Terror, Amoklauf und die ärztliche Schweigepflicht

Dr. Max Kaplan, Präsident der BLÄK

Die bislang bekannt gewordenen Hintergründe der schrecklichen Bluttaten von Würzburg, München und Ansbach dürfen nicht zu vorschnellen rechtlichen Entscheidungen verleiten, wie etwa einer möglichen Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht. Die ärztliche Schweigepflicht ist ebenso wie das Selbstbestimmungsrecht über höchstpersönliche Daten ein hohes Gut und für alle Bürgerinnen und Bürger in Deutschland ein Menschenrecht. Nach dem Berufsrecht der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK) haben Ärztinnen und Ärzte über das, was ihnen in ihrer Eigenschaft als Arzt anvertraut oder bekannt geworden ist – auch über den Tod des Patienten hinaus – zu schweigen (§ 9 Berufsordnung für die Ärzte Bayerns). Gemäß § 203 Strafgesetzbuch (StGB) können Ärzte sogar zu Freiheitsstrafen verurteilt werden, wenn sie ihre Schweigepflicht verletzen. Ärzte dürfen jedoch Auskunft geben, wenn sie von der Schweigepflicht entbunden worden sind oder soweit die Offenbarung zum Schutz eines „höherwertigen Rechtsgutes“ erforderlich ist. Wann dies den Bruch der Schweigepflicht rechtfertigt, kann nur aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls unter Zugrundelegung der Vorschrift des § 34 StGB über den „rechtfertigenden Notstand“ entschieden werden. Wir können aber davon ausgehen, dass das Interesse an der Abwehr konkreter „Gefahren für Leib, Leben oder Gesundheit“ höherwertig gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse des Patienten ist. Allerdings ist ein Arzt auch insoweit erst dann zur Offenbarung von Informationen berechtigt, wenn er ganz konkrete Anhaltspunkte hat, dass der Patient eine entsprechende Gefahrensituation herbeiführen wird. Erforderlich ist in beiden Fällen jedoch, dass der Arzt vorher auf den Patienten ohne Erfolg eingewirkt hat, um ihn von der Herbeiführung der Gefahrensituation abzuhalten. Hier ist auch die Voraussetzung für die Straflosigkeit der „Nichtanzeige geplanter Straftaten“ (§ 139 StGB) zu erwähnen. Demnach ist ein Arzt unter ganz bestimmten Voraussetzungen nicht verpflichtet anzuzeigen, was ihm in dieser Eigenschaft anvertraut worden ist. Mit diesem „Privileg“ ist natürlich eine große Verantwortung verbunden, diese zu tragen ist aber nun mal eine ärztliche Aufgabe.

Rechtsgüterabwägung

Die Frage, ob nicht jemand, der sich intensiv und professionell mit der Psyche eines späteren Täters befasst hat, das Unglück vorhersehen und verhindern hätte können, beschäftigt derzeit unsere Gesellschaft; sie darf aber nicht auf dem Umweg über die ärztliche Schweigepflicht beantwortet werden. Dem Bruch der ärztlichen Schweigepflicht geht eine schwierige, situationsbezogene Rechtsgüterabwägung voraus. Die ärztliche Schweigepflicht ist die Voraussetzung dafür, dass Menschen, die an psychischen Störungen leiden, einen Arzt aufsuchen, weil sie sich nicht vor Stigmatisierungen oder Anzeigen fürchten müssen. Kann sich der Patient nicht mehr sicher sein, wird er eine ärztliche Behandlung umgehen oder wesentliche Informationen für die Diagnosestellung dem Arzt vorenthalten. Damit ist niemandem geholfen – weder dem Patienten noch unserer Bevölkerung.

Prävention

Amokläufer weisen kein typisches Persönlichkeitsprofil auf und planen ihre Taten meist langfristig, wobei die Täter in ihrem sozialen Umfeld häufig Spuren hinterlassen, auch wenn diese in Familie, Schule, Arbeit und Arztpraxis womöglich erst zu spät erkannt bzw. falsch interpretiert werden. Hier gilt es einzuhaken: Das soziale Umfeld, das gesamte Netzwerk an Bezugspersonen in Schule und Beruf sind hier gefordert, aufmerksam zu sein. Gerade in den Sektoren Soziales, Bildung und Gesundheit müssen wir für mehr Information und Aufklärung sorgen. Das betrifft die schulpsychologische Versorgung ebenso wie die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung von Flüchtlingen in ihren Einrichtungen. Es gibt Leitlinien und es gibt Risikofaktoren, wie Zurückgezogenheit, aggressive Bemerkungen, abgebrochene Freundschaften und vieles mehr. Wir Ärztinnen und Ärzte sind Schlüsselpersonen, um Anzeichen für Gewalt zu erkennen und zu diagnostizieren. Damit haben wir die Chance, frühzeitig für die betroffenen Patienten, geeignete Interventionen und notwendige Therapien einzuleiten bzw. diese vorzunehmen. Die Prävention beginnt auch hier, wie überall, möglichst früh. Bereits der Entsozialisierung unserer Kinder durch das Verharren am Smartphone und am Laptop in der virtuellen Welt, verbunden mit zum Teil gewaltverherrlichenden Computerspielen müssen wir durch tradierte Kommunikation und dem Aufbau eines sozialen Netzwerkes begegnen. Die reale Welt muss die virtuelle wieder als solche erscheinen lassen.

Auch die Berichterstattung quasi in Echtzeit in den sozialen Medien ist problematisch, so nachvollziehbar das drängende Bedürfnis der Menschen danach ist, birgt es leider auch das Risiko, Nachahmungstaten zu fördern und zudem die Fahndungs- und Ermittlungsarbeit der Polizei zu konterkarieren.

In der Debatte über Sicherheit im öffentlichen Raum geht es prinzipiell um die Balance zwischen Sicherheit und Freiheit. Deshalb keine Überreaktion! Eine Erhöhung der Sicherheitsmaßnahmen ist sicherlich wichtig, doch auch hier muss die Verhältnismäßigkeit stimmen. Mindestens so wichtig wie das Sicherheitskonzept, ist ein Konzept, wie wir in den verschiedenen Lebenswelten wieder unsere Werte leben: Wertschätzung, Rücksichtnahme und Respektierung des Einzelnen aber auch ein Leben in gegenseitiger Verantwortung. Dies gilt in gewisser Weise auch für die ärztliche Praxis, wo Vertrauen und Verantwortung nahe beieinander liegen. Maßnahmen, wie die Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht oder eine undifferenzierte Meldepflicht würden letztendlich einer effektiven Prävention und Therapie entgegenwirken. Die bestehenden gesetzlichen Regelungen sind für uns Ärztinnen und Ärzte voll ausreichend.

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