Prävention mit P.A.R.T.Y.

P.A.R.T.Y.

Schlagartig ruhig wird es, als die 16 Schülerinnen und Schüler des Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasiums Bayreuth den verletzten Säugling auf der Rückbank des verunfallten Autos sehen. Eine beklemmende Stille legt sich über den Konferenzraum im Klinikum Bayreuth, in dem die Schüler einen Film über Unfallprävention im Straßenverkehr anschauen. „Das ist doch nicht real“, sagt einer. Solche Detail- und Nahaufnahmen eines Verkehrsunfalls kennen die wenigsten. „Leider ist genau das die Wirklichkeit“, erklärt Dr. Christian Haag, Oberarzt und Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie am Klinikum Bayreuth. Gemeinsam mit dem Chefarzt der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, Privatdozent Dr. Michael Müller, Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie, hat Haag den P.A.R.T.Y.-Tag initiiert.


Bild 1: Dr. Christian Haag (links im Bild) und Privatdozent Dr. Michael Müller (Mitte), Initiatoren des „P.A.R.T.Y.-Tages“, berichten den Schülern von ihrer Arbeit in der Unfallchirurgie.

 

Was ist P.A.R.T.Y.

P.A.R.T.Y. – ein Akronym für „Prevent Alkohol and Risk Related Trauma in Youth“ – ist ein weltweites Präventionsprogramm, das Jugendliche für die Wirkung von Alkohol und für risikoreiches Verhalten sensibilisieren soll. Bundesweit haben bislang über 80 Kliniken daran mitgewirkt. An einem „P.A.R.T.Y.-Tag“ erleben Schüler hautnah, welche drastischen Folgen unaufmerksames Verhalten im Straßenverkehr durch Ablenkung oder Fahren unter Alkohol- und Drogeneinfluss haben kann. Ob durch „Klassiker“ wie Alkohol oder Drogen, durch Selbstüberschätzung oder durch Nachlässigkeit: Das „P.A.R.T.Y.-Programm“ zielt nicht auf die Folgen von unverschuldeten Unfällen, sondern darauf, derartige Ereignisse zu vermeiden. „Die jungen Menschen sollen sich des Risikos bewusst sein“, erklärt Müller. Sie sollen lernen, die eigene Gefährdung richtig einzuschätzen und keine Risiken für andere eingehen. Auch sei es wichtig, Jugendlichen zu vermitteln, welche Konsequenzen riskantes Verhalten im Straßenverkehr für sie selbst oder für ihre Freunde und Familie haben kann. Die Grundidee des Projekts wurde 1986 in der Notfallambulanz des Sunnybrook Health Sciences Centre in Toronto/Kanada entwickelt. Das Programm etablierte sich schnell und verbreitete sich innerhalb der vergangenen 26 Jahre weltweit. Mittlerweile gibt es über 100 Standorte des „P.A.R.T.Y.-Programms“ in fünf Ländern. Seit Januar 2015 gibt es in München eine Nationale Koordinierungsstelle P.A.R.T.Y., die bei der Akademie der Unfallchirurgie (AUC) angesiedelt ist. Die AUC ist für die Koordination des Programms verantwortlich und unterstützt die teilnehmenden Kliniken bei der Pressearbeit, bei der Schulung von Mitarbeitern und stellt Präsentationsmittel zur Verfügung.

Ein Polizist spricht aus der Praxis

Zurück im Konferenzraum des Krankenhauses erzählt Hauptkommissar Peter Hübner vom Polizeipräsidium Oberfranken von seinen Erfahrungen aus der Praxis. „Die Hauptursache für Unfälle, in die Jugendliche verwickelt sind, ist überhöhte Geschwindigkeit.“ Umso wichtiger sei es, keine Risiken am Steuer einzugehen und das eigene Fahrkönnen an die jeweiligen Bedingungen anzupassen. Wie folgenreich ein Unfall ausgehen kann, werden die Schüler an diesem Tag sehen. In Kleingruppen dürfen sie verschiedene Stationen in der Klinik besuchen. Was passiert am Standort des Rettungshubschraubers? Wie sieht ein Rettungswagen von innen aus? Was ist eigentlich ein Schockraum? Wann kommen Patienten auf die Intensivstation und wie geht es auf der Normalstation weiter? Haag erklärt das Konzept, das dem Tag im Unfallzentrum zugrunde liegt. „Als überregionales Traumazentrum sind wir täglich mit schwerverletzten Patienten konfrontiert und das leider mit dem Trend, dass auch Jugendliche von schweren Unfällen betroffen sind.“ Die Jugendlichen sollen einen besonders realistischen Einblick in die Rettung und Versorgung von Schwerverletzten erhalten.  Zur Prävention sei das besonders wirksam.

Rettung aus nächster Nähe

Als die Schüler über das Klinikgelände zur Fahrzeugbesichtigung in Richtung Hubschrauberlandeplatz laufen, kündigen Rotorengetöse und Windböen die Ankunft des Rettungshubschraubers an. Gerade hat er einen Notfalleinsatz beendet und fliegt zum Hangar am Klinikum zurück. Das ist ein Teil des Alltags auf der Rettungswache. „An manchen Tagen hebt der Hubschrauber bis zu sieben- oder achtmal ab“, erklärt Pilot Daniel Hecht. Die Einsätze können nur wenige Minuten, aber auch mehrere Stunden dauern. Hecht erklärt die Ausstattung des „Christoph 20“, der von der ADAC-Luftrettung betrieben wird. Aus nächster Nähe können sich die Jugendlichen einen Eindruck verschaffen.


Bild 2: „Christoph 20“ setzt zur Landung an.

