Kooperation statt Konkurrenz

Dr. Max Kaplan

Die Zeit ist reif, den unsichtbaren Graben zwischen Versorgungssektoren in der Prävention, Kuration – ambulant/stationär – und Rehabilitation zu überwinden und Kooperation, Koordination und Kommunikation zwischen den Sektoren zu verbessern – horizontal und vertikal. Im interprofessionellen und interdisziplinären Denken liegt der Schlüssel zu höherer Qualität und Effizienz – nicht nur im Gesundheitswesen. Dabei sind die Verbesserungspotenziale durch eine stärkere teamorientierte Zusammenarbeit – insbesondere mit den Gesundheitsfachberufen – enorm. Eindeutig zu wenig hat sich im vergangenen Jahr bewegt, auch was die Auseinandersetzung mit der Durchökonomisierung des Gesundheitswesens betrifft. Anstatt in einer „Schockstarre“ zu verharren und in die innere Immigration zu gehen, müssen wir Ärztinnen und Ärzte uns neu ausrichten, um in der Medizin wieder die Führungsrolle zu übernehmen.

Modelle in der Regelversorgung

Die positiven Signale, die vom 120. Deutschen Ärztetag ausgingen, sollten uns ermutigen, Konzepte für innovative Versorgungsmodelle zu entwickeln und diese zeitnah in der Regelversorgung umzusetzen. Solche Modelle müssen eine umfassende Gesundheitsversorgung für alle Einwohner einer Region sicherstellen, wobei ein populationsorientierter Ansatz mit (Präventiv-)Angeboten für verschiedene Bevölkerungsgruppen notwendig ist. Hierbei ist auch eine systematische und koordinierte Einbeziehung verschiedener Berufsgruppen/Einrichtungen notwendig, gegebenenfalls mit Elementen der integrierten Versorgung. Bei der Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung, welche einerseits die ungefilterte Erstinanspruchnahme abbildet und andererseits eine umfassende und individuelle Versorgung der Patienten bei allen Gesundheitsanliegen berücksichtigt, kommt dem Hausarzt als Leiter eines interdisziplinären Versorgungsteams eine zentrale Rolle zu. Der Fokus dieses Betreuungskonzepts ist verstärkt auf Prävention, Rehabilitation sowie die Behandlung chronisch kranker Patienten gerichtet und zielt auf eine stärkere Gesundheitskompetenz des Patienten selbst und seines sozialen Umfelds ab. Zur Stärkung der wohnortnahen Versorgung ist eine Veränderung des Professionenmix in der Versorgung bei größerer Eigenständigkeit der Gesundheitsberufe, jedoch mit Anbindung an eine Hausarztpraxis, eine wichtige Handlungsoption. Neben dem Aufbau eines ambulanten Netzwerks zwischen Ärzten, Psychotherapeuten, Apothekern, Heilmittelerbringern, ambulanten Pflegediensten oder Gesundheitshandwerkern ist eine abgestimmte Zusammenarbeit mit stationären Einrichtungen von der Akutversorgung bis zur Rehabilitation notwendig, wobei der sektorenübergreifende Charakter einen immer größeren Stellenwert einnehmen wird. Die Zusammenarbeit muss durch entsprechende Kooperationsverträge und eine den Datenaustausch ermöglichende Kommunikationstechnologie gewährleistet sein.

Notfallversorgung

Wie notwendig eine intra- und interprofessionelle sowie sektorenübergreifende Versorgung ist, zeigt sich derzeit in der Notfallversorgung. Im vergangenen Jahrzehnt hatten wir eine Verdopplung der Patientenzahlen auf ca. 25 Millionen pro Jahr in den Notfallversorgungsstrukturen zu verzeichnen. Mit dieser Steigerung hat der notwendige Ausbau der personellen Ressourcen und Infrastruktur nicht Schritt gehalten. Notwendig sind hier eine intensive Kooperation zwischen den Notaufnahmen in Kliniken und den vertragsärztlichen Versorgungsstrukturen sowie der Ausbau der Kooperation mit den Arztnotrufzentralen, Leitstellen und Fahrdiensten. Zur Koordinierung der Notfallversorgung müssen eindeutige, für die Patienten erkennbare Strukturen vorgehalten werden, wobei in Bayern die Kassenärztliche Vereinigung gerade dabei ist, ein entsprechendes Konzept umzusetzen. Hierbei werden die Bereitschaftsdienstzonen und -gruppen deutlich vergrößert, um die Versorgung der Patienten in den sprechstundenfreien Zeiten durch einen Fahr- und einen Sitzdienst sicherstellen zu können. Hierbei ist es wichtig, dass mobilen Patienten eine von Vertragsärzten vorgehaltene Bereitschaftspraxis zur Verfügung steht, die unmittelbar an einer Klinik angesiedelt ist. Hier wird nicht nur eine Triage durchgeführt, sondern die Notfallversorgung unmittelbar erbracht; sollte aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes eine stationäre Behandlung erforderlich sein, wird der Patient unmittelbar an die Notaufnahme vor Ort weitergeleitet. Neben der Zuweisung durch die Bereitschafspraxis ist die Notaufnahme für die über den Rettungs- und Notarztdienst eingewiesenen Patienten zuständig. Dies stellt eine „Win-win-Situation“ für alle dar, da die Patienten dort betreut werden, wo das Krankheitsbild dies erfordert, die Notaufnahmen werden deutlich entlastet und die ambulante Versorgung effizient durch die Vertragsärzte sichergestellt. Die immobilen Patienten werden weiterhin durch einen Besuchsdienst versorgt, der GPS-geleitet effizienter durchgeführt werden kann, sodass hier größere Regionen abgedeckt werden können. Entscheidend ist, dass unsere Patienten über diese Strukturen entsprechend informiert werden, beispielsweise durch Informations- und Aufklärungskampagnen über die Benutzung von Notfalleinrichtungen sowie über die neuen sektorenübergreifenden Versorgungsangebote. Auf die bundesweit einheitliche Bereitschaftsdienstnummer 116117 muss verstärkt hingewiesen werden.

Die Entwicklung ist symptomatisch für den Modernisierungs- und Reformbedarf im gesamten Gesundheitswesen. In kaum einem anderen Bereich zeigt sich so deutlich, welche Relevanz die Etablierung einer gut abgestimmten, sektorenübergreifend ausgerichteten Kooperation aller Akteure künftig haben wird. Nur mit einer ausgeprägteren Teamorientierung und der Integration zwischen den ärztlichen, therapeutischen und pflegerischen Leistungen können wir die künftigen Herausforderungen in der Patientenversorgung gemeinsam bewältigen.

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