128. Deutscher Ärztetag in Mainz

128. DÄT

Mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Demokratie, Menschenrechte und Pluralismus, durch den gastgebenden Präsidenten Dr. Günther Matheis, sowie mit gesundheitspolitischen Grundsatzreden von Dr. Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), und Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach wurde am 7. Mai 2024 in der Rheingoldhalle der 128. Deutsche Ärztetag in Mainz eröffnet. Schwerpunktmäßig befasste sich der viertägige Kongress mit Fragen und Konzepten zur Verbesserung der Patientensteuerung und Koordination der Versorgung. Außerdem beriet der DÄT in der traditionsreichen Rheinstadt über die Weiterentwicklung der ärztlichen Fort- und Weiterbildung sowie über das Ärztliche Personalbemessungssystem der BÄK. Die Abgeordneten fassten während der Hauptversammlung der deutschen Ärzteschaft mehrere wegweisende Beschlüsse. So forderte der DÄT konsequente Maßnahmen für ein klimaneutrales Gesundheitswesen, die gesetzliche Verankerung der Suizidprävention, und bekräftigte die 2022 gefasste Berliner Deklaration des Weltärztebundes gegen Rassismus in der Medizin.

Matheis: Vielfalt ist zentraler ärztlicher Grundsatz

Mit einem herzlichen „Gude“, der traditionellen Grußformel seines Bundeslandes, begrüßte Dr. Günther Matheis, Präsident der Landesärzte­kammer Rheinland-Pfalz, die versammelten Abgeordneten und Gäste in der imposanten Rheingoldhalle Mainz. In seiner Eröffnungsrede brachte Matheis seine Besorgnis über den aktuellen Zustand des Landes zum Ausdruck. Der Rechtspopulismus erstarke, Rassismus und autoritäre Ideen breiteten sich aus und Extremisten diskutierten über Möglichkeiten zur Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen. Vor diesem Hintergrund betonte Matheis die Bedeutung von Demokratie und Pluralismus für das Wohlergehen des Landes und für ein menschliches Gesundheitswesen. Letzteres würde ohne Menschen mit Migrationshintergrund zusammenbrechen, denn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem ambulanten wie auch aus dem stationären Sektor kämen aus allen Teilen der Welt. Darüber hinaus seien Vielfalt, Mitmenschlichkeit und Menschenwürde auch gemäß der Genfer Deklaration des Weltärztebundes zentrale ärztliche Grundsätze. „Unsere freiheitlich demokratische Grundordnung ist für uns Ärztinnen und Ärzte schlichtweg nicht verhandelbar. Wir distanzieren uns von allen Gruppierungen, die die demokratischen Grundsätze missachten“, erklärte Matheis unter dem Beifall der Anwesenden.

Anschließend betrat Clemens Hoch, Minister für Wissenschaft und Gesundheit des Landes Rheinland-Pfalz, das Podium. In seinem Wortbeitrag begrüßte Hoch die im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) vorgesehene Entbudgetierung der hausärztlichen Versorgung und die geplante Krankenhausreform. Er sei dankbar, dass sich Bundesgesundheitsminister Lauterbach dieser „Mammutaufgabe“ angenommen habe. Gleichzeitig mahnte er, bei der Reform auf landesspezifische Besonderheiten Rücksicht zu nehmen. Vor dem Hintergrund eines anhaltenden Mangels an Organspenden sprach sich Hoch darüber hinaus nachdrücklich für die Einführung der Widerspruchslösung aus. Wenn eine verstorbene Person zu Lebzeiten nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen habe, sollten ihr Organe und Gewebe entnommen werden dürfen. Rheinland-Pfalz werde deshalb die Bundesratsinitiative Nordrhein-Westfalens zur Einführung der Widerspruchslösung unterstützen. Außerdem berichtete Hoch über die Einführung der Landarztquote in seinem Bundesland, forderte mehr Möglichkeiten zur Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen und appellierte an den Bund, sich an den Umsetzungskosten der geplanten Reform der Approbationsordnung für Ärzte zu beteiligen.

