Die Erde brennt

Auftaktveranstaltung des 81. Bayerischen Ärztetags

Mit dem Werk „Quellwasser“ des russischen Komponisten Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow, dargeboten von der jungen ukrainischen Pianistin Sofia Mishkurova, wurde die feierliche Eröffnungsveranstaltung zum 81. Bayerischen Ärztetag im Kolpinghaus in der altehrwürdigen Donaustadt Regensburg eingeleitet. Zusammen mit einer weiteren Musikerin aus der Ukraine und einem Regensburger Domspatz spielte sie im Laufe des Abends eine Auswahl an osteuropäischen und österreichischen Stücken. Darüber hinaus stimmten interessante Grußworte von ­Gertrud Maltz-Schwarzfischer, Oberbürgermeisterin der Stadt Regensburg, Klaus Holetschek, Bayerischer Staatsminister für Gesundheit und Pflege, sowie ein gesundheitspolitisches Statement von Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), die etwa 280 geladenen Gäste aus Politik, Selbstverwaltung und dem Gesundheitswesen auf die Beratungen des 81. Bayerischen Ärztetages ein. Den traditionellen Festvortrag hielt in diesem Jahr Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann. Die Direktorin der Hochschulambulanz für Umweltmedizin am Universitätsklinikum Augsburg referierte über die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels.

Regensburg war 2022 heißeste Stadt Deutschlands

Nach der offiziellen Begrüßung der Gäste sowie der Delegierten zum Bayerischen Ärztetag durch Quitterer betrat Maltz-Schwarzfischer die Rostra. Die Oberbürgermeisterin stellte zunächst die medizinische Versorgung der Stadt Regensburg dar, welche mit einer Universitätsklinik, vielen weiteren Krankenhäusern sowie zahlreichen Haus- und Facharztpraxen bisher eine exzellente Qualität aufweise. „Die fetten Jahre sind aber vorbei. Unsere Regensburger Gesundheitsversorgung ist heute mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert“, konstatierte Maltz-Schwarzfischer. Neben der Coronapandemie zähle dazu vor allem der Notstand in der Pflege. Eine große Zahl an Pflegerinnen und Pflegern kündige derzeit altersbedingt und die Nachwuchssuche gestalte sich sehr schwierig. Einen Ärztemangel gebe es in der Donaustadt bisher aber nicht, was die Oberbürgermeisterin vor allem der Nähe zur humanmedizinischen Fakultät der Universität Regensburg zuschrieb, wo viele junge Ärztinnen und Ärzte ausgebildet würden. Allerdings zeigten sich die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels immer deutlicher. „Unsere steinerne Altstadt lässt leider wenig Platz für Grünflächen und Bäume, was höhere Temperaturen begünstigt. Nicht von ungefähr war Regensburg in diesem Sommer die heißeste Stadt Deutschlands.“ Die Konsequenz: Ältere Menschen und Personen mit bestimmten Vorerkrankungen könnten sich bei Hitzewellen kaum mehr in der Stadt bewegen. „Wir versuchen aber, dem mit zusätzlichen Brunnen sowie Trinkwasserspendern abzuhelfen. Wo es möglich ist, begrünen wir auch die Altstadt“. Darüber hinaus bereite sich Regensburg auf eine Zunahme von Starkregenereignissen und Überflutungen vor.

Die Regensburger Oberbürgermeisterin Gertrud Maltz-Schwarzfischer überbrachte den Gruß der Stadt.

Holetschek lehnt Streichung der Neupatientenregelung ab

Anschließend sprach Staatsminister Holetschek, der sich gleich zu Beginn seines Grußworts bei den bayerischen Ärzten für ihr großes Engagement während der Coronapandemie bedankte. Durch ihren unermüdlichen Einsatz sei es möglich gewesen, die Gesundheitsversorgung im Freistaat in den vergangenen Jahren aufrechtzuerhalten. Die Pandemie sei aber nach wie vor nicht ausgestanden. „Gerade im Herbst und Winter ist mit steigenden Infektionszahlen zu rechnen. Die Ärzteschaft wird dadurch wieder in hohem Maße beansprucht werden“.

