Einfluss des Klimawandels auf die Lebensmittelsicherheit und -hygiene

Klimawandel und Lebensmittelsicherheit

Der Klimawandel ist für jeden einzelnen von uns deutlich wahrnehmbar. Die veränderte Wetterlage wie heiße, trockene Sommer, vermehrte Starkregenereignisse, Überschwemmungen sowie insgesamt höhere Temperaturen, auch der Gewässer, betreffen insbesondere die Landwirtschaft (Primärproduktion), aber ebenso die Lebensmittelwirtschaft und die Verbraucher. Die veränderten Umweltbedingungen beeinflussen nicht nur Pflanzen und Tiere, die unserer Ernährung dienen, sondern auch das Wachstum und die Überlebensfähigkeit von Mikroorganismen, darunter bakterielle Infektions- und Intoxikationserreger und Verderbniskeime entlang der Lebensmittelkette.

Welche für die Lebensmittelsicherheit relevanten Keime profitieren vom Klimawandel?

Die veränderten klimatischen Bedingungen steigern die Vermehrungsfähigkeit und beeinflussen die Überlebensfähigkeit bestimmter Mikroorganismen. Es ist zu erwarten, dass vor allem Organismen mit niedriger Infektionsdosis und/oder hoher Widerstandsfähigkeit in der Umwelt wie zum Beispiel Viren, Protozoen oder Shigatoxin-produzierende E. coli (STEC) an Bedeutung ­gewinnen werden. Die Veränderungen führen aber auch zur Ausdehnung der Verbreitungsgebiete von Mikroorganismen (zum Beispiel durch den Anstieg der Meerestemperatur) sowie zu einem erhöhten Eintrag von Mikroorganismen durch Überschwemmungen bzw. Starkregenereignisse. Eine vermehrte Bewässerung (Primärproduktion) und Verknappung von sauberem Wasser (Primärproduktion und Lebensmittelherstellung) sind weitere mögliche Folgen der veränderten klimatischen Bedingungen. Auch die Ausbreitung von Vektoren wie beispielsweise Fliegen, die pathogene Mikroorganismen übertragen können, wird bei steigenden Temperaturen begüns-tigt. Mehrere Ausbrüche mit Vibrio cholerae wurden bereits mit der Verbreitung durch Fliegen in ­Zusammenhang gebracht.

Die Datenlage zu den Effekten des Klimawandels auf einzelne Erreger ist noch sehr dünn, durchgeführt wurden jedoch Berechnungen der Veränderung von Infektionszahlen basierend auf vorhandenen Temperaturdaten und Erregerstatistiken der vergangenen Jahre. So stiegen die Salmonellose-Fälle in mehreren europäischen Ländern um 5 bis 10 Prozent für jedes Grad Celsius Temperaturerhöhung oberhalb von 5 °C im Wochenmittel [1]. In Israel wurde im Zeitraum von 1999 bis 2010 ein Anstieg der Campylobacter-Infektionen von 16 bis 18 Prozent pro Grad Celsius Temperaturerhöhung oberhalb von 27 °C beobachtet.

Thermophile Campylobacter spp. sind Auslöser der häufigsten lebensmittelbedingten Enteritis­erkrankungen beim Menschen in Deutschland (ca. 80.000 gemeldete Fälle/Jahr). Die Inzidenzwerte in den nordischen Ländern (Dänemark, Norwegen, Schweden, Finnland) sind derzeit mit den Inzidenzwerten in Deutschland vergleichbar. Im Jahresverlauf weisen lebensmittelbedingte Campylobacter-Erkrankungsfälle eine deutliche Saisonalität auf (ca. Juni bis September). Diese Situation könnte sich durch den Klimawandel noch verschärfen. Eine aktuelle Studie von Kuhn et al. (2020) rechnet für die vier nordischen Staaten ­Dänemark, Norwegen, Schweden und Finnland bis zum Jahr 2090 mit bis zu 1.500 Campylobacter-­Fällen je Land und Jahr zusätzlich durch die Auswirkung des Klimawandels. Zudem wird prognostiziert, dass sich die „Campylobacter-Saison“ bis in den November hinein ausdehnen und ab 2060 ganz verschwinden wird [2].

