S3-Leitlinie Prostatakarzinom

S3-Leitlinie Prostatakarzinom

Die S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom findet viel Beachtung und wird kontrovers diskutiert. Das liegt aber nicht alleine daran, dass es sich beim Prostatakarzinom um den häufigsten bösartigen Tumor des Mannes handelt, sondern auch an zwei Besonderheiten, welche die Leitlinie – und ihren Einsatz in der Patientenversorgung – prägen. Zum einen gibt es viele kontrovers diskutierte Aspekte, von Sinn oder Unsinn einer Vorsorge, über die beste Art der Therapie lokalisierter Erkrankungen bis zur effektivsten Sequenz medikamentöser Therapieoptionen in metastasierten Stadien. Zum anderen behandeln mehrere Fachgruppen dieses Malignom mit der Schwierigkeit der fachlichen Abgrenzung. So wird diskutiert, ob das Screening zur hausärztlichen Betreuung gehört oder in die fachurologische Niederlassung; ob die Strahlentherapie oder die operative Urologie die beste Therapieoption nicht-metastasierter Stadien darstellt sowie ob die medikamentöse Therapie metastasierter Stadien in die Hände des internistischen Onkologen oder des Urologen mit der Zusatzbezeichnung „Medikamentöse Tumortherapie“ gehört. Die Zentrumsbildung und die entsprechenden Vorgaben der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) für eine Zertifizierung als Prostatakarzinomzentrum im Rahmen eines Onkologischen Zentrums zwingen aber zunehmend zur strukturierten Zusammenarbeit; ebenso die Einführung der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) für das Prostatakarzinom, die voraussichtlich Anfang des Jahres 2018 vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) kommen wird. Vor diesem Hintergrund wird eine transparente Bewertung der Behandlung immer wichtiger, die sich in der S3-Leitlinie Prostatakarzinom findet.

Sind die Leitlinien aktuell? Und wer gibt sie heraus?

Die aktuelle Version der S3-Leitlinie stammt vom Dezember 2016 und wird im Rahmen des Leitlinienprogramms Onkologie regelmäßig aktualisiert. Sie wird herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V. (AWMF), der Deutschen Krebsgesellschaft e. V. (DKG) und der Deutschen Krebshilfe (DKH). Die federführende Fachgesellschaft ist die Deutsche Gesellschaft für Urologie, es sind aber 17 weitere Organisationen miteinbezogen, so auch die Deutsche Gesellschaft für Radioonkologie (DEGRO), die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO) sowie die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM). Für Aktualität wie auch Transparenz der Empfehlungen ist im Rahmen des Leitlinienprogramms gesorgt.

Was muss ich zu Epidemiologie und Risikofaktoren wissen?

Das Prostatakarzinom ist bereits aufgrund seiner Häufigkeit für alle Ärzte von großem Belang. Es ist mit etwa 25 Prozent aller Krebserkrankungen der häufigste Tumor des Mannes; in Deutschland werden etwa 60.000 Männer jährlich mit dieser Diagnose konfrontiert und das mittlere Alter bei Diagnosestellung beträgt knapp 70 Jahre. Obwohl die Mehrzahl der Patienten in frühen Tumorstadien diagnostiziert werden und wenige Patienten mit dieser Diagnose auch daran sterben, ist das Prostatakarzinom aufgrund seiner schieren Häufigkeit doch die siebthäufigste Todesursache und trifft jährlich etwa 12.000 Männer. Die Inzidenz nimmt weiter zu; so wird die Zahl der Männer über 60 im Jahr 2050 etwa doppelt so hoch sein wie heute. Weiterhin erhöht sich die Prävalenz auch aufgrund immer besserer Überlebensraten auch fortgeschrittener Tumorstadien.

Etwas frech formuliert könnte man zu Risikofaktoren sagen: „Jeder Mann bekommt ein Prostatakarzinom – er muss nur alt genug werden.“ Denn der wichtigste Faktor für eine Diagnose ist das Alter. Der zweitwichtigste ist die Familienanamnese; so ist das Risiko für Verwandte ersten Grades von Prostatakarzinompatienten in etwa verdoppelt. In Familien mit jungem Erkrankungsalter steigt es weiter an. Global gesehen tragen Afroamerikaner das größte und Asiaten das geringste Risiko; innerhalb Europas besteht ein größeres Risiko bei Männern aus nordischen Ländern gegenüber Südländern. Insgesamt ist allerdings keine klare Genetik etabliert, die für eine dezidierte Beratung in der Breite geeignet wäre.

