheinig durch ein Darlehen auszugleichen.
Paragraf 218 StGB
Ärztliches Handeln, das zudem im Zusammenhang mit dem Selbstbestimmungsrecht von Frauen und unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit zu bewerten ist, mit der Schuld einer Straftat zu beladen, deren Tatbestand dann bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen lediglich als nicht verwirklicht deklariert wird, ist nicht länger hinnehmbar. Das Thema Regelung des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland kann auf eine lange Debattenkultur zurückblicken. So war es ein wichtiges Zeichen, dass sich der Deutsche Ärztetag in diesem Jahr damit beschäftigt hat. Eine große Mehrheit – 220 Ja-Stimmen, 14 Nein-Stimmen und drei Enthaltungen – stimmte dem Antrag zu, der auf eine Regelung des Schwangerschaftsabbruches im ersten Trimenon außerhalb des Strafgesetzbuches abzielt. Dabei soll ein verpflichtendes Beratungsangebot bestehen bleiben. Es stellt also keinen Paradigmenwechsel dar und berücksichtigt den Schutz des ungeborenen Lebens nicht minder, wenn der Schwangerschaftsabbruch künftig in einem anderen Gesetzeskontext geregelt werden soll.
Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)
„Standing Ovations“ sieht man bei Beschlüssen Deutscher Ärztetage selten; bei der Verabschiedung der GOÄ haben wir dies erlebt: Ein klares Zeichen, dass die Abgeordneten endlich den Weg frei machen wollen, damit die Regierung diese auf den Weg bringen kann. Sie stimmten mit 212 Ja-Stimmen bei 19 Nein-Stimmen dem Entwurf von Bundesärztekammer (BÄK), Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV-Verband) sowie Beihilfe zu und beschlossen die „GOÄneu“. Das war ein eindeutiges Ergebnis, wohlüberlegt und von einem breiten Konsens getragen.
Kinderschutz
Ein Thema, bei dem es um die Gesundheit der kommenden Generation geht, wurde bei den Anträgen zu mehr Kinderschutz in der Lebensmittelwerbung, bei der Mediennutzung und in den sozialen Medien, für Erste Hilfe als Unterrichtsinhalt und eine Stärkung der Gesundheitskompetenz deutlich. Die Abgeordneten des diesjährigen Ärztetags haben sich mit vielen Aspekten der Prävention und der Gesundheitsförderung befasst, insbesondere mit der Kindergesundheit, was ich voll unterstütze. Mit großer Mehrheit sprach sich die verfasste Ärzteschaft beispielsweise für ein Kinderlebensmittelwerbegesetz aus, mit dem die Werbung für Kinderlebensmittel, deren Nährwerte für Zucker, Fett und Salz die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfohlenen Richtwerte überschreiten, reguliert werden soll – eine Forderung, die ich bereits wiederholt erhoben habe.
Damit aus meiner Sicht noch nicht genug. Es ist endlich an der Zeit, Gesundheits- und Klimawissen in die Lehrpläne der Schulen aufzunehmen. Vorschläge dazu liegen bereits auf dem Tisch und es ist an der Zeit, dass die Politik hier endlich vom Reden ins Handeln kommt. Zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen gehört auch, wobei wir zum Thema Hitze zurückkehren können, dass Sportfeste für Schülerinnen und Schüler bei hohen Temperaturen im Freien von Amts wegen untersagt werden. Gerade, weil aktuelle Studien belegen, dass diese Altersgruppe von Hitzeschäden bis zu neunmal stärker betroffen ist als Erwachsene.
Gegenseitiges Verstehen und Verständnis kann dazu führen, die diesjährigen Ärztetagsbeschlüsse in vernünftige und nachvollziehbare Gesetzestexte zu überführen.
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