Resümee

Dr. Max Kaplan: „Durch Attraktivität motivieren und nicht durch Regulierung demotivieren.“

Dr. Max Kaplan (65), Facharzt für Allgemeinmedizin, war von Januar 1985 bis Januar 2015 als Landarzt in Pfaffenhausen, Landkreis Unterallgäu, niedergelassen; von 2003 bis 2010 Vizepräsident und 2010 bis 2017 Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK). Im Herbst hatte er angekündigt, nicht mehr für das Amt des Präsidenten zu kandidieren. Im Interview mit dem „Bayerischen Ärzteblatt“ bilanziert er seine Amtszeit.

Herr Dr. Kaplan, was waren im Rückblick Ihre größten Herausforderungen im Amt?
Kaplan: Wichtig war mir immer eine engere Vernetzung mit den Akteuren im Gesundheitswesen, mit den Vertretern der Berufsverbände, mit der Schwesterkörperschaft der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), mit den anderen Heilberufekammern und auch mit den sogenannten Kostenträgern. Im Kern gilt es, zunächst alle Interessen aufzunehmen, diese soweit möglich zu berücksichtigen und dabei das gemeinsame Ziel nicht aus dem Auge zu verlieren.

So viel zum Interessensausgleich …
Kaplan: Ein weiteres Anliegen, das ich bereits in meiner Antrittsrede angekündigt hatte, ist, dass ich die Politisierung der BLÄK als eine große Aufgabe sehe. Das bedeutet, dass wir uns mit den Vertretern der politischen Parteien, vor allem mit den Gesundheitspolitikern, entsprechend austauschen. Gerade hier ein Netzwerk aufzubauen, war und ist eine große Herausforderung. Nur wenn wir uns aktiv einbringen, uns als Sachverständige anbieten, werden wir als BLÄK angehört und wird auch auf uns gehört, das heißt werden unsere Vorschläge zumindest in die politischen Entscheidungsprozesse mit einfließen.

Können Sie beispielhaft ein Gesetz oder eine Initiative nennen?
Kaplan: Bei den Gesetzen kann ich das Notfallsanitätergesetz und das Krebsregistergesetz nennen. Beide Male haben wir uns eingebracht, wobei wir angemahnt haben, dass es besser gewesen wäre, die BLÄK zu einem noch früheren Zeitpunkt einzubeziehen. Trotzdem konnten wir noch einiges in die richtige Richtung lenken, beispielsweise beim Notfallsanitätergesetz, was das Haftungsrisiko der Notärzte und der Ärztlichen Leiter Rettungsdienst betrifft. Beim Krebsregistergesetz konnten wir dazu beitragen, dass vorhandene Strukturen erhalten bleiben und auf diese Strukturen aufgebaut wird. Das war, glaube ich, wichtig, auch wenn wir – wie es in der Politik nun mal so ist – nicht alles umsetzen konnten, was wir eingebracht haben. Ein weiteres Beispiel sind die Überlegungen des Arbeitskreises Gesundheit und Pflege der CSU; hier konnten wir im Vorfeld einiges klarstellen, was die ärztliche Weiterbildung und auch die Ausbildung betrifft: Eine Spezifizierung in der Ausbildung darf es nicht geben und schon gar keinen Ersatz der universitären Ausbildung durch eine Ausbildung an einer Hochschule für angewandte Wissenschaften.

Interessenvertretung und Politisierung – waren das Ihre Hauptthemen?
Kaplan: Ja, doch ich darf noch eine weitere Ebene, die Kammer per se, als Institution nennen. Hier ging es mir darum, dass wir unserer ordnungspolitischen Aufgabe gerecht werden – was gerade Weiterbildung, Fortbildung und Berufsordnung betrifft – aber andererseits auch als Dienstleister von unseren Mitgliedern wahrgenommen werden, in dem wir sie bei all ihren Anliegen unterstützen. Wichtig ist, dass wir lösungsorientiert arbeiten; ein „Geht nicht“ gibt es nicht! Dieser Spagat ist eine ganz besondere Herausforderung für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Dabei müssen wir hinter ihnen stehen.

Sie haben immer auch die Patientenversorgung in den Blick genommen?
Kaplan: Alles, was wir im Sinne der Interessenvertretung unserer Mitglieder tun, tun wir auch im Interesse unserer Patienten. Letztendlich geht die Interessenvertretung unserer Mitglieder auch mit der Verbesserung der Patientenversorgung – Stichwort Strukturqualität – einher.

