Der Klimawandel bedroht die Gesundheit der Menschen im Freistaat

Dr. Gerald Quitterer

Zahllose Klimaberichte der vergangenen Jahre zeigen, dass die Erde gerade auf eine anthropogen verursachte Heißzeit zusteuert. Die Konsequenzen für Mitteleuropa: Extreme Wetterereignisse wie Hitzewellen werden immer häufiger. Doch welche Auswirkungen hat der Klimawandel auf die Gesundheit der Menschen? Und wie könnte sich durch die Erd-erhitzung die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten verändern? Um diese und weitere Fragen zu klären, veranstaltete die Bayerische Landesärztekammer (BLÄK) Mitte Juni ein zweitägiges Online-Seminar zum Thema „Klimawandel und Gesundheit“. Die BLÄK konnte für die Veranstaltung Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Fachbereichen gewinnen, die den Teilnehmenden den aktuellen Forschungsstand vorstellten.

Unter anderem referierten Professorin Dr. Annette Peters, Direktorin des Instituts für Epidemiologie am Helmholtz Zentrum München, Professorin Dr. Caroline Herr, Präsidentin der Gesellschaft für Hygiene, Umweltmedizin und Präventivmedizin, Dr. Caroline Quartucci, Fachärztin für Arbeitsmedizin in der poliklinischen Ambulanz, Allergologie, Reisemedizin, des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München und Professorin Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Direktorin des Instituts für Umweltmedizin am Helmholtz Zentrum München. Auch Dr. Günter Fröschl, Facharzt für Innere Medizin, Infektiologie und Tropenmedizin in der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am Klinikum der LMU, Professorin Dr. Elke Hertig, Inhaberin der Professur für „Regionalen Klimawandel und Gesundheit“ an der Universität Augsburg und Dr. Ralph Krolewski, Facharzt für Allgemeinmedizin und Sprecher der „Arbeitsgemeinschaft Klimawandel und Gesundheit“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin, hielten kurzweilige Vorträge. Moderiert wurde die Veranstaltung von Dr. Stephan Böse-O‘Reilly, Leiter der „Arbeitsgemeinschaft Globale Umweltmedizin“ am Klinikum der LMU und Traidl-Hoffmann.

Eingeleitet wurde das Seminar von Dr. Gerald Quitterer, Präsident der BLÄK. Bayerns Ärztechef betonte nachdrücklich die zunehmende Bedeutung des Klimawandels für die Humanmedizin. Ziel der BLÄK sei deshalb, alle Fachbereiche auf Klimawandel-spezifische Erkrankungsbilder vorzubereiten. Das Seminar solle den Teilnehmern das notwendige Rüstzeug in die Hand geben, um die eigenen Patientinnen und Patienten noch besser über Möglichkeiten zur Prävention klimabedingter Erkrankungen aufzuklären, sagte der Präsident.

Mehr als vier Grad globale Erwärmung bis zum Jahr 2100?

Peters erklärte anschließend die Ursachen des Klimawandels und stellte verschiedene Szenarien der zukünftigen Klimaentwicklung vor. Hauptgrund für den Klimawandel sei die vom Menschen seit der Industrialisierung verursachte ständige Zunahme der atmosphärischen Konzentrationen von Treibhausgasen wie CO2, unter anderem durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe wie Kohle oder Erdöl. Doch warum führt der Anstieg der Dichte dieser Gase zu einer Erderhitzung? Treibhausgase ließen kurzwellige Sonnenstrahlung zum großen Teil passieren, absorbierten jedoch langwellige Wärmestrahlung, so Peters. Dadurch erwärme sich die Erde. Die Konsequenz der erhöhten Treibhausgaskonzentration: Bereits heute stellten Wissenschaftler laut Peters einen Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur von ca. einem Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Niveau fest. Wenn die Menschheit weiter ungebremst Treibhausgase emittiere, könnte die globale Erwärmung bis zum Ende des 21. Jahrhunderts mehr als vier Grad betragen. Die Folgen: Für Deutschland spielten durch den Klimawandel künftig Extremwetterereignisse wie Hitzewellen, Überflutungen und Dürren eine immer größere Rolle.

