Einführung in die S2-Leitlinie „Akuttherapie und Management der Anaphylaxie“

„Akuttherapie und Management der Anaphylaxie“

Anaphylaktische Reaktionen stellen die akut bedrohlichsten Zwischenfälle in der Allergologie dar. Unter Anaphylaxie versteht man eine akute systemische Reaktion mit Symptomen einer allergischen Sofortreaktion, die den ganzen Organismus erfassen kann und potenziell lebensbedrohlich ist [1].

Während es sich früher um relativ seltene Ereignisse handelte, ist mit dem generellen Anstieg allergischer Erkrankungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch die Häufigkeit von Anaphylaxie gestiegen [2].

Wegen der Dramatik der Situation steht das schnelle therapeutische Handeln im Vordergrund; es gibt wenig bzw. keine kontrollierten Studien zu den wichtigsten Therapieverfahren der Akutbehandlung.

Teile dieses Artikels sind wörtlich aus der Leitlinie übernommen. [Ring J, Beyer K, Biedermann T, Bircher A, Duda D, Fischer J, Friedrichs F, Fuchs T, Gieler U, Jakob T, Klimek L, Lange L, Merk HF, Niggemann B, Pfaar O, Przybilla B, Rueff F, Rietschel E, Schnadt S, Seifert R, Sitter H, Varga EM, Worm M, Brockow K: Leitlinie zur Akuttherapie und Management der Anaphylaxie. Allergo J Int 2014; 23: 96-112]

Historie

Das Phänomen der Anaphylaxie wurde im Jahre 1901 zum ersten Mal wissenschaftlich beobachtet und so genannt, und zwar von den französischen Forschern Charles Richet und Paul Portier, die versuchten, Hunde gegen Quallengifte (Physalien) zu immunisieren. Dabei kam es nach wiederholter Injektion statt zu der erhofften Schutzwirkung zu dem dramatischen Reaktionsbild einer tödlichen Anaphylaxie [3].

In der Folge wurde das Phänomen nicht nur im experimentellen Bereich, sondern auch klinisch beobachtet und mit verschiedenen Namen belegt, insbesondere im Hinblick auf die pathophysiologischen Mechanismen. Von vielen Autoren wurde Anaphylaxie nur als immunologisch vermittelte, nach Entdeckung von Immunglobulin E als IgE-vermittelte Sofortreaktion definiert. Es gab und gibt jedoch eindeutig andere Pathomechanismen, die zu klinisch sehr ähnlichen Zustandsbildern führen können und die mit unterschiedlichsten Namen „anaphylaktoid“, „pseudo-allergisch“, „allergy-like“ und andere mehr belegt wurden. Die terminologische Vielfalt trug zur Verwirrung bei. Man machte den Fehler, mit ein und demselben Begriff klinische Symptomatik und Pathomechanismen beschreiben zu wollen, ohne dass diese zwangsläufig immer eine Einheit sein müssen. Erst 2004 kam es im Konsensus der World Allergy Organization (WAO) und einer neuen Nomenklatur der Allergologie [4] auch zu einer neuen Definition von Anaphylaxie, die als klinisches Phänomen definiert wurde, unabhängig vom auslösenden Mechanismus. Man unterscheidet heute eine immunologische von einer nicht-immunologischen Anaphylaxie, sodass die oben erwähnten Termini „anaphylaktoid“ etc. damit hinfällig werden.

Schon die ersten Fallbeschreibungen zeigten die häufigsten Auslöser auf [5], nämlich Arzneimittel, insbesondere xenogene Seren (Antidiphterietoxin nach Behring), Nahrungsmittel (Nüsse, Sellerie) sowie Insektengifte, wie ein früher Bericht von 1939 in der Münchner Medizinischen Wochenschrift zeigt [6].

Zur Therapie wurde Adrenalin eingesetzt und zwar meist intravenös (unterschiedlich verdünnt) oder subkutan. Dies war nicht unproblematisch, da bei der subkutanen Applikation – und eventuell vorliegendem Schock – keine adäquate Resorption erfolgte, während die intravenöse Applikation häufig zu sehr starken Kreislaufreaktionen mit Blutdruckanstieg und Tachykardie bzw. Arrhythmie führte. Bis in die 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts waren dies die Standardempfehlungen in den medizinischen Textbüchern. Jeder der einmal Adrenalin intravenös – wenn auch sehr langsam – injiziert hat, weiß, wie gefährlich dies sein kann. Deshalb war in weiten Kreisen der Ärzteschaft eine gewisse Zurückhaltung gegenüber dem Einsatz von Adrenalin in der Praxis – außerhalb von intensivmedizinischen Bedingungen – zu verspüren.