Auch für die Ernährung oder den Tabak- oder Alkoholmissbrauch besteht keine eindeutige Datenlage. Eine Vasektomie scheint keinen Einfluss auf die Entstehung zu haben. Die Pathogenese ist eindeutig testosteronabhängig, das heißt ohne den für das Prostatakarzinom zentralen Wachstumsfaktor Testosteron würde ein Prostatakarzinom nicht entstehen, wie man aus Grundlagenstudien und klinischer Beobachtung bei Kastraten weiß. Aber der Testosteronspiegel im Serum erlaubt keine verwertbaren Rückschlüsse auf das Risiko und eine Substitution bei Hypogonadismus erhöht dieses ebenfalls nicht. Eine Medikation mit 5-alpha-Reduktasehemmern hat ebenfalls keinen klinisch verwertbaren Einfluss; Studien zum prophylaktischen Einsatz dieser Blockade des Metabolismus von Testosteron zu Dihydrotestosteron ergaben keinen signifikanten Vorteil [4].

Soll ich eine Früherkennung unterstützen? Und wenn ja, wie?

Hier sind wir schon bei der vielleicht größten Kontroverse. Einer der bekanntesten Kritiker der urologischen Tumortherapie, Professor Dr. Julius Hackethal, hatte nämlich dahingehend recht, dass bei den meisten Patienten ein Prostatakarzinom diagnostiziert wird, das ihnen keine Lebenszeit oder Lebensqualität wegnehmen würde, wenn man es nie entdeckt hätte. Aber für viele Patienten trifft dies eben nicht zu; in der Summe können nämlich viele Patienten vor einem zum Tode führenden Prostatakarzinom bewahrt werden. Es gilt also, die Männer zu selektieren, die von einer Früherkennung profitieren. Und das hängt insbesonders von der individuellen Lebenserwartung ab. Auch wenn die Datenlage heterogen und nicht einfach abschließend zu bewerten ist, beschreiben Screeningstudien einen Überlebensvorteil mit zunehmendem Nachbeobachtungszeitraum. So wurde in einer Kohorte nach 14 Jahren die prostatakrebsspezifische Sterblichkeit von 0,9 Prozent in der Kontrollgruppe auf 0,5 Prozent in der Screeninggruppe gesenkt. Und so empfiehlt die S3-Leitlinie, Männer ab dem 45. Lebensjahr und mit einer mutmaßlichen Lebenserwartung von mehr als zehn Jahren über die Früherkennung zu informieren und Männer mit erhöhtem Risiko schon fünf Jahre früher (Grad A); hier sind also in erster Linie erstgradige Verwandte von Prostatakarzinompatienten gemeint, obwohl die Leitlinie hier bewusst aufgrund der unklaren Datenlage auf eine Definition von Risikogruppen verzichtet. Screening ist aufgrund einer möglichen Übertherapie kritisch zu sehen. Man kann aus den großen randomisierten Screeningstudien grob ableiten, dass etwa von 35 zum Screening eingeladene Männer einer überbehandelt wird (95 Prozent Konfidenzintervall: 33 bis 38 Männer) und jeder zweite durch Screening entdeckte Tumor unnötig behandelt wird. Das Thema ist eine große Herausforderung und so fasst es die Leitlinie zusammen: „Der Patient soll durch die umfassende Aufklärung befähigt werden, selbst zu entscheiden, ob er eine PSA-Wertbestimmung wünscht. Die Aufklärung soll dem individuellen Informationsbedürfnis und -verständnis gemäß erfolgen.“ (Tabelle 1).


Tabelle 1: Empfehlungen zur Früherkennung des Prostatakarzinoms.

Während aber die Leitlinie eine Grad-A-Empfehlung ausspricht, Männer über die Möglichkeit der Früherkennung zu informieren, gibt es ein Sondervotum der DEGAM, dies nicht proaktiv zu tun, sondern nur Männer mit dem geäußerten Wunsch nach einer Früherkennungsuntersuchung über Vor- und Nachteile zu informieren – Grad A. Die DEGAM verweist hier auf den Unterschied zur urologischen Praxis, die von vielen Männern mit dem Wunsch nach einer Krebsfrüherkennung aufgesucht würde, während heterogene Gründe in eine Hausarztpraxis führten. So empfiehlt die
DEGAM, Männer nicht proaktiv, sondern im Rahmen der Gesundheitsuntersuchung zu fragen, ob sie Interesse an Krebsfrüherkennung hätten.