Daneben äußerte sich der Minister auch zur derzeitigen Krise auf dem Energiemarkt. Die exorbitant steigenden Energiepreise träfen die Kliniken, Pflegeeinrichtungen, Praxen und andere medizinische Einrichtungen empfindlich. Er begrüße deshalb ausdrücklich den Vorschlag der Expertenkommission des Bundes zur Gaspreisbremse, soziale Dienstleister mit einem Hilfsfonds zu unterstützen, der gestiegene Energiekosten sozialer Einrichtungen abfedere. Dadurch könnten lnsolvenzen und Leistungseinschränkungen im medizinischen und Pflegebereich verhindert werden. „Ich fordere die Bundesregierung auf, nicht länger zu zögern und den Hilfsfonds schnell aufzusetzen. Wir brauchen einen großen Rettungsschirm und kein Feigenblatt“, so Holetschek.
 
Doch nicht nur die Coronapandemie und die Energiekrise stellten die Ärzteschaft und die Politik vor große Herausforderungen, sondern auch die starke Zunahme investorengetragener Medizinischer Versorgungszentren (iMVZ) im Freistaat. Am 1. Januar 2022 habe es in Bayern 912 MVZ gegeben, was einem Wachstum um rund 220 Prozent gegenüber 2015 entspreche. Positiv sei aber, dass die Einzelpraxis nach wie vor die am häufigsten gewählte Form der Niederlassung sei. „Und ich sage ganz klar: Das muss auch so bleiben!“, erklärte der Minister. Denn die Praxen seien im Gegensatz zu iMVZ mehr auf die medizinische Versorgung von Patienten ausgerichtet als auf das Generieren von Rendite. Holetschek sicherte der Ärzteschaft in diesem Zusammenhang zu, dass sich Bayern für mehr Regulierung und Transparenz im Bereich der MVZ einsetzen werde.

Ebenso suchte der Minister in Bezug auf die geplante Finanzreform der gesetzlichen Krankenversicherung den Schulterschluss mit den Delegierten. Wie die BLÄK lehne auch der Freistaat die geplante Streichung der Neupatientenregelung ab. Dieses Vorhaben sei „schlicht verfehlt“, was Holetschek auch gegenüber Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach deutlich gemacht habe. „Ich verstehe daher auch, dass viele von Ihnen aus Protest gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung am 10. Oktober für zwei Stunden ihre Praxen geschlossen haben“.  
Außerdem ging der Minister in seinem Grußwort auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens sowie auf die Folgen des Klimawandels für die menschliche Gesundheit ein. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege fördere zahlreiche Projekte, im Rahmen derer Handlungsempfehlungen zur Prävention klimabedingter Erkrankungen entwickelt würden.  Gleichzeitig brauche es „wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich Klimawandel und Gesundheit, um sinnvolle politische Maßnahmen abzuleiten“, bekräftigte Holetschek.


280 Gäste folgten der Einladung in den Regensburger Kolpingsaal.

Der Klimawandel macht krank, von Kopf bis Fuß

An die Ausführungen von Staatsminister Holetschek zu den Folgen der Erderhitzung konnte Traidl-Hoffmann in ihrem Vortrag gut anknüpfen. „Der Klimawandel ist die größte Bedrohung unserer Gesundheit im 21. Jahrhundert“, erklärte sie zu Beginn ihrer Festrede. Das im Pariser Klimaabkommen aufgestellte Ziel, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf möglichst 1,5 Grad beziehungsweise maximal 2 Grad Celsius zu begrenzen und damit die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern, sei angesichts der nach wie vor nicht ausreichend gebremsten CO2-Emissionen kaum mehr zu erreichen. Das entscheidende Problem: Wenn bestimmte Kipppunkte im Klimasystem überschritten würden, könne dies abrupte und unumkehrbare Folgereaktionen nach sich ziehen und den Klimawandel zusätzlich befeuern. „Einige Kipppunkte haben wir bereits genommen. Die Eisschilde schmelzen und viele Wälder sterben ab“, so die Professorin.