„Goethes Mutter soll über Mainz gesagt haben: ‚Wenn mein Sohn von Frankfurt nach Mainz reist, bringt er mehr Kenntnisse mit als andere aus Amerika‘”, erklärte Nino Haase, Oberbürgermeister der Landeshauptstadt Mainz, zu Beginn seines launigen Grußworts. Auch heute könne man in der Rheinstadt viel lernen, insbesondere im Bereich der Medizin. Mit der BioNTech SE, habe ein weltweit führendes Biotechnologieunternehmen seinen Sitz in Mainz, das sich auf die Erforschung von Medikamenten auf mRNA-Basis und auf die Behandlung von Krebs konzentriere. Auch die Pharmaunternehmen Novo Nordisk und Boehringer Ingelheim hätten sich in Mainz angesiedelt. „So viel Zukunftspotenzial gibt es sonst nur an den bedeutendsten Forschungsstandorten in den Vereinigten Staaten“. Daneben lud Haase die Abgeordneten ein, während des Deutschen Ärztetages auch in die Geschichte und Kultur des „goldenen Mainz“ einzutauchen, das nach München die zweithöchste Lebensqualität in Deutschland aufweise. Die in römischen Zeiten als „Mogantiacum“ bekannte Metropole verfüge über eine intakte Altstadt, sei der Geburtsort des Erfinders des Buchdrucks, Johannes Gutenberg, und gehöre mit seiner ­regional verwurzelten Weinkultur zu den „Great Wine Capitals“.

Reinhardt: Gesundheitswesen braucht menschliche Wertschätzung statt materieller Wertschöpfung

Mit der Forderung nach einem Gesundheitsgipfel im Bundeskanzleramt begann anschließend BÄK-Präsident Reinhardt seine Eröffnungsrede zum 128. Deutschen Ärztetag. „Es ist völlig unverständlich, dass wir einen Chemie- und Autogipfel im Kanzleramt haben, aber keinen Gesundheitsgipfel“, sagte Reinhardt. Die gesundheitlichen Herausforderungen einer Gesellschaft des langen Lebens seien zu komplex, als dass diese von nur einem Ministerium, dem Bundesgesundheitsministerium (BMG), bewältigt werden könnten.

Seit Jahren bleibe die Politik die Antwort auf die Frage schuldig, wie angesichts des demografischen Wandels eine gute Gesundheitsversorgung dauerhaft gesichert werden könne. Nicht nur die Bevölkerung insgesamt werde älter, sondern auch die Menschen, die das Gesundheitssystem tragen. Diese offene Frage sei einer der Hauptgründe für die große Unzufriedenheit von Ärzten aus Klinik und Praxis. „Sie wollen Zeit für Zuwendung statt Medizin im Minutentakt. Sie wollen in einem Gesundheitssystem arbeiten, das geprägt ist von menschlicher Wertschätzung und nicht von materieller Wertschöpfung“, erklärte der BÄK-Präsident.

Es gehe nicht darum, möglichst viel neues Geld in das Gesundheitssystem zu pumpen, sondern darum, den notwendigen Behandlungsbedarf auskömmlich zu finanzieren. „Gleichzeitig muss Ziel der Gesundheitsversorgung sein, die vorhandenen Ressourcen so effektiv aufeinander abgestimmt und effizient einzusetzen, dass sie dem tatsächlichen Behandlungsbedarf unserer Patientinnen und Patienten gerecht werden“, sagte Reinhardt mit Blick auf das Schwerpunktthema des 128. Deutschen Ärztetages.

Reinhardt forderte den Bundesgesundheitsminister dazu auf, bei seinen Reformvorhaben die Ärzteschaft und andere Gesundheitsberufe stärker und früher einzubinden. Eine Gelegenheit dazu böte die aktuelle Krankenhausreform. „Auch wenn wir durchaus richtige Ansätze erkennen und die großen Ziele teilen, bleibt zum jetzigen Zeitpunkt unklar, ob die selbstgesteckten Ziele von Qualitätsverbesserung, Entbürokratisierung und Sicherung der flächendeckenden Versorgung erreicht werden können.“ Insbesondere würden die ärztliche Weiterbildung und Fragen der ärztlichen Personalausstattung nicht ausreichend berücksichtigt.

Ebenfalls notwendig seien aus Sicht der Ärzte­schaft wirksame Maßnahmen gegen unnötige Bürokratie im Gesundheitswesen. „In Zeiten gravierender Personalnot darf es nicht sein, dass wertvolle Arbeitszeit in unnötige und nervtötende Bürokratie versenkt wird“, so Reinhardt.