Sie sind auch ein sehr medienkompetenter Präsident. Ist das für Sie ein wichtiger Teil Ihrer Arbeit?
Kaplan: Medien waren sicher nicht mein Schwerpunkt, doch in der heutigen Zeit kann man ohne Medien keine Politik betreiben. Es gibt ja den schönen Satz: „Tue Gutes und rede darüber“. Wir müssen in die Öffentlichkeit treten und hierbei sind die Medien unser Partner.

Nach den Herausforderungen sprechen wir über Freude. Was hat Ihnen am meisten Freude bereitet?
Kaplan: Am meisten Spaß macht es mir, Visionen zu entwickeln, vorauszudenken und mir Gedanken zu machen, wie die medizinische Versorgung bzw. das Arztbild in zehn, 20 oder 30 Jahren aussehen werden. Was können wir heute tun, um unsere Kolleginnen und Kollegen so zu motivieren, dass sie mit Freude und Engagement ihren Beruf ausüben können? Meine Devise lautet: „Durch Attraktivität motivieren und nicht durch Regulierung demotivieren“. In diesem Kontext kann ich auch erklären, warum ich zum Beispiel die Landarztquote für falsch halte. Hier wird reguliert anstatt durch Attraktivitätssteigerung motiviert. Regulation, Regulierung, Reglementierung sind nur kurzfristige Ansätze oder Übergangsregelungen, aber nie die Lösung selbst. Deswegen kann man durch Unterstützungs-, Subventions- und Förderprogramme eine Akutsituation für eine gewisse Zeit entschärfen – dazu zähle ich auch die Landarztquote – aber es kann niemals die Lösung sein.

Zurück zum Spaß …
Kaplan: Zurück zur Motivation! Das Gleiche gilt natürlich auch für unser Haus, das heißt, dass sich unsere Mitarbeiter mit ihrer Tätigkeit identifizieren, wir diese respektieren, sodass die Arbeit auch Freude macht.

Gibt es etwas, was Ihnen weniger Freude bereitet hat?
Kaplan: Weniger Freude bereitet mir zum Beispiel, einen Konflikt beheben zu müssen, der aus Egoismus, Narzissmus und aus einer gewissen Profilneurose heraus entwickelt wurde; wenn durch Eigeninteressen die Fokussierung auf die Gesamtsituation verloren geht und dadurch Konflikte entstehen.

Gibt es unvollendet gebliebene Dinge?
Kaplan: Ja ganz sicher und das liegt in der Natur der Sache. Zunächst mal aus dem Kammer-Aufgabenbereich allgemein – da schließe ich Bundesärztekammer (BÄK) und BLÄK mit ein – sind das die „GOÄneu“, die Novellierung der Weiterbildungsordnung und bei der Fortbildung, das Thema Interessenkonflikte und Sponsoring. Das sind derzeit Dauerthemen, die wir auch nie ganz abschließen werden können, sondern als „work in progress“ begreifen müssen. Doch es sind noch weitere Themen existent: Die Versorgungsstruktur der Zukunft, die Verstetigung neuer Kooperationsformen unter Einbeziehung der Gesundheitsfachberufe, deren Professionalisierung und Akademisierung und somit Delegation und Substitution. Das sind Themen, die weiterhin auf der Agenda stehen; aber auch ethische Fragen, wie ärztliche Indikationsstellung oder Sterbebegleitung.

Noch ein Wort zur Digitalisierung?
Kaplan: Ja, auch die Digitalisierung bleibt einer unserer Dauerbrenner, wobei wir hier aufpassen müssen, dass wir nicht abgehängt werden oder den Ereignissen „hinterherhecheln“. Das müssen wir aktiv angehen, von der Umsetzung der elektronischen Gesundheitskarte, der Einführung der elektronischen Patientenakte bis hin zu Anwendungen der Telemedizin. Das umfasst auch die Telematik-Infrastruktur, die Telekonsultation, die Telediagnostik, das Telemonitoring, die Videosprechstunde, nur um ein paar Schlagworte aufzuzählen. Und nicht zuletzt ist da noch das weite Thema Fernbehandlung. Diese Herausforderung müssen wir aktiv annehmen, ansonsten werden wir fremdbestimmt und letztendlich deprofessionalisiert – ein Schlagwort, das Professor Unschuld bereits vor einigen Jahren formuliert hat.