Durch die Entwicklung der intramuskulären Injektion mithilfe eines standardisierten Autoinjektors, der 300 µg Adrenalin in die Oberschenkelmuskulatur appliziert, wurde die Adrenalin-Therapie sicherer und von immer weiteren Kreisen auch in frühen Stadien der anaphylaktischen Reaktion akzeptiert.

Diese Entwicklung schlägt sich auch in der neuen S2-Leitlinie nieder.

Erstellung der Leitlinie

Ein erster Vorläufer dieser Leitlinie erschien im Ergebnis einer interdisziplinären Konsensuskonferenz als Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI) 1994 im Allergo Journal [7], welches im Jahr 2007 aktualisiert und als Leitlinie veröffentlicht wurde [8].

Auf Vorstandsbeschluss der DGAKI von 2009 wurde die Arbeitsgruppe Anaphylaxie be-auftragt, die Leitlinie zu aktualisieren. Die 24 Teilnehmer der Leitliniengruppe kamen aus verschiedenen Bereichen wie Allergologie, Anästhesiologie und Intensivmedizin, Dermatologie, Pädiatrie, Innere Medizin, Otolaryngologie, Notfallmedizin, Pharmakologie, Pneumologie und psychosomatische Medizin sowie theoretische Medizin. Insgesamt waren folgende Fachgesellschaften aus dem deutschsprachigen Raum einschließlich Österreich und der Schweiz vertreten.

Deutsche Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie (DGAKI), Ärzteverband Deutscher Allergologen (AeDA), Gesellschaft für pädiatrische Allergologie und Umweltmedizin (GPA), Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte in Deutschland (BVKJ), Deutsche Akademie für Allergologie und Umweltmedizin (DAAU), Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), Deutsche Gesellschaft für Pharmakologie (DGP), Deutsche Gesellschaft für psychosomatische Medizin (DGPM), Arbeitsgemeinschaft Anaphylaxie Training und Edukation (AGATE), Österreichische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (ÖGAI), Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) sowie die Patientenorganisation Deutscher Allergie- und Asthmabund (daab).

Die in zahlreichen Treffen erarbeiteten Empfehlungen beruhten auf Literaturrecherchen unter Bewertung von klinischen Studien, Fallserien, Einzelfallbeschreibungen, experimentellen Untersuchungen, Erfahrungen der Teilnehmer sowie von theoretischen Überlegungen. Insgesamt war die Anzahl aussagekräftiger Therapiestudien zur Anaphylaxie so gering, dass die akute Therapie auch heute noch in weiten Bereichen empirisch bleibt und sich aus pathophysiologischen Überlegungen ableitet [9].

Anaphylaktische Reaktionen können auf jeder Stufe der Symptomatik spontan zum Still-stand gelangen, aber auch trotz adäquater Therapie fortschreiten. Diese Unwägbarkeit erschwert es, die Wirksamkeit therapeutischer Maßnahmen zu beurteilen.

Aus notfallmedizinischen Untersuchungen [10] weiß man, dass Patienten nach erfolgreicher Behandlung einer Anaphylaxie nur ungenügende Nachbetreuung erfahren. Eine wesentliche Zielsetzung der neuen Leitlinie befasste sich deshalb auch mit dem Langzeit-Management von Anaphylaxiepatienten.

Inhalte

Die Inhalte umfassen neben einer kurzen Einführung in Epidemiologie und Pathophysio-logie der Anaphylaxie die Beschreibung der klinischen Symptomatik mit unterschiedlichen Schweregraden und Differenzialdiagnosen, daran anschließend die Pharmakologie der wichtigsten Medikamente der Anaphylaxiebehandlung. Schließlich folgt ein ausführlicher Teil zur Akuttherapie mit Allgemeinmaßnahmen und spezifisch medikamentöser Therapie bei verschiedenen Symptomkonstellationen. Daran schließt sich ein Teil zum Patienten-Management, zur Selbstmedikation sowie zu Informations- und Schulungsmaßnahmen an.

Bei den allgemeinen Basismaßnahmen wurde auf die genaue Beschreibung der Reanimationstechniken verzichtet. Hier wird auf nationale und internationale Leitlinien zur Cardio-Pulmonalen Resuscitation (CPR) [11] verwiesen.

Die wesentlichen Änderungen zur Leitlinie von 2007 beinhalten eine Modifikation der Klassifikation der Schweregrade einer Anaphylaxie, wonach der Grad I nicht nur das Auftreten von Hauterscheinungen, sondern auch subjektive Allgemeinsymptome beinhaltet (früher „Prodromi“ genannt). 