Als „sozialistisches Verteilungsdenken“ bezeichnete Reinhardt den Vorschlag des Sachverständigenrats Gesundheit der Bundesregierung, die fachärztliche Weiterbildung stärker zu steuern, um so vermeintlichen Fehlverteilungen entgegenzuwirken. Diese Steuerung solle nach dem Sachverständigenrat über eine Quotierung der Weiterbildungsplätze erfolgen. „Wenn bestimmte Versorgungsbereiche derzeit nicht attraktiv genug sind, um genügend Nachwuchs anzuziehen, dann muss man diese Bereiche wieder attraktiver machen. Mit Zuteilung und Quoten wird man eher das Gegenteil erreichen.“ Eine deutliche Absage erteilte der BÄK-Präsident auch den kürzlich vorgelegten Empfehlungen der Regierungskommission für die Krankenhausreform, das breit aufgestellte Netz von Facharztpraxen in Deutschland abzuschaffen.

Darüber hinaus forderte Reinhardt Minister Lauterbach auf, die seit Jahren verschleppte Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) endlich umzusetzen und den Einfluss von Fremdinvestoren auf die Patientenversorgung zurückzudrängen, insbesondere im Bereich der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ).

Lauterbach: Gesundheitssystem befindet sich in Zeitenwende

Lauterbach begrüßte in seiner Rede die klare Positionierung der deutschen Ärzteschaft für Pluralismus und gegen die „Feinde der Demokratie“. Sowohl die Gesellschaft als auch das Gesundheitssystem befinde sich in einer „Zeitenwende“, die es notwendig mache, im Dialog zu bleiben und Probleme klar zu benennen. „Wir können es uns gar nicht leisten, nicht miteinander zu reden“, erklärte der Minister unter dem Beifall der Abgeordneten. Mit Blick auf eine Kund­gebung von Ärzten gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung vor dem Tagungsort in Mainz bedauerte Lauterbach, dass sein Angebot vor den Demonstrierenden zu reden, von den Veranstaltern abgelehnt worden sei.

In seiner Rede skizzierte Lauterbach einige seiner aktuellen Gesetzgebungsvorhaben, insbesondere die Krankenhausreform. Derzeit werde zu viel stationär versorgt, gleichzeitig seien vor allem kleinere Krankenhäuser zu starken ökonomischen Zwängen ausgesetzt. Ziel der Reform sei deshalb, gerade diese Häuser finanziell so gut auszustatten, dass sie Teil der Daseinsvorsorge sein könnten. Dazu werde unter anderem die Einführung einer Vorhaltevergütung und die Absenkung der Fallpauschalen beitragen. Um Krankenhausärztinnen und -ärzte „aus dem Hamsterrad“ zu befreien brauche es darüber hinaus analog zur Pflege auch für Ärzte eine sachgerechte Personal­bemessung in den Kliniken.

Überdies plädierte der Minister für eine stärkere Regulierung investorenbetriebener MVZ (iMVZ), auch wenn letztendlich doch keine entsprechenden Regelungen in den Entwurf des GVSG aufgenommen worden seien. Mit dem GVSG werde das BMG aber die Entbudgetierung von Hausärztinnen und Hausärzten auf den Weg bringen. Gleichzeitig wolle er eine mögliche Entbudgetierung für andere Arztgruppen prüfen. Außerdem kündigte Lauterbach einen Paradigmenwechsel in der Vergütungssystematik des ambulanten Sektors an. Er wolle aus der „Quartalslogik der Vergütung herauskommen“ und befürworte ein „liberaleres System“, das unter anderem auf einer Jahrespauschale aufbauen solle.

Mit einem eigenen Gesetzgebungsvorhaben zur Entbürokratisierung im Gesundheitswesen, sowie durch die Überarbeitung der elektronischen Patientenakte (ePA) wolle der Minister für eine Entlastung der Ärzteschaft sorgen. Das ambitionierte Ziel sei eine ePA, die aus dem Routinebetrieb der Praxisverwaltungssysteme automatisch befüllt werden könne.

Mit Blick auf das Thema „Prävention“ machte Lauterbach darauf aufmerksam, dass die Entwicklung der Lebenserwartung der Deutschen in den vergangenen Jahrzehnten hinter derjenigen vieler anderer europäischer Nachbarländer zurückgeblieben sei. Auch die großen Disparitäten zwischen Arm und Reich bei der Lebenserwartung „könnten so nicht bleiben“. Um die Prävention voranzubringen, wolle er unter anderem einen Entwurf für ein „Gesundes Herz-Gesetz“ vorlegen. Geplant sei, die Bevölkerung systematisch auf Herzerkrankungen untersuchen zu lassen.

Hinsichtlich der GOÄ wiederholte Lauterbach sein Mantra der vergangenen Ärztetage, dass er die von BÄK und privater Krankenversicherung erarbeiteten Vorschläge einer GOÄ-Novelle „wohlwollend“ prüfen werde.