Eine Früherkennung ist nur mit der Bestimmung des prostataspezifischen Antigens (PSA) im Serum sinnvoll, die allerdings eine Individuelle Gesundheitsleistung darstellt (Grad A). Eine digital-rektale Untersuchung, die von den gesetzlichen Krankenversicherern übernommen wird, ist nur zusätzlich empfohlen (Grad B). Die Frequenz der weiteren Früherkennung soll gemäß Tabelle 2 nach der Höhe des PSA-Werts gesteuert werden (Grad B).


Tabelle 2: Empfehlungen zu Intervallen der Früherkennungsuntersuchung.

Wie gehe ich dem Verdacht auf ein Prostatakarzinom nach?

Wenn der Verdacht auf ein Prostatakarzinom besteht, soll eine digital-rektale Untersuchung durchgeführt werden (Grad A). Die Diagnose kann nur histologisch gestellt werden, also durch eine Prostata-Stanzbiopsie, oder selten durch die Aufarbeitung von Gewebe, das im Rahmen operativer Therapie bei Verdacht auf eine benigne Prostatahyperplasie entdeckt wird. Die Stanzbiopsie soll transrektal unter sonografischer Kontrolle und Antibiotikaschutz erfolgen (Grad A). Auch wenn die Leitlinie hier kein antibiotisches Schema empfiehlt, ist die Einmalgabe von 500 mg Ciprofloxacin am Morgen des Eingriffstages üblich und bewährt. Eine lokale Infiltration der Rektumschleimhaut reduziert die ohnehin relativ geringe Schmerzhaftigkeit. Es sollen in der Regel zehn bis zwölf Zylinder entnommen werden (Grad A). Diese sollen randomisiert entnommen werden, also auch ohne Hinweis auf eine spezielle Lokalisation über die gesamte Prostata verteilt werden (Grad A). Palpatorisch oder in der transrektalen Sonografie auffällige Areale können ergänzend gezielt biopsiert werden.

Eine weitere Bildgebung vor oder zur Biopsie wird nicht empfohlen. Eine computergestützte Sonografie (Histoscanning), bei der Bilder mit einem großen Datensatz im Hintergrund abgeglichen werden, soll laut Leitlinie ebenso wenig eingesetzt werden wie eine Elastografie, bei der die Härte des Gewebes in die Bildgebung einfließt (je Grad A). Neuerdings wird das PET-CT mit dem prostataspezifischen Membranantigen (PSMA) als Ligand diskutiert. Aber weder eine PSMA-PET-CT noch eine MRT soll zur Primär-diagnostik herangezogen werden. Allerdings kann Letzteres ergänzend nach einer Biopsie ohne Tumornachweis herangezogen werden, wenn der Verdacht naheliegt, ein Karzinom übersehen zu haben. Man kann auch während der Biopsie neben der transrektalen Sonografie eine MRT zur Orientierung heranziehen. Hierbei kann ein vorher angefertigter und in das Ultraschallgerät eingelesener MRT-Datensatz mit dem Sonografiebild live überlagert werden. Damit können im MRT auffällige Areale mit dem Ultraschall lokalisiert und gezielt biopsiert werden, wobei auch die randomisierte Biopsie durchgeführt werden muss. Diese sogenannte MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie kann nach der Leitlinie durchgeführt werden (Grad 0; Tabelle 3). Auch wenn die Leitlinie hierauf nicht eingeht, so ist es mittlerweile recht übliche Praxis, dass nach einer Biopsie der Prostata ohne Tumornachweis bei persistierendem Verdacht auf ein Prostatakarzinom in der zweiten Linie diese Technik verwandt wird.


Tabelle 3: Empfehlungen zur Anwendung der MRT in der Primärdiagnostik des Prostatakarzinoms.

Der Pathologe beschreibt mehrere histologische Parameter, von denen der sogenannte Gleason-Score (Tabelle 4) jedoch der wichtigste ist. Er bewertet die Architektur der Tumorverbände auf einer Skala von 1 bis 5 und addiert die beiden Hauptkomponenten; ein Gleason-Score < 6 wird in der Regel einem günstigen, von 7 einem mittleren und von 8 und größer einem ungünstigen Risikoprofil zugeordnet.


