Der kooperative Kreißsaal

Der kooperative Kreißsaal

Der Hebammenberuf erscheint einigen als unattraktiv. Während zahlreiche Kliniken verzweifelt nach Geburtshelfern suchen, klagen viele Hebammen über schlechte Arbeitsbedingungen und eine hohe Arbeitsbelastung. Das „Bayerische Ärzteblatt“ stellt deshalb vier positive Beispiele für die Arbeit in der stationären Geburtshilfe vor und gibt Empfehlungen zu einer besseren Zusammenarbeit von Ärzten und Hebammen. Kann das Modell des kooperativen Kreißsaals dem Hebammenberuf zu neuem Glanz verhelfen?

Hintergrund

In den vergangenen Jahren sind die Geburtenzahlen in Bayern stetig angestiegen. Registrierte das Bayerische Landesamt für Statistik im Jahr 2013 noch 109.562 Lebendgeburten, so belief sich die Zahl der Geburten 2018 bereits auf 127.616. Die bayerischen Kliniken verzeichnen deshalb auch einen stark ansteigenden Hebammenbedarf. Gleichzeitig schließen aber seit Jahren immer wieder, oftmals aus Personalmangel, Kreißsäle. Dies hat zur Konsequenz, dass Schwangere, insbesondere im ländlichen Raum, häufig an weit entfernte Kliniken weiterverwiesen werden.

Dass der Hebammenmangel ein akutes Problem darstellt, das sich in den nächsten Jahren noch verschlimmern könnte, zeigt auch eine im Jahr 2018 auf Initiative des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege durchgeführte Studie zur Hebammenversorgung im Freistaat Bayern. Demnach haben zahlreiche derzeit tätige Hebammen ihr geburtshilfliches Leistungsangebot bereits reduziert oder planen, dieses in Zukunft einzuschränken.

Hierfür sowie für die derzeit scheinbar geringe Attraktivität des Hebammenberufs macht der deutsche Hebammenverband unter anderem eine überdurchschnittlich hohe Arbeitsbelastung von Hebammen sowie eine hohe Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen in der stationären Geburtshilfe verantwortlich.

Im Rahmen eines auf Initiative von Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml einberufenen „Runden Tischs“ in Nürnberg mit Vertretern betroffener Institutionen und Verbände, an dem auch die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) beteiligt war, wurde deshalb Anfang Januar 2020 ein Aktionsprogramm für die Sicherstellung der Hebammenversorgung beschlossen. Als Teil des Programms wird das Bayerische Ärzteblatt im Folgenden positive Beispiele für die Arbeit in der stationären Geburtshilfe veröffentlichen.

Dabei soll insbesondere auf innovative Arbeitsmodelle Bezug genommen werden, die Faktoren wie gute Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen, Work-Life-Balance, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Wertschätzung und Arbeitszufriedenheit berücksichtigen und somit zu einer höheren Attraktivität des Hebammenberufs beitragen.

Dass der Beruf der Hebamme unter guten und kooperativen Arbeitsbedingungen Freude macht und nach wie vor ein äußerst attraktives Berufsfeld sein kann, zeigen unsere vier Musterbeispiele: Die Hebammenarbeit im Perinatalzentrum am Standort München Großhadern sowie in den Kreißsälen des Klinikums St. Marien Amberg, der Klinik Hallerwiese in Nürnberg sowie der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg. 

Fallbeispiel I: Die Hebammenarbeit im Perinatalzentrum Großhadern

Stellungnahme von Professor Dr. Uwe Hasbargen, Leiter des Perinatalzentrums Großhadern am LMU-Klinikum


Professor Dr. Uwe Hasbargen, Leiter des Perinatalzentrums Großhadern am LMU-Klinikum, mit Ruth Bernheim, leitende Hebamme der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe Großhadern.

Beschreiben Sie bitte generell das Modell der stationären Geburtshilfe in Ihrer Klinik und Ihre Betreuungsphilosophie.

