Prüfungen per Videostream – Zukunftsmodell oder Notlösung?

Videoprüfungen

Die Umbrüche und Veränderungen, die die COVID-19-Pandemie in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft angestoßen hat, sind nicht zu übersehen. Sie haben natürlich auch nicht vor der ärztlichen Selbstverwaltungskörperschaft Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) Halt gemacht. Vielerorts wurde die Arbeit schwieriger, aber vor allem wurde sie anders. Corona ist nebenbei zum „Booster“ der Digitalisierung geworden und der – für manche unfreiwillige – Wandel geht weiter. So startete die BLÄK zu Beginn der Corona-Phase im Frühjahr 2020 damit, Prüfungen von Qualifikationen nach der Weiterbildungsordnung per Videokonferenz durchzuführen; ein ambitioniertes Projekt, das gerade im Vorfeld und in der Anfangsphase neben viel Mehr- auch Überzeugungsarbeit gekostet hat. Wie steht es um die Praktikabilität oder um die technischen Möglichkeiten? Zudem gab es eine Reihe von juristischen Fragen zu klären. Insgesamt wurden über 30 Prozent der Prüfungen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum per Videostream durchgeführt, natürlich verbunden mit einem erheblichen logistischen Aufwand und auch einer gewissen Lernkurve bei den Beteiligten in der Verwaltung.



Abbildung 1: Aufbau der Videoprüfungen in der Bayerischen Landesärztekammer.

Goldstandard Präsenzprüfung

Die wichtigsten Gründe, die Facharztprüfung webbasiert durchzuführen, nennt Dr. Judith Niedermaier, Geschäftsführende Ärztin, Referatsleiterin Weiterbildung II: „Die Corona-Pandemie hat ab Mitte März die Durchführung von Präsenzprüfungen aufgrund von Absagen von Prüfern und Prüfungskandidaten nicht mehr ermöglicht. Daher wurde mit Hochdruck und großem Einsatz von der Prüfungsabteilung und der IT der BLÄK an der Implementierung von Videokonferenzprüfungen gearbeitet, sodass diese ab Anfang April durchgeführt werden konnten.“ Nachdem das Heilberufe-Kammergesetz und die Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns lediglich ein „Arztgespräch“ vorgeben, erschien das Vorhaben rechtlich durchführbar. Jedoch seien verschiedene Fragestellungen vorab zu klären gewesen. „Das reichte vom Einholen zusätzlicher Einverständniserklärungen über das Briefing der Prüferinnen und Prüfer bis hin zur Gewährleistung gleicher Prüfungsbedingungen für die Prüfungskandidatinnen und -kandidaten durch die Sicherstellung der technischen Voraussetzungen“, zählt Niedermaier auf. „Positiv war, dass der Prüfungsbetrieb fast nahtlos im neuen Format weitergeführt werden konnte. Obwohl die Präsenzprüfung nach wie vor der Goldstandard ist und seit Anfang Juli wieder Präsenzprüfungen durchgeführt werden, eröffnet uns die erfolgreiche Implementierung der Videokonferenzprüfung in Abhängigkeit vom Infektionsgeschehen die Möglichkeit, in kürzester Zeit erneut auf die Videokonferenzprüfung umzusteigen.“ Negativ sei die erhebliche zusätzliche Arbeitsbelastung weit über die reguläre Arbeitszeit hinaus für das Team der Prüfungsabteilung und der IT, die immer vor Ort waren. „Auch konnten aufgrund des organisatorischen und technischen Aufwands nur etwa ein Drittel der sonst üblichen Prüfungen von April bis Juni durchgeführt werden. Dadurch mussten trotz aller Bemühungen zahlreiche Prüfungen von Kolleginnen und Kollegen leider aufgeschoben werden“, zieht die Referatsleitern ihre Bilanz.

