Fehlentwicklung im Gesundheitswesen korrigieren

Dr. med. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK

Das krisengeschüttelte Jahr 2022 war gekennzeichnet durch den russischen Überfall auf die Ukraine und seine Folgen aber auch durch die Pandemie, die fehlgesteuerte Prozesse im deutschen Gesundheitssystem zutage treten ließ.

Dies kann aber nicht bedeuten, eine Primärversorgung durch nichtärztliche Fachberufe, wie es jetzt der Bundesverband Managed Care fordert, oder auch telemedizinische Versorgungszentren, zu etablieren. So birgt beispielsweise die Primärversorgung durch Community Health Nurses, denen Heilkunde übertragen werden soll, die Gefahr, dass ärztliche Versorgung zum Privileg wird. Wenn der Bundesgesundheitsminister im Paragrafen 30 SGB V ein „kleines Versorgungsgesetz“ zur Primärversorgung festschreiben möchte, zum anderen zur Regelung der ambulant-stationären Versorgung „ein neuer Paragraf 39f im SGB V geschaffen“ werden soll, so kann man nur hoffen, dass er dabei diese Fehlentwicklung aufgreift und die praktizierende Ärzteschaft und nicht nur wissenschaftliche Expertinnen und Experten mit einbezieht. Gleiches gilt für die Empfehlung der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung.

Richtig gesteuerte Prozesse im Gesundheitswesen müssen bedeuten, die systematische, vor allem aus ökonomischen Gründen betriebene Demontage des Arztvorbehaltes zu beenden und endlich dafür zu sorgen, dass genügend Ärztinnen und Ärzte für eine älter werdende Gesellschaft und die damit verbundene ­Zunahme der Morbidität zur Verfügung stehen. Dabei darf das Morbiditätsrisiko allerdings nicht auf die Ärzte verlagert werden, und es braucht endlich Honorarverhandlungen, die ihren Namen verdienen und eine moderne GOÄ, die die Arbeit von Ärzten wertschätzt. Wohl gemerkt: wir haben keinen Mangel an Fachkräften, was die Ärzteschaft betrifft, wir haben einen Mangel an Ausbildungsplätzen.

Sehenden Auges hat die Politik diese Fehlentwicklungen verschlafen, sind die Länder bis auf wenige Ausnahmen, wie Bayern, ihrer Verpflichtung nach einer Erhöhung der Studienplatzzahl für ­Medizin mit fadenscheinigen Argumenten der hohen Kosten oder der Kapazitätsverordnung nicht nachgekommen. Dass wir bundesweit 6.000 mehr Studienplätze für Humanmedizin an deutschen Universitäten brauchen, ist mittlerweile allenthalben beklatscht worden, mehr aber auch nicht.

Stattdessen erleben wir, dass Gesundheitsökonomen und ­-manager eine vermeintlich alternative Versorgung definieren und nicht diejenigen zu Rate gezogen werden, die Patientinnen und Patienten behandeln, versorgen und betreuen, in Klinik und Praxis. Wenn die Not im Land nur groß genug ist – sei es durch die Pandemie oder das aktuelle Infektionsgeschehen bedingt – dann gibt es Schulterklopfen und den steten Appell, noch mehr zu arbeiten. Aber wenn wir auf die strukturellen Probleme hinweisen, dann finden Ärzte bei der Politik kein Gehör. Sie werden weder gehört, wenn sie übermäßige Bürokratie oder eine dysfunktionale Telematikinfrastruktur kritisieren, noch ist die Politik bereit, die zum Teil bedrückende Rahmenbedingungen ärztlicher Arbeit grundlegend zu verbessern. Dabei wäre das doch die Aufgabe des Bundesgesundheitsministers, und zwar, wie er immer sagt, mit „Prio 1“. Denn strukturelle Verwerfungen kosten wichtige Arbeitszeit am Patienten und auch Motivation.

Patientenversorgung der Zukunft kostet Geld, das vorwiegend aus den Mitgliedsbeiträgen der Krankenversicherten stammt. Diese können und sollten aber nicht für Leistungen aufkommen müssen, die nichts mit der originären Gesundheitsversorgung zu tun haben, sondern versicherungsfremde Leistungen sind. Hier machen sich die politisch Verantwortlichen seit Jahrzehnten einen schlanken Fuß – zu Lasten der Ärzte. Aber damit nicht genug: Allenthalben hören wir von Politik und Krankenkassen dazu noch das unbegrenzte Leistungsversprechen mit der Folge einer völlig ungesteuerten Inanspruchnahme des Gesundheitswesens. Überfüllte Praxen und Notaufnahmen sind die Konsequenz. Ärzte sind am Limit. Auch diese Fehlentwicklung muss korrigiert werden.

Ideologisch gefärbte Konzepte zu mehr Staatsdirigismus helfen da ebenso wenig wie ein Mehr an Privatisierung. Ein stärker ­gewinnorientiertes Gesundheitssystem garantiert weder eine gute medizinische Patientenversorgung noch Versorgungs­sicherheit. Keinesfalls dürfen wir eines der leistungsfähigsten Gesundheitssysteme durch politische Eingriffe, weitere Budgetierung, Kommerzialisierung oder auch Heilkundeübertragung an nichtärztliche Berufe schwächen. Unser Gesundheitswesen ist komplex, aber bürgernah. Die Politik sollte deshalb differenziert vorgehen und ärztlichen Sachverstand in die anstehenden ­Reformprozesse strukturell einbinden. Es gilt, unsere, die tatsächlich bewährten, Strukturen zu stärken und zugleich Fehlentwicklungen zu korrigieren.

Wir dürfen unser Gesundheitssystem insbesondere auch nicht dadurch schwächen, dass ärztliche Arbeit nicht mehr angemessen vergütet wird, was derzeit durch die Verschleppung der neuen GOÄ seitens des Gesetzgebers geschieht. Es ist an der Zeit für die politischen Entscheidungsträgerinnen und -träger für eine überfällige neue GOÄ zu sorgen.

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