„Corona“ – Wie wirklich ist die Wirklichkeit?

Kommunikationseffekte

Die Psychologie der Corona-Kommunikation – Beziehungssignale an die Bevölkerung

Kommunikation ist ein System, dessen Hauptelemente der Kommunikator (Sender), der Text und der Rezipient (Empfänger) mit jeweiligen Kontexten sind, wobei häufig ein Informationsgefälle beseht. So ist das Ziel der Corona-Kommunikation die Vermittlung einer kollektiven Handlungs­orientierung zur Eindämmung der Pandemie [1].


Abbildung 1: Das kommunikationstheoretische Grundmodell und die Informationsasymmetrie. Dominanz des Top-down-Flusses an Information (dicke horizontale Pfeile) gegenüber dem Bottom-up-Fluss (gestrichelte horizontale Pfeile; Details siehe Text und Anmerkung 1; eigene Darstellung).

Die Corona-Wissenschaft, vertreten durch Physik, Statistik, Mathematik, Virologie und Epidemiologie gewinnt allerdings nicht mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung, die zu Beginn der Pandemie sehr hoch war und nun wieder geringer geworden ist. Das drückt sich vor allem in der Impfmüdigkeit aus, obwohl mit hoher Intensität für die Impfung geworben wird [2]. Es besteht vor allem die Sachfrage, wie wirksam die Impfung bei der Omikron-Variante des SARS-CoV-2 ist, was durch beschwörende Wissenschaftler-Kommunikation nicht überzeugender wird [3]. Ärztinnen und ­Ärzte wissen hingegen unter den Begriffen „Compliance“ bzw. „Adhärenz“, dass am besten eine auf die Patientinnen und Patienten eingehende und sie annehmende Kommunikationsform und weniger eine dozierende Zeigefinger-Pädagogik wirksam ist [4]. Es ist dabei an das Psychologische der Kommunikation zu denken, insofern der übermittelte Text neben der Sachaussage auch das Emotionale als Ausdrucksfunktion („Endlich gibt es die Impfung!“), und als Appellfunktion („Lasst Euch impfen!“) zeigt. Vor allem aber tragen Texte Beziehungssignale, die sich von Expertenseite oft als „paternalistisches“ bzw. „maternalistisches“ Eltern-Ich bzw. Über-Ich zeigen und den Rezipienten in die Kind-Position drängen („Ich kenne mich aus!“; [5].


Abbildung 2: Motivational-emotionale Wirkungsdimensionen des kommunizierten Textes: Sachaussage, Ausdrucksfunktion, Appellfunktion und Beziehungsdefinition.

Das konstruierte Wissen der Corona-Wissenschaft

Die Wissenschaft als Wissensquelle und primärer Kommunikator konstruiert auf der Basis ihrer methodisch strukturierten Messungen ein Bild von der Realität, also Wissen, das mehr oder weniger zutreffend, also reliabel und valide ist [6]. Zunächst müssen die Zahlen nach einer Evidenzlogik der Testung gegen Zufall („Rauschen“) erhoben und gesichert werden, um als „Fakten“ gelten zu können [7]. Wissen ist aber hypothetisch, gerade bei sich rasch ändernden Verhältnissen wie der Coronapandemie als komplexes dynamisches System [8]. Die Wissenschaft hat deshalb grundlegend das Problem, „Wissen“ als gesichert, aber dennoch als Form eines „Glaubens“ zu kommunizieren. Und es muss verständlich formuliert werden, obgleich Wissenschaft mit Zahlen argumentiert und diese in Worte transformieren muss [9]. Es sind also vorwiegend Daten am Wissensmarkt, denn Hypothesen oder gar Theorien werden von der Corona-Forschung kaum angeboten [10]. Allerdings sind die Corona-­Zahlen analytisch ungenau, schon weil nicht zwischen „mit“ oder „wegen“ Corona erkrankten (oder verstorbenen) Menschen differenziert wird, und Alter, Übergewicht, Bluthochdruck und Diabetes mellitus Risikofaktoren für schlechte COVID-19 Verläufe sind, was aber dem einfachen Stimulus-Response-Modell (Virus = COVID-19) zuwiderläuft [11]. So werden nur Einzelaspekte der Gesamtsituation erfasst, denn das Virus ist nur ein Bedingungsfaktor für COVID-19, die Vulnerabilität des Wirtes ist hingegen ein zweiter und die Umwelt ein dritter Faktorenkomplex der Krankheitsgenese. Es wird auch deutlich, dass die Corona-Expertise nicht auf Virologie oder Epidemiologie beschränkt sein kann, sondern auch Pathologie, Innere Medizin, Neurologie, Pädiatrie, Geriatrie und auch Patienten-Erfahrungen umfassen müsste. Es fehlt allerdings, so scheint es, das „geistige Band“ [12, 13, 14], was sich auch negativ auf das Corona-Management auswirkt [15, 16].

