Wir haben doch nicht in Drachenblut gebadet

Dr. Gerald Quitterer

Eine Pandemie dauert drei Jahre, sagt man. Niemand wollte die 4. Welle wahrhaben. Unsere Kraft war aufgebraucht und wir alle wollten zurück zur Normalität.

Mit wieder steigenden Fallzahlen wurde uns bewusst: geimpft, genesen oder getestet war notwendig, um Kontakte nicht einschränken zu müssen. Dann kam 2G, um die Impfquote zu ­erhöhen: Freier Zugang zu allen Veranstaltungen ohne Teil­nehmerbegrenzung, unbegrenzt reisen, keine Tests erforderlich, Abschaffung der FFP2-Maskenpflicht – alles wieder erlaubt. ­Ohne zu hinterfragen, ob hier nicht eine falsche Sicherheit besteht, wenn sich Geimpfte nicht mehr testen müssen. Sie sind eben nicht in „Drachenblut gebadet“, können sich dennoch ­infizieren und auch bei einem milderen Krankheitsverlauf andere anstecken. Das Lindenblatt steht für die Verwundbarkeit, die uns die Pandemie gerade mit dem Auftreten der neuen Variante ­Omikron vor Augen hält.

Es ist und bleibt oberstes Gebot, uns und andere zu schützen. Dazu gehört vor allem: wer krank ist, bleibt zuhause, auch wenn er geimpft ist. Wer in Quarantäne ist, erst recht. Maske tragen schützt und Kontakte müssen in einer Pandemie nun einfach einmal begrenzt werden, auch wenn Inzidenzen sinken. Wie war das noch im vergangenen Jahr? Inzidenzen bis 35, zwischen 35 und 50 und über 50, das waren die Bezugswerte für einschränkende Maßnahmen, unter anderem auch für Schulschließungen, die wir unbedingt vermeiden müssen. Und wo stehen wir heute? Ein vor und zurück mit Vorschriften und Gesetzgebungen, ein Benchmarking mit Impfquoten und Inzidenzen. Wer impft schneller, niedergelassene Ärztinnen und Ärzte oder Impfzentren? Wer bekommt welchen Impfstoff und wieviel davon?

Natürlich kommt es jetzt darauf an, sofort mit geeigneten Maßnahmen einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern. Natürlich müssen dazu die Impfungen vorangetrieben werden.
Wenn in so einer Situation dann allerdings schon wieder Impfstoffmangel durch fehlende Beschaffung oder Verteilungs­probleme besteht, fehlen einem schlichtweg die Worte. Daneben auch noch Impfungen durch Apotheker zu fordern verkennt völlig, dass die dazugehörige Anamnese, Indikationsstellung, Beratung und Nachbeobachtung ausschließlich ärztliches Tun ist und bleiben muss – und zwar aus Gründen der Patientensicherheit.

Wenn in so einer Situation dann auf Bundesebene ein Infektionsschutzgesetz gezimmert wird, das in Arztpraxen eine tägliche Test- und Meldepflicht auch von geimpftem Personal vorschreibt und sich nebenbei schon ein Mangel an Testmaterialien abzeichnet, ist das beim besten Willen nicht mehr nachvollziehbar.

Darüber hinaus zum wiederholten Male und auch, weil uns derzeit andere Dinge beschäftigen: wenn die Digitalisierung die Energie bindet, die wir für die Impfungen und die Patienten­versorgung brauchen – wem nützt hier ein eRezept oder eine eAU (elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung), auf deren Erstellung man eine Unendlichkeit warten muss oder die zu Systemabstürzen führen – verkommt sie zum Selbstzweck. Die sowohl auf dem Bayerischen und auch auf dem Deutschen Ärztetag geforderte Einführung von einjährigen Flächentests für alle künftigen Anwendungen der Telematikinfrastruktur sowie die dauerhafte Beibehaltung von Ersatzverfahren ist deshalb ein dringendes Anliegen der Ärzteschaft. Unterstützen Sie noch heute die dazu aktuell eingebrachte Bundestagspetition (epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2021/_10/_12/Petition_126863.html).

Und so steht auf meiner persönlichen Wunschliste für Weihnachten eine Schonzeit vor politischer Einflussnahme und genügend Impfstoff. Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wünsche ich ein friedvolles Weihnachtsfest und geben Sie auf sich acht.

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