Die Erhöhung der Meerestemperaturen beeinflusst marine Organismen wie Vibrio spp. (Vibrio vulnificus, Vibrio paraha-emolyticus, Vibrio cholerae, Vibrio alginolyticus und Vibrio metschnikovii und andere) oder toxinproduzierende Dinoflagellaten, deren Verbreitungsgebiete sich durch ansteigende Meerestemperaturen vergrößern. Obwohl auch andere Faktoren wie die Eutrophierung von Gewässern oder Fischereiaktivitäten vermutlich einen Beitrag leisten, wird mittlerweile auch in europäischen Gewässern ein erhöhtes Wachstum von Dinoflagellaten beobachtet, die Biotoxine wie zum Beispiel Ciguatoxin bilden können. Auch Tetrodotoxine, die üblicherweise im pazifischen Raum vorkommen, werden bereits vermehrt in Fischen aus der EU gefunden [3].

Vibrio spp. sind weltweit verbreitete Umweltkeime, die weitestgehend in salinen Gewässern und Feuchtgebieten vorkommen. Sie sind häufig die Ursache bakterieller Kontaminationen von Fischereierzeugnissen, die bei Verzehr Durchfall­erkrankungen auslösen können. Ab einer Wassertemperatur von 18 °C findet bei entsprechendem Salzgehalt eine im Hinblick auf Erkrankungen relevante Vermehrung von Vibrionen im Meerwasser statt. Diese Keime erlangen auch in Seafood aus Aquakultur zunehmend Bedeutung und sind inzwischen unter Beobachtung der amtlichen Lebensmittelüberwachung.

In der Primärproduktion im pflanzlichen Bereich stellen der Eintrag von Protozoen wie Cryptosporidium oder Cyclospora über kontaminiertes Wasser sowie Mykotoxinbildung durch Schimmelpilze Herausforderungen dar. Insbesondere aflatoxinproduzierende Aspergillus-Arten kommen vorwiegend in tropischen oder subtropischen Regionen vor und können in ihrer Verbreitung durch ansteigende Temperaturen begünstigt werden und andere in Europa vorherrschende Gattungen wie Penicillium oder Fusarium verdrängen. Beobachtet wurde dies bereits in den Sommern 2003, 2004 und 2012 in Italien, wo es zu einem Ausbruch mit A. flavus in Getreide kam.

Allgemeine Auswirkungen

Es sind aber nicht nur spezielle lebensmittel­relevante Keime, die aufgrund des Klimawandels in ihrer Bedeutung zunehmen, sondern es gibt auch allgemeine Auswirkungen, die die Lebensmittelsicherheit beeinflussen.

Bewässerung

Aufgrund der trockenen, heißen Sommer wird die Notwendigkeit von Bewässerung in der Landwirtschaft zunehmen. Inwieweit immer ausreichend sauberes Wasser zur Bewässerung zur Verfügung stehen wird, scheint zumindest fraglich. Aufbereitete Abwässer könnten zur Bewässerung verwendet werden, ganz unproblematisch ist das aber nicht. Aufgrund von zunehmenden Überschwemmungen einerseits und Wasserknappheit andererseits ist damit zu rechnen, dass ein Eintrag von pathogenen Mikroorganismen über kontaminiertes Wasser in die Lebensmittelkette zunehmen wird. Dies können neben bakteriellen auch virale Krankheitserreger wie Noroviren, aber auch Protozoen, zum Beispiel Cryptosporidium spp., Giardia duodenalis und Toxoplasma gondii, sein. Bevor die Nutzung von aufbereitetem Abwas-ser zugelassen wird, muss eine Risikobewertung hinsichtlich Umweltrisiken sowie Risiken für die menschliche und tierische Gesundheit vorgenommen werden. Solche Risiko­bewertungen hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) auf nationaler Ebene bereits erstellt, EU-weit einheitliche Regelungen liegen bisher allerdings nicht vor.