Corona-Informationen als Zahlen und Texte zur Nutzen-Risiko-Kommunikation

Praktische Wissenschaft, wie die Medizin, versucht Risiken (und Nutzen) zu quantifizieren. Die Übersetzung von Zahlen in allgemein verständliche Sprache führt allerdings zu Verzerrungen [17]. So wurde der Nutzen der Corona-Impfung bei der Zulassung Ende 2020 auf der Basis der Wirksamkeit eines mRNA-Impfstoffes als „relative Risikoreduktion“ (RRR) mit dem „Schutz“ zu 95 Prozent kommuniziert. Was bedeutet das aber genauer? [18].

Verbalisierung und Kommunikation quantitativer Risiko-Nutzen-Vergleiche

Die damalige RRR der Impf-Zulassungsstudie beruhte auf dem Vergleich der jeweiligen Erkrankungsquote – Absolutes Risiko (AR) – der Geimpften (ca. 0,05 Prozent), mit jener Quote der Kontrollgruppe (ca. 0,9 Prozent). Und zwar werden diese Risiken in Form des Risiko-Quotienten als relatives Risiko aufeinander bezogen (0,05 Prozent/0,9 Prozent), was gerundet 0,05 bzw. 5 Prozent ergibt. Im nächsten Schritt wird diese Zahl vom Erkrankungsrisiko der Kontrollgruppe, die mit 100 Prozent als Referenz gesetzt wird, abgezogen (100 Prozent minus 5 Prozent), woraus sich die RRR von 95 Prozent ergibt. Die RRR als quantitativer Indikator wurde verbal-kategorial so übersetzt, dass der Selbstschutz „hoch“ ist. Allerdings soll bei seltenen Erkrankungen die „absolute Risikoreduktion“ (ARR) verwendet werden [19]: sie betrug ca. 0,84 Prozent-Punkte, was beim flüchtigen Lesen auch wie ein hoher Zahlenwert erscheint, aber erst mit Darstellung des AR (siehe oben) bildet sich das alltagsweltlich geringe Grundrisiko im Promille-Bereich für den Sommer 2020 ab. Diese Relationen sollten trotzdem für die Impfung sprechen, allerdings gehen in die subjektive Risikoeinschätzung noch andere Faktoren, wie die Vertrautheit mit dem Risiko, dessen Steuerbarkeit, die Freiwilligkeit, eigene oder fremde Verantwortung, Bekanntheitsgrad, Vermeidbarkeit, zeitliche Latenz des Risikoeintritts usw. ein [20].

Nachdem in 2021 zunehmend die Delta-Variante dominierte, war das Wirksamkeitsmaß aber nicht mehr sicher erfüllt, entsprechende randomisierte kontrollierte Studien konnten jedoch nicht durchgeführt werden und man sagte: „Die Impfung ist wirksam“; Widerspruch wurde so formuliert, dass die Impfung „unwirksam“ sei, was so auch nicht stimmt, aber der Grauton, „sie ist weniger wirksam“ wurde offiziell vermieden, „um die Menschen nicht zu verunsichern“.