Tabelle 4: Der Gleason-Score setzt sich aus den beiden Graden von 1 bis 5 der beiden Hauptkomponenten zusammen. Der eigentliche Score errechnet sich durch Addition des häufigsten und des zweithäufigsten Drüsenmusters. Je höher der Score, desto lichtmikroskopisch entdifferenzierter ist das Karzinom.

Die Umfelddiagnostik im Sinne eines Stagings ist nur bei hinreichendem Verdacht auf fortgeschrittene Stadien bedeutsam und von der Höhe des PSA-Werts, dem Eindruck bei der digital-rektalen Palpation und dem Gleason-Score der Stanzbiopsie gesteuert. Ein CT oder MRT des Beckens ist nur bei einem Gleason-Score von ≥ 8 oder einem Palpationsbefund entsprechend cT3/4-Karzinom vor der Entscheidung über eine Therapie empfohlen (Grad B). Die meisten Metastasen sind ossär, weswegen eine Skelettszintigrafie bei einem PSA-Wert von > 10 ng/ml oder einem Gleason-Score ≥ 8 oder einem Palpationsbefund entsprechend cT3/4-Karzinom oder Knochenschmerzen empfohlen wird (Grad A). Eine PSMA-PET-CT spielt für das Staging laut Leitlinie noch keine Rolle außerhalb von Studien.

Man unterscheidet das lokal begrenzte vom lokal fortgeschrittenen Karzinom und meint damit cT2-Karzinome, die innerhalb der Prostata lokalisiert sind und die Kapsel nicht überschreiten, gegenüber cT3/4-Karzinome, die die Kapsel überschreiten und in die Samenblasen oder im Falle von cT4 Nachbarorgane befallen (Abbildung 1). Diese Unterscheidung lenkt auch die Therapieentscheidung.


Abbildung 1: TNM-Klassifizierung des Prostatakarzinoms.

Bei einem lokal begrenztem Karzinom kommen neben einer aktiven Therapie auch das Konzept einer aktiven Überwachung („Active Surveillance“) oder eines nur abwartenden Verhaltens und gegebenenfalls dann einer symptomorientierten Therapie („Watchful Waiting“) in Betracht. Darüber soll laut Leitlinie aufgeklärt werden (Grad EK; Tabelle 5). Bei der aktiven Überwachung wird regelmäßig überprüft, ob ein Progress der Erkrankung abzusehen ist, der eine Heilung bei aktiver Therapie nicht mehr möglich erscheinen lässt. In der Praxis wird die Diagnose ja in aller Regel bei Patienten gestellt, für die diese Diagnose aufgrund ihrer Lebenserwartung auch eine Konsequenz hat; von daher spielt das Konzept des „Watchful Waiting“ keine rechte Rolle, jedoch das der „Active Surveillance“, sobald aber die in Tabelle 6 genannten Kriterien erfüllt sind.


Tabelle 5: Grad Expertenkonsens


Tabelle 6: Empfehlungen zu Tumorparametern, die eine aktive Überwachung erlauben.

Die Frequenz der Kontrolluntersuchungen ist nicht eindeutig festgelegt; in der Regel erfolgen anfangs dreimonatliche PSA-Wertbestimmungen und nach einem Jahr eine erneute Biopsie. Sollte sich dann ein Progress zeigen, würde zu einer aktiven Therapie geraten werden, wenn es die Umstände des Patienten noch sinnvoll erscheinen lassen.

Die beiden etablierten kurativen Therapieverfahren sind einerseits die radikale Prostatektomie und andererseits die externe Strahlentherapie. Beide Verfahren sollen dem Patienten erläutert werden und idealerweise von beiden Fachdisziplinen (Grad B). In der Versorgungsrealität werden das Gros der Patienten in nach Vorgaben der DKG zertifizierten Prostatakarzinom-Zentren behandelt, von denen es in Bayern 17 gibt. Hier erfolgt eine pseudonymisierte Bewertung des Patienten in einem interdisziplinären Tumorboard, das dem Patienten eine Empfehlung ausspricht. Oft findet in den Praxen und Kliniken, die dieses ProstatakarzinomZentrum bilden, auch eine strukturierte Beratung durch Urologen und Strahlentherapeuten statt. Beide Therapieoptionen werden von der Leitlinie letztlich als gleichwertig angesehen – mit spezifischen Vor- und Nachteilen.