Doch sollte das 2016 in Kraft getretene Abkommen von Paris, das inzwischen von den meisten Staaten der Welt ratifiziert wurde, ein solches Szenario nicht verhindern? Die Übereinkunft gibt das Ziel vor, den Anstieg der weltweiten Durchschnittstemperatur auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen und damit die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern. Peters zeigte sich skeptisch. Setze sich der bisherige Erwärmungstrend fort, so könnte die 1,5-Grad-Grenze bereits in einem Jahrzehnt überschritten sein, erläuterte die Direktorin.

Hitzewellen – eine Gefahr für Säuglinge und Senioren

Wie Hitzewellen die Gesundheit von Patienten negativ beeinflussen können, erklärte anschließend Herr. Grundsätzlich nehme die Wahrscheinlichkeit von mehrtägigen Perioden mit ungewöhnlich hoher thermischer Belastung bereits seit Jahrzehnten zu. Dieser Trend werde sich künftig fortsetzen. Das Bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz prognostiziere etwa, dass sich die Zahl der jährlichen Sommertage über 25 Grad Celsius allein zwischen 2021 und 2050 um neun erhöhen werde. Ebenfalls sei bis 2050 mit durchschnittlich zwei weiteren „heißen Tagen“ über 30 Grad Celsius pro Jahr zu rechnen. Doch warum sind häufiger auftretende Hitzewellen bedrohlich für die menschliche Gesundheit? Zum einen, da Hitze zu erhöhten Ozonkonzentrationen führen könne, die die Atemwege beeinträchtigten, erläuterte die Professorin. Zum anderen, da hohe Temperaturen eine Belastung für das Herz-Kreislauf-System darstellten. Auch steige das Risiko kardiovaskulärer und zerebrovaskulärer Erkrankungen sowie von Nierenschäden – etwa aufgrund von Störungen im Wasser- und Elektrolythaushalt. Besonders gefährlich seien Hitzewellen für Säuglinge, ältere Menschen, Personen mit chronischen Herz-, Atemwegs-, und Nierenerkrankungen sowie für körperlich schwer arbeitende Berufsgruppen mit direkter Sonnenlichtexposition.

Doch wie kann man sich effektiv vor Hitzewellen schützen, beispielsweise während der Arbeitszeit? Möglich sei eine Lockerung strenger Bekleidungsregeln am Tätigkeitsort, sagten Quartucci und Böse-O‘Reilly. So sollten Arbeitgeber ihre Angestellten bei einer Überschreitung der Raumtemperatur von 30 Grad Celsius anweisen, auf warme Kleidung wie Anzüge zu verzichten. Auch eine Verlagerung von Arbeitszeiten in die frühen Morgenstunden sowie in den Abend sei dann ratsam. Mittags könnte dagegen eine Art „Siesta“, also eine deutlich verlängerte Ruhepause, zur Verringerung von Hitzestress beitragen. Sinnvoll sei auch, primär in den kühleren Morgenstunden zu lüften und Jalousien auch nach der Arbeitszeit geschlossen zu halten. Ebenso könne eine regelmäßige und ausreichende Flüssigkeitsaufnahme dazu beitragen, Menschen vor den gesundheitlichen Folgen von Hitze zu bewahren.

Die Klimaerwärmung – eine Hiobsbotschaft für Pollen-Allergiker?

Problematisch wirke sich die Klimaerwärmung insbesondere auf Patienten mit allergischen oder asthmatischen Erkrankungen aus, konstatierte Traidl-Hoffmann. Denn aufgrund höherer Temperaturen beginne die Pollenflugzeit früher und ende später. So starte die Pollensaison der Birken in Deutschland im Schnitt zwei bis drei Wochen eher als vor 20 Jahren, jene der Gräser zehn Tage rascher als im Jahr 2000. Dieser Trend werde sich in den kommenden Jahren weiter verstärken. Doch das ist nicht die einzige Hiobsbotschaft für Allergiker. Denn Studien hätten gezeigt, dass die ansteigende CO2-Konzentration auch die Zusammensetzung von Pollen verändere und deren Aggressivität erhöhe, so die Professorin: „Pollen, die hohen CO2-Werten ausgesetzt sind, können bei Allergikern etwa eine verstärkte Entzündung der Lunge verursachen.“ Aber auch Menschen ohne Allergien sehen sich laut Traidl-Hoffmann zunehmend Unbill ausgesetzt. „Untersuchungen zeigen, dass während einer Pollensaison innerhalb der Gesamtbevölkerung vermehrt rhinovirale Infektionen auftreten, da Pollen die antivirale Immunantwort hemmen.“ Auch in der Corona-Pandemie habe sich dies bestätigt: An Orten mit stärkerer Pollenkonzentration seien etwa ­höhere SARS-CoV-2-Infektionsraten aufgetreten als anderswo. Doch welche Möglichkeiten gibt es, dem Pollenflug zu entgehen? Traidl-Hoffmann empfiehlt besonders betroffenen Allergikern eine Kur im Gebirge: „In hohen Lagen sehen wir weniger Pollen. Manchmal kann dies Patienten innerhalb weniger Stunden helfen.“