Erste Plenarsitzung – #Niewiederistjetzt

Die erste Plenarsitzung des 128. Deutschen Ärzte­tages startete mit einem Grußwort der Präsidentin der World Medical Association, Dr. Lujain Alqodmani. In ihrer Rede machte die Präsidentin darauf aufmerksam, dass Ärzte immer weniger an Entscheidungsprozessen zur Zukunft des ­Gesundheitswesens beteiligt würden. Für ein gut funktionierendes Gesundheitssystem seien jedoch die Interessen der Ärzteschaft zentral und müssten ausreichend berücksichtigt werden. Nach kurzer Einführung und Begrüßung der auch in diesem Jahr wieder zahlreich erschienenen ­internationalen Delegationen durch BÄK-Präsident Reinhardt, beschloss der 128. Deutsche Ärztetag die Resolution „Nie wieder ist jetzt!“ und setzte direkt zu Beginn ein starkes Zeichen für Demokratie, Pluralismus und Menschenrechte im ärztlichen Beruf. In der Resolution heißt es, jedem Wiedererstarken von Rassismus, Anti­semitismus und Diskriminierung in unserem Land müsse wachsam und entschlossen entgegengetreten werden. Der Deutsche Ärztetag bekenne sich zu dieser Verantwortung und bekräftige die 2022 gefasste Berliner Deklaration des Weltärzte­bundes gegen Rassismus in der Medizin.

Unter Tagesordnungspunkt I „Gesundheits-, Sozial- und ärztliche Berufspolitik“ folgte die Aussprache zur Rede des Präsidenten und zum diesjährigen Leitantrag des Vorstandes der BÄK, „Motivierte Mitarbeiter sind der Schlüssel – Gesundheitspolitik an Nachwuchsförderung, Qualifizierung und guten Arbeitsbedingungen ausrichten“, der einstimmig von den 250 Delegierten beschlossen wurde. In dem Beschluss wird die Bundesregierung aufgefordert, wichtige Reformen für ein gleichermaßen menschliches wie leistungsstarkes Gesundheitswesen jetzt umzusetzen. Die Beschäftigten seien dafür der entscheidende Schlüssel. „Die Nachwuchsförderung, die Fortentwicklung aller Bereiche des Gesundheitswesens und die Ausgestaltung der beruflichen Rahmenbedingungen müssen sich gleichermaßen an dem Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten, wie auch an den Erfordernissen derjenigen ausrichten, die in unserem Gesundheitswesen tätig sind“, forderten die Abgeordneten. Zeit für Zuwendung, leistungsgerechte Bezahlung, am tatsächlichen Behandlungsbedarf ausgerichtete Strukturen sowie die Förderung des ärztlichen Nachwuchses seien grundlegend für die Sicherung der medizinischen Versorgung in einer Gesellschaft des langen Lebens.

In der Folge wurden weitere Beschlüsse zu den derzeit aktuell gesundheitspolitisch oben aufliegenden Themen der Krankenhausreform, dem GVSG und Medizinforschungsgesetz (MFG) sowie dem Dauerbrenner-Thema der Neuregelung der ärztlichen Ausbildung gefasst. Unter anderem appellierte der 128. Deutsche Ärztetag an den Gesetzgeber, auf die im GVSG vorgesehene Einbeziehung der Länder in die Zulassungsausschüsse zu verzichten. Es handele sich bei dem Vorhaben um „einen Frontalangriff auf die eta­blierten Strukturen der ambulanten Versorgung“, wonach Beschlüsse über zulassungsrechtliche Verfahren zukünftig nur noch im Einvernehmen mit der für die ­Sozialversicherung zuständigen obersten Landesbehörde zu treffen seien, heißt es in einem mit großer Mehrheit angenommenen Antrag. In einem weiteren Beschluss fordern die Delegierten zudem, im Rahmen des GVSG die Beteiligung der Interessenvertretungen betroffener ärztlicher Fachgruppen bei Beratungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) obligatorisch vorzusehen. Des Weiteren hat die Ärzteschaft den Gesetzgeber aufgerufen, eine konsequente Strukturreform der stationären Versorgung zügig umzusetzen. Weitere Verzögerungen der lange diskutierten Krankenhausreform seien dabei unbedingt zu vermeiden, um den Krankenhäusern die dringend erforderliche Planungssicherheit zu geben. Stationäre Versorgungseinrichtungen dürften sich aber nicht für die hausärztliche Versorgung öffnen. Zudem müsse die Reform der Notfallversorgung zeitnah entsprechend den gemeinsamen Eckpunkten von Kassenärztlicher Bundesvereinigung, Marburger Bund und Hausärztinnen- und Hausärzteverband umgesetzt werden.

