Bürokratie bedroht die Patientenversorgung

Dr. Gerald Quitterer

Fehlende Nachbesetzungen von Haus- und Facharztpraxen, Arbeitszeitverdichtungen in Kliniken, ärztlicher Personalmangel im Öffentlichen Gesundheitsdienst – jetzt schlagen Kinderärztinnen und -ärzte Alarm. Kinderkliniken und Praxen sind überfüllt. Ein weiteres Zeichen eines jahrelangen Kaputtsparens bewährter Strukturen und Folge unnötiger Bürokratie. Was ist morgen? Statt einer künftigen Generation von Ärztinnen und Ärzten, die wir dringend in der Versorgung brauchen, die notwendigen Studienplätze zur Verfügung zu stellen, fährt die Politik lieber auf digitale Versorgungsformen und Gesundheitsanwendungen ab. Als ob hierdurch Nachhaltigkeit zu erzielen wäre. Telemedizinanbieter verlassen den Markt, wenn die Rendite nicht stimmt. Unnötige Gesundschreibungen für Kindertagesstätten oder Schulen blockieren wertvolle Untersuchungs- und Behandlungszeiten an Kindern. Bürokratie, die schnellstens abgeschafft gehört.

Demgegenüber kommt gerade neue Bürokratie auf die Ärzte in den Kliniken zu, wenn den vom Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG) vorgesehenen Qualitätsindikatoren beim Entlassmanagement gefolgt wird. 15 verschiedene Indikatoren werden definiert, die Ärzte bei der Entlassung von Patienten aus dem Krankenhaus zu erfüllen haben. Sie sind teilweise unsinnig. Beispielsweise sollen das Aufsuchen einer Notaufnahme oder eine erneute stationäre Einweisung nach Entlassung als Kriterium herangezogen werden. Diese sind von allen möglichen Faktoren abhängig, in der Regel jedoch nicht vom Management der Entlassung. So notwendig es ist, dass Patienten strukturiert vom stationären in den ambulanten Sektor wechseln, so sehr muss man hier nach einfachen Lösungen suchen und nicht Mehrarbeit produzieren.

Die Umsetzung der 2021 in Kraft gesetzten Europäischen Verordnung über Medizinprodukte (MDR) führt zu hohen Anforderungen bei der Marktzulassung von medizinischen Produkten. Jetzt zeigen sich die Missstände, die dadurch verursacht werden: tausende Artikel, die seit Jahrzehnten erfolgreich verwendet werden, müssen aufwändig und kostenintensiv rezertifiziert werden – etwa bereits erprobtes OP-Instrumentarium. Gerade für Hersteller von Nischenprodukten sind der damit verbundene bürokratische Aufwand und die entstehenden Kosten teilweise so hoch, dass sie ihre Erzeugnisse vom Markt nehmen – was bereits jetzt katastrophale Versorgungslücken zur Folge hat und eine Gefahr für die Patientenversorgung darstellt. Beispielsweise fallen in der Orthopädie wichtige Implantate zur Behandlung komplexer Oberschenkelfrakturen weg, was eventuell vermehrte Amputationen nötig macht. Auch fehlen inzwischen Implantate, die bei Halswirbelfrakturen zum Erhalt der Rotationsfähigkeit des Kopfes eingesetzt werden. Nach Angaben der Bundesregierung sind ca. 6.000 Medizinprodukte betroffen, die bereits vom Markt genommen wurden oder bei denen die Hersteller dies angekündigt haben. Es braucht deshalb von Seiten der EU sofortige Lösungen für versorgungsrelevante Nischenartikel, deren Herstellung aufgrund der geringen Stückzahl und der hohen Zertifizierungskosten unter der MDR unwirtschaftlich geworden ist. Es drängt sich das Gefühl auf, dass es hier mehr um finanzielle Einnahmen, denn um Patientensicherheit geht. Gut gemeint ist eben noch nicht gut gemacht.

Das gilt auch für den Konnektorentausch in den Arztpraxen. Wenn es funktionierende Softwarelösungen gibt, dann ist ein verpflichtender Hardwaretausch unnötige Geldverschwendung. Wir brauchen die gematik, bei der noch dazu das Bundesministerium für Gesundheit 51 Prozent der Gesellschaftsanteile besitzt, in dieser Form nicht. Grundsätzlich muss die praktizierende Ärzteschaft in die Entwicklung der Telematikinfrastruktur (TI) federführend einbezogen werden. Vor einer verpflichtenden Einführung gesetzlich festgelegter TI-Anwendungen muss deren Nutzen sowohl für die Patientenversorgung wie auch die Praxen und Kliniken durch eine ausreichende Erprobung sichergestellt und evaluiert sein. Jenseits der Bürokratie ist es dringend erforderlich, die Arzneimittelproduktion wieder nach Europa zurückzuverlagern. Es ist nicht hinzunehmen, dass fiebersenkende Medikamente oder Antibiotika nicht zur Verfügung stehen.

Das Kaputtsparen der Medizin muss ein Ende haben, wir brauchen mehr Studienplätze für Medizin, die neue Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) und endlich verlässliche Rahmenbedingungen für unsere Berufsausübung. Der freie Beruf Arzt ist nicht verhandelbar, nicht für selbstständige und nicht für angestellte Ärzte. In diesem Sinne dürfen wir nicht nachlassen, für unsere Belange einzutreten und brauchen wieder eine starke Ärztevertretung.

Das Wahlergebnis zur Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) liegt vor und ist dieser Ausgabe des Bayerischen Ärzteblatts beigelegt. Insgesamt 180 Persönlichkeiten – 174 Delegierte plus je ein Repräsentant der sechs Landesuniversitäten – bilden das neue Ärzteparlament. Die Delegierten repräsentieren berufspolitische Fraktionen und gleichzeitig ihren ärztlichen Kreisverband beziehungsweise ärztlichen Bezirksverband – ein breites Spektrum, das auch alle Versorgungsformen, Altersgruppen und medizinischen Fachgebiete umfasst. Für sehr erfreulich halte ich, dass der Anteil der Ärztinnen von 20 auf 31 Prozent gestiegen ist. 79 Delegierte sind zum ersten Mal mit dabei, das Durchschnittsalter sank von 57,7 auf 55,9 Jahre. Der BLÄK ist es ein vorrangiges Anliegen und Ziel, die Vereinbarkeit von berufspolitischem Mandat mit Familie und Beruf herzustellen. Wir werden dazu die Voraussetzungen schaffen durch mehr Hybridsitzungen, Einführung einer elektronischen Abstimmung, Planung von Sitzungen möglichst nicht an Samstagen, Einrichtung einer Kinderbetreuung etc.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitarbeitende der BLÄK, ich wünsche Ihnen ein schönes Weihnachtsfest und ein glückliches, erfolgreiches und gesundes neues Jahr 2023.





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