Hasbargen: Das Perinatalzentrum Großhadern (PGH) des Klinikums der Universität München kann als sogenanntes Level 1-Zentrum „unter einem Dach“ Neugeborene aller Versorgungsstufen behandeln. Es verfügt insofern über die Möglichkeit, auch alle Frühgeborenen und kranken Neugeborenen umfassend medizinisch und pflegerisch zu betreuen. Schwerpunkte des PGH sind dabei die Behandlung von Schwangeren mit eigenen relevanten Erkrankungen und die Behandlung von Neugeborenen mit fetalen Fehlbildungen insbesondere „oberhalb“ des Zwerchfells (neonatale ECMO) sowie Mehrlings- und Beckenendlagengeburten. Wir kooperieren eng mit der Kinderkardiologie, der Kinderherzchirurgie, der Kinderchirurgie, der Kinderneurochirurgie sowie der Kinderorthopädie des Klinikums.

Die Versorgungskapazität des PGH ist derzeit auf jährlich ca. 1.750 Geburten gedrosselt. Dies ist wesentlich bedingt durch den stetigen Personalmangel in der neonatologischen Intensivpflege. Im Rahmen unserer Betreuungsphilosophie setzen wir vor allem auf Qualität, Sicherheit und Zurückhaltung.

Insgesamt sind im PGH 13 freiberufliche Hebammen tätig, welche über ein eigenes kleines Büro verfügen.

Unsere Geburtshilfe findet unter ärztlicher Leitung statt. Dabei verfolgen wir einen kooperativen Führungsstil, der monatliche Besprechungen des aus Hebammen und Ärzten bestehenden Leitungsteams beinhaltet.

Wie sind die Arbeitsbedingungen Ihrer Hebammen ausgestaltet? Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Hebammen Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren können und sich wertgeschätzt fühlen?
Hasbargen: Es war der Wunsch unserer Hebammen nach Freiberuflichkeit, welcher in einem gemeinsamen Prozess umgesetzt wurde. Unsere seit Oktober 2018 freiberuflichen Hebammen arbeiten im Zwölf-Stunden-Schichtsystem. Dabei ist unser Hebammenteam zur Besetzung der Schichten vertraglich verpflichtet. Krankheitsvertretungen sind insofern generell freiberuflich organisiert. Gegebenenfalls ist bei einem großen Personalengpass nach Absprache aber eine temporäre Reduktion der Präsenzzeit möglich.

Im Schnitt werden ferner pro Hebamme zwei bis drei Frauen betreut. Darunter sind auch Schwangere zur Vorsorge oder Kontrolle, welche gegebenenfalls nachts sowie an Wochenenden notwendig sind.

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen in Ihrer Klinik ausgestaltet?
Hasbargen: Unsere Hebammen und unser ärztliches Personal nehmen an gemeinsamen Notfalltrainings und Fortbildungen teil. Diese beinhalten zum Beispiel Übungen für Notsectio und Schulterdystokie sowie wöchentliche Weiterbildungen mit Kurzvorträgen im Kreißsaalbereich. Ferner findet zwischen Ärzten und Hebammen eine monatliche Perinatalkonferenz statt.

Die Geburtshilfe im PGH ist eine Hochrisikogeburtshilfe mit einem sehr hohen Anteil von maternalen und fetalen Komorbiditäten. Die Hebammen, die hier arbeiten, wissen, dass dies das Spektrum bezüglich des Einsatzes traditioneller Hebammentechniken einschränkt. Wer nach Großhadern zur Geburt kommt möchte maximale medizinische Sicherheit und höchsten medizinischen Standard. Dieses Patientenkollektiv erwartet auch Hebammen, die sich so präsentieren. Hebammen, die bei uns anfangen, wissen dies. Sehr vereinzelt gibt es dann nach kurzer Zeit wieder eine Trennung, weil die Zielvorstellungen unterschiedlich sind. Unser Kernteam ist seit langer Zeit hier tätig.

Grundsätzlich sind die Kompetenzen zwischen Ärzten und Hebammen im PGH klar aufgeteilt. Innerhalb des Geburtsprozesses können unsere Hebammen dabei folgende Entscheidungen autonom treffen, wenn sie diese selbst verantworten und sich mit diesen sicher und wohl fühlen: Untersuchungen und Untersuchungszeitpunkte, Änderungen der Wehenmittelapplikationsraten, Anpassung der Wehenhemmung, Wahl der Geburtsposition beziehungsweise der Positionen der Gebärenden sowie Laborwertbestimmungen.