Ihre Aussage, dass der Klimawandel den gesamten Körper des Menschen krank mache, „von Kopf bis Fuß“, konkretisierte Traidl-Hoffmann in ihrem Vortrag. Immer häufiger komme es auch in Deutschland zu Dürren und Hitzewellen, die für die Menschen schnell gefährlich werden könnten. So stellten hohe Temperaturen eine enorme Belastung für das Herz-Kreislauf-System dar. „Selbst junge Menschen können bei starker Hitzeexposition mit einem Herzinfarkt in die Notaufnahme geliefert werden, wir erleben das bereits heute immer wieder“, erklärte die Professorin. Auch träten Schlaganfälle sowie asthmatische und allergische Beschwerden bei Hitze vermehrt auf. Eine Hiobsbotschaft für Allergiker sei etwa, dass die Pollenflugzeit aufgrund höherer Temperaturen früher beginne und später ende. Außerdem könnten Pollen, die Schadstoffwerten und Trockenstress ausgesetzt seien, stärkere allergische Reaktionen verursachen. Ungemach drohe auch, da steigende Temperaturen die Lebensbedingungen zahlreicher Vektoren-Tiere verbesserten, was letztendlich zu einer Habitatsvergrößerung führe. Beispielsweise begünstige die Klimaerwärmung eine immer stärkere Verbreitung von Zecken in Deutschland, die gefährliche Krankheiten wie Borreliose übertragen könnten. „Borreliose-Fälle in der Bundesrepublik haben sich in den vergangenen Jahren verfünffacht“, so Traidl-Hoffmann.


Prominenz in der 1. Reihe: Dr. Gerald Quitterer, Klaus Holetschek, Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Dr. Andreas Botzlar, Dr. Bernhard Junge-Hülsing, Dr. Clau­dia Ritter-Rupp, Dr. Wolf­gang Kromb­holz und Dr. Pedro Schmelz (v. re.)

Gesundheitssektor für fünf Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich

In dieser Situation sei die Prävention und Behandlung klimabedingter Erkrankungen eine entscheidende Aufgabe für die Ärzteschaft. Im Rahmen von Klimasprechstunden für die eigenen Patienten könne dies geleistet werden. Darüber hinaus müssten sich die Ärzteschaft und andere Akteure im Gesundheitssystem bewusst sein, dass sie selbst bei der Abmilderung des Klimawandels eine zentrale Rolle spielen könnten: „Der Gesundheitssektor verantwortet weltweit etwa fünf Prozent aller CO2-Emissionen – wir müssen uns anstrengen, diese zu senken, beispielsweise durch das Einsparen von Energie“. Generell rief Traidl-Hoffmann zu einem Systemwechsel von der Überflussgesellschaft zu einer Gesellschaft auf, „wo Geiz geil ist, wo Verzicht am Ende vielleicht etwas Positives ist“. Die Menschen müssten verzichten lernen, um Emissionen zu senken und den Klimawandel aufzuhalten.

Quitterer fordert 6.000 zusätzliche Medizinstudienplätze

Nach einem musikalischen Intermezzo – der Domspatz Jakob Bauer sang „Lachen und Weinen“ des österreichischen Komponisten Franz Schubert – begann Ärztekammerpräsident Quitterer mit Verve seine gesundheitspolitische Grundsatz-rede. „Die Erde brennt. In der Ukraine durch den Angriffskrieg Russlands, den wir alle verurteilen, im Amazonasgebiet durch die Brandrodung des Regenwaldes und in der gesamten Welt aufgrund der anhaltenden Bedrohung durch SARS-CoV-2“, erklärte Quitterer eindringlich. In Deutschland habe der vergangene Sommer einen Vorgeschmack auf zukünftige Hitzewellen und die Auswirkungen gegeben, die der Klimawandel mit sich bringe.

In dieser unsicheren Zeit sei es die Aufgabe des Arztes, das Leben zu erhalten, die Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen, Leiden zu lindern, Sterbenden Beistand zu leisten und an der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen im Hinblick auf ihre Bedeutung für die Gesundheit der Menschen mitzuwirken. Damit die Ärzte diese Aufgaben auch in Zukunft wahrnehmen könnten, brauche es eine Stärkung der stationären und der ambulanten Versorgung sowie des Öffentlichen Gesundheitsdienstes.