Mit Bezug auf die parlamentarischen Beratungen zum Medizinforschungsgesetz forderten die Delegierten, die Unabhängigkeit der ethischen Bewertung von klinischen Prüfungen zu erhalten und die geplante Errichtung der sogenannten „Spezialisierten Ethik-Kommission für besondere Verfahren“ zu streichen, die gerade innerhalb der Ärzteschaft hoch umstritten ist. Auch die Erstattungspreise von Arzneimitteln müssten transparent bleiben. In einem weiteren Beschluss unterstrich der 128. Deutsche Ärztetag abermals, dass die Novellierung der Approbationsordnung für Ärzte (ÄApprO) endlich umgesetzt und sich Bund und Länder hinsichtlich der Finanzierung einigen müssten. Bereits 2017 wurde die Reform der ärztlichen Ausbildung von Bund und Ländern mit dem „Masterplan Medizinstudium 2020“ beschlossen; die Umsetzung war dabei für das Jahr 2020 avisiert. Dem Namen nach ist die Reform also bereits jetzt vier Jahre im Verzug.

Der Tagesordnungspunkt I der Gesundheits-, ­Sozial- und ärztliche Berufspolitik wurde schließlich am letzten Sitzungstag des Deutschen Ärzte­tages mit einer Diskussion über aktuelle Fragen der Berufsausübung fortgesetzt, wobei zahlreiche Beschlüsse gefasst wurden. Unter anderem hat der Ärztetag entschiedenere Maßnahmen zur ­Sicherheit der Arzneimittelversorgung in Deutschland gefordert. Instrumente zur Preis­regulierung auf nationaler Ebene wie beispielsweise Rabattverträge und Importquoten müssten sinnvoll angepasst werden. Die Abgeordneten ­appellierten zudem an die Politik, den notwendigen Schritt zu wagen, die Wirkstoffherstellung in Europa und insbesondere in Deutschland nachhaltig zu etablieren. Zudem wurden die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag aufgefordert, die mehrfach angekündigte gesetzliche Regulierung von iMVZ im GVSG umzusetzen, um die Einflussnahme auf ärztliche Entscheidungen aus kommerziellen Gründen zu erschweren.

Mit breiter Mehrheit sprach sich die Ärzteschaft für ein umfassendes Werbeverbot für Nikotin- und Tabakprodukte, Alkohol und Glücksspiel aus. Gelten solle es ausdrücklich auch im Internet und in sozialen Medien. Konkret wird die Bundes­regierung aufgefordert, „die im Koalitionsvertrag angekündigte Verschärfung der Regelungen für Marketing und Sponsoring von Alkohol, Tabak- und Nikotinprodukten endlich umzusetzen“. Der 128. Deutsche Ärztetag plädierte auch für die Einschränkung der Homöopathie: Homöopathie sollte weder als Kassenleistung zur Abrechnung kommen können, noch als Entität mit Sonderstatus in der GOÄ Erwähnung finden. Die Homöopathie-Anwendung sei nicht mit den Grundsätzen der evidenzbasierten ­Medizin vereinbar und könne keine erstattungsfähige ärztliche Leistung sein, heißt es in dem Beschluss.

Die Delegierten forderten außerdem ein Suizidpräventionsgesetz. Die Bundesregierung müsse den Auftrag des Bundestages rasch umsetzen und einen Gesetzentwurf zur Suizidprävention vorlegen. Das Parlament hatte im Juli vergangenen Jahres einem Entschließungsantrag zur Förderung der Suizidprävention mit überwältigender Mehrheit zugestimmt und die Bundes­regierung aufgefordert, bis Ende Juni 2024 ein Suizidpräventionsgesetz zu erarbeiten. Die vom Bundesgesundheitsminister kürzlich ­vorgestellte Suizidpräventionsstrategie sei für dieses kein ­Ersatz, betonten die Delegierten.