Ferner erfuhren die Augmentationsfaktoren, die bei dem Phänomen der „Summations-Anaphylaxie“ als unspezifische Verstärker wirken (zum Beispiel körperliche Anstrengung, psychischer Stress, gleichzeitiger Infekt, Alkoholgenuss, Einnahme von Medikamenten oder gleichzeitige Exposition gegenüber anderen Allergenen) eine stärkere Beachtung.

Der rein pharmakologische Teil wurde gekürzt, dafür wurden die praktischen Anweisungen ausführlicher und in einem symptombezogenen Flussdiagramm dargestellt. Der intramuskuläre Einsatz von Adrenalin wurde in den Vordergrund gestellt.

Die zu verordnende Selbstmedikation wurde ausführlicher dargestellt, ebenso wie die Präventionsberatung und die Bedeutung der Allergiediagnostik zur Ermittlung der Auslöser und Überlegungen zu einer möglichen allergenspezifischen Immuntherapie (ASIT), zum Beispiel bei Insektengift-Anaphylaxie. Neuer Raum wurde den Patientenschulungen gewidmet, insbesondere der von der AGATE entwickelten standardisierten und qualitätskontrollierten Anaphylaxie-Schulung [12].

Pathophysiologie

Die Symptome anaphylaktischer Reaktionen werden durch die Freisetzung verschiedener Mediatorsubstanzen verursacht, deren wichtigste Histamin ist, aber auch Eicosanoide, plättchenaktivierender Faktor, Tryptase, Zytokine und Chemokine spielen eine Rolle, deren Bedeutung im Einzelfall oft noch ungeklärt ist.

Neben der häufigen Immunglobulin E-vermittelten Allergie als Mechanismus, gibt es auch die sogenannte Immunkomplex-Anaphylaxie (Typ III), wo es durch zirkulierende Antigen-Antikörperkomplexe zur Aktivierung des Komplementsystems sowie zur Aktivierung verschiedener Zellpopulationen kommt (klinisches Beispiel Dextran-Anaphylaxie).

Daneben stehen die zahlreichen anaphylaktischen Reaktionen, bei denen keine immuno-logische Sensibilisierung nachweisbar ist und die früher als „pseudo-allergisch“ bezeichnet wurden, heute als „nicht-immunologische Anaphylaxie“. Hier kommt es durch den Auslöser zu einer direkten Freisetzung von Mediatorstoffen oder Aktivierung von Entzündungszellen.

Patienten mit Mastozytose haben ein erhöhtes Anaphylaxie-Risiko [13].

Klinische Symptomatik

Die häufigsten von Anaphylaxie betroffenen Organsysteme sind Haut, Atemwege, Gastrointestinaltrakt und Herz-Kreislauf-System. Je nach Intensität der an diesen Organen beobachteten Symptome beurteilt man den Schweregrad der Anaphylaxie von Grad I (nur Hautreaktionen und subjektive Allgemeinsymptome) bis Grad IV (Herz- und/oder Atemstillstand) (Tabelle 1) [1].

Tabelle 1: Schweregradskala zur Klassifikation anaphylaktischer Reaktionen* [1]; * Die Klassifikation erfolgt nach den schwersten aufgetretenen Symptomen (kein Symptom ist obligatorisch).

Die Arbeitsgruppe diskutierte längere Zeit über die Sinnhaftigkeit der Grad I-Reaktion, die im internationalen Schrifttum häufig noch nicht als „Anaphylaxie“ eingeordnet wird, sondern lediglich als „Akute Urtikaria“. Erfahrene Allergologen, die viele Patienten mit rezidivierenden anaphylaktischen Reaktionen sehen (zum Beispiel Insektengift- oder Nahrungsmittelallergiker), wissen, dass bei ein und demselben Patienten die Intensität der Anaphylaxie über den zeitlichen Verlauf deutlich schwanken kann, von milder Urtikaria bis hin zum Herz-Kreislaufstillstand. Dabei handelt es sich jedoch um dasselbe Krankheitsbild, sodass die geringfügig modifizierte Einteilung (Grad I = Hauterscheinung plus subjektive Allgemeinsymptome wie zum Beispiel Nausea, Schwindel, Kopfschmerz, Unwohlsein) sehr viel Sinn macht, gerade auch im Hinblick auf die nachfolgend diskutierten Präventions- und Selbstmedikationsempfehlungen.

Daneben können selten auch zentralnervöse Symptome wie Krämpfe, Unruhezustände oder Verhaltensänderungen beobachtet werden.

