„Kultur der Organspende etablieren – Widerspruchslösung jetzt!“

Dr. Marlene Lessel

Das Warten, die Ungewissheit und die Frage, wie es weiter­gehen soll: All diese Sorgen beschäftigen Menschen, die auf eine dringend benötigte Organspende warten. In Deutschland stehen laut den Zahlen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO), aktuell etwa 8.496 Patientinnen und Patienten auf der Warteliste für ein Spenderorgan. In Bayern sind es etwa 1.100 Menschen. Deshalb fordere ich die schnelle Einführung der Widerspruchslösung. Ohne die Widerspruchslösung wird es uns nicht gelingen, die Zahl der Organspenden zu erhöhen, was angesichts der langen Warteliste für ein Spenderorgan aber dringend notwendig ist. Über Jahre sind die schwerstkranken Patienten, die auf ein lebensrettendes neues Organ hoffen, im Stich gelassen worden. Die Widerspruchslösung ist eine gezielte und gerechte Regelung, die den einzelnen Menschen einbindet, aktiv Stellung zu beziehen. Deshalb begrüße ich in diesem Zusammenhang die Bundesratsinitiative vom Bayerischen Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, das sich gemeinsam mit weiteren Bundesländern ebenso für eine Widerspruchslösung bei der Organspende einsetzt.

Angehörigen die Entscheidungslast nehmen

In Deutschland gilt bei der Organspende bereits seit 2012 die Entscheidungslösung. Ohne aktive Einwilligung der betroffenen Person zu Lebzeiten ist keine Organentnahme zulässig. Laut einer Analyse der DSO liegt lediglich in 15 Prozent der Fälle von möglichen Organspenden eine vorab getroffene, schriftliche Entscheidung der Verstorbenen vor. Hat die betroffene Person zu Lebzeiten keine Entscheidung hinsichtlich einer Organspende getroffen, wird für eine Organspende die Zustimmung der nächsten Angehörigen benötigt. Angehörige sind in dieser schwierigen Lage des Abschieds jedoch oft überfordert, eine Entscheidung pro Organspende zu treffen. Die Widerspruchslösung kann solch einem inneren Konflikt vorbeugen und nimmt Angehörigen somit die Last, nach dem Tod über eine Spende entscheiden zu müssen.

Organspende enttabuisieren

Seit Jahren diskutieren wir in Deutschland gesundheitspolitisch um die „erweiterte Zustimmungslösung“, jedoch hat diese nicht zu einer Zunahme der Organspenden und Transplantationen geführt. Eine echte Kultur der Organspende hat sich bei uns nicht etabliert. Daher benötigen wir dringend eine Reform der bestehenden Regelungen. Die Menschen müssen bei der Organspende selbst eine Entscheidung treffen. Die Organspende ist ein sehr emotionales und oft tabuisiertes Thema, weshalb wir Ärztinnen und Ärzte die Bedenken und Sorgen vieler Menschen hinsichtlich der Thematik sehr ernst nehmen müssen. Viele Ängste lassen sich aber mit Aufklärung, Transparenz und Sachinformationen ausräumen. Deshalb ist zum jetzigen Zeitpunkt die Beratung zur Organspende durch die Ärzteschaft essenziell.

Attraktivität der Niederlassung stärken

Ein ebenso wichtiges Thema für mich ist die selbstständige Tätigkeit in der Niederlassung als Fachärztin oder Facharzt. Ich selbst bin niedergelassene Fachärztin und schätze es, in der Niederlassung meine persönlichen Vorstellungen der ärztlichen Tätigkeit verwirklichen zu können. Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist in der Arztpraxis umsetzbar. Die eigene Entscheidung über das Profil der Praxis, die technische Ausstattung, die Arbeitszeitgestaltung und -planung machen die Praxis attraktiv. In der eigenen Praxis ist es somit möglich, sowohl die ­Arbeitsabläufe, Sprechstundenzeiten als auch Urlaub selbst zu bestimmen. In dieser Amtsperiode möchte ich eine Stimme für die niedergelassenen Fachärzte sein, die vielen positiven Aspekte und Chancen der Selbstständigkeit aufzeigen und auf die Verbesserung der Rahmenbedingungen mit hinwirken.

Mehr ärztlichen Nachwuchs für die Niederlassung gewinnen

Wir müssen jedoch feststellen, dass seit einigen Jahren die Zahl der Ärzte, einschließlich der Fachärzte, in der Niederlassung rückläufig ist. Innerhalb der vergangenen fünf Jahre sank allein die Zahl in Bayern laut Statistik der Bundesärztekammer von 20.486 auf 19.486 Niederlassungen. Das ist ein Einbruch von fast fünf Prozent im Freistaat. Bundesweit sprechen wir von einem Rückgang von fast sieben Prozent bei den niedergelassenen Ärzten. Deshalb muss aus meiner Sicht die Attraktivität der Niederlassung immer wieder betont und gestärkt werden. Die Gewinnung von Fachärzten für die Niederlassung beginnt schon bei der Ausbildung unseres ärztlichen Nachwuchses. Im Angesicht des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels plädiere ich deshalb für den Ausbau von Medizinstudienplätzen. Während des PJ, der Praktika und der Weiterbildung können junge Kolleginnen und Kollegen die positiven Aspekte einer Praxis­tätigkeit erleben und sich gegebenenfalls für die Niederlassung entscheiden. Wir müssen den ärztlichen Nachwuchs auf dem Weg hin zur eigenen Niederlassung aktiv unterstützen. Dafür setze ich mich in meinem Amt mit einer ausreichenden Finanzierung der Weiterbildung im fachärztlichen Bereich ein.

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