Deutschland steht Vektoren-Plage bevor

Auch an einer anderen Front droht durch den Klimawandel Ungemach. Denn steigende Temperaturen und zunehmende Feuchtigkeit verbesserten laut Fröschl und Hertig die Lebensbedingungen zahlreicher Vektoren-Tiere. Dies könne letztendlich zu einer Habitatsvergrößerung führen. So begünstige die Klimaerwärmung beispielsweise eine immer stärkere Verbreitung von Zecken in der Bundesrepublik, die gefährliche Krankheiten wie Frühsommer-Meningoenzephalitis oder Borreliose übertragen. Interessant sei in diesem Zusammenhang auch, dass sich etwa die Wirtspräferenz der Hundezecke bei steigenden Temperaturen ändere, erläuterte Fröschl: „Dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie vom Hund auf den Menschen springen.“ Aber könnten durch die Erderhitzung in Zukunft auch neuartige oder bisher als exotisch angesehene Vektoren im Freistaat Fuß fassen? Fröschl bestätigte dies. So habe sich „aedes albopictus“, die asiatische Tigermücke, in den vergangenen Jahren stark in Südeuropa und sogar in einzelnen Regionen Deutschlands verbreitet. Es sei abzusehen, dass sich die Art langfristig in großen Teilen der Bundesrepublik etabliere. Der Vektor kann beispielsweise Krankheiten wie das Chikungunya-Fieber, das Dengue-Fieber oder das Zika-Virus übertragen. Laut Hertig sei sogar möglich, dass die Anopheles-Mücke, deren Stich zu Malaria führen kann, im Laufe des Jahrhunderts in Mitteleuropa wieder heimisch werde: „Auch Anopheles-Mücken sind temperatursensitiv. Der Klimawandel begünstigt das Auftreten dieses Vektors.“

Klimawandel und die Rolle des Arztes

Andere Konsequenzen des Klimawandels wurden im Rahmen des Seminars ebenfalls vorgestellt. So werde die Zahl von Extremwetterereignissen wie etwa Überflutungen in der Bundesrepublik zunehmen. Diese Vorfälle seien für die betroffenen Menschen, insbesondere Kinder, oftmals eine hohe psychische Belastung und könnten zu Folgeerkrankungen wie etwa einer posttraumatischen Belastungsstörung führen. Außerdem wurden gesundheitliche Gefahren durch veränderte Luftschadstoffe sowie durch eine wärmebedingte Ausbreitung von Parasiten in Badeseen thematisiert. Wie die Rolle des Arztes sich durch den Klimawandel weiterentwickelt und wie eine „Klimasprechstunde“ ausgestaltet sein sollte, diskutierten die Fortbildungsteilnehmer mit Krolewski. Entscheidend sei, etwa bei psychischen Beschwerden, Stoffwechsel- und Herz-Kreislauferkrankungen stets die Möglichkeit eines umwelt- beziehungsweise klimabedingten Beschwerdebilds einzubeziehen. Sollte sich dies nach Anamnese und Untersuchung bestätigen, sei es ratsam, nach der Diagnosestellung ein motivierendes Gespräch mit dem jeweiligen Patienten zu führen, welches über den Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit aufkläre und Lebensstilveränderungen anrege. Beispielsweise könne der behandelnde Arzt seinen Patienten eine klima- und gesundheitsschonende fleischarme Ernährung empfehlen, so Krolewski.

Florian Wagle (BLÄK)

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