Influenza – Schutz vor der Grippe auch während COVID-19

Dr. Markus Frühwein

Auch wenn die letzte Grippesaison nach bisherigen Schätzungen in Bezug auf die Letalität eher milde ausgefallen ist, haben die Vorjahre 2017/2018 und 2018/2019 mit einer Übersterblichkeit von deutlich mehr als 20.000 Menschen gezeigt, welche Rolle die Influenza, gesundheitlich und wirtschaftlich, in Deutschland spielt [1]. Umso wichtiger ist es, sich mit den Möglichkeiten der Influenzaimpfung als Präventionsmöglichkeit auseinanderzusetzen und ein Umfeld für höhere Durchimpfungsraten zu schaffen.


Die Saison 2020/2021 – unsicherer Verlauf

Die Influenzasaison 2020/2021 hat gerade begonnen und es wird voraussichtlich schwieriger denn je, den diesjährigen Verlauf zu prognostizieren. Auf der einen Seite lassen Daten aus Australien, wo sich die Fallzahlen in der aktuellen Saison nahe dem Nullpunkt bewegt haben, auf einen sehr milden Verlauf hoffen [2]. Auf der anderen Seite wissen wir nicht genau, welche Rolle die COVID-19-Situation in Bezug auf das Risiko für Koinfektionen spielt. Auch wenn einige Studien auf einen eher geringen Einfluss auf die Schwere des Krankheitsverlaufes bei einer zeitgleichen Infektion mit SARS-CoV-2 und Influenza hindeuten, lässt sich vermuten, dass gerade für chronisch Kranke und ältere Patienten eine Risikosituation besteht [3].

Betrachtet man die bisherigen Daten für Deutschland, fällt der Verlauf der akuten Atemwegserkrankungen (ARE, mit und ohne Fieber) und des Konsultationsindexes in der aktuellen Saison (Stand: KW 36) auf. Hier zeigt sich ein ähnlicher Anstieg auf ein vergleichbares Erkrankungsniveau wie in den Vorjahren. Die Arbeitsgemeinschaft Influenza am Robert Koch-Institut (RKI) führt das vorwiegend auf die Erkrankungen bei Kindern zurück [4]. Das wäre eine mögliche Erklärung, warum die geltenden Hygieneregeln und die Maskenpflicht keinen wesentlichen Effekt auf die ARE-Entwicklung und den Konsultationsindex zu haben scheinen, da diese gerade bei Kleinkindern nur eingeschränkt umgesetzt werden können.

Gegen Influenza impfen – Risikogruppen schützen

Gerade in einer so unvorhersehbaren Situation spielt die Umsetzung sicherer Präventionsmöglichkeiten wie die Impfung gegen Influenza eine große Rolle. Auch wenn die Durchimpfungsraten seit 2018 langsam wieder ansteigen, liegen sie bei den über 60-Jährigen im bundesweiten Schnitt noch immer bei ca. 35 Prozent und bei den chronisch Kranken bei 20 bis 50 Prozent und sind damit weit weg von den angestrebten 75 Prozent für Senioren und Risikogruppen des nationalen Impfplans [5, 6].

Momentan ist zu erwarten, dass die Nachfrage nach der Impfung deutlich größer sein wird als in den Vorjahren. Große Teile der Bevölkerung wurden durch die mediale Dominanz von COVID-19 für respiratorisch übertragbare Erkrankungen und deren mögliche Folgen sensibilisiert. Insgesamt sieht es nach einer guten Chance für eine Erhöhung der Durchimpfungsraten aus.

Aufgrund begrenzter Ressourcen, die möglichst effektiv eingesetzt werden sollten, empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) weiterhin keine generelle Impfung für alle Bevölkerungsgruppen in Deutschland, sondern betont weiterhin die Notwendigkeit der Steigerung der Durchimpfungsraten bei den Risikogruppen, für die schon eine Impfempfehlung besteht (siehe Infokasten). Dies auch vor dem Hintergrund, dass sich die Risikogruppen für schwere Verläufe bei Influenza und COVID-19 weitgehend überschneiden [7]. Trotzdem wird auch hier explizit darauf hingewiesen, dass grundsätzlich auch Personen, die nicht durch die STIKO-Empfehlungen abgedeckt sind, nach ärztlichem Ermessen eine Influenzaimpfung gegeben werden kann [8]. Es besteht also freier ärztlicher Handlungsspielraum.