Auslöser und Allergene

Die häufigsten Auslöser schwerer anaphylaktischer Reaktionen sind Arzneimittel, Insektengifte und Nahrungsmittel, im Kindesalter überwiegen Nahrungsmittel.

Der Kontakt mit dem Auslöser findet am häufigsten durch systemische Zufuhr statt (oral oder parenteral), kann aber auch über die Luft oder Applikation auf der Hautoberfläche („Kontakt-Anaphylaxie“) erfolgen.

Wichtig ist die Beachtung sogenannter Summationsfaktoren, wenn es nämlich nur bei Kombination verschiedener Faktoren zum Vollbild der Anaphylaxie kommt, zum Beispiel Allergenexposition zusammen mit physischer Anstrengung („exercise-induced anaphylaxis“), psychischem Stress, Alkohol-Einnahme, akutem Infekt oder gleichzeitiger Exposition gegen andere Allergene oder Anwendung von Anaphylaxie-fördernden Medikamenten (zum Beispiel Beta-Blocker oder ACE-Hemmer). Dieses Phänomen wird als „Augmentation“ oder „Summation“ bezeichnet; eine besonders häufig vorkommende Form ist die nahrungsmittel-induzierte anstrengungsgetriggerte Anaphylaxie („food-dependent exercise-induced anaphylaxis“ – FDEIA), die am häufigsten durch Weizenmehl ausgelöst wird.

Therapie

Essenziell in der Notfallbehandlung der Anaphylaxie ist ein zeitnahes und symptomgerechtes Vorgehen. Dazu gehören allgemeine Maßnahmen sowie medikamentöse Therapie.

Allgemeine Maßnahmen

Obschon die Diagnostik der Anaphylaxie wegen der charakteristischen und dramatischen Erscheinungen relativ einfach ist, sind bestimmte Differenzialdiagnosen zu erwägen, insbesondere bei entsprechenden Grundkrankheiten (zum Beispiel Diabetes mellitus, neuropsychiatrische Erkrankungen, etc.) (Tabelle 2).


Tabelle 2: Wichtige Differenzialdiagnosen der Anaphylaxie [1].

Eine kurze Basisuntersuchung prüft die Vitalzeichen und die leicht einsehbaren Hautareale sowie Schleimhäute. Das Erfragen weiterer Beschwerden (Übelkeit, Brechreiz, etc.) sowie die Frage nach bekannten Allergien ergänzen die Kurzanamnese. Als Sofortmaßnahme ist die symptomorientierte Lagerung des Patienten essenziell, die eine Flachlagerung und Vermeidung weiterer körperlicher Anstrengung beinhaltet, bei asthmatischen Reaktionen ist eine halb sitzende Position zu bevorzugen.

Bei Kindern gilt es, die Ausübung von Zwang weitgehend zu vermeiden, um die Angst nicht zusätzlich zu erhöhen.

Ein intravenöser Zugang sollte für eventuell nötige Arzneimittelapplikationen oder Volumentherapie gelegt werden.

Jeder Arzt in der Praxis sollte eine Notfallausrüstung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen vorrätig haben (Tabelle 3).


Tabelle 3: Notfallausrüstung zur Behandlung anaphylaktischer Reaktionen [1].

Medikamentöse Therapie

Im Zentrum der medikamentösen Therapie der Anaphylaxie steht Adrenalin, das bevorzugt intramuskulär verabreicht wird. Nach mehrmaliger erfolgloser intramuskulärer Applikation kann Adrenalin intravenös gegeben werden (Suprarenin 1:10 oder höher verdünnt) langsam unter Kontrolle der Kreislaufparameter.

Bei ausgeprägtem Schock stellt die Volumengabe eine wesentliche Maßnahme dar, beginnend mit bilanzierter Elektrolyt-Lösung; aber auch der Einsatz kolloidaler Volumenersatzmittel (zum Beispiel Hydroxyethylstärke – HES) wird im akuten Fall empfohlen. Die bei längerfristiger Applikation von HES diskutierten Nebenwirkungen von Speichereffekten bzw. Niereninsuffizienz spielen in der Akutsituation keine entscheidende Rolle.

Patienten unter Beta-Blocker-Behandlung sprechen auf Adrenalin weniger gut an. Hier kann die Gabe von Glukagon zu einer Aufregulierung der Beta-Rezeptoren führen [15].

Bei vorwiegender bronchialer Obstruktion werden kurz wirksame Beta2-Sympathomimetika empfohlen, am besten mit Inhalationshilfen (Spacer oder Aerosol-Masken).

