"Endulen e.V. - Trage es im Herzen mit!"

Masseikind

Seit 2008 verwirklicht Endulen e. V. medizinische Hilfsprojekte in Tansania mit den Schwerpunkten: Bauprojekte, medizinische Ausstattung und Energie- und Wasserversorgung von Gesundheitseinrichtungen; Bildungsprojekte und Gesundheitsaufklärung; Hilfe für Notoperationen und Medikamentenengpässe.

Wöchnerinnenstation im Hospital

Neema ist Erstgebärende und liegt völlig erschöpft im Endulen Hospital. Sie ist 17 Jahre alt und gehört zum Stamm der Massai. Das auch für den Verein namensgebende Dorf Endulen liegt weit im Ngorongoro Naturschutzgebiet im Norden Tansanias und ist weder an das Straßen- noch an das Stromnetz angeschlossen. Das Endulen Hospital ist für die medizinische Versorgung von ca. 85.000 Menschen zuständig.
Die Geburt zieht sich seit Stunden hin und nun kommt es aufgrund maternaler Erschöpfung zum Geburtsstillstand. Die junge Frau kann einfach nicht mehr. Der einzige Ausweg nun: ein Kaiserschnitt. Noch vor zehn Jahren wäre das in Endulen undenkbar gewesen. Sie hätte sich auf den lebensgefährlichen Weg in das nächste 80 km entfernte Krankenhaus durch den Busch machen müssen. Dabei sind viele junge Mütter verstorben oder haben tote Neugeborene bei Ankunft im größeren Krankenhaus geboren.
Im Jahr 2009 hat Endulen e. V. deswegen zusammen mit der damaligen Klinikverwaltung das Projekt „Safe Motherhood“ zum Schutz der Schwangeren und ihrer Neugeborenen ins Leben gerufen. Teil des Projektes war der Bau einer Wöchnerinnenstation inmitten des Endulen Hospitals. Vorher hatten die Kreisenden zwischen anderen Patienten auf einer normalen Station liegen müssen, was zusätzlich eine Abschreckung darstellte, überhaupt herzukommen – vor allem im Hinblick auf die hohe Tuberkulose-rate in der Region. In enger Zusammenarbeit zwischen Klinikmitarbeitern und traditionellen Geburtshelferinnen wurde 2009 der Plan für die 24-Betten-Wöchnerinnenstation entworfen und verwirklicht. Bau und Ausstattung haben mehr als 90.000 Euro gekostet, was wir als Endulen e. V. nur durch zahlreiche Spenden aus der Heimat zusammentragen konnten.
Neema hat Glück. Ihr kann geholfen werden. Und sie hat Glück, dass sie bereits frühzeitig ins Endulen Hospital gekommen ist und nicht wie viele andere versucht hat, ihr Kind im Busch in einer Lehmhütte zur Welt zu bringen. Es hätte nicht geklappt. In jeder Massaisiedlung gibt es mindestens eine traditionelle Geburtshelferin, die eine unkomplizierte Geburt gut leiten kann; treten jedoch Komplikationen auf, kommt medizinische Hilfe meist zu spät und Mutter und Neugeborenes tragen die Konsequenzen.
Seit 2009 initiiert Endulen e. V. viermal jährlich Workshops für 30 bis 40 traditionelle Geburtshelferinnen, um über die Gefahren einer Geburt fernab jeder medizinischen Hilfe aufzuklären, kritische Situationen rechtzeitig zu erkennen und ihnen zu zeigen, dass das Endulen Hospital ihnen in ihrer traditionellen Geburtshilfe zur Seite steht. Sie können ihre schwangeren Frauen in die Klinik bringen und bei der Entbindung begleiten. Die Workshops werden von Ärzten und Hebammen des Endulen Hospitals geleitet und stärken die Kooperation mit der Klinik.


