Coronavirus-Infektionen und Erkrankungen durch saisonale Influenzaviren

Professor Dr. August Stich und Dr. Martin Hoch

Ende Dezember 2019 wurde das WHO-Landesbüro in China über eine Häufung von Lungenentzündungen mit unklarer Ursache in Wuhan, einer Metropole mit elf Millionen Einwohnern in der Provinz Hubei/China, informiert. Die chinesischen Behörden haben ein neuartiges Coronavirus als Ursache der Erkrankung identifiziert. Mehrere Mensch-zu-Mensch-Übertragungen wurden von den chinesischen Behörden bestätigt, ebenso Erkrankungsfälle bei medizinischem Personal. Außerhalb von China sind bisher einzelne Fälle aufgetreten. Aktuelle Informationen zum Coronavirus bietet das Robert Koch-Institut (RKI) auf der Internetseite www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/nCoV.html. Das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (StMGP) informiert die Ärzte in den Praxen zusätzlich über den Umgang mit Verdachtsfällen einer Infektion mit dem neuen Sars-CoV-2. Diese Info gibt es unter www.stmgp.bayern.de/vorsorge/infektionsschutz/infektionsmonitor-bayern/ und auf www.blaek.de.

Das „Bayerische Ärzteblatt“ stellt zur COVID-19 getauften Krankheit, die durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2 hervorgerufen wird, Fragen an Professor Dr. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin, Missioklinik des Klinikums Würzburg Mitte und an den Leiter der Task-Force Infektiologie, Dr. Martin Hoch, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL).

Wie schätzen Sie die aktuelle Gefahr der neuen Coronavirus-Infektionen in Deutschland ein?

Stich: Es gab bisher 16 Fälle in Deutschland. Die Isolation der Patienten, ihre Behandlung und die Umgebungsuntersuchen durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst haben sehr gut geklappt. Die Gefahr einer neuerlichen Einschleppung und Ausbreitung des SARS-CoV-2 besteht aber weiterhin. Es wird viel getan, um den Ausbruch auf China zu begrenzen und Verdachtsfälle überall auf der Welt schnell zu isolieren. Das aktuelle Problem bei uns sind die vielen besorgten Menschen, die in Fernost waren, jetzt Symptome einer Atemwegs-erkrankung entwickeln und Angst haben, an der in den Medien sehr hochgespielten „neuen und gefährlichen Seuche“ erkrankt zu sein. Hier ist es nicht leicht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Unsere Aufgabe im Gesundheitsdienst muss es sein, jeden Erkrankten fachgerecht zu isolieren und einer raschen Behandlung zuzuführen. Wir müssen die Personen frühzeitig erkennen, auf die die Falldefinition der SARS-CoV-2-Infektion zutrifft (nachzulesen unter www.rki.de/ngov). So ließen sich Infektionsketten in Deutschland vermeiden oder rasch begrenzen.

Können Sie die klinischen Unterschiede der beiden Infektionen COVID-19 und Influenza erklären?

Stich: Wir haben gelernt, dass viele mit SARS-CoV-2 Infizierte nur geringe Symptome entwickeln, einige aber auch schwer erkranken können, besonders alte Menschen. Eine Coronaviruserkrankung kann sich zunächst wie eine klassische Influenza verhalten. Wir erwarten aber eher weniger die Symptome einer Pharyngitis und eher die Zeichen einer tiefen Atemwegsinfektion mit Dyspnoe, eingeschränkter Sauerstoffsättigung und radiologisch sichtbaren Infiltraten. Im Gegensatz zu vielen anderen Virusinfektionen wie der akuten Epstein-Barr-Virus-Infektion fehlen Lymphadenopathie und Exanthem.

Welche generellen Vorsichtsmaßnahmen gilt es bei Atemwegsinfektionswellen zu beachten?