Die Impfempfehlungen in Deutschland sind gut und haben durch das standardisierte Bewertungsvorgehen der STIKO sicher auch eine hohe Sicherheit [9]. Bei der Influenza wird von der STIKO ein inaktivierter, tetravalenter Impfstoff mit aktueller, von der WHO empfohlener Antigenkombination, empfohlen. Zugelassen sind hier verschiedene entsprechende eibasierte Impfstoffe (QIVe), ein zellbasierter Impfstoff (QIVc) und ein nasal applizierbarer Lebendimpfstoff (LAIV) [8, 10].

Impfen durch Apotheker für höhere Impfquoten?

Das Masernschutzgesetz hat auf Basis des § 132j SGB V den Weg für Pilotprojekte zur Grippeimpfung in Apotheken bereitet um die Impfquoten durch einen niederschwelligen Zugang zu verbessern. Da es sich hier um eine präventive Leistung am Gesunden handelt, sollte bei so einem Vorhaben die Patientensicherheit im Vordergrund stehen. Aus diesem Blickwinkel ist diese Übertragung einer ärztlichen Tätigkeit, die, insbesondere in Bezug auf die Indikationsentscheidung, die Anamnese und den Ausschluss von Kontraindikationen, beim Arzt in einen breiten medizinischen Wissenskontext eingebettet ist, kritisch zu betrachten.

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals

Ein Blick Richtung Vereinigtes Königreich zeigt jedoch, dass bei der Influenzaimpfung im Vergleich noch viel Luft nach oben ist. Das betrifft vor allem die Durchimpfungsraten, die sich nahe des 75-Prozent-Ziels bewegen (siehe Abbildung).


Auch die Empfehlungen für die Risikogruppen sind weiter gefasst und beziehen vor allem die Kinder ein [2]. In einer Studie wurden regional Vorschulkinder nasal gegen Influenza geimpft was zu einem Rückgang der Besuche beim Hausarzt (GP) wegen influenzaartigen Erkrankungen (Influenza-Like-Illness/ILI) bei den Kindern um 94 Prozent führte. Für Krankenhausaufenthalte mit bestätigter Influenza lag sie bei 93 Prozent und Notaufnahmenbesuche wegen Atemwegserkrankungen gingen um 74 Prozent zurück. Auch eine Reduktion bei den Erwachsenen von 59 Prozent für Besuche beim Hausarzt (GP) wegen ILI wurde erreicht, was für einen hohen Effekt der Impfung auf Kinder als Verbreitungsfaktor für Influenzaerkrankungen spricht [11].

Interessant ist außerdem der Ansatz der differenzierten Verwendung verschiedener Influenzaimpfstoffentwicklungen. Während in Deutschland für alle zu Impfenden fast ausschließlich QIVe oder in eingeschränktem Umfang QIVc verwendet wird, baut das englische Impfprogramm auf dem spezifischen Einsatz der verfügbaren Impfstoffe nach Alter auf. Es wird also nicht wie in Deutschland darauf geschaut, zum günstigsten Preis irgendeinen Influenzaimpfstoff zu geben, der die STIKO-Empfehlungen erfüllt, sondern welcher der altersentsprechend voraussichtlich sinnvollste und wirksamste Impfstoff ist. Im Rahmen der Zulassung ab 24 Monate wird bei Kleinkindern, Kindern und Jugendlichen bis
17 Jahren vorwiegend LAIV verwendet. Säuglinge ab sechs Monaten und Kleinkinder bis zwei Jahren mit Indikation zur Impfung werden mit einem, der für diese Altersgruppe zugelassenen QIVe, geimpft. QIVe oder QIVc wird für alle Erwachsenen mit Indikation oder als Alternative zum nasalen Lebendimpfstoff bei Kindern und Jugendlichen empfohlen. Im Alter wird dann bevorzugt ein adjuvantierter Influenzaimpfstoff aTIV, hier aktuell als trivalenter Impfstoff, oder ein QIVc verwendet.

Die Influenzaimpfstoffentwicklung schreitet rasch voran und verschiedene quadrivalente highdose (HDQIV) und quadrivalente adjuvantierte Vakzine (aQIV) stehen vor der Zulassung oder sind schon zugelassen. Verschiedene Studien lassen eine bessere Wirkung von zellbasierten, adjuvantierten und high-dose-Impfstoffen vermuten [12, 13].

Die Implementierung neuer Impfstoffe und die Anpassung der Impfempfehlungen, zum Beispiel für Kinder, wird eine spannende Herausforderung für die kommenden Jahre. In jedem Fall sollten jedoch die Bestrebungen hin zu höheren Durchimpfungsraten im Vordergrund stehen und das haben wir Ärzte weitgehend selbst in der Hand.

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-aerzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

 

Autor


Dr. Markus Frühwein

 MaHM Facharzt für Allgemeinmedizin, Brienner Str. 11, 80333 München

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