Generell verläuft die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen im PGH sehr kollegial. Ungeachtet dessen gibt es natürlich in jedem Betrieb in dem Menschen so eng (auch körperlich) zusammenarbeiten Reibungen, deren Ursachen oder Auslöser dann vernünftig besprochen werden müssen.

Welche Empfehlungen würden Sie aussprechen, um in der stationären Geburtshilfe ein positives Arbeitsumfeld für Hebammen zu schaffen und eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen sicherzustellen?

Hasbargen: Das – nicht nur – bayerische Dogma alle kleinen Geburtshilfen zu erhalten, bedeutet in der Realität, dass alle in einer Frauenklinik tätigen Ärzte im Dienst im Kreißsaal tätig sind. Das heißt die Hebammen müssen im Nacht- und Wochenenddienst in der Geburtshilfe auch Entscheidungen von Frauenärzten mit anderen Spezialkompetenzen aushalten. Davon abgesehen würde wohl kein Politiker seine Frau von einem Geburtshelfer am Ovarialkarzinom operieren lassen. Eine nicht hilfreiche Konstellation.

Allerdings ist das Schließen von kleineren geburtshilflichen Abteilungen nicht sinnvoll bevor in deren Versorgungsbereich die Kapazitäten in größeren Geburtshilfen entsprechend ausgebaut sind. Zusätzlich führt die extreme Unterfinanzierung der Geburtshilfe zu zusätzlichen personellen Ausdünnungen. Hinzu kommt das Problem, dass kleine Abteilungen sich nur kleine Teams aus Hebammen und Ärzten leisten können. Das heißt, der Ausfall einer einzelnen Hebamme erhöht die Belastung der verbliebenen Kolleginnen überproportional.

Wir haben mit der Einstellung von administrativ tätigen Mitarbeiterinnen, sogenannten Kreißsaalsekretärinnen, welche sich etwa um Telefondienst, Bestellungen, Dokumentation, Patientenlogistik und die Kreißsaaltür-Klingel kümmern, sowie 24/7 Stationshilfen und Reinigungskräften hervorragende Erfahrungen gemacht.

Dank dieser Mitarbeiterinnen haben die Hebammen mehr Zeit, sich auf ihre Kernaufgaben zu fokussieren. Die nächste Generation der hochschulausgebildeten Hebammen wird dies in jedem Fall fordern und vermutlich nicht in 500-Geburten-pro-Jahr-Geburtshilfen arbeiten wollen.


Fallbeispiel II: Die Hebammenarbeit im Kreißsaal des Klinikums St. Marien Amberg

Von Klaudyna Golkowski, B. Sc. (Leitende Hebamme), Melanie Klotz, M. Sc., B. Sc. (Hebamme), Professor Dr. Anton Scharl (Chefarzt), Dr. Thomas Papathemelis

 

 

1. Generelles

Unsere Betreuungsphilosophie ist zu 100 Prozent auf das schöne und einzigartige Geburtserlebnis mit gesundem Ausgang für Mutter und Kind ausgerichtet. Deswegen betreuen wir unsere Patienten individuell und bedürfnisorientiert. In den natürlichen Geburtsvorgang soll möglichst wenig eingegriffen, Warnzeichen für pathologische Verläufe aber frühzeitig erkannt werden.

Insgesamt betreuen wir im Jahr knapp 1.500 Geburten in einem Perinatalzentrum Level 1. Diese werden durch 16 Beleghebammen durchgeführt. Neben drei Kreißsälen, einem Wehenzimmer, einem Aufnahmezimmer sowie einem Bad mit Entbindungswanne steht ein Raum für die in der Schwangerenambulanz der Klinik tätige Beleghebamme bereit. In jedem der Kreißsäle ist jederzeit ein operativer Eingriff inklusive Sectio möglich.