Haben Sie sich das alles so vor sieben Jahren vorgestellt, als Sie als Präsident angetreten sind?
Kaplan: Ich hatte das große Glück, in dieses Amt hineinwachsen zu dürfen. Ich erinnere mich noch, als mich vor dreißig Jahren ein Vorstandskollege gefragt hatte, ob ich mir vorstellen könnte, Kreisverbandsvorsitzender zu werden. Das habe ich rundweg mit der Begründung abgelehnt: „Ich bin Arzt und möchte meinen Beruf weiter ausüben!“ Im Lauf der Jahre bin ich jedoch so langsam „reingewachsen“. An dem Gefühl, ich könnte das eine oder andere mitbewegen, wenn auch manchmal mühsam, habe ich durchaus Gefallen gefunden. So übernahm ich bei der KVB und bei der BLÄK Aufgaben. Zu einem gewissen Zeitpunkt habe ich mich eindeutig für die BLÄK entschieden.

Warum für die BLÄK?
Kaplan: Man sagt immer so flapsig: „Die KV ist zuständig für die Monetik und die Kammer für die Ethik“. Die größeren Herausforderungen, die vor allem mir mehr Freude bereitet haben, waren die ethischen Fragen. Gerade auch die Themen Qualität, das Berufsbild, der nicht „fremdbestimmte Arzt“, die Risiken der „Verindustrialisierung“ der Medizin uvm. Nehmen wir mal bewusst das Wort „Industrialisierung“, die anderen Begriffe „Wirtschaftlichkeit und Ökonomisierung“ sind ja auch positiv besetzt, denn wir können nicht ärztlich tätig sein, ohne auch auf die Wirtschaftlichkeit zu achten. Mir geht es hier um die Problematik, die wir sowohl im stationären als auch im ambulanten Bereich haben: Falsch gesetzte Anreize, die unser Gesundheitssystem in die falsche Richtung lenken und um die Gefahr, dass wir Ärzte hier instrumentalisiert werden.

Können Sie ein absolutes Steckenpferd-Thema ausmachen?
Kaplan: Die Hauptherausforderung sehe ich mittlerweile darin, gerade als Körperschaft darauf zu achten, dass sich die Ärzteschaft und somit die ärztliche Versorgung nicht immer noch mehr fragmentiert und subspezialisiert. Wir brauchen einen gewissen Überblick über die gesamte Patientenversorgung, wobei wir die Schwerpunkte hier subsumieren sollten. Wir müssen verhindern, dass wir Ärztinnen und Ärzte immer mehr zu hochspezialisierten Technikern und Handwerkern werden. Wir benötigen das ärztliche Bewusstsein, das den Arzt ausmacht und den Patienten als Ganzes sieht, ihn in seiner bio-psycho-sozialen Entität annimmt oder – mit anderen Worten – das hermeneutische Verständnis stärkt! Die neuen Entwicklungen begreife ich durchaus auch als Chance für unseren Berufsstand, da wir einige Aufgaben, die wir bis jetzt zu erledigen hatten, abgeben können, entweder an die Technik oder an andere Fachberufe, um dann wieder mehr Zeit für unsere eigentliche ärztliche Tätigkeit, nämlich die Patientenbetreuung, -versorgung und -beratung, zu haben. Im Rahmen der Digitalisierung werden sich viele Berufsbilder ändern und manche werden auch abhanden kommen. Das Arztbild wird sich auch ändern, aber nie verschwinden – ganz im Gegenteil. Das ist durchaus eine positive Botschaft.

Was machen Sie jetzt mit der Zeit, die Sie bald haben?
Kaplan: Ich bin ja weiterhin in der BÄK tätig, wo noch einige große Herausforderungen zu bewerkstelligen sind. Doch ich möchte mich schon auch neu orientieren und ein bisschen mehr auf mich selbst achten. Da komme ich direkt zur Neufassung des „Genfer Gelöbnisses“, dem hippokratischen Eid, in das wir aufgenommen haben, mehr auf die Patien­­tenautonomie aber auch mehr auf die Gesundheit des Arztes zu achten. Denn nur ein gesunder Arzt kann auch eine entsprechend hochwertige Patientenversorgung leisten. Für mich heißt das, im Ruhestand auch Zeit zu haben, mich ein wenig selbst zu verwirklichen und Dinge zu tun, die ich in den vergangenen Jahren vernachlässigt habe. Gerade wenn man tief in der Berufspolitik steckt, teilweise ein Getriebener und auf ständige Erwartungen und Forderungen eingestellt ist, bleibt kaum Zeit, über sich selbst nachzudenken, inne zu halten, sich selbst zu hinterfragen und Selbstreflexion zu betreiben. Da sehe ich jetzt die Chance: Ich werde meinen Interessen nachgehen und weniger darauf achten müssen, was andere von mir erwarten. Da sehe ich Möglichkeiten im musischen und im philo­sophischen Bereich und einfach die Chance, das Leben mit meiner Familie zu genießen.

Vielen Dank für das ausführliche und offene Gespräch!

Die Fragen stellte Dagmar Nedbal (BLÄK).

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