Stich:  Wir kennen die Maßnahmen bereits vom Umgang mit Influenzapatienten. Generell gilt: Abstand zu Erkrankten, sofort Mund-Nasen-Schutz (wenn toleriert) für den Patienten, Basishygienemaßnahmen wie häufige Hände- und Oberflächendesinfektion. Bei allen Tätigkeiten am Patienten sollten wir uns mit Schutzkleidung ausstatten: Mund-Nasen-Schutz am besten als FFP-3-Maske, Schutzbrille oder Visier, virusdichter Schutzkittel und Handschuhe. Wir alle sollten gegen Influenza geimpft sein.

Gibt es für Sie etwas „Besonderes“ bei dem neuen Ausbruchsgeschehen?

Stich: Das Auftreten neuer Infektionserreger ist nichts Ungewöhnliches in einer globalisierten Welt. Sie sind der Preis unserer Lebensform, den intensiven Reise- und Migrationsbewegungen von Menschen, dem Transport von Tieren und Waren. Je weniger emotional wir uns den neuen Herausforderungen stellen, desto effektiver und effizienter sind wir in der Beherrschung echter Gefahrenlagen.

Deutschland ist diesbezüglich gut aufgestellt und die Fachwelt hat seit dem ersten Auftreten von SARS ständig dazugelernt. Doch müssen wir aufpassen, dass wir unsere Kompetenzen im Umgang mit Infektionskrankheiten im Ringen um mehr Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen nicht wieder verlieren. Wer auf Gewinnmaximierung in Krankenhäusern zielt, macht gerne um alle Infektionsprobleme einen Bogen. Die Beherrschung von Infektionskrankheiten ist mit einem großen Aufwand verbunden, der sich durch das aktuelle System der Gesundheitsfinanzierung nicht refinanzieren lässt.

Wir müssen Vorkehrungen für infektiologische Lagen treffen, die über das hinausgehen, was ein Krankenhaus für sich alleine leisten kann. Wir müssen im Gesundheitswesen weg von einer rein betriebswirtschaftlichen Denke hin zur Anerkennung der Notwendigkeit von adäquater Vorbereitung auf infektiologische Lagen, umfassendem Infektionsmanagement und globalen Antwortstrategien. Wir müssen medizinisches Personal ständig in Hygienefragen und Infektiologie weiterbilden und Reserven aufbauen, die wir im Falle einer Gefahrenlage rasch mobilisieren können. Somit könnte die neue Pandemie des SARS-CoV auch eine Chance darstellen, unser Gesundheitssystem im Kampf gegen Infektionskrankheiten nachhaltig zu verbessern.

Wie schätzen Sie die Übertragbarkeit von asymptomatischen oder untypisch-symptomatischen Patienten ein?

Hoch: Dieses Thema bedarf weiterer Abklärung und wir können hier noch keine endgültige Aussage treffen. In den Daten, die wir bei der Untersuchung und Eindämmung des Clusters in Südbayern bisher gewonnen haben, ist eine Übertragung durch eine völlig asymptomatische Person nicht dokumentiert, jedoch ist eine Übertragung in bestimmten Einzelfällen nur bei milden Symptomen oder bei „Prodromi“ erklärbar. Es gibt auch Hinweise, dass bei wenigen Patienten bereits am Tag des Symptombeginns Übertragungen stattgefunden haben. Zwei Dinge müssen bei der Interpretation berücksichtigt werden: Erstens stammen unsere Daten ausschließlich von Fällen bzw. Patienten, die durch eine aktive Fallfindung im Umfeld des südbayerischen Clusters entdeckt wurden – deshalb wurden auch schwach symptomatische Fälle gefunden, die sonst wahrscheinlich unentdeckt geblieben wären. Zweitens wurden die Angaben aus Patientenbefragungen abgeleitet, die naturgemäß mit einer bestimmten Unschärfe einhergehen.

Können Sie bitte die neue Falldefinition und -zählung kurz erklären?

Hoch: In Deutschland wurden 16 Fälle des neuartigen Coronavirus nachgewiesen, 14 davon in Bayern (Stand: 18. Februar 2020). Alle Fälle stehen im Zusammenhang mit einem einzigen Infektionscluster bei einer Firma in Bayern. Zwei sind Reiserückkehrer, die Anfang Februar 2020 aus Wuhan ausgeflogen worden sind.