Technischer Aufbau

Für das Ganze war natürlich ein gewisser technischer Aufwand notwendig. So war der BLÄK-Prüfungsraum, in dem der Prüfungskandidat sitzt, mit einem Laptop ausgestattet, der während der Prüfungssituation die Rolle des „Gastgebers“ einnahm. Der Prüfungskandidat saß an einem relativ großen 24-Zoll-Monitor, mit Kamera, Lautsprecher und Mikrofon. „Die technische Verbindung zu den Prüferinnen und Prüfern der Videokonferenz wurde vor Beginn der Prüfung durch einen unserer IT-Kollegen hergestellt“, erklärt Karsten Sturm von der BLÄK-IT-Administration. Waren alle Prüfer in der Konferenz geschaltet, wurde die Qualität der Übertragung und der Sound getestet und gegebenenfalls entsprechend nachjustiert. „Auch die Darstellungen bzw. Übertragungen von Fotos, Abbildungen oder Grafiken klappte einwandfrei“, freut sich Sturm. „Vorausgegangen war ein Test mit jedem Prüfer vor dem Prüfungstag. So konnten wir im Vorfeld noch eine zusätzliche Software auf den Rechnern der Prüfer installieren, was für einen reibungslosen Ablauf sein musste“, ergänzt Sturm. Am 21. März 2020, einem Samstag, konnte ein Testlauf mit dem Team der BLÄK-Prüfungsabteilung stattfinden. Weitere Testläufe folgten. Am Prüfungstag wurde die Technik in zwei Räumen aufgebaut und es fand noch einmal ein kurzer Check statt. „Grundsätzlich waren die IT-technischen Voraussetzungen der prüfenden Ärztinnen und Ärzte sehr unterschiedlich und mussten individuell im Vorfeld der Prüfung abgefragt werden“, erläutert Dr. Birgit Klingl, Abteilungsleiterin Prüfungen, zur Planung eines Videokonferenz-Prüfungstages.


Abbildung 2: BLÄK-Videoprüfungsraum mit technischer Ausstattung – (a) 24-Zoll-Monitor, Webcam, Audiosystem, (b) Kamera sowie (c) Prüferraum mit zwei Laptops (Webex-Konferenz – links – und Live-Bild der Kamera – rechts).

Systemrelevant planen

Insgesamt wurden 398 Videokonferenzprüfungen im Zeitraum vom 1. April bis 30. Juni 2020 durchgeführt. Geprüft wurde durchgehend von Montag bis Freitag, allerdings wegen des ausgerufenen Katastrophenfalls in Bayern und der strengen Abstands- und Hygieneregeln nur in einem stark reduzierten Umfang. „Anfangs waren es sechs Prüfungen pro Tag, zuletzt im Juni konnten wir zwischen zwölf und 14 Videoprüfungen pro Tag abhalten“, erklärt Klingl. „Wir mussten ab Ende März systemrelevant planen. Am ersten Videoprüfungstag fanden Prüfungen für die Zusatzbezeichnung Notfallmedizin statt, dann kamen Facharztprüfungen in Allgemeinmedizin und Kinder- und Jugendmedizin dazu. Von den Zusatzbezeichnungen folgte schnell zum Beispiel die Zusatzbezeichnung Intensivmedizin. Im weiteren Verlauf wurde dann in allen Gebieten, wozu auch das Gebiet Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie zählt, sowie auch in verschiedenen Zusatz-Weiterbildungen per Videostream geprüft, wobei vorrangig Fälle berücksichtigt wurden, bei denen im März oder April kurzfristig eine Prüfungsabsage erfolgt war oder bei denen aus anderen, wichtigen Gründen ein baldiger Termin notwendig war“, sagt die Abteilungsleiterin.

Im Rahmen der Planung von Videokonferenz-Prüfungen wurden alle an der Prüfung beteiligten Personen gesondert, bei Bedarf mehrfach, vom Team telefonisch kontaktiert bzw. informiert, die Einladungen mit weiteren Informationen wurden an die Beteiligten versandt sowie alle Unterlagen individuell vorbereitet. „Während der Prüfung saßen die Prüfungskandidatinnen bzw. -kandidaten, die zusätzlich mit einer Videokamera live gefilmt wurden, in einem eigenen Raum in der BLÄK, vor einem entsprechend ausgestatteten Bildschirm. Das ‚Monitoring‘ erfolgte durch die Prüfungsvorsitzenden, die jeweils zuletzt alleine in einem zweiten Raum (Prüferraum) der BLÄK saßen. Vor sich hatten sie zwei Laptops, auf dem einen sahen sie den Prüfungskandidaten über die seitliche Kamera live im Bild, auf dem anderen war der Bildschirm für die Videokonferenz. Der IT-Mitarbeiter blieb während der Prüfung in einem weiteren Raum in der BLÄK in ständiger Rufbereitschaft, um bei potenziellen technischen Problemen sofort eingreifen zu können“, führt Klingl aus. Nach Abschluss der Prüfung verließ der Prüfungskandidat den Raum, damit sich die Prüfer ungestört untereinander austauschen konnten. War die Besprechung beendet und stand das Ergebnis fest, wurde der Prüfungskandidat wieder zurück in den Prüfungsraum gebracht und das Ergebnis wurde ihm (per Videostream) mitgeteilt. Vor, während und nach den Prüfungen wurden selbstverständlich die bestehenden AHA-Regeln (Abstand, Hygiene, Alltagsmaske) beachtet. Dazu gehörte ebenso, neben den Gesundheitserklärungen, das regelmäßige Lüften sowie das Reinigen von Kontaktflächen. „Nach einer Videoprüfung mussten alle Unterlagen durchgesehen werden und nach bestandenen Prüfungen wurden so schnell wie möglich die Urkunden erstellt und an den Prüfungskandidaten verschickt. Bei Bedarf bekam der Prüfling eine Bescheinigung ausgehändigt, dass die Prüfung bestanden wurde“, so Klingl.