Unsere Beleghebammen sind sehr eigenständig in der Durchführung ihrer Tätigkeiten. Sie betreuen eigenverantwortlich die Schwangeren und Gebärenden innerhalb physiologischer Verläufe. Ein Hebammenstatut basierend auf den Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme regelt klar die Indikation für die Hinzuziehung eines ärztlichen Geburtshelfers. Eventuell notwendige Interventionen werden gemeinsam zwischen Arzt und Hebamme besprochen. Regelmäßige gemeinsame Trainings von Ärzten und Hebammen und gemeinsame Nachbesprechung pathologischer Verläufe schulen, um Pathologien rechtzeitig zu erkennen und zu managen. Die Hierarchien sind flach, Ärzte und Hebammen sehen sich gegenseitig als Partner. Denkverbote gibt es nicht. Täglich findet eine gemeinsame Besprechung der anwesenden Ärzte und Hebammen statt, in der auch alle stationär betreuten Schwangeren und Wöchnerinnen besprochen werden.

2. Arbeitsbedingungen

Die Hebammen arbeiten im Zwölf-Stunden-Schichtsystem mit je zwei Kolleginnen im Dienst und einer Rufdiensthebamme (24 Stunden). Tagsüber ist die Schwangerenambulanz durch eine zusätzliche Hebamme besetzt. Für diese Besetzung ist die Hebammengemeinschaft dem Klinikum gegenüber vertraglich verantwortlich. Innerhalb dieser Verpflichtung regeln die Hebammen
autark den Dienstplan.

Die leitende Hebamme (Hebammensprecherin) schreibt einen regulären Dienstplan unter Berücksichtigung der Wünsche: dienstfrei und bevorzugter Dienstart (Tag/Nacht). Außerdem gilt die Regelung, dass die Hebamme im Rufdienst im Krankheitsfall übernimmt und eine neue Rufdiensthebamme gesucht wird. Durch die individuelle Dienstplangestaltung wird sichergestellt, dass alle Hebammen einen ausreichenden Freizeitausgleich haben. Teilzeitarbeitsmodelle sind dabei mühelos zu integrieren, die zwölf Stunden Anwesenheit pro Schicht sind aber zu gewährleisten. Überstunden fallen nicht an.

Die Urlaubsplanung erfolgt Ende des Jahres für das kommende Jahr gemeinsam. Alle Hebammen nehmen sechs Wochen Urlaub. Auch das sorgt für eine Erholung der Kolleginnen.

Teammeetings finden je nach Bedarf vier bis sechs Mal im Jahr statt. Ein regelmäßiger Austausch erfolgt beim täglichen gemeinsamen Arzt-Hebammen-Frühstück.

Der Betreuungsschlüssel ist durch die Vorgaben des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) geregelt und beläuft sich auf 2:1. Dies wird durch die Hebamme in Bereitschaft ermöglicht.

Die Abrechnung für die Hebammenleistungen erfolgt gegenüber den Kostenträgern. Die Einnahmen fließen in einen Pool und werden im Verhältnis zu den geleisteten Dienststunden ausgeschüttet.

3. Zusammenarbeit

Im Klinikum finden regelmäßig mit dem ärztlichen Dienst gemeinsame Fortbildungen und verschiedene Notfalltrainings statt. Außerdem ist jede Hebamme verpflichtet die gesetzlich vorgegebene Anzahl an Fortbildungsstunden zu erbringen.

Im Kreißsaal können die Hebammen alle ihre Fähigkeiten vollumfänglich einsetzen, egal ob in der Homöopathie, im Bereich Schüssler Salze, in der Akupunktur, bei der Durchführung von Kursen oder in der Wahl von Geburtspositionen und bei vielem mehr.