Die radikale Prostatektomie gilt als effektive Maßnahme und nach Leitlinie sollten Patienten darüber aufgeklärt werden, dass in einer prospektiv randomisierten Studie mit auf die Prostata beschränkten Tumorstadien cT1b bis cT2, einem PSA-Wert unter 50 ng/ml und einer Lebenserwartung von mindestens zehn Jahren, signifikant die Häufigkeit einer Progression, die prostatakarzinomspezifische Mortalität und die Gesamtmortalität gegenüber „Watchful Waiting“ gesenkt wurde (Grad A). Da die offene gegenüber der konventionell laparoskopischen und roboterassistierten laparoskopischen Prostatektomie gleichwertig erscheinen, empfiehlt die Leitlinie eine Durchführung an Zentren mit höherer Fallzahl und damit verbundener Expertise (Tabelle 7).


Tabelle 7: Empfehlungen zur Durchführung der radikalen Prostatektomie.

Die zweite etablierte Therapieform ist die perkutane 3D-konformale Strahlentherapie; hier empfehlen die Leitlinien eine Dosis von 74 bis 80 Gy bei einer Standardfraktionierung von üblicherweise etwa 2 Gy pro Sitzung (Grad A). Eine Hypofraktionierung kann bei Verwendung moderner Technik wie intensitätsmodulierter bzw. bildgeführter Strahlentherapie (IMRT bzw. image-guided IGRT) angeboten werden (Grad 0). Die Leitlinie stellt klar, dass ein Vorteil der Protonentherapie im Vergleich zur konventionellen Strahlentherapie nicht belegt ist und spricht dafür keinerlei Empfehlung aus.

Die Applikation von permanenten Strahlungsquellen in die Prostata, die sogenannte Low-Dose-Rate-Brachytherapie wird beim lokal begrenzten Prostatakarzinom aufgrund einer sehr heterogenen Datenlage weiterhin nicht empfohlen; es werden auch keine entsprechenden Studien durchgeführt. Als alternative Therapie werden die Kryotherapie erwähnt, die aber inadäquat erscheint (Grad A) und die Therapie mittels transrektal appliziertem hochintensiviertem fokussiertem Ultraschall (HIFU), die aber nur in Studien durchgeführt werden soll (Grad A). Diese gibt es jedoch vor allem für das Konzept der sogenannten fokalen Therapie, bei der auf dem Boden einer MRT-Diagnostik analog zur vorgenannten Fusionsbiopsie nur der Tumorherd behandelt wird. Dieser Ansatz wird mangels Daten von der Leitlinie nicht erörtert.

Für das lokal fortgeschrittene Karzinom kommen diese alternativen Verfahren nicht in Betracht, sondern die beiden etablierten kurativen Therapieverfahren, die radikale Prostatektomie und die externe Strahlentherapie. Wiederum sollen beide Verfahren dem Patienten erläutert werden (Grad A). Das Voranstehende über die radikale Prostatektomie gilt auch hier; dazu sollen Patienten über das erhöhte Risiko für positive Schnittränder und in der Folge gegebenenfalls ein Rezidiv aufgeklärt werden, was additive Maßnahmen nötig macht (Grad A). Ein Befall der Samenblasen (pT3b) und eine Kapselüberschreitung (pT3a) in Kombination mit positiven Absetzungsrändern triggern nämlich eine adjuvante Bestrahlung mit 60 bis 64 Gy (Grad A). Und bei Befall von Lymphknoten kann eine adjuvante antihormonelle Therapie angeboten werden (Grad 0).

Auch für die externe Strahlentherapie gilt das Voranstehende, eine Hypofraktionierung scheidet jedoch aus. Die sieht die Leitlinie beim Stadium cT3 die sogenannte High-Dose-Rate-Brachytherapie kombiniert mit perkutaner Bestrahlung als eine Therapieoption. Eine Strahlentherapie beim lokal fortgeschrittenen Karzinom soll eine antihormonelle Therapie für drei Jahre erhalten (Grad A).