Potenzielles Zukunftsmodell

„Auch wenn es nur virtuell über die Bühne gegangen ist – im Prinzip lief ein Online-Prüfungstag fast genauso ab wie sonst auch immer in den Räumen der BLÄK“, ist Dr. Frederik Mader, Prüfer und Prüfungsvorsitzender, überzeugt. „Um Verzerrungen durch langsamen Datentransfer zu verhindern, haben wir Prüfer uns halt ein wenig mehr Zeit genommen, bei den einzelnen Themenkomplexen ein wenig länger anmoderiert und die Probanden ein wenig ausführlicher am Stück zu Wort kommen lassen“, führt der Facharzt für Allgemeinmedizin aus Nittendorf weiter aus. Definitiv besser sei, dass sich die beiden Fachprüferinnen und -prüfer (und anfangs auch die Vorsitzende bzw. der Vorsitzende) morgens und abends nicht auf die oft mühsame Reise nach München begeben mussten, sondern die Prüfung bei gleicher Qualität entspannt vom Schreibtisch zuhause (oder in der Klinik) aus abnehmen konnten. Schade sei allerdings, dass der traditionelle informelle Austausch im Prüfer-Team vor Ort weggefallen sei. Mader sagt ganz eindeutig: „Zukunftsmodell! Das setzt natürlich aber voraus, dass die Prüferinnen und Prüfer mit der Zeit gehen und ihre Fallvignetten und Prüfungsfragen auf das neue virtuelle Modell anpassen.“

Das mit dem Zukunftsmodell sieht Dr. Kathrin Rothe, Institut für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene der Technischen Universität München, so ähnlich. Sie war eine der Pionierinnen der Videofacharztprüfung des Gebietes Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie, die sie erfolgreich absolviert hat. „Als Prüfling war ich in den Räumen der BLÄK in einem mit Kamera, Mikrofon und Bildschirmen ausgestatteten Raum, von wo aus per Videostream die Prüfer und der Prüfungsvorsitzende, mit Bild und Ton, zugeschaltet waren. Vor Ort wurde ich unter Beachtung von Hygiene- und Abstandsregeln von der Prüfungskoordinatorin in Empfang genommen. Den Vergleich zur Präsenzprüfung scheut Rothe nicht und meint, es sei sicherlich für die Prüfer von Vorteil, dass der Anfahrtsweg entfalle. Positiv sei auch der technisch reibungslose Ablauf anzumerken. „In meinem Fall war ich verpflichtet, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, was die Kommunikation und die Verständlichkeit mittels Videostream etwas erschwerte.“ Generell könne es in einer persönlichen Unterhaltung auch hinsichtlich nonverbaler Kommunikation manchmal einfacher sein, sich zu verständigen. Ganz eindeutig ist es aber in Rothes Augen potenziell ein Zukunftsmodell, wenn „der Mund-Nasen-Schutz entfällt und Gesprächsregeln eingehalten werden, wie die Stummschaltung nicht Beteiligter und das Vermeiden von sich gegenseitig ins Wort fallen.“

Dagmar Nedbal (BLÄK)

Hintergrund:
Die Hauptarbeit in der Prüfungsabteilung ist nach erfolgter Prüfungszulassung die Planung, Organisation und Durchführung sowie die Nachbearbeitung aller Prüfungen nach der Weiterbildungsordnung in Bayern. Geprüft wird in 33 Gebieten mit zahlreichen Facharzt- und Schwerpunktkompetenzen sowie in 46 Zusatz-Weiterbildungen. Im vergangenen BLÄK-Geschäftsjahr waren es 3.758 Prüfungen.

Bis Ende Februar 2020 sah ein normaler Prüfungstag so aus, dass überwiegend ganztags parallel in fünf Räumen von je einem Prüfungsausschuss mit je drei Prüfern zirka 35 Prüfungen durchgeführt wurden. Insgesamt waren es immer rund zehn Prüfungstage im Monat, die Schulferien teilweise ausgenommen.

Team BLÄK-Prüfungsabteilung

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