Hebammen und Ärzte verstehen sich als Team auf Augenhöhe aber mit klar geregelten Kompetenzen: Hebammen sind verantwortlich für die physiologische Geburt, Ärzte übernehmen bei Pathologie oder kommen spätestens in der Austreibungsphase zur Geburt. Der diensthabende Arzt wird von der Hebamme immer über die Aufnahme einer Frau informiert. Die Aufnahmeuntersuchung erfolgt meist gemeinsam. Bei Normalbefund übernimmt die Hebamme, bei Abweichungen wird das weitere Vorgehen gemeinsam besprochen. Die Entscheidungen werden immer gemeinsam von Arzt und Hebamme getroffen, ausgerichtet auf die Bedürfnisse der Frau. Treten nicht lösbare Diskrepanzen auf, entscheidet der Arzt. Das Vorgehen wird aber nach der Geburt im Team mit den Beteiligten besprochen und eventuelle Regelungen für künftige Fälle werden festgelegt.

Die kollegiale Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen zeigt sich im Ergebnis: Positive Rückmeldungen der Patienten (nur selten Verwirrung der werdenden Eltern durch unterschiedliche Aussagen) und Zufriedenheit, gute Stimmung und Freude an der Arbeit im gesamten Hebammen-Ärzte-Team. Die gute Zusammenarbeit spart auch Zeit.

4. Zusammenfassung

Wir (Ärzte und Hebammen) respektieren uns persönlich – menschlich und fachlich – und ergänzen uns. Konflikte werden zeitnah und offen thematisiert und soweit möglich gelöst. Erfahrungen werden berufsübergreifend weitergeben und geteilt. Das zeigt sich in der Einarbeitung von neuen Assistenzärzten durch erfahrene Hebammen und bei neuen Hebammen durch erfahrene Ärzte.

Diese Zusammenarbeit beruht auf einem langen und stetigen Reifungsprozess in beiden Berufsgruppen. Es besteht kein Feindbild und konstruktive Kritik kann von beiden Seiten bei einer Tasse Kaffee offen angesprochen werden. Beleidigungen und nachtragendes Verhalten werden vom Team nicht toleriert. Dem Team im Kreißsaal ist bewusst, dass alle im selben Boot sitzen und alle am gleichen Strang ziehen. Uns ist allen bewusst, dass wir sehr viel Zeit unseres Lebens in der Arbeit verbringen, deswegen teilen wir unser Lachen und unsere Sorgen.

Unserer leitenden Hebamme ist es wichtig, dass jede Persönlichkeit gleichermaßen respektiert und geschätzt wird und unsere Emotionen verstanden werden, egal ob von Hebammen oder Ärzten. Sie erfährt in dieser Haltung stets Rückhalt durch den Chefarzt. Falls unerwartete Probleme, zwischenmenschlicher oder fachlicher Art, auftreten, werden diese zeitnah gemeinsam mit den betroffenen Personen, der leitenden Hebamme und dem Chefarzt besprochen. Zwischen Chefarzt und Hebammenleitung besteht ein enges Vertrauensverhältnis, basierend auf Wertschätzung und Sympathie, welches sich auch auf die übrigen Teammitglieder überträgt.

Selbstverständlich ist der offene und ehrliche Umgang mit Fehlern. Probleme werden direkt angesprochen (jedoch nicht vor der Patientin), und eine Lösung wird gefunden.

Fallbeispiel III: Die Hebammenarbeit im Perinatalzentrum der Klinik Hallerwiese

Stellungnahme der Hebammen Michaela Bleibler, Karin Fleischer und Marina Wendt der Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin der Klinik Hallerwiese-Cnopfsche Kinderklinik, Nürnberg


Professor Dr. Franz Kainer, Chefarzt der Abteilung für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Klinik Hallerwiese, sowie Marina Wendt, Hebamme der Abteilung Geburtshilfe und Pränatalmedizin der Klinik Hallerwiese (vorne links).

Beschreiben Sie bitte generell das Modell der stationären Geburtshilfe in Ihrer Klinik und Ihre Betreuungsphilosophie.

In unserem Level-1-Perinatalzentrum in der Klinik Hallerwiese finden jährlich rund 3.400 Geburten statt. Unsere 34 Hebammen versorgen die Frauen in verschiedenen Arbeitszeitmodellen als freiberufliche Dienst-Beleghebammen auf der Präpartalstation, im Kreißsaal und auf der Wochenstation. Neben einer Küche und einer Umkleide mit Toilette, die sowohl von Ärzten als auch von Hebammen genutzt wird, steht uns ein Bereitschaftszimmer für bis zu zwei Hebammen zur Verfügung. Dieses ist mit einem Bad mit Dusche und einer kleinen Kochzeile ausgestattet.