Eine emotionale und engagierte Debatte führte das Ärzteparlament zum Thema Schwangerschaftsabbruch. Einige Anträge standen hierzu auf der Tagesordnung, die jedoch größtenteils vertagt und nicht abgestimmt wurden. Die Delegierten entschieden, sich mit dem Thema vertieft beim 129. Deutschen Ärztetag im nächsten Jahr in Leipzig zu beschäftigen. Mehrheitlich verabschiedet wurde jedoch bereits auf dem diesjährigen Ärztetag die Forderung, dass die Kosten für verschreibungspflichtige Verhütungsmittel künftig unabhängig vom Alter der Versicherten von den Krankenkassen übernommen werden müssen. Weitere Beschlüsse zielten unter anderem auf die Themen Bürokratieabbau, Digitalisierung, Stärkung des Klima- und Gesundheitsschutzes sowie auf die angemessene Vergütung des praktischen Jahres im Medizinstudium ab.

Patientensteuerung und Koordination der Versorgung

Im Rahmen des Tagesordnungspunkts II, der sich dem Thema „Gesundheitsversorgung der Zukunft – mehr Koordination der Versorgung und bessere Orientierung für Patientinnen und Patienten“ widmete, haben sich die Abgeordneten für eine patientengerechtere und effektivere Steuerung der Gesundheitsversorgung in Deutschland ausgesprochen. „Ziel der Gesundheitsversorgung muss es sein, die vorhandenen Ressourcen so effektiv, aufeinander abgestimmt und effizient einzusetzen, dass sie dem tatsächlichen Behandlungsbedarf gerecht werden“, heißt es in einem mit großer Mehrheit gefassten Beschluss. Zuvor hatten die Abgeordneten mit namhaften Referentinnen und Referenten aus Wissenschaft, Politik und Selbstverwaltung Möglichkeiten einer gezielteren Versorgungssteuerung ­beraten. Unter anderem gab der Gesundheitsökonom Wolfgang Greiner eine Einführung in das Thema. „Die Koordination muss als Kernelement guter Versorgung gedacht werden“, sagte der Professor. Aus Greiners Sicht fehle derzeit ein Gesamtkonzept, es gebe zahlreiche zersplitterte Einzelregularien. Schlüsselfaktoren für eine bessere Koordination seien letztlich eine konsequente Digitalisierung und eine Angleichung der Rahmenbedingungen der Sektoren.

Für einen Stimmungshöhepunkt sorgte im Anschluss der Auftritt von Professor Dr. ­Josef ­Hecken, unparteiischer Vorsitzender des G-BA. In einer Grundsatzrede betonte er, dass es aufgrund der schlechten finanziellen Lage der gesetzlichen Krankenversicherung dringend Anpassungen beim Zugang und der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen bedürfe. Vor dem Hintergrund des weiter wachsenden Versorgungsbedarfs und des medizinisch-technischen Fortschritts, müssten die vorhandenen Versorgungskapazitäten gezielter genutzt werden. Dies betreffe insbesondere eine Steuerung des Zugangs sowohl zur Notfall- als auch zur Regelversorgung. Grundlage seien die Förderung der Gesundheitskompetenz sowie Anreize für die Einhaltung von Versorgungs­pfaden. Dabei käme man an Instrumenten wie einer Selbstbeteiligung nicht mehr vorbei, so Hecken. Kirsten Kappert-Gonther (Grüne) als weitere Referentin zu dem Tagesordnungspunkt betonte, dass die Notfallreform und die Reform der Rettungsdienste unbedingt parallel zum KHVVG erfolgen müsse.

Der 128. Deutsche Ärztetag beschloss unter diesem Tagesordnungspunkt in einem richtungsweisenden Antrag, dass Patienten für die primäre Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung eine Arztpraxis verbindlich wählen sollten. Die primärärztliche Versorgung sollte dabei durch eine Hausärztin beziehungsweise einen Hausarzt erfolgen, so der Ärztetag. Leistungen, die in der primärärztlichen Versorgung erbracht werden, müssten sowohl im hausärztlichen wie auch konsekutiv auf Überweisung im fachärztlichen Bereich entbudgetiert werden. Mit Blick auf die Notfallversorgung forderte der Ärztetag die bundesweite Einrichtung gemeinsamer beziehungsweise vernetzter Leitstellen von ärztlichem Bereitschaftsdienst (116 117) und Rettungsdienst (112). Über eine validierte standardisierte medizinische Ersteinschätzung müsse dort eine Zugangssteuerung nach medizinischer Dringlichkeit verbindlich in die adäquate Versorgungsebene erfolgen. Grundlegende Voraussetzung für eine funktionierende Steuerung sei darüber hinaus, die Gesundheitskompetenz der Menschen sowie ihr Wissen über die Strukturen des Gesundheitswesens und ­deren sachgerechte Inanspruchnahme zu fördern.