Kühlkette

Die bislang beobachtete Saisonalität der Infektionszahlen bestimmter Erreger wie zum Beispiel Campylobacter oder Salmonella sowie die Prognosen ihrer Entwicklung in der Zukunft stellen eine Kombination unterschiedlicher Effekte dar. So spielt zum einen eine Veränderung der Prävalenzen eine Rolle, einen großen Effekt haben aber vermutlich auch verbesserte Bedingungen für die Vermehrung pathogener Keime im Lebensmittel, wenn die Kühlkette nicht eingehalten wird. Dies wird erhöhte Anforderungen an die Hersteller und Händler stellen, die mit höheren Temperaturen über gegebenenfalls längere Zeiträume konfrontiert werden und ihre Lieferketten sowie die Ausstattung der Verkaufsräume entsprechend prüfen und anpassen müssen. Insbesondere bei Transport, Lagerung und Feilhalten von Lebensmitteln und Rohstoffen wird die Einhaltung der Kühlkette eine zukünftig mit der vorhandenen Infrastruktur (Kühlfahrzeuge, Kühlräume, Kühltheken etc.) kaum noch zu bewältigende Aufgabe sein. Das bedeutet Investitionen für die Lebensmittelbranche ebenso wie möglicherweise erhöhten Energiebedarf. Logistische Probleme, die im Handel auftreten können, wenn kühlpflichtige Ware verzögert in die Kühlregale oder Kühlräume eingeräumt wird, könnten zukünf-tig deutlich schneller gravierende Konsequenzen für die Haltbarkeit und Sicherheit von Lebensmitteln haben als bisher.

Aber nicht nur die Lebensmittelwirtschaft ist betroffen, Einrichtungen zur Gemeinschaftsverpflegung und die Gastronomie stehen ebenfalls vor der Aufgabe, die Kühlkette konsequent einzuhalten.

Veränderte Verzehrgewohnheiten

Gesundheitliche Risiken können auch durch veränderte Verzehrgewohnheiten der Verbraucher entstehen. Bei hohen Temperaturen können vorgeschnittenes Obst, vorgewaschener Salat bzw. Gemüse ebenso wie ein als Vitaminquelle gedachter Smoothie ohne konsequente Kühlung zum Nährboden für pathogene Mikroorganismen und damit zur Gesundheitsgefahr werden. Hygienefehler bei der Zubereitung von Speisen, wie der Kontakt von rohem Fleisch oder Fisch mit verzehrfertigen Lebensmitteln (Kreuzkontamination), könnten zukünftig häufiger gravierende gesundheitliche Konsequenzen nach sich ziehen.

Fazit

Da viele Auswirkungen des Klimawandels auf die Lebensmittelsicherheit und -hygiene bislang nur vermutet werden können, müssen tatsächliche Risiken und Veränderungen in den kommenden Jahren und Jahrzehnten systematisch erfasst werden. Hierzu gehören eine gute Surveillance sowohl des vorkommenden Erregerspektrums bei humanen Erkrankungen als auch ein entsprechend angepasstes Monitoring der Prävalenzen dieser Erreger im Lebensmittelbereich. Berücksichtigt werden müssen hierbei auch Effekte und Risiken in Regionen außerhalb Europas, die über den globalen Handel mit Lebensmitteln auch für Europa bedeutsam sind.

Nicht zuletzt wird eine intensivierte Aufklärung der Verbraucherinnen und Verbraucher über gestiegene Risiken des Lebensmittelverderbs und Vermehrung pathogener Erreger bei gestiegenen Durchschnittstemperaturen dazu beitra-gen, Infektionen zu vermindern und die Gesundheit zu schützen.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.


Autorinnen


Dr. med. vet. Dipl.-Agr. Biol. Gesine Schulze
Sachgebietsleiterin Lebensmittelhygiene am LGL, Fachtierärztin für Lebensmittel und Diplom Agrarbiologin


Dr. oec. troph. habil. Mareike Wenning
Sachbereichsleiterin Lebensmittelmikrobiologie am LGL und habilitiert in Lebensmittelmikrobiologie

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