Formal ist unsere Geburtshilfe arztgeleitet, jedoch sind in unserem eingespielten und kollegialen Team die Hierarchien gefühlt flach.

Eine spezielle Betreuungsphilosophie haben wir nicht verschriftlicht, scherzhaft gilt bei uns, dass man sich einen Kaiserschnitt wirklich verdienen muss, das heißt, wenn man bei uns eine sekundäre Sectio erhält, ist es wirklich nicht anders gegangen.

Wie sind die Arbeitsbedingungen Ihrer Hebammen ausgestaltet? Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Hebammen Familie und Beruf gut miteinander vereinbaren können und sich wertgeschätzt fühlen?

Wir arbeiten im Kreißsaal in zwei sich wöchentlich abwechselnden Teams in Acht- und Zwölf-Stunden-Diensten. Somit sind längere Freizeitzeiträume gesichert. Die beiden Teams vertreten sich zudem gegenseitig bei Krankheit oder Urlaub. Durch sich immer wiederholende Dienstabfolgen ist der Dienstplan bereits Monate im Voraus bekannt, was sich positiv auf die Freizeitgestaltung und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf auswirkt. Regelmäßige Teamsitzungen und bei Bedarf außerordentliche Besprechungen, auch interdisziplinär, sichern dabei die Kommunikation.

In der Regel werden zwei Frauen pro Hebamme parallel betreut, in arbeitsintensiven Zeiten auch drei bis vier pro Hebamme. Hier wird von uns allerdings darauf geachtet, dass die Verteilung dem Betreuungsbedarf angepasst ist. Hierzu sind bis zu vier Hebammen im Einsatz, um den Frauen bestmöglich gerecht zu werden.

Überstunden fallen regelmäßig an, insbesondere durch die ständig steigenden Dokumentationsanforderungen, und nicht zuletzt durch die neuerliche 1:2-Betreuung. Fallen Überstunden aus der Betreuungssituation heraus an, werden diese durch die Möglichkeit der direkten Abrechnung mit den Kostenträgern vergütet. Krankheitsvertretungen organisieren wir intern und selbstständig.

Unsere Leistungen rechnen wir direkt mit den Leistungsträgern beziehungsweise Betreuten bei den privaten Krankenversicherungen ab und fühlen uns in der Regel fair bezahlt. Einzig die Abrechnungsbeschränkung (1:2) wird als schwierig realisierbar erachtet, denn diese führt nicht zu einer besseren Betreuung der Frauen, sondern nur zu einem höheren Druck, Belastung durch teils unnötige Anwesenheit und mehrfache Anfahrt in der Bereitschaft und ist bei hoher Arbeitsbelastung teils schlicht nicht leistbar.

Betriebliche Vereinbarungen zu Rufbereitschaften, freien Tagen sowie Höchstgrenzen für tägliche Arbeitsstunden sind in einem Kooperationsvertrag mit dem Haus geregelt, der uns dennoch ausreichend Spielraum zur freien Gestaltung lässt.

Wie ist die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen in Ihrer Klinik ausgestaltet?

Die Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen erleben wir stets kollegial, wertschätzend und auf Augenhöhe. In der Regel verstehen wir uns als gutes Team. Insbesondere Ärzte-Hebammen-Besprechungen und Simulationstrainings bieten gemeinsamen Raum zur Klärung und Fortbildung.

Die Geburtsleitung obliegt dabei weitestgehend der Hebamme, insbesondere bei physiologischen Verläufen bei regelmäßiger Information des Dienstarztes. Bei Problemen wird der Dienstarzt hinzugezogen und gemeinsam weiterbetreut.

Unsere Hebammen können die Betreuung, CTG-Kontrollen, Schmerzmittelauswahl und Veranlassung der PDK-Anlage, Gebärpositionen etc. in festgelegten Spielräumen bei fortlaufender Information und Absprache autonom gestalten.