„Wir wollen keine verzerrte Darstellung, wie dies im Fernsehen oder der Presse oft geschieht“, sagt Haag, der den Ablauf des Tages koordiniert. Stattdessen sollen die Jugendlichen sehen, wie die Versorgung von Schwerverletzten abläuft. Sie sollen erkennen, dass dies Teamarbeit ist, an der mehrere Einrichtungen, wie Rettungsdienst und Feuerwehr oder das Technische Hilfswerk beteiligt sind. Aus allen Einrichtungen stehen Fahrzeuge bereit, die sich die Schüler anschauen können. Am Fahrzeug der Feuerwehr führt ein Feuerwehrmann die hydraulische Rettungsschere vor, die zur Bergung von Menschen bei Unfällen auf der Straße zum Einsatz kommt. Notfallsanitäter Christian Beyerlein erklärt den Schülern die Ausstattung des Rettungswagens: Defibrillator, Beatmungsgerät und Notfallkoffer sind nur einige der Gerätschaften, die ein Leben retten können.

Schockraum und Intensivstation

Weg von Fahrzeugen, die am Unfallort zum Einsatz kommen, weg von der Notfallversorgung, geht es für die Schüler in die Klinik, in den Schockraum und im Anschluss auf die Intensivstation. Dort liegt ein schwerverletzter Motorradfahrer. „Ich kenne vieles aus dem Fernsehen. Aber jemanden direkt vor sich zu sehen, der nicht mehr selbstständig atmen kann, das ist nochmal etwas ganz anderes und bringt einen zum Nachdenken“, sagt die 15-jährige Alena Blahuscheck. Auch Rebekka Haas, 16 Jahre, beschreibt, wie ihr der Anblick nahegeht. „Ich finde, das sah jetzt nicht mehr menschlich aus.“ Die 16-jährige Maria Herrmann stimmt ihren Mitschülerinnen zu: „Wir reden untereinander darüber, dass wir hier in der Klinik das sehen können, was man sonst nur aus dem Fernsehen kennt. Gerade auf der Intensivstation, da kriegt man mal ein Gefühl, wie das alles laufen kann, wie groß das hier alles ist“.

Zurück auf Station und im wahren Leben

Durchatmen können die Schüler, als sie eine Etage höher in die Normalstation gehen. Hier gibt es keine piependen Maschinen, die Patienten gehen oder fahren in Rollstühlen sitzend, man hört Gesprächsfetzen und Geschirrgeklapper. Die Atmosphäre ist weniger bedrückend, aber auch diese Bilder sind real und bleiben in den Köpfen. Auf dem Rückweg in den Konferenzraum erzählt Rebekka Haas, sie glaube, dass, wenn jetzt alle ihren Führerschein machten, sie das Ganze ein bisschen anders sähen und ernster nähmen. Auch Maria Hermann bestätigt die bleibenden Eindrücke dieses Tages: „Man denkt nochmal ganz anders darüber nach, was wirklich auf einen zukommen kann. Jetzt sieht man eben, was alles wirklich passieren kann, was man sonst nur annähernd im Kopf hat“.

Patientenschicksal

Aus der Praxis berichtet Billy Sablowski, ein ehemaliger Patient, von seinem Motorradunfall vor ein paar Jahren. Er erinnere sich, wie er durch die Luft geflogen und auf der Straße aufgeschlagen sei. Als er schwerverletzt auf der Straße liegend wieder zu Bewusstsein kam, galt sein erster Gedanke seiner Frau. Eine unbeschreibliche Situation für ihn. „Ich hob meinen Kopf und sah, wie meine Frau auf der Straße kniete. Sie hob ihren Daumen. Ich war unendlich erleichtert.“

Szenen und Aussagen, die die Schüler erreichen, glaubt auch Lehrerin, Christy Hornfeck. Sie ist Sucht- und Drogenpräventionsbeauftragte des Markgräfin-Wilhelmine-Gymnasiums und hat eine neunte Klasse ausgesucht, die zum Besuch in das Klinikum kommen darf. Vor allem der Film zu Beginn des Tages, in dem eine junge Autofahrerin nur kurz unaufmerksam war, habe die Schüler schockiert. Situationen, die hängen bleiben. Otto Purucker, auch Schüler der neunten Klasse, 16 Jahre, ist ausgebildeter (Schul-)Sanitäter. Ihn können diese Bilder wenig schockieren. Er glaubt, dass zwar viele Jugendliche in seinem Alter reflektiert handelten, aber keineswegs alle ein Gespür für Risiken hätten. „Es gibt viele Jugendliche, die sich komplett selbst überschätzen und denen so ein Tag in der Unfallklinik hoffentlich etwas Einsicht bringen wird.“


Bild 3: Die Schülerinnen der neunten Klasse auf der Intensivstation.

Initiator und Chefarzt Müller lobt das Programm. Er ist davon überzeugt, dass es einprägsam ist, wenn die Jugendlichen Betroffene sehen, wie zum Beispiel den Patienten Sablowski oder einen Schwerverletzten auf der Intensivstation. „Ich glaube, dass die Intensivstation die Schüler etwas aufgerüttelt hat. Das sind alles Sachen, die passieren innerhalb von Sekunden.“ Um das „P.A.R.T.Y.-Programm“ und den Präventionsgedanken noch mehr in die Fläche tragen zu können, wünscht er sich, dass künftig noch mehr Kliniken mitwirken. Hierfür müsse die Initiative am besten zentral organisiert werden. Wovon er sich vor allem Wirkung verspricht, ist, wenn die Schüler Betroffene sehen. „Das bleibt in den Köpfen“, sagt er.

Weitere Informationen zum „P.A.R.T.Y.-Programm“ finden Sie unter www.party-dgu.de/de/startseite_party.html

 

 

Top