Marathon

Dr. Gerald Quitterer

Die SARS-CoV-2-Pandemie ist kein Sprint. Wir alle werden uns auf einen Marathon einstellen müssen und darauf haben wir unterschiedlich gut trainiert. Und wir müssen mit den Schuhen laufen, die wir haben. Dennoch nehmen wir die Herausforderung an. Sie verlangt enormen Einsatz von uns Ärztinnen und Ärzten und führt manche an die Grenze der Belastbarkeit.

Dazu müssen wir unser Gesundheitswesen nicht neu erfinden, wir können uns auf die etablierten Versorgungsebenen verlassen. Die ambulante Versorgung wird durch die niedergelassenen Ärzte sichergestellt. Haus- und Kinderärzte entscheiden an vorderster Front, wie die Patientinnen und Patienten weiter zu versorgen sind. Im stationären Bereich passen Krankenhäuser ihre Versorgung an den aktuellen Bedarf an. Betten verschiedener Fachrichtungen werden zur Behandlung von COVID-19-Erkrankten umgewidmet, Intensivkapazitäten und Beatmungsplätze werden geschaffen.

Die Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst sind gefordert. Das gleiche gilt für die Labore. Wir sind vorbereitet, wir nutzen die Zeit der Verlangsamung der Ausbreitung von SARS-CoV-2, um bestmöglich gewappnet zu sein. Dennoch weiß niemand, ob das morgen noch ausreicht.

Wir sind für Sie da. Bleiben Sie für uns zuhause.

In der aktuellen Situation verlangsamen nicht wir Ärzte die Geschwindigkeit der Ausbreitung der Erkrankung, sondern die Disziplin der Menschen. Die Botschaft heißt: Wir sind für Sie da. Bleiben Sie für uns zuhause (#WirBleibenZuhause, #StayAtHome).

Mehr denn je zeigt sich in der Krise, dass die Gesundheit der Menschen ein „konditionales Gut“ ist. Es spricht vieles dafür. Konditionale Güter sind Güter, die wir als zentrale Voraussetzung für die Realisierung von Lebensplänen ansehen. Die Verwirklichung von Gesundheit wird als eine Grundbedingung für die Chancengleichheit in unserer Gesellschaft angesehen. Konsequent zu Ende gedacht hieße dies, dass wir auf dem Gesundheitssektor keine wesentlichen Einschränkungen hinnehmen sollten. Das Ergebnis muss lauten: Krisensichere Gesundheitsversorgung ist teurer, als wir aktuell bereit sind hierfür zu zahlen. Somit wirft diese SARS-CoV-2-Pandemie auch die Frage nach dem Wert und den damit verbundenen Vorhaltekosten auf.

Produktionshoheit und Vorhaltung

Erforderliches Equipment muss für den Krisenfall in ausreichender Menge vorgehalten werden. Auch müssen wir wieder die Produktionshoheit über wesentliche medizinische Güter zurückgewinnen und nicht auf den möglichst billigen Import von Waren abzielen. Wer unreglementierten Wettbewerb im Gesundheitsbereich will, gefährdet die Gesundheitsversorgung aller. Dies gilt nicht nur in Pandemiezeiten, sondern auch für die Zeit danach. Wir werden die Gesundheitsversorgung neu denken. Hierfür werden deutlich mehr Ressourcen benötigt. Mehr als uns jetzt bereitstehen.

Alles, was wir jetzt zusätzlich für die Behandlung von COVID-19-Erkrankten zur Verfügung stellen geht zu Lasten nicht dringlicher, aber dennoch medizinisch erforderlicher Krankenbehandlungen. Diese können derzeit aufgeschoben, müssen aber zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden. Aber woher sollen die zusätzlichen Verfügbarkeiten kommen? Schon jetzt fehlt es sowohl in der stationären, als auch in der ambulanten Versorgung an Ärzten. Deshalb muss die Gesellschaft umdenken: In einem Gesundheitssystem, in dem nur erbrachte Leistungen bezahlt werden, wird die Bereithaltung für Notfälle vernachlässigt! Wir brauchen mehr Geld, auch für Notfallsituationen. Wir brauchen mehr Ärztinnen und Ärzte, mehr Pflegepersonal in den Kliniken und umsetzbare Notfallpläne.

Liebe Kolleginnen und Kollegen: Wir müssen jetzt mit gemeinsamer Anstrengung die ärztliche Versorgung der an COVID-19-Erkrankten, aber auch aller anderen Behandlungsbedürftigen so gut und professionell wie möglich sicherstellen. Hierfür benötigen wir aktuell neue Formen der Betreuung und Aufgabenteilungen. Wir brauchen die erforderlichen technischen und medikamentösen Ressourcen, wie Beatmungsgeräte, Schutzausrüstung oder Narkosemittel. Und wir benötigen in der „Nach-SARS-CoV-2-Pandemie-Zeit“ eine aufrichtige Diskussion, wie viel uns jederzeit abrufbare ärztliche Leistung wert ist und was die Gesundheitsversorgung zur Bewältigung der nächsten Herausforderung erfordert.

Ich wünsche uns Ärztinnen und Ärzten sowie unserem medizinischen Fach- und Pflegepersonal die nötige Kraft, den Respekt und jede mögliche Unterstützung von außen für diesen Marathon.

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