Workshop mit traditionellen Geburtshelferinnen in der Wöchnerinnenstation


Es ist 00.30 Uhr als die Indikation zur Sectio gestellt wird. Es kommt Hektik um Neema auf. Sie ist völlig entkräftet und nimmt davon nichts mehr wahr. Der ebenfalls von Endulen e. V. organisierte Diesel-Generator muss erst angeworfen, der OP-Saal vorbereitet und medizinisches Personal zur Eil-Sectio in Mitten der Nacht gerufen werden. Die junge Frau sitzt zitternd auf dem OP-Tisch und muss gestützt werden, während ein speziell ausgebildeter Anästhesie-Pfleger die Spinalanästhesie appliziert. Unsereins steht erstaunt daneben, wie dennoch alles klappt, fernab der deutschen Vollversorgung, fernab von der Diskussion, welche Farbe nun die Decke eines perfekten Kreissaals haben sollte. Viel Zeit zum Schwelgen in Vergleichen bleibt nicht. Ein reifer Junge wird entbunden und die Erstversorgung muss ohne Hilfsmittel durchgeführt werden. Es bleibt für den Notfall nur eine manuelle Absaugung und ein Ambu-Beutel. Aber der Kleine gibt sein Bestes und schreit kräftig. Unter dem Schein der Solarlampen, gespeist von gespendeten Solarbatterien, wehrt er sich gegen Wollmütze und Wollsocken, die hier jedes Neugeborene geschenkt bekommt. Aber die traditionelle Geburtshelferin kennt kein Erbarmen: Socken und Mütze müssen getragen werden. Neema schaut ihr Baby erstaunt an; sie ist jedoch zu erschöpft, um es zu halten. So wird der Kleine an seine Großmutter übergeben, die ihn, in Tücher gewickelt, dankbar und erleichtert am Eingang des OP-Traktes entgegennimmt. Im OP-Saal lockert sich die Stimmung nun deutlich, alle sind erleichtert, dass es gut verlaufen ist; keine Selbstverständlichkeit bei den begrenzten medizinischen Ressourcen, die hier zur Verfügung stehen.

„Wir werden leben!“

Von den Massaifrauen wurde die Wöchnerinnenstation auf den Namen „Kipok“ getauft. Das bedeutet auf der Stammessprache der Massai: „Wir werden leben!“. In einem Land, in der die Müttersterblichkeit bei 398 pro 100.000 Geburten und die Neugeborenen-Sterblichkeit bei 3.900 pro 100.000 Geburten (WHO 2015) liegt, bekommt dieser Satz eine noch ganz andere Bedeutung (zum Vergleich Deutschland: Müttersterblichkeit 7:100.000 und Neugeborenen-Sterblichkeit 300:100.000).
Am nächsten Morgen liegt Neema immer noch schlapp im Bett, aber sie lächelt und sieht ihren schlummernden Sohn glücklich an. Ihre traditionelle Geburtshelferin sitzt neben ihr und spricht leise und bedacht mit ihr. Neema klagt aufgrund der einschießenden Milch über Brustschmerzen. Viel zu jung sind hier die Frauen, wenn sie das erste Mal ein Kind bekommen. Jede vierte Erstgebärende in Tansania ist unter 18 Jahre alt und in ländlichen Regionen sind die Zahlen noch höher (WHO 2015). Sie wissen oft nicht, was während Schwangerschaft und Geburt mit ihrem Körper geschieht und sind verunsichert. Die Geburtshelferinnen leisten hierbei große Hilfe und Aufklärungsarbeit.

Aufklärungsbroschüren werden vor der Wöchnerinnenstation wartenden Massaifrauen erklärt.


