Digitaler grüner Pass?

Dr. med. Gerald Quitterer

Wenn Sie diese Zeilen der Mai-Ausgabe des „Bayerischen Ärzteblatts“ lesen, wird der 124. Deutsche Ärztetag bereits vorüber sein. Erstmals in seiner Geschichte findet die Vollversammlung als Online-Veranstaltung statt. Obgleich virtuell, handelt es sich dabei um die erste große Zusammenkunft der verfassten Ärzteschaft seit Ausbruch der Corona-Pandemie in Deutschland. Voraussichtlich werden natürlich die Erfahrungen aus der Corona­Pandemie ausgetauscht und anhand dieser Kriterien und Reformvorschläge für ein krisen- und zukunftsfestes Gesundheitssystem in Deutschland beraten. Außerdem wird sich das Plenum mit den Konsequenzen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum § 217 des Strafgesetzbuchs befassen.

Reihenfolge

Derzeit ist das Impfen gegen COVID-19 natürlich Top-Thema. Wir diskutieren die Priorisierungen, Reihenfolgen von Alters- und Berufsgruppen oder Erkrankten, die Verwendung von Impfstoffen. Ich denke, wir sind an einem Zeitpunkt angelangt, an dem Impfwillige geimpft und nicht nach Hause geschickt werden sollten, weil die Priorisierungsgruppe vorher noch nicht völlig durchgeimpft worden ist. Und was für einen Impfstoff gilt, muss auch für alle anderen gelten. Zudem sollten auch Kinder und Jugendliche bei den Impfungen berücksichtigt werden, weil sich durch eine rasche Durchimpfung auch dieser Altersgruppen ein Sistieren der Pandemie erreichen lässt. Unser Ziel muss sein, eine zuverlässige, kontinuierliche, ausreichende und planbare Belieferung der Fach- und Hausarztpraxen mit allen zugelassenen Corona-Impfstoffen zu gewährleisten. Zudem ist es jetzt notwendig, zügig die Betriebs- und Privatärzte in die Impfstrategie einzubinden. Die Liefermengen, die durch die Praxen bestellt werden, müssen zur Verfügung stehen. Korrekturbedürftig ist hierbei meines Erachtens die bisherige Regelung, dass der Impfstoff bis zur Kapazitätsgrenze an die Impfzentren ausgeliefert wird und lediglich der darüber hinausgehende Rest an die Arztpraxen.

Impfnachweis

Auch nach über einem Jahr Pandemie und nach mehr als hundert Tagen Impfkampagne hat uns Corona noch fest im Griff. In vielen Fällen ist noch immer eine wichtige Frage bei ihrer Bekämpfung unklar: Wo finden viele Ansteckungen tatsächlich statt – zu Hause, in Bus und Bahn, in Geschäften, in Kitas und Schulen oder im Betrieb? Und natürlich fragen sich viele in diesem Frühjahr: Wann sind Reisen endlich wieder erlaubt und möglich? Dieses Thema rief auch die EU-Kommission auf den Plan. Das Recht der EU-Bürgerinnen und -Bürger, sich innerhalb der EU frei zu bewegen und aufzuhalten, ist eine der wertvollsten Errungenschaften der EU und eine wichtige Antriebskraft für ihre Wirtschaft. Daher wurde am 17. März ein Vorschlag über eine „Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung inter­operabler Zertifikate zur Bescheinigung von Impfungen, Tests und der Genesung mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie (digitaler grüner Pass)“, herausgegeben.

Dokumentation

Es erfüllt mich jedoch mit Sorge, dass bis heute keine konkreten Ausführungen bezüglich der Ausstellung dieses digitalen grünen Passes existieren. Nach Medienberichten soll spätestens Ende Juni der digitale Corona-Impfnachweis bereitstehen, aus Kreisen der Entwickler seien erste Details bekannt geworden. Das Bundesgesundheitsministerium betonte, dass der digitale Impfnachweis nicht die medizinische Dokumentation im Impfpass ersetzen solle. Die digitale Ergänzung sei vielmehr mit Blick auf die inner­europäische Mobilität dazu gedacht, den Impfstatus leichter nachzuweisen. Die Ausstellung des digitalen Impfnachweises soll in den Arztpraxen und Impfzentren auf Wunsch der Patientinnen und Patienten erfolgen. Es ist zu befürchten, dass hier etwas auf uns Ärztinnen und Ärzte zurollt, wenn wir mit dem digitalen Impfpass zu „Reisedokument-Ausstellern“ werden.

Dieser digitale europäische Immunitätsausweis muss für alle Bürgerinnen und Bürger barrierefrei ausgestaltet sein. Die Einführung und Umsetzung des Immunitätsnachweises darf keinesfalls mit zusätzlichem bürokratischen Aufwand für die Fach- und Hausarztpraxen verbunden sein und muss daher komplett unabhängig von der ambulanten Versorgung über die Praxissoftware ausgestaltet werden. Wenn nötig, sind hier die Anbieter der Praxisverwaltungssysteme in die Pflicht zu nehmen, entsprechende Softwarelösungen anzubieten. Ist das nicht der Fall, kann jederzeit der gelbe internationale Impfausweis das von uns bisher verwendete gültige Dokument bleiben.

AutorDr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK

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