Besonders hervorzuheben ist unser Gefühl, dass wir tatsächlich weitestgehend unsere Fähigkeiten und Fertigkeiten vollständig ausschöpfen können und insbesondere bei prolongierten Verläufen oder Geburtsstillständen alles an Lagerung/ Analgesie/Ruhe probiert werden darf, um die Dystokie zu beseitigen, bevor eine Sectio indiziert wird. Dies ist ein elementarer Punkt der Arbeitszufriedenheit.

Welche Empfehlungen würden Sie aussprechen, um in der stationären Geburtshilfe ein positives Arbeitsumfeld für Hebammen zu schaffen und eine kooperative Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Hebammen sicherzustellen?

Aus unserer Sicht sind insbesondere die Freiberuflichkeit, flache Hierarchien, Selbstwirksamkeit durch Anerkennung der gegenseitigen Kompetenzen sowie die eigenverantwortliche und selbstständige Gestaltung unserer Betreuung und Organisation allgemein (zum Beispiel Dienstplangestaltung) elementare Punkte der Arbeitszufriedenheit bei Hebammen im klinischen Setting.

Ebenfalls sehr wichtig sind aber auch die Möglichkeit der Geburtsleitung im Hebammen-Berufs-Selbstverständnis ohne unnötige Pathologisierung, die Anerkennung der Latenzphase sowie von Plateaus im Geburtsverlauf und insbesondere eine Austreibungsperiode von mehr als zwei Stunden. In ihrer Summe sind diese Punkte sicherlich Gründe für die niedrige Fluktuation und den nicht vorhandenen Hebammenmangel in unserem Haus.

Fallbeispiel IV: Die Hebammenarbeit im Perinatalzentrum der Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg

Stellungnahme von Professor Dr. Birgit Seelbach-Göbel, Direktorin und Chefärztin der Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg sowie von Eva Juraschko, leitende Hebamme im Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg – Klinik St. Hedwig

 

 

Sicherheit in Wohlfühlatmosphäre

Die Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe der Universität Regensburg im Krankenhaus Barmherzige Brüder – Klinik St. Hedwig ist mit rund 3.300 Geburten im Jahr ein Perinatalzentrum Level 1. In unserer Schwangerenambulanz führen Ärzte und Hebammen gemeinsam die Schwangerenvorsorge und Geburtsplanung durch. Risikoschwangere erhalten eine individuelle, maßgeschneiderte Betreuung und Beratung. Bei unkomplizierter Schwangerschaft motivieren wir werdende Mütter zu einer vaginalen Geburt und können diese auch bei kindlicher Steißlage und Mehrlingsschwangerschaft mit gutem Gewissen anbieten. Dafür stehen geschulte Ärzte und Hebammen sowie Operationsteam und Anästhesie rund um die Uhr zu Verfügung.

Regelmäßig trainieren wir gemeinsam für den Notfall, zum Beispiel bei Schwierigkeiten bei der Kindsentwicklung, vaginal-operativer Entbindung und Notsectio. Dabei erzielen wir Entscheidungs-Entbindungs-Zeiten unter zehn Minuten. In unserem geburtshilflichen Team arbeiten 38 freiberufliche Beleghebammen unter einer leitenden Hebamme. Der Dienstplan wird gemeinsam in der Gruppe erstellt, die Abrechnung erfolgt im Pool-System mit den Krankenkassen. Durch ein Zwölf-Stunden-Schichtsystem betreut eine Hebamme parallel maximal zwei Frauen während der Geburt. Im Wochenbett, der Schwangerenambulanz und für die geplanten Kaiserschnitte ist jeweils noch eine zusätzliche Hebamme mit eingeteilt. In der angegliederten Elternschule besteht die Möglichkeit, Kurse und Beratungen anzubieten. Ärzte und Hebammen arbeiten in der Klinik St. Hedwig Hand in Hand. Unter dem Motto „so natürlich wie möglich, nur so viel Interventionen wie nötig“ verfolgen wir trotz hoher Geburtenzahlen gemeinsam das Ziel einer physiologischen Geburt und individuellen Betreuung. Dem Arbeitsklima förderlich sind gemeinsame Fortbildungen und Unternehmungen.

