Chimära

Dr. Andreas Botzlar


Der traditionellen parlamentarischen Sommerpause zum Trotz haben sich Mitte Juli in Berlin die Ereignisse überschlagen. Nicht nur wurde die Stadt aufgrund der vermeintlichen Sichtung einer Großkatze in einen Ausnahmezustand versetzt – auch Bund und Länder haben sich auf gemeinsame Eckpunkte für eine Krankenhausreform geeinigt. Ungeachtet des darob vor allem auch vom Bundesgesundheitsministerium selbst angefachten Jubels stellt sich die Frage, ob mit dem Eckpunktepapier die ambitionierten Reformziele des Ministers – nämlich die Entökonomisierung der Krankenhauslandschaft, die Entbürokratisierung des Systems, die Gewährleistung der Versorgungssicherheit und schließlich noch die Steigerung der ­Behandlungsqualität – auch erreicht werden können. Oder ob sich die Reform am Ende als (weitere) Berliner Chimäre entpuppen wird. Bei genauerer Betrachtung hatte man sich, um vor der Sommerpause noch eine positive Botschaft verbreiten zu können, lediglich darauf geeinigt, sich in den wesentlichen Punkten noch einigen zu müssen.

Reform darf nicht zu mehr Kontrollbürokratie führen

Tatsächlich positiv erscheint zunächst die geplante Einführung einer Vorhaltevergütung für die Kliniken, damit die Bereitstellung von Krankenhausstrukturen künftig unabhängig von der Leistungserbringung erfolgen kann und Behandlungen nicht nur durchführt werden, um das vorgehaltene Angebot zu refinanzieren. Dies fordert ja auch die Bayerische Landesärztekammer seit Jahren. Allerdings soll nach wie vor kein vollständiger Ausstieg aus dem gescheiterten Fallpauschalen-System erfolgen. Stattdessen sollen die Fallpauschalen zu Gunsten der Vorhaltevergütung lediglich abgesenkt werden. Auf diese Weise wirken aber deren Fehlanreize weiter, die schon bisher zu massiven Fehlentwicklungen in unserem Gesundheitssystem geführt haben – zum Schaden von Patientinnen und Patienten sowie von Ärztinnen und Ärzten.

Darüber hinaus würde das Nebeneinander zweier Finanzierungssysteme zu deutlich mehr Kontrollbürokratie führen – und Ärzten noch mehr Zeit stehlen, die sie besser für die Behandlung ihrer Patienten einsetzen könnten. Schon heute ist der Berufsalltag der Ärzte in den Krankenhäusern von einer stetigen Arbeitsverdichtung geprägt, die wesentlich auch aus der kontinuierlichen Zunahme bürokratischer Anforderungen resultiert. So verbringen Krankenhausärzte nach Daten des Instituts für Qualitätsmessung und Evaluation im Schnitt drei Stunden pro Tag mit administrativen Tätigkeiten wie Datenerfassung und Dokumentation. Wenn also die Ziele der Entökonomisierung und der Entbürokratisierung erreicht werden sollen, ist die vollständige Abschaffung des Fallpauschalen-Systems unumgänglich. Die bisher – und wie zu befürchten steht – auch zukünftig von der zugehörigen Kontrollbürokratie verbrauchten Mittel wären in der geplanten Vorhaltevergütung wesentlich besser verwendet.

Ärzteschaft stärker in die Neugestaltung der Krankenhauslandschaft einbeziehen

Ziemlich unklar bleibt bisher auch, wie die Versorgungssicherheit zukünftig gewährleistet werden soll. Aktuell prüfen Bund und Länder, wie sich die geplante Finanzreform und die Neuformation der Krankenhauslandschaft auf die Versorgung wohl auswirken werden. In die darauffolgende Analyse und Folgenabschätzung sollte die Expertise der Ärzteschaft einschließlich der Ärzte­kammern eng einbezogen werden. Eine ungeordnete Flurbereinigung der Krankenhauslandschaft darf es nicht geben. Zwar haben wir zu viele zu kleine Krankenhäuser – der von so manchem aber immer noch wahrgenommene Überhang an stationärer Behandlungskapazität findet sich im beruflichen Alltag der Ärzte in den Krankenhäusern allerdings nicht wieder, solange diese für das Auffinden belegbarer Betten reichlich Zeit verwenden müssen. Und schließlich wird sich der erforderliche Transformationsprozess keinesfalls nur aus Synergieeffekten finanzieren lassen. Vielmehr wird es eines erheblichen zusätzlichen Aufwands bedürfen, um eine neue Krankenhauslandschaft zu strukturieren und aufzubauen, die den Erfordernissen moderner Medizin ebenso gerecht wird wie der Notwendigkeit, die Versorgungssicherheit auch im ländlichen Raum zu gewährleisten. Hier bedarf es zügigen Handelns, damit bis zur Finalisierung des Konzepts keine ­Krankhäuser ­Pleite gehen, von denen man anschließend feststellt, sie wären doch noch gebraucht worden.

Die Eckpunkte ignorieren zudem weitgehend die Erfordernisse der ärztlichen Weiterbildung. Die geplanten Level-Ii-­Krankenhäuser werden von weiten Teilen der stationären Behandlung – also Diagnostik und Therapie – ausgeschlossen bleiben. Insofern kann ihnen auch nicht die vorgesehene zentrale Rolle bei der ärztlichen Weiterbildung zukommen. Vielmehr müssen Weiterbildungsbefugnisse auch zukünftig nach objektivierbaren Kriterien von den Landesärztekammern erteilt werden können und dürfen nicht – trotz des Fehlens erforderlicher Kompetenzen und Strukturen – gesetzlich zugewiesen werden.

Eine Reform unseres Gesundheitswesens ist unumgänglich. Ob der eingeschlagene Weg zum Erfolg führen wird, wird sich erst klären, wenn sich Bund und Länder auf konkretere Schritte ­geeinigt haben werden. Hierin besteht die eigentliche – und bisher ungelöste – Aufgabe aller Beteiligten.


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