Ärztliches Personalbemessungssystem

Das Plenum diskutierte auch über den Personal­bedarf in den Krankenhäusern. Ärztliches Personal sei an vielen Stellen knapp. Für die Beschäftigten bedeute dies Überstunden, Mehrarbeit und Stress bis hin zur Überlastung, so der Tenor des BÄK-Vorstands und mehrerer Abgeordneter. Vor diesem Hintergrund forderte der 128. Deutsche Ärztetag die Politik in Bund und Ländern dazu auf, bei der geplanten Krankenhausreform der zentralen Bedeutung einer patienten- und aufgabengerechten ärztlichen Personalausstattung für eine stabile und qualitativ hochwertige Versorgung gerecht zu werden.

Eine verlässliche Antwort auf die Frage, wie viel ärztliches Personal in einer Abteilung benötigt wird, um alle anfallenden Aufgaben im Sinne einer guten Patientenversorgung durchführen zu können, gebe nach Ansicht der Abgeordneten das Ärztliche Personalbemessungssystem der BÄK (ÄPS-BÄK). In das System könnten Daten über eine Krankenhausabteilung, darunter die Anzahl an Ärzten, Fallzahlen, Bereitschaftsdienste oder Ausfallzeiten eingegeben werden. Berechnet werde, wie viele Ärzte in einer Abteilung für eine vollumfängliche Erfüllung aller notwendigen Aufgaben gebraucht werden. Der Ärztetag forderte, ÄPS-BÄK als verbindlichen Maßstab im Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz zu verankern. Im bisherigen Referentenentwurf ist das System lediglich im Begründungsteil genannt.

Das System sei derzeit in mehr als 30 Krankenhausabteilungen im zweiten Pretest im Einsatz, berichtete Dr. Susanne Johna, Vizepräsidentin der BÄK. Große Fachgebiete würden dabei primär bearbeitet. „Viele Dinge, die wir mit dem System transparent machen, sind vorher nicht erhoben worden. Beispielsweise wird der Zeitaufwand für Fortbildungen, Weiterbildung oder zur Erfüllung gesetzlicher Aufgaben jetzt deutlich sichtbar“, ergänzte Professor Dr. Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein und zusammen mit Johna für das ÄPS-BÄK zuständig.

Darüber hinaus forderte der 128. Deutsche Ärzte­tag die politisch Verantwortlichen dazu auf, für eine verlässliche Refinanzierung der erforderlichen ärztlichen Personalausstattung im Rahmen der mit der Krankenhausreform geplanten Vorhaltefinanzierung zu sorgen.

Ärztliche Fortbildung

Die Abgeordneten beschlossen eine grundlegend überarbeitete (Muster-)Fortbildungsordnung (MFBO) für Ärztinnen und Ärzte. Damit sollen künftig unter anderem strengere Regelungen für das Sponsoring von Fortbildungsveranstaltungen gelten. Der Entwurf der neuen MFBO wurde von den Vorsitzenden der Ständigen Konferenz „Ärztliche Fortbildung“ der BÄK, dem Bayerischen Ärztekammerpräsidenten Quitterer und dem rheinland-pfälzischen Ärztekammerpräsidenten Matheis, vorgestellt.

Einige Schwerpunkte der Neufassung: In § 5 der MFBO wird die inhaltliche, didaktische und organisatorische Qualität von Fortbildungsmaßnahmen künftig als Voraussetzung zur Anerkennung von Seminaren definiert. Dadurch werden Inhalte ausgeschlossen, die in keinem Zusammenhang mit ärztlicher Kompetenz stehen. Ebenso muss gemäß der neuen MFBO die Unabhängigkeit ärztlicher Entscheidungen im Rahmen von Fortbildungen gewahrt bleiben, Regelungen zur Offenlegung von Interessenskonflikten werden erweitert.

Außerdem enthält § 6 der MFBO zusätzliche ­Anerkennungsvoraussetzungen beim Sponsoring von Fortbildungen. Unter anderem dürfen Sponsoren keinen Einfluss auf das Thema, die Ausgestaltung, den Inhalt, die Ankündigung und die Durchführung von Fortbildungsmaßnahmen nehmen. Der Verwendungszweck der Sponsoringleistung wird auf die Durchführung des wissenschaftlichen Programms begrenzt. Ebenso muss die Höhe des Sponsorings jetzt offengelegt werden.

Zum Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen sieht die neue MFBO überdies vor, dass Seminare ressourcen- und klimaschonend gestaltet werden sollen.