Bei Obstruktion im Bereich der oberen Atemwege als führendem Symptom kann Adrenalin auch inhalativ appliziert werden.

Ein Flussdiagramm gibt praktische Information zum Einsatz verschiedener Medikamente bei den häufigsten Symptomkonstellationen anaphylaktischer Reaktionen (Abbildung 1).


Abbildung 1: Flussdiagramm zur Behandlung der Anaphylaxie mit wichtigen Symptomkonstellationen [1].

Antihistaminika und Glukokortikosteroide besitzen eine unterstützende Wirkung in der Anaphylaxie-Therapie [2], benötigen jedoch bis zum Wirkungseintritt 30 Minuten bis 1 Stunde. Sie sind vor allem bei milderen Verlaufsformen (Grad I) indiziert. Glukokortikosteroide werden auch im Hinblick auf die Verhinderung der nicht so seltenen biphasischen Verläufe, wenn es nach Abklingen der akuten Symptome im Verlauf von mehreren Stunden (acht bis zwölf Stunden) nochmals zu Allgemeinreaktionen kommt, empfohlen [16].

Deshalb sollten Patienten mit Anaphylaxie bis zur sicheren und anhaltenden Remission der klinischen Symptome beobachtet werden, bei schweren Reaktionen (≥ Grad II) ist eine stationäre Überwachung indiziert.

Management nach erfolgreicher Therapie

Nach der erfolgreichen Behandlung der akuten anaphylaktischen Reaktion beginnt eigentlich erst die Arbeit: Der Patient muss über die Natur und mögliche Auslöser der Anaphylaxie aufgeklärt werden und soll eine Selbstmedikation erhalten („Notfallset zur Soforthilfe“), welches aus einem Adrenalin-Autoinjektor, einem Antihistaminikum und einem Glukokortikoid, gegebenenfalls einem Bronchodilatator als Dosier-Aerosol, besteht.

Ferner muss eine adäquate Allergiediagnostik in die Wege geleitet werden, um die auslösende Substanz eindeutig zu ermitteln, Information über den Pathomechanismus zu gewinnen und eventuell eine kausal wirksame Allergenspezifische Immuntherapie in die Wege zu leiten (zum Beispiel bei Insektengift-Anaphylaxie).

Wichtige Daten zu Auslösern, Begleitumständen und Therapiemaßnahmen bei Anaphylaxie werden in Deutschland durch das in Berlin angesiedelte „Anaphylaxie-Register“ erfasst, wo über einen Online-Zugang schwere anaphylaktische Reaktionen gemeldet werden können (www.anaphylaxie.net) [17].

Leider lehrt die Erfahrung, dass trotz zufriedenstellender Akutbehandlung das Langzeitmanagement von Anaphylaxie-Patienten deutlich zu wünschen übrig lässt. So wurden in einer – mit dem Feuerwehrnotarztdienst in München – durchgeführten Studie innerhalb eines Jahres ca. 70 schwere Anaphylaxie-Fälle durch Insektenstiche erfasst [10], die erfreulicherweise alle überlebten. Leider wurden danach nur zehn Prozent in allergologische Betreuung zur Durchführung der geeigneten Diagnostik und lebensrettenden kausalen Immuntherapie überwiesen.

Das Wissen um Anaphylaxie muss deshalb nicht nur bei Betroffenen, sondern auch bei Ärzten und in der Bevölkerung verbessert werden.

Die Patienten benötigen für den Umgang mit der Selbstmedikation, aber auch für das allgemeine Verhalten und die Vermeidung eventueller Auslöser, eine Fülle von Informationen, deren Vermittlung das in der ärztlichen Praxis-Routine verfügbare Zeitvolumen erheblich überschreitet.

Deshalb hat die AGATE ein Schulungsprogramm entwickelt [18], das standardisiert und qualitätskontrolliert ist (Train-the-Trainer-Seminare zum Erwerb eines Zertifikates „Anaphylaxie-Trainer“) und an zwei aufeinander folgenden Nachmittagen im Wochenabstand mit je vier Unterrichtsstunden durchgeführt wird.

Dieses Programm der „Anaphylaxie-Schulung“ wurde zwischenzeitlich in einer randomisierten, prospektiv kontrollierten Studie überprüft und als wirksam, nicht nur im Hinblick auf Wissenszuwachs, sondern auch auf praktisches Handeln in der Notfallsituation befunden [12].

Das Literaturverzeichnis kann bei den Verfassern angefordert oder im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Die Autoren erklären, dass sie keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten haben, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.


Professor Dr. Dr. phil. Johannes Ring


Professor Dr. Knut Brockow

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