Als größte Herausforderung identifizierte Quitterer dabei den hohen Ärztebedarf, der in den kommenden Jahren weiter steigen werde. Die ärztliche Personaldecke sei dünn und die Coronapandemie habe „schmerzlich gezeigt, dass wir schon heute unsere Strukturen nicht mehr wie gewohnt aufrechterhalten können.“ Beispielsweise hätten krankheitsbedingte Personalausfälle unter der Ärzteschaft in den vergangenen Monaten verschiedene Notaufnahmen und sogar ein ganzes Krankenhaus in Oberbayern zur Schließung gezwungen. Eine nicht patienten- und aufgabengerechte ärztliche Personalausstattung habe auch zu einer dramatischen Arbeitszeitverdichtung in den Kliniken geführt. „Problematisch ist ebenfalls, dass viele Ärzte für ihre Praxen keine Nachfolger mehr finden“, so Quitterer. Dabei mangele es nicht an Interessenten für den Arztberuf, sondern an den zur Verfügung stehenden Studienplätzen. Unter dem Applaus der Anwesenden forderte der Präsident deshalb deutschlandweit 6.000 neue Humanmedizin-Studienplätze. Lob verteilte Bayerns Ärztekammer-Chef in diesem Zusammenhang an Staatsminister Holetschek: Mit der Schaffung neuer Humanmedizin-Studienplätze an der Medizinischen Fakultät in Augsburg und demnächst am Medizincampus Niederbayern sowie mit dem Bekenntnis zur Landarztquote habe der Freistaat in diesem Bereich einen großen Schritt nach vorne gemacht. 

BLÄK-Präsident: Novelle der GOÄ und Bürokratieabbau notwendig

Daneben forderte Quitterer die umgehende Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte, kurz GOÄ. „Die derzeit gültige GOÄ stammt im Wesentlichen aus dem Jahr 1982 und wurde 1996 lediglich teilnovelliert. Sie bildet das aktuelle medizinische Leistungsgeschehen weder hinsichtlich der Leistungsbeschreibungen noch hinsichtlich der Bewertung der ärztlichen Leistungen adäquat ab.“

In seiner Rede kritisierte der Präsident auch deutlich die Bürokratie im Gesundheitssystem, welche in den vergangenen Jahren immens zugenommen habe: „Inzwischen geht ein bedeutender Teil unserer ärztlichen Arbeitszeit, 13 Millionen Stunden jährlich, durch administrative Tätigkeiten, wie Datenerfassung und Dokumentation verloren.“ Eine Prüfung der Praxistauglichkeit von neuen bürokratischen Anforderungen durch Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft müsse daher zentraler Bestandteil künftiger Entscheidungsprozesse werden. Dies gelte auch im Hinblick auf die „Digitalisierung“, welche durchaus positive Effekte im Hinblick auf einen notwendigen Bürokratieabbau in Arztpraxen haben könne. Dies sei aber vor allem von der konkreten Umsetzung einzelner Verfahren abhängig und müsse, anders als der derzeit in den Praxen erforderliche Konnektorentausch, reibungslos und kostengünstig ablaufen.

Außerdem kritisierte Quitterer expandierende telemedizinische Anbieter, welche ausschließlich im virtuellen Raum agierten und sich den Aufbau einer komplett neuen Versorgungsebene zum Ziel gesetzt haben sowie die geplante Streichung der Neupatientenregelung und forderte, durch entsprechende gesetzliche Regelungen eine marktbeherrschende Stellung investorenbetriebener MVZ zu verhindern.


Die Pianistin Sofia Mishkurova und der Domspatz Jakob Bauer musizierten für das Publikum.

„Von den politischen Entscheidungsträgerinnen und -trägern in Brüssel, Berlin und in Bayern fordere ich, sich für den Erhalt unseres Gesundheitssystems einzusetzen und die bewährten Strukturen auszubauen, die notwendigen Reformen zu finanzieren und zusammen mit uns, der Ärzteschaft, weiterzuentwickeln“, beschloss Quitterer seinen Vortrag. Damit war der 81. Bayerische Ärztetag eröffnet. Nach einem musikalischen Outro – es wurde das Stück „Die Verwirrung“ des Musikers Vladimir Zolkin gespielt – ging es zum feierlichen Empfang mit vielen guten Gesprächen und Oberpfälzer Gastlichkeit.

Florian Wagle (BLÄK)

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