Als indirekte quantitative Evidenz galt im Sommer 2021 der Doppel-Vergleich der Hospitalisierten-Quote der Geimpften versus der Ungeimpften bezogen auf die jeweilige Grundgesamtheit. Dies ergab ein zumindest dreifach geringeres Hospitalisierungs-Risiko für Geimpfte. Allerdings wurde das falsch kommuniziert, insofern von 58 Prozent Geimpften unter den Hospitalisierten die Rede war („mehr als die Hälfte...“), statt diese Zahl auf die Grundgesamtheit in der Bevölkerung (zum Beispiel 81 Prozent Geimpfte unter den 5,6 Mio Impfbaren) zu beziehen [21]. Warum aber ließen sich seit Herbst 2021 nicht mehr Menschen impfen? Es gab wohl Mängel in der Wissenschaft und der Kommunikation.

Die Impf-Texte zum Impf-Imperativ – bedenklicher Mix aus Fakten und Moral

Die offizielle Begründung des Impfbedarfs betraf zunächst Ende 2020 den Selbstschutz („Die Impfung schützt vor schweren Verläufen“) dann, Anfang 2021, ging es um den Fremdschutz („Wir müssen Ungeimpfte schützen“) und schließlich wurde Mitte 2021 der Systemschutz (Bettenbelegung der Intensivstationen) eingefordert. Zuletzt war die Rede davon, dass die Impfung – wenngleich nicht spezifisch – auch bei Omikron „vor schweren Verläufen schütze“ und damit auch dem Systemschutz diene. Das sind bemerkenswerte Kategorien-Sprünge, die Misstrauen erzeugten [22]. Auch studiengestützte Kampagnen überzeugten offensichtlich nicht [23] und so stieg in vergleichbarem Maß die Impf-Akzeptanz nicht, sondern die Fraktion der Impf-Ambivalenten bzw. -gegner wuchs und sie wird anscheinend auch immer militanter [24]. Dabei sind auch polarisierte monokausale Argumentationsmuster von Proponenten (Pro) und Opponenten (Contra) bemerkenswert [25]: Pro: „Die Pandemie ist die Pandemie der Ungeimpften.“ (Und: „Je mehr geimpft sind, desto besser ist die Pandemielage“). Contra: „Im Frühjahr 2022 zeigen auch Länder mit hohen Impfquoten hohe Inzidenzzahlen (Portugal) und Länder mit niedrigen Impfzahlen hatten niedrige Inzidenzzahlen (Ungarn 50 Prozent, Rumänien 30 Prozent“) [26]. Derartige oft aggressiv ausgetragene Differenzen könnte man „multivariat“ und theoretisch aufklären und so Vertrauen herstellen.

Es wundert nicht, dass sich in Deutschland und Österreich bei der letzten großen Welle im Winter 2021/2022 eine für eine Herdenimmunität zu niedrige Durchimpfungsquote von etwa 70 Prozent zeigte (Soll: 90 Prozent) und eine niedrige Zahl der täglichen Impfungen [27]. Dies hat zur moralisierenden Forderung nach einer gesetzlichen Impfpflicht geführt und zwar auch durch Rückgriffe auf die allgemeine Moral: Es sei genauso verwerflich als ungeimpfte Person in der Öffentlichkeit zu sein, wie betrunken Auto zu fahren [28]. Dieser Vergleich wurde von Impf-Skeptikern abgelehnt. Er ist auch inadäquat, da Ungeimpfte nicht notwendig Infizierte sind und daher auch niemanden gefährden. Auch die Pflichtenvergleiche wie Sicherheitsgurt- und Sturzhelmpflicht (Prävention) sind psychologisch inadäquat und sie werden auch so von der Bevölkerung erlebt, was das Vertrauen mindert und Ablehnungen verfestigt [29].