Empfehlungen zu einer kooperativeren Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe

Unsere vier Fallbeispiele zeigen anschaulich, dass Hebammen auch in der stationären Geburtshilfe große Freude an ihrem Beruf haben können, wenn sie attraktive Arbeitsbedingungen vorfinden und eine kooperative Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten besteht.

Die Erkenntnisse aus den Fallbeispielen wollen wir deshalb – auch anhand der Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (Die DGGG bereitet derzeit eine aktualisierte Stellungnahme zur Zusammenarbeit von Arzt und Hebamme in der Geburtshilfe vor; Insofern beziehen wir uns hierbei auf die vor einiger Zeit ausgelaufenen Leitlinien der DGGG) sowie des Deutschen Hebammenverbands – in einige generelle Anregungen überführen:

Grundsätzlich sollten Hebammen von nicht hebammenspezifischen Tätigkeiten entlastet werden, um eine zu starke Arbeitsverdichtung zu vermeiden. Dazu gehören beispielsweise das Putzen beziehungsweise das Instandhalten von Räumen und Geräten, Telefondienst sowie administrative Aufgaben wie Bestellwesen und Auffüllen.

Des Weiteren muss ausreichend Hebammenpersonal eingestellt werden, sodass auch eventuelle Ausfälle durch Krankheit kompensiert werden können – ohne, dass die verbleibenden Kollegen zu stark belastet werden. Dabei muss auch darauf geachtet werden, dass Hebammen ihre gesetzlich vorgeschriebenen Pausen einhalten können.

Überdies können Anreize wie außertarifliche Zulagen, zusätzliche Regenerationszeiten oder andere Bonussysteme dabei helfen, Hebammen wieder vermehrt für die Tätigkeit in einer Klinik zu gewinnen.

Weiterhin geht zwar die Rechtsprechung davon aus, dass der Arzt spätestens mit seinem Erscheinen die Geburtsleitung übernimmt und gegenüber einer Hebamme weisungsberechtigt ist; gerade jüngere Ärzte, die noch nicht den Facharztstatus besitzen, werden jedoch vielfach an praktischer Berufserfahrung einer Hebamme unterlegen sein und sollten deshalb von einem formalen Weisungsrecht nur mit größter Zurückhaltung Gebrauch machen.

Jede Arbeitsteilung zwischen Arzt und Hebamme sollte also die umfassende Berufsausbildung der Hebammen und ihre häufig erworbene praktische Berufserfahrung berücksichtigen und sie bei aller Weisungsgebundenheit nicht auf den Status eines „Heilhilfsberufs“ herabsetzen. Erfahrungen sollten im Rahmen eines „kooperativen Kreißsaals“ insofern berufsübergreifend geteilt werden. Dabei sollte die Zusammenarbeit zwischen Arzt und Hebamme auch unbedingt durch regelmäßig stattfindende gemeinsame Fortbildungen, Notfalltrainings und Teammeetings gestärkt werden.

Schließlich ist zu bedenken, dass auch bei der klinischen Geburt die Schwangere in aller Regel längere Zeit von der Hebamme als vom ärztlichen Personal betreut wird und sich dadurch meist eine stärkere Beziehung zur Hebamme als zum Arzt entwickelt. Deshalb sollte darauf geachtet werden, dass nicht Schichtwechsel oder allzu formal gehandhabte Arbeitszeitvorschriften noch in der Austreibungsperiode zu einem Wechsel dieser Bezugsperson führen.

In diesem Zusammenhang möchten wir Sie bitten, uns an Ihren Erfahrungen aus der Hebammenarbeit in der stationären Geburtshilfe teilhaben zu lassen: Welche Maßnahmen treffen die Abteilungen für Geburtshilfe in Ihrer Klinik, um eine kooperative Zusammenarbeit von Ärzten und Hebammen im Kreißsaal sicherzustellen? Und welche Empfehlungen würden Sie aussprechen, um die Attraktivität des Hebammenberufs zu erhöhen? Wir würden uns diesbezüglich sehr über zahlreiche Leserbriefe freuen!

Florian Wagle (BLÄK)

 

 

Top