Aus diesem Grund wurden 2012 von Endulen e. V. zusammen mit einem deutschen Künstler laminierte DIN A4-Aufklärungsbroschüren entworfen, die die Abläufe einer Klinikentbindung, die Gefahren einer Geburt in der Massaihütte sowie die korrekte Versorgung eines Neugeborenen in Form einer Bildergeschichte vermitteln. Jede traditionelle Geburtshelferin führt eine dieser Broschüren mit sich, wo sie bei Routineuntersuchungen von Schwangeren vielfach eingesetzt werden. Aufgrund der großen Nachfrage wurden 2016 fünf Broschüren im DIN A3-Format nachgeliefert, um größere Frauengruppen unterrichten zu können.
Die junge Massai bleibt noch ein paar Tage im Endulen Hospital, solange bis sie sich in ihrer neuen Rolle als Mutter wohlfühlt und das Stillen klappt. Auch dafür sind die Frauen dankbar, dass die Wöchnerinnenstation ihnen diese Möglichkeit nun bietet. Die Wände der Station sind von einem tansanischen Künstler mit edukativen Gemälden verschönert worden, auf denen beispielsweise das richtige Anlegen beim Stillen oder die Wichtigkeit von regelmäßigen Untersuchungen der Kinder nach der Geburt mit Gewichtskontrollen dargestellt werden.
Zuhause wartet wieder ein beschwerliches Leben auf Neema, denn die aktuelle Dürre hat die, immer noch sehr von der Viehzucht und Landwirtschaft abhängige ländliche Bevölkerung, in einigen Gebieten Ostafrikas um ihre Ernte und Tiere gebracht. 2017 sind erstaunlich viele unterernährte Kinder, vor allem Kleinkinder, in das Endulen Hospital gebracht worden. Zwei Nothilfe-Pakete mit Babynahrung wurden von uns verschickt und haben in dem schlimmen Dürrejahr einige Kinder in und um Endulen vor dem Hungertod bewahrt. Auch hatten Kinder aus der Not heraus verrottetes Fleisch gegessen und es gab zahlreiche Fälle von Milzbrand, die mit einer hohen Letalitätsrate einhergehen.
Noch lange hat Tansania, sowie andere Teile Ostafrikas, keine ausreichende medizinische Versorgung für schwangere Frauen, ihre Neugeborenen und Kleinkinder. Oft kommt es zu tragischen Verläufen bei einfach zu behebenden medizinischen Problemen. Aus diesem Grund wurde im Jahr 2008 Endulen e. V. gegründet. Gerade die Mutter-Kind-Gesundheit ist uns ein großes Anliegen. Seither konnten nachhaltige Projekte für über eine Viertelmillion Euro in enger Zusammenarbeit mit den Einheimischen vor Ort umgesetzt werden.

Versorgungssituation in Tansania

In Tansania gibt es nur 112 Fachärzte in Gynäkologie (Stand Oktober 2016) und auf einen Arzt kommen 33.000 Patienten (WHO 2012). 2015 haben wir begonnen Facharztausbildungen und Fachweiterbildungen im Pflegebereich zu fördern, denn oft scheitert es an den hohen Weiterbildungskosten und eigentlich nie an der Motivation. Von uns geförderte Fachkräfte verpflichten sich, zum einen Fortbildungen in ihrem Fachbereich in entlegenen Kliniken der Region zu geben, zum anderen im Land zu bleiben, um ihr Wissen und Können zur Bekämpfung der hohen Letalitätsraten anzuwenden.
In dem 90 km Luftlinie von Endulen entfernten Ort Mto wa Mbu haben die Frauen weniger Glück. Hier fehlt dem dortigen Krankenhaus ein Kaiserschnitt-Operationssaal, obwohl das nötige, fertig ausgebildete Personal für die Durchführung einer solchen Operation bereits dort arbeitet. Die Frauen müssen im Falle des Falls 70 km zum nächsten Krankenhaus gebracht werden. Zum Teil werden sie in Wehen auf einem Motorrad transportiert, denn die Zeit rennt – eine Tortur mit oft fatalem Ausgang.
Unser nächstes großes Projekt soll deswegen der Bau eines OP-Saales sein, um die Mutter-Kind-Sterblichkeit in Mto wa Mbu so zu senken, wie wir es in Endulen geschafft haben: Die Anzahl der Klinikentbindungen im Endulen Hospital konnte in den vergangenen acht Jahren verfünffacht werden; allein 2017 sind 250 Neugeborene sicher im Endulen Hospital geboren worden, davon 30 mittels lebensrettendem Kaiserschnitt. Damit auch die Frauen um und in Mto wa Mbu bald sagen können „Wir werden leben!“, brauchen wir Ihre Unterstützung.

 


Dr. Maria Dillmann
Assistenzärztin, Kinderklinik Dritter Orden Passau

 

 

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