Die polarisierte Meinungsbildung

Die erwähnten vielfachen Informationsschwächen wie auch inkonsistente Kommunikationen können zur Minderung des Vertrauens der Bevölkerung in die Information führen („epistemic trust“), die nämlich ihre eigenen Erfahrungen zur Gesundheit aus der alltäglichen Lebenswelt haben und sie mit der offiziellen Information vergleichen [30]. Zu Beginn der Pandemie wurde deshalb in manchen Ländern von der Politik, zur Steigerung der Kohärenz der Information, Kommunikationsstrategien der gefilterten Informierung als Message control praktiziert [31]. Auch wurden anderslautende Meinungen zunehmend als „unwissenschaftlich“ abgewertet und die Protagonisten unautorisierter Meinungen als „selbsternannte Experten“, „Querdenker“, oder gar inhuman als „Covidioten“ und „Schwurbler“ usw. ausgegrenzt. Um zu verhindern, dass der autorisierten Information öffentlich wirksam widersprochen wurde, wurde Medien gegenüber auch der Vorwurf der „false balance“ aufgebracht, was in vielen Fällen zur „Cancle Culture“ führte [32]. In der Folge kann ein Rückzug der Bevölkerung und deren Meinungspolarisierung beobachtet werden [33] und zwar nicht nur in Hinblick auf Motivationsdefizite, sich impfen zu lassen und zwar trotz der Empfehlungen der Verhaltensökonomie und der Werbeexpertisen. Das ist demokratiepolitisch höchst bedenklich, insbesondere, wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – so sehr sie hier kritisch gesehen werden – sogar physisch bedroht werden. Hier haben auch Medien – insbesondere Social ­Media – eine wichtige Aufgabe der Selbstkontrolle.


Abbildung 3: Die hypothetischen Shifts der Verteilung der Protagonisten (Euphoriker) und Opponenten (Gegner) der Impfung und die Polarisierung nach suboptimaler Kommunikation.

Fazit

Die Corona-bezogene Kommunikation war (und ist) suboptimal, erkennbar an der nicht gerade ansteigenden Kooperationsbereitschaft der Bevölkerung. Das dürfte bereits an Inkonsistenzen der Aussagen der medizinischen Corona-Wissenschaft liegen, was ihre Erkenntnis- und Prognosesicherheit betrifft, wie auch deren ­lebensweltliche Relevanz, die durch die Reduktion auf Moleküle und Mathematik unzureichend ist. So fehlt der erweiterte Rahmen für das „Einerseits-andererseits“ bzw. „Wenn-dann“, den Gesundheitsökonomie und/oder Gesundheitspsychologie/-soziologie bieten. Hinzu kommen Inkonsistenzen von Aussagen der Politik und auch Meinungs-Einseitigkeiten in den Medien selbst. Ein besonders aktuelles Beispiel ist die Impf-Kommunikation, die wenig Anpassung an die Pandemie-Dynamik zeigt (Corona-Varianten, Maßnahmeneffekte). Dass es einen Vertrauensverlust und Politikverdrossenheit gibt, verwundert daher kaum [34].

Es geht nun darum, mehr Differenzierung zu wagen und den Stand der Forschung in seiner Vorläufigkeit so darzustellen, wie er ist, Unsicherheiten zuzugeben, Irrtums-Risiken zu kommunizieren und transparent zu sein – die Bevölkerung wird es vermutlich danken [35]. Selbstverständlich – die wenigen Prozent der absoluten Gegner werden alle Argumente ablehnen und bei Zweifeln sagen: “Die wissen selber nicht, was Sache ist“. Ebenso wie sie bei Stabilität der Meinung sagen: „Die sind ja gekauft!“ Aber nur durch mehr Authentizität der Wissenschaft können wir langfristig das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft als hilfreiche, aber fehlbare, Institution halten und ausbauen.

Autoren
Professor Dr. Dr. phil. Dr. rer. pol. Felix Tretter, Bertalanffy Center for the Study of Systems Science, Wien 

Dr. Marc M. Batschkus, Archiware GmbH, München

Professor Dr. Dr. rer. nat. Dr. h. c. mult. Dieter Adam, ehem. Dr. von Haunersches Kinderspital der Universität München

 

 

Top