Bild 1: Prostatabiopsie mit Hilfe eines Systems zur real-time Fusion von MRT und Ultraschall (MRT-Fusionsbiopsie; Koelis TM).

Wie sorge ich Patienten nach und was mache ich bei einem Rezidiv?

Die Nachsorge ist PSA-basiert (Grad A); hier ist dieser Laborwert auch eine Regelleistung der GKV. Daneben soll der Allgemeinzustand des Patienten bewertet werden; eine digital-rektale Untersuchung wird nicht allgemein empfohlen, da sich Rezidive hier erst spät abzeichnen. Eine Bildgebung soll nur bei Symptomen erfolgen (Grad A) oder wenn sich eine therapeutische Konsequenz ergibt. Die empfohlene Frequenz ist bei asymptomatischen Patienten innerhalb der ersten zwei Jahre vierteljährlich, im dritten und vierten Jahr halbjährlich und vom fünften Jahr an jährlich (Grad B). Die Nachsorge kann eingestellt werden, wenn die mutmaßliche Lebenserwartung entsprechend reduziert ist; dies regelt die Leitlinie aber nicht klar. Nach einer radikalen Prostatektomie soll der PSA-Wert unterhalb der Nachweisgrenze liegen, nach einer Strahlentherapie nicht um mehr als 2 ng/ml über den Nadir ansteigen.

Bei mindestens zwei Messungen eines dementsprechend erhöhten PSA-Werts besteht ein sogenanntes biochemisches Rezidiv, das ein lokales oder ein systemisches Geschehen widerspiegeln kann. Um eine Differenzierung vorzunehmen, betrachtet man in erster Linie die Zeit seit Therapie und die PSA-Verdopplungszeit, wobei eine kurze Zeit von weniger als drei Monaten jeweils auf ein systemisches Geschehen hinweist. Beim lokalen Rezidiv wird nach einer radikalen Prostatektomie eine Bestrahlung empfohlen, die immer noch ein kurativer Ansatz wäre und als adjuvante Bestrahlung analog zum direkt postoperativen Konzept erfolgt (Grad B); der PSA sollte zwar 0,2, aber noch nicht 0,5 ng/ml überschritten haben (Grad A). Nach lokalem Rezidiv nach Bestrahlung besteht keine aussichtsreiche Möglichkeit einer Therapie; die radikale Prostatektomie bietet nach Leitlinie schlechte funktionelle Ergebnisse. Eine Therapie mit hochintensiviertem fokalem Ultraschall, der Prostatagewebe abladiert (HIFU) wäre möglich, hätte aber experimentellen Charakter (Grad 0).

Beim systemischen PSA-Rezidiv ohne Nachweis einer Metastasierung in einer Staging-Diagnostik wird kein Vorteil für die Hormonablation gesehen. So schwierig das in der Patientenführung sein mag, legt die allerdings dürftige Datenlage nahe, vor einer Therapie auf eine etablierte Filialisierung zu warten.


Bild 2: Robotisch assistierte radikale Prostatektomie (Da-Vinci-Operationssystem).

Was kann ich einem metastasierten Patienten als Therapie anbieten?

Die Grundlage für die Therapie des metastasierten Prostatakarzinoms ist die antihormonelle Therapie, die 1941 von Charles Brenton Huggins erstmals beschrieben und mit dem Nobelpreis gewürdigt wurde. Sie soll allen Patienten angeboten werden (Grad A). Die zweite Grundlage ist die antimetabolische Chemotherapie mit Taxanen. Zu Beginn einer medikamentösen Therapie ist das Prostatakarzinom hormonsensitiv, später wird es refrektär. Bis vor kurzem war die Chemotherapie den hormonrefraktären Stadien vorbehalten, was sich aufgrund aktueller Studien etwas ändert. So empfiehlt die Leitlinie zur Androgendeprivation eine Chemotherapie bei allen Patienten in gutem Allgemeinzustand (ECOG bzw. Karnofsky-Index 0-1; Grad B). Die Chemotherapie mit Docetaxelgabe soll innerhalb von vier Monaten beginnen. In der Breite der Versorgung wird dieses Konzept von Urologen wie Hämato-Onkologen vermehrt angenommen, allerdings scheint es bei Patienten mit einer hohen und vor allem viszeralen Metastasenlast am effektivsten zu sein, sodass es sich hier vermehrt durchsetzt. Der Einsatz von Docetaxel ist hier aber off-label, was eine entsprechende Aufklärung des Patienten und Abklärung mit den Kostenträgern bedingt. Bei einem Abfall des PSA unter 4 ng/ml kann ein Sistieren der antihormonellen Therapie unter entsprechender Kontrolle und ein Wiederansetzen erwogen werden, die sogenannte intermittierende Hormontherapie (Grad 0). Initial kann ein Testosteronantagonist (Bicalutamid) erwogen werden, später in aller Regel ein GnRH-Analogon.

