Bin ich mein Beruf?

Auftaktveranstaltung 78. Bayerischer Ärztetag in München

Das „Trio Infernale“, unter der Leitung von Ingrid Westermeier, gab mit Malagueña den musikalischen Startschuss zum 78. Bayerischen Ärztetag im Holiday Inn Munich – City Centre in der bayerischen Landeshauptstadt. Das Damen-Trio spielte im Lauf des Abends eine Auswahl an spanischen und osteuropäischen Stücken. „Gerade in einer Zeit, in der zwischenmenschliche Kontakte der Smartphone-Kommunikation weichen, in der Videosprechstunde und Fernbehandlung, Gesundheits-Apps und Algorithmen den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt abzulösen drohen, finde ich, ist die Frage: ‚Bin ich mein Beruf‘ essenziell“, stieg Dr. Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landes­ärztekammer (BLÄK), thematisch in den Abend ein – im Beisein von Bayerns Gesundheitsministerin Melanie Huml, zahlreichen Mitgliedern des Bundestags und des Bayerischen Landtags, Mitgliedern des BÄK-Vorstandes und Repräsentanten der Heilberufe-Körperschaften, der berufspolitischen Verbände und Organisationen, der Kostenträger, der Gerichte und der Medien. Bayerns Ärztechef fragte, ob die Profession Arzt etwas sei, was mehr nach der Person greife als bei anderen Berufen. Werde es nicht geradezu von Ärzten erwartet, der Beruf zu sein? Das stelle die Herausforderung im Arztberuf dar: Sich immer wieder auf sich selbst zu beziehen, sich selbst zu erkennen.



Ca. 270 Gäste aus Politik, Medizin, Gesundheitswesen, Wirtschaft und Medien nahmen an der Ärztetagseröffnung 2019 in München teil.

Ballungsraum

Dr. Constanze Söllner-Scharr, Allgemeinärztin und seit 2008 ehrenamtliche Stadträtin (SPD), überbrachte die Grüße des Oberbürgermeisters Dieter Reiter. Die Stadträtin sprach die Herausforderung an, in einem Flächenstaat wie Bayern eine gleichmäßige Versorgung zu gewährleisten. Gerade in ländlichen Regionen seien Engpässe ungleich größer als in Ballungszentren. Aber auch München habe Probleme, obwohl es „rein rechnerisch überversorgt“ sei. Söllner-Scharr sprach die wesentlichen großstadtspezifischen Versorgungsthemen an. Sogenannte „Ballungsraum-Themen“ seien die Notfallversorgung oder die haus- und kinderärztliche Versorgung in einigen Stadtgebieten. Ein ganz besonderes „Plädoyer“ legte Söllner-Scharr für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) ein. Der „dritten Säule im Gesundheitssystem“ – neben der ambulanten und stationären Versorgung – käme eine zentrale Bedeutung zu. „Public Health vor Ort“ laute so auch das neue Leitbild des ÖGD Münchens. Zu den ÖGD-Aufgaben zählten Gesundheitsschutz, Prävention sowie Gesundheitsförderung und -beratung. Im Rahmen der verpflichtenden Schuleingangsuntersuchung erreiche der ÖGD beispielsweise über 14.000 Kinder jährlich: „So viele Kinder wie kein anderer Player im Gesundheitssystem“. Der ÖGD arbeite insbesondere sozialkompensatorisch und erreiche besonders schutzbedürftige Personen, die von der Regelversorgung nicht immer erreicht würden.


Dr. Constanze Söllner-Scharr (SPD) begrüßte die Teilnehmer im Namen der Landeshauptstadt München.

Landarztquote

Melanie Huml, Bayerische Staatsministerin für Gesundheit und Pflege, skizzierte kurz, was die bayerische Staatsregierung dafür tue, dass der Arztberuf auch für junge Menschen attraktiv bleibe und Perspektiven für ein gutes, ausbalanciertes Leben biete. Dazu gehörten zum Beispiel genügend Ärztinnen und Ärzte in allen ­Landesteilen, damit jeder Arzt auch Zeit habe, sich gründlich seinen Patienten zu widmen. „Eine gut aufgestellte ambulante Versorgung, qualitativ hochwertig und gleichzeitig möglichst wohnortnah, halte ich deshalb für außerordentlich wichtig“, so die Ministerin.

Damit das auch so bleibe, brauche man vor allem ausreichend ärztlichen Nachwuchs: junge Kolleginnen und Kollegen, die bereit seien, überall in Bayern tätig zu werden – auch im ländlichen Raum. Dafür müssten ausreichend Studienplätze vorhanden sein. Hier sieht die Ministerin nach wie vor eine Lücke und verwies auf die Bedarfsprojektion für Medizinstudienplätze des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland (ZI). Bayern sei hier schon früh aktiv geworden: Mit jährlich 252 zusätzlichen Studienplätzen an der neuen Medizinischen Fakultät in Augsburg. Und mit weiteren 100 neuen Studienplätzen pro Jahr, die durch den Medizincampus Oberfranken entstanden seien. Auch sprach sie die allerneuesten Überlegungen der Staatsregierung bezüglich einer universitären Medizin in Passau an. „Außerdem setzen wir auf die Landarztquote. Ich bin überzeugt, dass es nicht zwingend ein 1,0-Abi braucht, um ein guter Arzt zu sein. Im Berufsleben sind auch Fähigkeiten wie Sozialkompetenz und Empathie gefragt“, sagte Huml.