Mit einer seit 1. Februar 2020 geltenden Verordnung (CorViMV) werden Verdacht bzw. Erkrankung oder Tod in Bezug auf eine Infektion mit SARS-CoV-2 meldepflichtig.

Verdachtsfälle, die labordiagnostisch abgeklärt werden müssen, sind laut Falldefinition des RKI, Personen mit akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere oder unspezifischen Allgemeinsymptomen und Kontakt mit einem bestätigten Fall mit SARS-CoV-2 bis maximal 14 Tage vor Erkrankungsbeginn. Auch Personen mit akuten respiratorischen Symptomen jeder Schwere und Aufenthalt in einem Risikogebiet bis maximal 14 Tage vor Erkrankungsbeginn, gelten als begründete Verdachtsfälle und müssen einer PCR-Diagnostik unterzogen werden.

Welche Rolle hat der Öffentliche Gesundheitsdienst in Bayern bei der Eindämmung des Virus?

Hoch: Es wurden maximale Infektionsschutzmaßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens in Bayern unternommen, die vom LGL und StMGP fachlich koordiniert wurden. Ein Ausbruchsteam des LGL hat vor Ort diese erste bekannte Infektionskette außerhalb Asiens untersucht und initiale Maßnahmen festgelegt.

Bei der Umsetzung der Maßnahmen in den Landkreisen spielen die bayerischen Gesundheitsämter eine ganz zentrale Rolle. Wichtig ist eine gute und reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Ämtern und den Kolleginnen und Kollegen aus der Ärzteschaft: Die Gesundheitsämter ermitteln die Kontaktpersonen der bestätigten Fälle und leiten die relevanten Maßnahmen in die Wege.

Kontaktpersonen der Kategorie I, die ein höheres Infektionsrisiko haben, werden auch bei Symptomfreiheit labordiagnostisch getestet und 14 Tage häuslich isoliert. Nur bei Vorliegen eines negativ getesteten Folgeabstriches werden sie aus der häuslichen Isolierung entlassen. Während der Isolation stehen die Gesundheitsämter im täglichen Austausch mit den insgesamt rund 230 Kontaktpersonen und dokumentieren deren Gesundheitszustand.

Was muss bei Verdachtsfällen von den niedergelassenen Kolleginnen/Kollegen beachtet werden?

Hoch: Bei Auftreten eines begründeten Verdachtsfalls – nach RKI-Defintion – ist vom behandelnden Arzt umgehend das zuständige Gesundheitsamt oder die entsprechende Rufbereitschaft über die integrierten Leitstellen zu informieren.  Das Gesundheitsamt ordnet die notwendigen Diagnostik- und Schutzmaßnahmen an. Eine Labordiagnostik ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur für Personen sinnvoll, die die Falldefinitionen des RKI für einen begründeten Verdachtsfall erfüllen. Idealerweise werden Proben aus den oberen und tiefen Atemwegen gewonnen. Alle Proben sollten das Labor schnellstmöglich nach Entnahme erreichen. Ein begründeter Verdachtsfall darf, soweit es die Verhältnisse vor Ort und der klinische Zustand zulassen, bis zum Erhalt eines Untersuchungsergebnisses auch vor Ort (häuslich, im ambulanten Setting etc.) isoliert werden. Bei der häuslichen Isolierung sollten keine engen familiären Kontakte zu Hause bestehen, im ambulanten Setting ist eine adäquate räumliche Separierung Voraussetzung.

Bei Verdacht auf eine SARS-CoV-2-Infektion ist der betroffene Patient bis zur Einweisung in ein Krankenhaus getrennt von anderen Patienten unterzubringen. Medizinisches Personal, das unmittelbar Kontakt zum Patienten hat, soll sich mit einem Schutzkittel, Schutzbrille, Einweghandschuhen und einem geeigneten Atemschutz schützen.

Vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK)

 


Professor Dr. August Stich, Chefarzt der Tropenmedizin, Missioklinik des Klinikums Würzburg Mitte.


Dr. Martin Hoch, Leiter der Task-Force Infektiologie am LGL.

 

 

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