Etwa drei bis sechs Monate lang soll der PSA-Wert kontrolliert werden. Auch wenn dies in der Leitlinie nicht detailliert beschrieben ist, nimmt man bei einem Anstieg > 2 ng/ml eine Hormonrefraktärität an, wenn er dreimal nach einem Intervall je einer Woche um mindestens die Hälfte des Nadirs angestiegen ist und die antihormonelle Therapie mit einem GnRH-Analogon effektiv war, also der Testosteronspiegel auf Kastrationsniveau liegt (< 50 ng/dl). Ein Vorteil für die maximale Androgenablation, also die Kombination aus Testosteronantagonist und GnRH-Analogon, wird nicht gesehen.

In dieser Situation ist Grundlage für die Therapie wiederum die antihormonelle Medikation und die Taxan-Chemotherapie. Die antihormonelle Therapie basiert dabei auf der sogenannte sekundären Hormonmanipulation mit dem Hemmer der Steroid-17-alpha-Hydroxylase-Abirateron (Zytiga®), der intrazellulär die Androgensynthese blockiert, und dem hochspezifischen Testosteronantagonisten Enzalutamid (Xtandi®). Die Therapieentscheidung wird in der Praxis in erster Linie analog zum obigen Szenario nach der Metastasenlast getroffen und danach, ob der Patient symptomatisch ist. Bestehen keine wesentlichen Symptome, kann in der ersten Linie zwar Docetaxel angeboten werden (Grad 0), es sollte aber Abirateron oder Enzalutamid angeboten werden (Grad B); in der Leitlinie findet sich zu Enzalutamid weniger Bezug, da dieses Medikament erst später zugelassen wurde und weniger Daten verfügbar sind. In der praktischen Versorgung scheinen beide Medikamente vergleichbar zu sein. Bei einem Progress unter Abirateron bzw. Enzalutamid kann auf die jeweils andere Substanz gewechselt werden, bevor bei weiterem Progress auf Docetaxel gewechselt wird. Bei ossären Metastasen und hormonrefraktärer Situation sollte der zur Prävention von Komplikationen der monoklonale Antikörper Denosumab (XGEVA®) oder das Bisphosphonat (Zometa®) angeboten werden (Grad A). Allerdings muss zur Vermeidung von Osteonekrosen im Kieferbereich eine zahnärztliche Begleitung bestehen (Grad A).

Bei Symptomen und gutem Allgemeinzustand hingegen sollte in der ersten Linie sowohl Docetaxel als auch die sekundäre Hormonmanipulation angeboten werden (Grad A). Eine weitere Möglichkeit bei isoliert ossärer und progredienter Metastasierung ist das Radionuklid Radium-223 (Xofigo®; Grad A). Bei einem weiteren Progress und gutem Allgemeinzustand kann in der zweiten Linie nach Abirateron/Enzalutamid eine Chemotherapie mit Docetaxel bzw. umgekehrt erfolgen. Auch kann Radium-223 und die Zweitlinien-Chemotherapie Cabazitaxel (Jevtana®) gegeben werden (Grad A). Bei reduziertem Allgemeinzustand (ECOG ≥ 2, Karnofsky-Index < 70) soll hingegen eine symptombezogene Therapie angeboten werden (Grad B). Eine lokale perkutane Bestrahlung von Knochenmetastasen ist bei lokalisierten Schmerzen sowie drohenden Komplikationen durch Fraktur oder Kompression zu diskutieren (Grad A).

Das Literaturverzeichnis kann im Internet unter www.bayerisches-ärzteblatt.de (Aktuelles Heft) abgerufen werden.

Der Autor erklärt, dass er keine finanziellen oder persönlichen Beziehungen zu Dritten hat, deren Interessen vom Manuskript positiv oder negativ betroffen sein könnten.


Professor Dr. Maximilian Burger

 

 

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