Außerdem ist Huml gespannt auf die Auswirkungen der Bedarfsplanungsreform, die Ende Juni in Kraft getreten ist. Modellrechnungen sagten einen spürbaren Zuwachs an Niederlassungsmöglichkeiten in Bayern voraus – vor allem bei Kinderärzten, Nervenärzten und Psychotherapeuten, aber auch bei Rheumatologen. „Nach den Berechnungen des G-BA werden es bundesweit etwa 3.470 neue Niederlassungsmöglichkeiten sein. Erfreulicherweise werden vermutlich über zehn Prozent davon auf Bayern entfallen – das würde bedeuten: knapp 350 zusätzliche Vertragsarztsitze können besetzt werden“, schloss die Ministerin.


BLÄK-Präsident Dr. Gerald Quitterer bedankte sich bei Gesundheits­ministerin Melanie Huml.

Rollensouveränität

Mit einer spezifischen Erwartungshaltung hörten die circa 270 Teilnehmer das Impulsreferat bezüglich des Titels und der Herkunft des Referenten: Professor Dr. Michael Bordt SJ, Institut für Philosophie und Leadership an der Hochschule für Philosophie in München, sprach über das Thema „Bin ich mein Beruf?“. Der Jesuit und Philosoph startete in seinen Vortrag mit der Frage nach dem „leader of the future“. Der ehemalige Chef einer international agierenden Beratungsfirma hätte einst neben der entsprechenden Aus- und Weiterbildung die Frage mit „Who am I?“ beantwortet, was Bordt begrüßte. Für „Leadership“ sei es eine zentrale Frage der „inneren Kraft“, um in Zeiten von Globalisierung, Digitalisierung und weltweiten Umbrüchen bestehen zu können. Zu den Fähigkeiten zählte er auf: „Marathon und Sprint“, „allways on“, „calm in the eye oft he hurrican“ und „strong sense of purpose“. Zusammenfassend seien also der „gesunde Umgang mit Erwartungen in Hochleistungsberufen“ und eine gewisse „Rollen­souveränität“ wichtig. Entscheidend seien die Erwartungen an das eigene Verhalten und an die Kommunikation. Immer wieder kam der Philosoph auf die Frage: „Wie bin ich eigentlich wirklich?“ zurück; jenseits der verschiedenen Rollen, die ein Mensch einnimmt oder auch in Bezug auf Entscheidungs- und Kritikfähigkeit. Schließlich gab der Jesuit seinem Auditorium noch fünf Regeln mit auf den Weg. Basis eines erfüllten Lebens sei die Ordnung im Leben, verbunden mit einer rechten Setzung von Prioritäten im Alltag. Diese wären wie folgt: der Schlaf, der Körper, das Gebet (Meditation), die Beziehungen und die Arbeit.


Professor Dr. Michael Bordt SJ, Institut für Philosophie und Leadership an der Hochschule für Philosophie in München stimmte die Zuhörer mit „Bin ich mein Beruf?“ ein.

Ressource Arzt

In seinem Statement sprach der Präsident kurz einige der gesundheitspolitischen Themen an. In Sachen Digitalisierung sagte er wörtlich: „Viele Player drängen ins Gesundheitssystem. Vor allem Konzerne und Start-up-Unternehmen, die sich des Schlagwortes der Digitalisierung bedienen, um Begehrlichkeiten zu wecken oder anders ausgedrückt: was digital ist, muss fortschrittlich sein.“ Dazu zählten verschreibungspflichtige Apps, elektronische Rezepte und Krankschreibungen. Die Krankenhäuser drängten in die ambulante Versorgung. Das Diskussionspapier zur Reform der Notfallversorgung bereite den Boden dafür, indem es der Kassenärztlichen Vereinigung den Sicherstellungsauftrag außer­halb der Sprechstundenzeiten entziehen wolle. Fachgesellschaften definierten derweil die ärztliche Qualifikation in integrierten Notfallzentren, Videosprechstunden sollten den persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt ersetzen. Zudem solle eine Terminvergabe 24/7 eingerichtet werden. „Hier installieren sich neue Versorgungsebenen, die sich der Ressource Arzt bedienen. Sie fragen nicht nach dem tatsächlichen Versorgungsbedarf“, so Quitterer. Dieser sei im SGB V mit „wirtschaftlich, ausreichend und zweckmäßig, darf das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (WANZ) definiert. Der Präsident sprach den Druck an, den sich Ärztinnen und Ärzte ausgesetzt sähen: von den Klinikgeschäftsführungen, der Politik, der Patienten oder der Pharmaindustrie. „Wir Ärztinnen und Ärzte werden zum Objekt der Interessen anderer“, so der Präsident. Fakt sei: „Wir brauchen mehr Ärztinnen und Ärzte, um die Bevölkerung angemessen versorgen zu können: in den Städten, auf dem Land, in den Kliniken, im öffentlichen Gesundheitsdienst, in unseren Praxen. Demografische Entwicklung und veränderte Arbeitswelten der jungen Generation von Ärztinnen und Ärzten sind ein Grund dafür.“

Damit war der 78. Bayerische Ärztetag eröffnet. Nach einem musikalischen „Piraten-Jig“ ging es zum Empfang, dem „Get-together“ – mit vielen guten Gesprächen und Münchner Gastlichkeit.


Sie machten aus der Auftaktveranstaltung einen spannenden Abend: Professor Dr. Michael Bordt SJ, Dr. Constanze Söllner-Scharr, Dr. Wolfgang Rechl, Melanie Huml, Dr. Gerald Quitterer und Dr. Andreas Botzlar.

 

Autor
Dagmar Nedbal (BLÄK)

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