Dem Beschluss des Deutschen Ärztetages war eine Präsentation von Quitterer und Matheis vorausgegangen. Dabei erläuterte Quitterer, dass die bisherige Fassung der MFBO nicht mehr ausreiche, um dauerhaft die Neutralität und Transparenz von Fortbildungen im notwendigen Umfang ­sicherzustellen. Der Grund: Nach Interpretation einiger erstinstanzlicher Verwaltungsgerichte greife die bisherige MFBO-Formulierung, wonach die Fortbildungsinhalte frei von wirtschaftlichen Interessen sein müssten, zu kurz.

Ärztliche Weiterbildung

Am zweiten Arbeitstag in Mainz wurde eine Änderung der (Muster)-Weiterbildungsordnung 2018 (MWBO) von den Abgeordneten beschlossen. So wurde bei der der Zusatz-Weiterbildung Transplantationsmedizin die Anästhesiologie als zugangsberechtigtes Fach in die MWBO aufgenommen. Dies geschah mit dem Ziel, Fachärztinnen und Fachärzten für Anästhesiologie den Erwerb der Zusatz-Weiterbildung Transplantationsmedizin zu ermöglichen und somit die Versorgung der betroffenen Patientengruppe zu verbessern.

Des Weiteren wurden Eckpunkte zur Weiterentwicklung der Muster-WBO von Dr. Hans-Albert Gehle, dem Präsidenten der Ärztekammer Westfalen-Lippe, und Schleswig-Holsteins Ärztekammerpräsidenten Herrmann, vorgestellt und der damit zusammenhängende Antrag des BÄK-Vorstands angenommen.

Sachstandsbericht eLogbuch

Im Rahmen ihres Vortrags erläuterten Gehle und Herrmann auch die Weiterentwicklung des eLogbuchs im vergangenen Jahr. Die Bedienbarkeit und Verständlichkeit der Anwendung habe sich verbessert, regelmäßige technische Online-Schulungen seien durch die BÄK eingeführt und die Funktion „Aushändigung eines Weiterbildungsplans“ ergänzt worden. Für die kommenden Monate sei der Ausbau von Kooperationen mit Drittanbietenden, die Verbesserung der Kompetenzbestätigung bei Kurs-Weiterbildungen, sowie die einheitliche Einführung von Stellvertreterrollen für Befugte geplant.

Im Fokus der Weiterentwicklung: Qualifizierung und Anerkennung

Zur Weiterentwicklung der ärztlichen Weiterbildung fassten die Delegierten zahlreiche weitere Beschlüsse. Unter anderem wurden die Landesärztekammern aufgefordert, alle Weiterbildungsbefugten zur Teilnahme an einem Seminar zur medizindidaktischen Fortbildung zu verpflichten. Die Qualifizierung könne stufenweise erfolgen. Außerdem appellierte der Deutsche Ärztetag an die Landesärztekammern, Weiterbildung in Teilzeit (ab 50 Prozent) grundsätzlich anzuerkennen, ohne dass dies eine gesonderte Genehmigung erfordert. Begründet wurde dies mit dem hohen Stellenwert der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Darüber hinaus habe die weitere Differenzierung von Arbeits- und Lebensmodellen zu einem höheren Ausmaß an Teilzeittätigkeit geführt.

Finanzen, Satzung und Geschäftsordnung

Die Abgeordneten billigten den Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2022/23 und entlasteten den BÄK-Vorstand. Der Haushaltsvoranschlag für das Geschäftsjahr 2024/25 in Höhe von
31,7 Millionen Euro wurde genehmigt.

Unter TOP V diskutierten die Abgeordneten ­Änderungen der Satzung der BÄK sowie der Geschäftsordnung der Deutschen Ärztetage. Unter anderem wurde eine Anpassung des Wahlablaufs auf Deutschen Ärztetagen beschlossen und die Möglichkeit eingeführt, Beschlüsse in einem sogenannten Umlaufverfahren herbeizuführen. Ebenso wurden die Regelungen zur Durchführung eines virtuellen Deutschen Ärztetages konkretisiert. Darüber hinaus forderte der 128. Deutsche Ärztetag die BÄK auf, gendersensible Formulierungen in Satzung und Geschäftsordnung zu verwenden. Dies wurde damit begründet, dass kein Mensch – gleich welcher Geschlechtsidentität – sprachlich ausgegrenzt werden dürfe.

Der 129. Deutsche Ärztetag findet vom 27. bis 30. Mai 2025 in Leipzig statt, der 130. voraussichtlich im Mai 2026 in Hannover.

 

Florian Wagle, Nils Härtel, Julia Schäfer (alle BLÄK)


Top